Protokoll der Sitzung vom 23.11.2017

Aber – Entschuldigung – die Demokratie hat ein Problem, wenn an diesem Montag die vierte Fraktion des Deutschen Bundestages sagt, sie wolle nicht regieren. Am Ende haben wir im Deutschen Bundestag eine Mehrheit, die keine Verantwortung übernehmen will. Darüber sprechen wir heute.

(Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Das ist keine Gleichsetzung von SPD und AfD, sondern eine schlichte Feststellung zur gegenwärtigen politischen Situation.

Inzwischen haben auch innerhalb der SPD Debatten begonnen. Ich habe heute Morgen gelesen, was Mike Groschek gesagt hat; ich habe gehört, was Johannes Kahrs im Interview gesagt hat. Auch innerhalb der Sozialdemokratie fängt man inzwischen an, zu debattieren, ob diese Situation auf Dauer gut sein kann.

Das bestätigt mich in der Auffassung, dass es im Kern nicht funktionieren kann, wenn eine Mehrheit im Deutschen Bundestag sagt, dass sie zur Übernahme von Regierungsverantwortung nicht zur Verfügung stehe. Nicht mehr habe ich gesagt, und nicht mehr habe ich gemeint. Mehr sollte man auch nicht hineininterpretieren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das waren gut vier Minuten. Das heißt, den Fraktionen sind noch einmal vier Minuten Redezeit zuge

wachsen. Insgesamt sind das 23 Minuten. Den Sozialdemokraten stehen damit noch neun Minuten zur Verfügung.

Als nächste Rednerin hat sich Frau Abg. Wissler für die Fraktion DIE LINKE gemeldet. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrer Rede eben davon gesprochen, was aus Ihrer Sicht die großen gesellschaftlichen Fragen seien. Sie sagten auch, was aus Ihrer Sicht keine großen Fragen seien. Sie sagten, große Fragen seien für Sie nicht der Soli oder die Steuern. Sie haben gesagt, für Sie sei keine große Frage, ob der Diesel- bzw. der Verbrennungsmotor 2030 auslaufe oder nicht.

Ich will nur darauf hinweisen, dass es sich bei diesen Fragen durchaus um existenzielle Fragen handelt. Beim Verbrennungsmotor geht es um Klimaschutz. Bei Soli und Steuern geht es auch um gleichwertige Lebensverhältnisse. Genau das ist das Problem in der gesamten Debatte innerhalb der Union und bei den Jamaikasondierungen. Sie glauben allen Ernstes, das seien nicht die großen Fragen.

(Zuruf von der LINKEN: Genau!)

Dann haben Sie darüber gesprochen, was denn aus Ihrer Sicht die großen Fragen seien. Sie haben eine Menge gesagt, was wenig konkret war, und haben anschließend wieder über Zuwanderung gesprochen. Ich finde, das ist das Problem.

Ich hätte mir gewünscht, dass die Union, CDU und CSU, Seehofer und Merkel vor der Wahl nächtelang gerungen hätten um die Frage, wie wir im Klimaschutz vorankommen und wie wir in diesem Land die Kinderarmut begrenzen.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Waren Sie dabei?)

Meine Güte, jedes fünfte Kind lebt in Armut. Ich hätte mir gewünscht, dass man darum ringt, wie man die Wohnungsnot bekämpft, wie man endlich gute Arbeit schafft und die Niedriglöhne zurückdrängt.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau das wurde gemacht, Frau Wissler! – Judith Lannert (CDU): Wo leben Sie denn? – Zuruf von der FDP)

Ich rede von den Besprechungen zwischen CDU und CSU. Ich glaube, da sind die GRÜNEN jetzt wirklich noch nicht dabei. Ich spreche von dem Ringen vor der Wahl, als CDU und CSU nächtelang darüber verhandelt haben, wie diese sinnfreie Obergrenze der CSU irgendwie in die Unions-Wahlplattform hineinkommt. Nächtelang hat man darum gerungen; das war das große Thema.

Damit bin ich jetzt bei den Sondierungsgesprächen. Das hat sich in den Sondierungsgesprächen ja fortgesetzt. Was waren denn die großen Themen? Mein Problem bei diesen Jamaikasondierungen war nicht nur, worüber Sie sich am Ende nicht geeinigt haben, sondern auch, worüber Sie sich sehr schnell geeinigt haben.

(Gerhard Merz (SPD): Tja, das ist nun mal so!)

Interessant ist auch, was überhaupt nicht zum Thema wurde.

(Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Frage der Umverteilung hat doch überhaupt keine Rolle gespielt. Die Vermögensteuer, die die GRÜNEN einmal irgendwie ansatzweise im Programm hatten, haben sie doch vor der ersten Sondierungsrunde abgeräumt.

(Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber warum haben Sie dann vor den Wahlen ausgeschlossen, mitzuregieren, wenn Sie so viel wissen?)

Armutsbekämpfung und Wohnraum, all diese Fragen haben doch gar keine Rolle gespielt. Waffenexporte haben in den Sondierungsverhandlungen keine Rolle gespielt.

(Unruhe bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Stattdessen war die Zuwanderung wieder das entscheidende Thema. Beim den Themen Zuwanderung und Flüchtlinge geht es um Menschenrechte und Grundrechte. Der Abbau von Grundrechten und Menschenrechten war in der Öffentlichkeit das bestimmende Thema. Das war eines der Probleme dieser Sondierungsverhandlungen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN – Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das alles waren Themen in den Verhandlungen, Frau Wissler! Das war alles Thema!)

Es sagt ja viel über eine Partei aus, die sich christlich nennt, wenn eines ihrer offenbar wichtigsten Anliegen ist, den Familiennachzug für Kriegsflüchtlinge zu verhindern, nach dem Motto: Frauen und Kinder zuletzt.

(Zuruf von der LINKEN: Ja!)

Ich möchte Ihnen ein Zitat von Norbert Blüm mitgeben, der in diesen Tagen geäußert hat:

Wenn der Familiennachzug ausgerechnet an der CDU scheitert, wünsche ich jedem Redner der Partei, dass ihm fortan das Wort im Hals stecken bleibt, wenn er die hehren Werte der Familie beschwört.

Ich finde, Norbert Blüm hat recht.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Dass die GRÜNEN offensichtlich bereit waren, eine „Obergrenze light“ zu akzeptieren,

(Günter Rudolph (SPD): Atmend! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

dass sie bereit waren, weiteren „sicheren Herkunftsstaaten“ zuzustimmen, und dass sie dies dann auch noch mit Patriotismus begründen, das hat mich, muss ich ehrlich sagen, schon fassungslos gemacht.

Zwischenzeitlich habe ich einmal gedacht, dass die GRÜNEN vielleicht die Größe haben würden, hinauszugehen und zu sagen: Nein, Grund- und Menschenrechte sind für uns nicht verhandelbar; wir werden einer „Obergrenze light“ nicht zustimmen und auch nicht einer Ausweitung der Zahl sicherer Herkunftsstaaten. – Ich hätte mir gewünscht, dass die GRÜNEN aus diesen Sondierungen hinausgegangen wären und gesagt hätten: Grund- und Menschenrechte sind nicht verhandelbar.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Jetzt rufen die GRÜNEN dauernd dazwischen, wir wollten ja nichts verändern.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, stimmt!)

Herr Wagner, hier im Landtag stimmen Sie gegen jeden unserer Anträge. Uns dann vorzuwerfen, wir wollten nichts verändern, halte ich, ehrlich gesagt, schon für ein bisschen perfide.

(Beifall bei der LINKEN – Unruhe)

Ihr Koalitionspartner, die CDU, hat den Grundsatzbeschluss, niemals einem Antrag der LINKEN zuzustimmen, unabhängig davon, was in ihm steht. Sie haben sich diesem Beschluss unterworfen.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Immer sind die anderen schuld!)

Wir können hier doch beantragen, was wir wollen. Sie stimmen doch dagegen. Da können Sie uns doch nicht vorwerfen, wir wollten nichts verändern.

Ich bin dafür dankbar, dass Thorsten Schäfer-Gümbel noch einmal an die Ereignisse im Jahr 2008 erinnert hat. Herr Kollege Wagner, was haben wir denn da beschlossen?

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Wissler, wer wollte denn nicht in die Regierung gehen?)

2008 ist es nicht an uns gescheitert. Das wissen Sie ganz genau. – Was haben wir denn im Jahr 2008 beschlossen? – Wir haben die Studiengebühren abgeschafft. Wir haben G 8 entschärft. Wir haben die Härtefallkommission geschaffen. All das war in diesem Landtag möglich. Als sich die GRÜNEN noch nicht an die CDU gekettet haben, gab es in diesem Parlament noch sinnvolle Beschlüsse.

(Beifall bei der LINKEN)