Protokoll der Sitzung vom 31.08.2017

(Unterbrechung von 13:14 bis 14:32 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren mit der Sitzung fort.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 51 auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend klares Zeichen gegen Atomwaffen setzen – friedenspolitisches Engagement und Aufklärung unterstützen – Drucks. 19/5173 –

zusammen mit Tagesordnungspunkt 73:

Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend nukleare Abrüstung in Deutschland – Drucks.

19/5211 –

sowie Tagesordnungspunkt 74:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Erhalt des Friedens und weltweite atomare Abrüstung – Drucks. 19/5212 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten. Als erster Redner hat sich Herr Kollege Schalauske von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Morgen, am 1. September, begehen Gewerkschaften, Friedensinitiativen, die politische Linke und viele mehr den Antikriegstag, den die Gewerkschaften in den 1950er-Jahren unter dem Motto „Nie wieder Krieg“ ins Leben gerufen haben, um an die Schrecken von Faschismus und Weltkrieg zu erinnern und ein Zeichen gegen Krieg und Aufrüstung zu setzen.

Die Fraktion DIE LINKE ist der festen Überzeugung, dass dieser wichtige Gedenktag ein mehr als geeigneter Anlass für eine Debatte im Hessischen Landtag über Frieden und Abrüstung ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein anderes bedeutendes Datum in diesem Jahr ist der 7. Juli 2017. An diesem Tag haben in New York die Vereinten Nationen über einen Atomwaffenverbotsvertrag abgestimmt. Über 120 Staaten haben für die Annahme dieses Vertrags gestimmt. Damit wurde ein Prozess eingeleitet, an dessen Ende im Laufe dieses Jahres eine völkerrechtlich verbindliche Ächtung von Atomwaffen stehen wird. Ich finde, dieser Vertrag ist nicht weniger als ein großer Hoffnungsschimmer für die Menschheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Zeiger der Weltuntergangsuhr – einer symbolischen Uhr, welche US-amerikanische Atomwissenschaftler verwenden, um der Öffentlichkeit zu verdeutlichen, wie groß nach ihrer Meinung das derzeitige Risiko eines Atomkriegs ist – stehen auf zweieinhalb Minuten vor zwölf. Die Wissenschaftler warnen – sinngemäß –: Die Möglichkeit einer globalen Katastrophe ist sehr hoch. Maßnahmen, um das Risiko einer Katastrophe zu minimieren, müssen schnell ergriffen werden.

Im Übrigen: Das letzte Mal, als die Gefahr eines Weltuntergangs von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern als so hoch eingeschätzt wurde, war im Jahr 1984, als die Beziehungen zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion einen Tiefpunkt erreicht hatten.

Im Zusammenhang der atomaren Waffen beunruhigen die Forscher zahlreiche Entwicklungen: der Ausbau und die Erneuerung der Atomwaffenarsenale in den USA, in Russland, in Indien und in Pakistan sowie die Pläne Nordkoreas, Atomwaffen zu testen und die Sprengkraft ihrer Bomben auszubauen. Seit der jüngsten Analyse, aus der ich zitiert habe, hat sich der Konflikt zwischen Nordkorea und den USA weiter verschärft.

Der US-amerikanische Präsident Donald Trump prahlt, dass sein Atomwaffenarsenal stärker als jemals zuvor sei, und droht Nordkorea mit – ich zitiere – „Feuer und Zorn, wie es die Welt noch nicht gesehen hat“.

(Zuruf des Abg. Kurt Wiegel (CDU))

Mit wechselseitigen Drohgebärden, Raketentests und Militärübungen eskalieren Kim Jong-un und Donald Trump diesen Konflikt. Diese Entwicklungen zeigen: Der Fortbestand von Atomwaffen ist eine der größten Gefahren für die Sicherheit der gesamten Menschheit.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU)

Notwendig ist eine Politik, die sich ohne Wenn und Aber für atomare Abrüstung einsetzt. Was aber müsste eine Bundesregierung tun, die die atomare Abrüstung voranbringen möchte?

Erstens. Der Vertrag über das Verbot von Kernwaffen im Rahmen der Vereinten Nationen muss ratifiziert werden. Bisher hat sich die Bundesregierung noch nicht einmal an den Verhandlungen beteiligt.

Ich finde, es ist völlig inakzeptabel, dass diese deutsche Regierung, die sonst so schnell mit dem Wunsch dabei ist, eine Führungsrolle in der Welt und militärische Verantwortung zu übernehmen, nicht in der Lage zu sein scheint, Verantwortung für das Verbot von Atomwaffen zu übernehmen. Das ist völlig inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Aus der NATO-Strategie der nuklearen Teilhabe muss ausgestiegen werden. Zukünftig darf ein Einsatz von

Atomwaffen durch Bundeswehrpersonal weder eingeübt werden, noch dürfen Trägersysteme dafür bereitgestellt werden. Es darf auch keine anderweitige Unterstützung für diesen Einsatz oder für die Vorbereitung eines Einsatzes geleistet werden.

Drittens. Die deutsche Politik muss sich ohne Wenn und Aber für einen Abzug der US-amerikanischen Atomwaffen aus Büchel in der Eifel einsetzen und darf keine Stationierung neuer US-amerikanischer Atomwaffen in Deutschland zulassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie Sie alle wissen: In Büchel in der Eifel lagern – nach den Recherchen der IPPNW – noch immer ca. 20 Atombomben.

In dieser Situation begrüße ich es ausdrücklich, dass der SPD-Vorsitzende Martin Schulz den Abzug der US-amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland fordert. Aber bloße Lippenbekenntnisse reichen nicht aus. Auch die ehemaligen Außenminister Guido Westerwelle, FDP, oder FrankWalter Steinmeier, SPD, hatten diesen Abzug gefordert. Gefolgt ist diesen Ankündigungen bisher leider nichts.

Im Gegenteil: In der Vergangenheit haben Bundesregierungen aller Couleur nicht ab-, sondern aufgerüstet. Allein unter der Großen Koalition ist der Militärhaushalt in den letzten vier Jahren von 32,8 Milliarden € auf 37 Milliarden € angestiegen. Deswegen an die Kolleginnen und Kollegen der SPD:

(Günter Rudolph (SPD): Ich wusste, da kommt noch etwas!)

Wer den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland wirklich erreichen will, der darf sich nicht hinter – Zitat – „europäischen Lösungen“ verstecken, wie Sie es in dem Wahlprogramm tun, sondern er muss gegenüber den USA offensiv auf einen sofortigen Abzug der US-Atomwaffen drängen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dabei hätten Sie die Mehrheit der Bevölkerung auf Ihrer Seite. Die große Mehrheit der Menschen in unserem Land ist für ein Verbot und eine Verschrottung von Atomwaffen.

Jetzt werden Sie in dem weiteren Verlauf der Debatte behaupten, dass dieses Thema im Landtag nichts zu suchen hat. Dazu sage ich Ihnen gleich: von wegen. Die Gefahr eines Einsatzes von Atomwaffen, die Gefahr einer nuklearen Katastrophe macht, wie bei vielen anderen Menschheitskatastrophen auch, keinen Halt vor der Landesgrenze Hessen.

In diesem Wissen haben sich beispielsweise in Rahmen der Friedensbewegung der Achtzigerjahre gegen den NATODoppelbeschluss viele Kommunen in Hessen zu atomwaffenfreien Zonen erklärt. Dafür haben viele – auch die politische Linke – lange gestritten.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Ein anderes Beispiel dafür, wo diese Erkenntnis angekommen ist, sind die Kommunen. Jedes Jahr am 8. Juli wird am Rathaus meiner Heimatstadt Marburg die „Mayors for Peace“-Flagge gehisst. Marburg ist – wie in Hessen über 40 Städte und Gemeinden – Mitglied im Bündnis „Bürgermeister für den Frieden“. Die Organisation „Bürgermeister für den Frieden“ ist eine Organisation, die 1982 durch den Bürgermeister von Hiroshima als „Mayors for Peace“ ge

gründet worden ist und die sich für Frieden und atomare Abrüstung einsetzt.

Ich finde, der Hessische Landtag könnte sich an diesem Engagement ein Beispiel nehmen und es entsprechend würdigen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. In der Hessischen Verfassung, in unserem Staatsgrundgesetz, wurden Lehren aus Faschismus und Weltkrieg gezogen. In Art. 69 der Hessischen Verfassung heißt es:

Hessen bekennt sich zu Frieden, Freiheit und Völkerverständigung. Der Krieg ist geächtet.

Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungswidrig.

Ich meine, unsere Verfassung verpflichtet uns gerade dazu, auch in diesem Landtag ein deutliches Zeichen für Frieden und Abrüstung zu setzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens. Da wende ich mich erneut an die Kolleginnen und Kollegen von der SPD; denn bereits in den Fünfzigerjahren wurde im Hessischen Landtag über Fragen von Wiederbewaffnung und Aufrüstung debattiert. Es war unter anderem der SPD-Ministerpräsident Georg August Zinn, der sich damals Militarisierungsplänen von Adenauer und der US-Regierung entgegenstellte.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Was wollen Sie uns damit sagen?)