Protokoll der Sitzung vom 21.05.2014

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie glauben, RWE hat da vorgesorgt, die haben ausreichende Rückstellungen gebildet. Sie halten es offensichtlich nicht für nötig, einmal nachzufragen und sich anzuschauen, wie das genau aussieht. Frau Ministerin, diese Blauäugigkeit gegenüber den Atomkonzernen kann ich bei einer GRÜNEN überhaupt nicht nachvollziehen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die Anti-Atom-Bewegung fordert schon lange, dass man den AKW-Betreibern die Rückstellungen wegnimmt und sie in einem öffentlich-rechtlichen Fonds sichert, damit sie nicht verloren gehen. Aber damit ist es für die Konzerne nicht getan. Die finanzielle Verantwortung muss natürlich weiter bei den Atomkonzernen, also bei den Verursachern, liegen. Wenn die Rücklagen nicht ausreichen, müssen sie dafür aufkommen und nicht die Allgemeinheit.

Das, was E.ON, RWE und EnBW jetzt vorschlagen, ist aber etwas ganz anderes. Sie wollen die Kostenrisiken vollständig auf den Staat übertragen und sich mit einer viel zu niedrigen Summe freikaufen. Im Gegenzug ist man so großzügig, auf die Klagen gegen den Atomausstieg verzichten zu wollen. Damit wollten sich die Konzerne nämlich den Atomausstieg versilbern lassen und sich weiter auf Kosten der Steuerzahler bereichern. In Hessen klagt RWE gegen das Land, weil das zuständige Ministerium nicht in der Lage war, Biblis rechtssicher stillzulegen.

An der Stelle muss ich noch einmal sagen: Es war das Vorgehen der Bundesregierung und der Hessischen Landesregierung, das den Betreibern für genau diese Klagen Tür und Tor geöffnet hat. Genau davor hat die Opposition damals gewarnt.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Statt im Bundestag ein wasserdichtes Ausstiegsgesetz vorzulegen, hat man – ohne jede Rechtsgrundlage – ein dreimonatiges Moratorium verkündet. Das ist nichts anderes als eine Einladung an die Konzerne, zu klagen und sich hier Geld zurückzuholen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Natürlich – das will ich überhaupt nicht in Abrede stellen – ist das Verhalten von RWE an Dreistigkeit kaum zu überbieten. Aber es waren eben die Bundes- und die Landesregierung, die diesen Weg überhaupt erst ermöglicht haben. Herr Ministerpräsident, Sie können zum x-ten Mal sagen, Sie hätten alles richtig gemacht: Das hilft Ihnen leider überhaupt nicht, wenn die Verwaltungsgerichte in diesem Land das anders sehen.

Es ist nicht so, dass wir es hier mit Not leidenden Unternehmen zu tun hätten. Jahrzehntelang strichen die Konzerne Milliardengewinne ein. Allein zwischen 2000 und 2013 schütteten RWE, E.ON und EnBW 60 Milliarden € an ihre Aktionäre aus. Das war nur durch staatliche Subventionen möglich, die der Atomlobby in den letzten Jahrzehnten in den Rachen geworfen wurden. Umso dreister ist der aktuelle Vorstoß.

Aber man muss ehrlich sagen, so abwegig ist die Forderung der Konzerne leider nicht. In den Vorstandsetagen der Atomkonzerne hat man offensichtlich sehr genau beobachtet, wie die Politik in der Finanzkrise mit den Banken umgegangen ist. Die sind ihren Giftmüll losgeworden, und die Banken konnten die Risiken auf die Steuerzahler abwälzen.

Die Große Koalition hat die Banken damals mit Milliarden an Steuergeld unterstützt. Hier trat genau das ein, wovor die SPD in ihrem Antrag völlig zu Recht warnt: Gewinne wurden privatisiert, und die Verluste wurden sozialisiert. Wir haben damals nicht zugestimmt – aber wir waren leider die Einzigen.

Auch jetzt ist die Bundesregierung offensichtlich bereit, mit den Konzernen über deren Vorschlag zu reden. In einem Interview mit der „FAZ“ erklärte Bundeskanzlerin Merkel, man werde über das Thema „Kraftwerke und ihre Altlasten“ sicher noch viele Gespräche führen. Im Grundsatz müsse es dabei bleiben, dass die Unternehmen die Verantwortung für die Entsorgung von Atommüll tragen. „Im Grundsatz“ bedeutet – so verstehe ich das –, dass es durchaus Ausnahmen geben kann. Bundeskanzlerin Merkel kündigt auch Gespräche an. Meine Damen und Herren, ich finde, eine klare Absage sieht anders aus.

(Beifall bei der LINKEN)

Der EU-Energiekommissar Günther Oettinger geht sogar noch weiter und erklärt – sprachlich ist das ein bisschen krumm; aber ich zitiere es wörtlich –:

Der Gedanke, der jetzt in die Welt gekommen ist, ist nur vertretbar, wenn man damit auch die Rücknahme von Klagen gegen Deutschland verbindet und so im Grunde genommen zu einer Einigung kommt.

(Heiterkeit bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich interpretiere das so, dass Herr Oettinger dem Vorschlag aufgeschlossen gegenübersteht.

Meine Damen und Herren, ich will das an der Stelle noch einmal klar sagen: Wenn DIE LINKE die Vergesellschaftung der Energiekonzerne fordert, lächeln Sie müde und tun das als Spinnerei ab. Aber wenn die Energiekonzerne die Vergesellschaftung ihrer Milliardenverluste fordern, dann kann man natürlich darüber reden. Das ist genau Ihre Logik, und dazu sagen wir: Das kann nicht angehen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Ministerpräsident, ich hätte es sehr begrüßt, wenn Sie genau zu diesen Äußerungen etwas gesagt hätten. Was gilt denn nun? Gilt das, was Herr Oettinger sagt? Ich hätte es gut gefunden, wenn Sie auch als stellvertretender CDUVorsitzender – der Sie ebenfalls sind – zu diesen Äußerungen des EU-Energiekommissars Stellung bezogen hätten.

(Timon Gremmels (SPD): Im Vieraugengespräch bestimmt!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, vieles in Ihrem Antrag ist gut und richtig, und das meiste können wir auch teilen. Aber ich muss leider auch sagen, Sie sollten nicht vergessen, dass Sie an der Bundesregierung beteiligt sind und dass Sie mit Ihrem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel den zuständigen Wirtschafts- und Energieminister stellen. Zudem stellen Sie auch die Umweltministerin. Ich gebe zu, deshalb erschließt es sich mir nicht ganz, warum die Hessische Landesregierung jetzt ein Konzept zur Sicherung der Rückstellungen erarbeiten soll.

(Beifall bei der LINKEN)

Angesichts der drohenden Kosten ist es geradezu ein schlechter Witz, wenn heute ernsthaft über die erneuerbaren Energien als vermeintliche Preistreiber geredet wird. Das machen Teile der Wirtschaft sowie die Vertreter der Union und der FDP gern.

Ich will etwas aus der „Wirtschaftswoche“ von dieser Woche zitieren. Die „Wirtschaftswoche“ ist weder als Zentralorgan der Ökobewegung noch als sozialistisches Kampfblatt bekannt. Dort kann man nachlesen, dass die staatliche Bezuschussung der Atomenergie bisher 201 Milliarden € verschlungen hat.

(Peter Stephan (CDU): Die staatlichen Zuschüsse! Das ist aber nicht das, was die Bürgerinnen und Bürger für die EEG-Umlage ausgeben müssen!)

Die Subventionen für Stein- und Braunkohle liegen bei 260 Milliarden €. Die Zuschüsse für die erneuerbaren Energien betragen nicht einmal die Hälfte dessen, was für Atom und Kohle bisher ausgegeben wurde. Nicht mit eingerechnet sind die ökologischen Schäden und die Folgekosten, z. B. durch die Endlagerung bei der Atomkraft und durch die CO2-Belastung bei der Kohlekraft. Diese Kosten lassen sich nicht kalkulieren.

Frau Kollegin Wissler, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Meine Damen und Herren, die zivile und militärische Nutzung von Atomkraft ist verantwortungslos. Die Kohlekraft

belastet das Klima. Deswegen brauchen wir eine Beschleunigung der Energiewende. Das bedeutet eben nicht nur, Kohlekraft und Atomenergie durch Energie aus Wind und Sonne zu ersetzen. Wir brauchen einen Umbau und eine Demokratisierung der Energiewirtschaft; denn gerade dieser Vorstoß der Konzerne zeigt doch, was für eine Macht und was für ein Erpressungspotenzial sie Regierungen gegenüber haben. Deswegen muss die Macht dieser Konzerne gebrochen werden.

Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung und die Landesregierung diesen Vorstoß zurückweisen und klarmachen, dass es nicht sein kann, dass diese Kosten jetzt dem Steuerzahler aufgebürdet werden.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Danke. – Als Nächster spricht Kollege Rock, FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren über die Atomenergie, aber nicht mehr so, wie wir früher darüber diskutiert haben: Ausstieg, Nichtausstieg und Folgen. Vielmehr diskutieren wir anhand eines konkreten Beispiels, wie die Lasten zu verteilen und zu tragen sind.

Ich war heute Morgen ein bisschen überrascht, als der Herr Ministerpräsident als Erster ans Mikrofon getreten ist. Ich dachte, dass er konkret etwas dazu sagen würde; aber er hat sich erst einmal mit dem Untersuchungsausschuss auseinandergesetzt, der ihn – die Staatskanzlei anscheinend auch – doch sehr zu beschäftigen scheint.

(Beifall bei der FDP)

Die Erklärungsversuche, die wir gehört haben, kennen wir schon. Diejenigen, die in der letzten Legislaturperiode dabei waren – wie ich als Mitglied der FDP-Fraktion –, haben diese Erläuterungen immer wieder gehört, auch von Frau Puttrich. Aber wir kennen jetzt den einen oder anderen der Briefe, die an Herrn Röttgen geschrieben wurden. Das hat man auch nicht weiter verfolgt. Die Haltung der Bundesregierung zu der Frage, wer welche Verantwortung hat, wird in diesen Briefen mehr als deutlich dargestellt. Da hat Herr Röttgen immer gesagt: Vielen Dank, dass Sie das gemacht haben, aber eines ist sicherlich klar: Die volle Verantwortung trägt das Land; das war dafür zuständig. – Das hat Herr Röttgen uns sozusagen ins Stammbuch geschrieben.

(Beifall bei der FDP)

Man hat kurz nachgefasst; dann hat man es noch einmal von einem Beamten erklärt bekommen, und das wars. Seitdem gibt es, zumindest soweit wir es verfolgen konnten, keinen Schriftwechsel und keinen Austausch mehr. Vielleicht wird noch das eine oder andere zutage gefördert.

Aber aus unserer Sicht ist der Untersuchungsausschuss dazu da, das zu klären. Ich glaube, wir alle im Plenum sollten diese Klärung nicht vorwegnehmen, sondern abwarten, was der Untersuchungsausschuss bringt. Dann wissen wir genau, was die Folgen sind.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Das Schwarzer-Peter-Spiel Bund/Land wird an dieser Stelle nicht tragen. Wenn man an allen wichtigen Stellen in Berlin eigentlich für das verantwortlich ist, was man hier beantragt, ist für uns auch ein bisschen schwer nachzuvollziehen, wieso denn von der SPD dieser Antrag eingebracht wird. Herr Gremmels, ich kann an dieser Stelle nur sagen: Wir werden Ihren Antrag – Frau Wissler hat es schon ausgeführt – im Grundsatz mittragen. Nr. 2 werden wir nicht mittragen, weil die Landesregierung natürlich kein Konzept erstellen muss, sondern das ist die Aufgabe, wenn man das denn will, der Großen Koalition in Berlin. Das ist nicht unsere Aufgabe in Hessen.

(Beifall bei der FDP)

Ich glaube, auch darüber müssen wir uns im Klaren sein: Wir sollten nicht wieder in eine Debatte verfallen, die am Thema vorbeigeht. Es geht nicht darum: Wer hat wann welches Geld verdient? Es geht auch nicht darum: Wer hat in der Vergangenheit an welcher Stelle welche Verantwortung für Ausstiegs- oder Nichtausstiegsentscheidungen getroffen? Es geht konkret darum: Wie werden die Folgen des Atomausstiegs finanziert, und wer trägt die Lasten und die Verantwortung? – Dazu kann ich nur sagen, dass ich überrascht war, was ich hierzu in den Medien gelesen habe. Die Kanzlerin hat sofort erklärt – Frau Wissler hat darauf hingewiesen –, das könne man dem Staat und dem Steuerzahler grundsätzlich natürlich nicht aufbürden.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ja, im Grundsatz nicht!)

Als sie dann konkret gefragt wurde: „Wie sieht das denn jetzt mit der Stiftungslösung aus?“, kam keine Antwort. Mittlerweile kennen wir ein bisschen die Strategie, wie Frau Merkel agiert. Von daher würde ich jetzt keinen hohen Betrag verwetten, dass am Ende nicht eine Stiftung herauskommen wird.

(Beifall bei der FDP, der SPD und der LINKEN – Heiterkeit bei der SPD)

Was mich aber noch mehr gewundert hat, war natürlich die offensive Äußerung der schwarz-grünen Landesregierung zu dem Thema, weil ich dachte, dass eigentlich ganz klar sei, was der Ministerpräsident einer schwarz-grünen Landesregierung auf die Frage antworten wird, wer denn eigentlich für die Kosten verantwortlich ist und wie das organisiert wird. Ich habe geglaubt, dass er dann sagt: Es ist ausgeschlossen. In allen Ämtern, in allen Positionen werde ich darauf hinwirken, dass es keine Verallgemeinerung dieser Kosten gibt.

Nein, was sagt der Ministerpräsident? – Er sagt halt, oder die Überschrift in der „FNP“ lautete, ein Altlastenfonds sei für Schwarz-Grün denkbar. Der Ministerpräsident sagt dann auch – das steht in Anführungszeichen, also nehme ich an, es war wörtliche Rede –: „Der kann nicht so aussehen, dass am Ende der Steuerzahler“ – jetzt kommt es – „die ganze Angelegenheit übernimmt.“ Was heißt denn das, wenn ich sage: „die ganze Angelegenheit“? Heißt das dann, ein Teil ist schon angemessen, oder wie soll man das verstehen?