Herr Ministerpräsident, wir haben in dieser Zeit noch einiges mehr beschlossen. Leider hatten wir es mit einer geschäftsführenden Landesregierung zu tun, die sich geweigert hat, demokratische Beschlüsse des Parlaments umzusetzen.
Wir haben beschlossen, in die Tarifgemeinschaft der Länder zurückzukehren. Wir haben einen Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Afghanistan beschlossen. Wer war es denn, der sich hierhin gestellt hat und gesagt hat: „Ihr könnt hier entscheiden, was ihr wollt, ich setze das als Innenminister nicht um“? Das waren damals doch Sie.
Frau Kollegin Wissler, Sie haben gerade Herrn Kollegen Schäfer-Gümbel angeführt. Können Sie mir denn noch sagen, welche Ergebnisse die Sondierung im Jahr 2013 zwischen Ihnen und Herrn Schäfer-Gümbel aus Sicht von Herrn Schäfer-Gümbel ergeben hat?
Herr May, Sie möchten, dass ich aus Sicht Thorsten Schäfer-Gümbels antworte. Ich kann Ihnen sagen, was die Sondierungen im Jahr 2013 ergeben haben. Da haben SPD, GRÜNE und LINKE 20 Stunden miteinander sondiert. Das Ergebnis war, dass Sie sich entschieden haben, Ministerpräsident Bouffier im Amt zu halten und Schwarz-Grün zu machen. Das war das Ergebnis.
Am 18. Januar 2013 haben die GRÜNEN im Landtag Volker Bouffier zum Rücktritt aufgefordert. Am 18. Januar 2014 haben sie ihn zum Ministerpräsidenten gewählt. Das ist die Situation.
Sie wissen ganz genau, dass es weder 2008 noch 2013 an uns gescheitert ist. Herr May, ja, wir hatten eine ganze Menge Differenzen. Wir hatten Differenzen hinsichtlich der Frage der Schuldenbremse. Wir hatten Differenzen, weil wir gesagt haben: Mit uns wird es keine Schulschließungen im ländlichen Raum geben. Wir haben gesagt: Wir werden keinen Stellenabbau machen.
Es war die Entscheidung der GRÜNEN, zu überlegen, ob die Widersprüche und Differenzen zu einer CDU rechts außen in Hessen einfacher zu überbrücken sind als zur LINKEN. Das war Ihre Entscheidung. Sie haben sich entschieden, Bouffier an der Macht zu halten und nicht auf einen Politikwechsel zu setzen.
Deshalb sage ich mit Blick auf 2008: Natürlich setzt eine Minderheitsregierung voraus, dass die Regierung und ihre Minister zumindest bereit sind, demokratische Mindeststandards zu akzeptieren und die Beschlüsse des Parlaments umzusetzen. Das war das Problem 2008.
Wir haben die AfD im Parlament. Ich sehe natürlich die Gefahr, dass wir hier österreichische Verhältnisse bekommen. Ich möchte nicht, dass die Mehrheit aus Union, FDP und AfD, die es gibt, für den Abbau der Bürgerrechte, für Verschlechterungen und für weniger Schutz der Flüchtlinge genutzt wird.
Ich finde, die große Aufgabe, die man jetzt hat, besteht zum einen darin, der wachsenden Gefahr von rechts etwas entgegenzusetzen. Das heißt, man darf die AfD nicht immer stärker machen, indem man dauernd über ihre Themen redet.
Das Zweite ist Folgendes: Wir brauchen endlich Lösungen für die drängenden sozialen Probleme in diesem Land. Wir haben eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich. Das große Problem ist, dass weder Jamaika noch die bisher regierende Große Koalition darauf Antworten gibt. Das ist das eigentliche Problem. Das ist schade. Denn es wäre dringend notwendig, dass es in diesem Land zu einem Politikwechsel kommt und dass man endlich gegen Armut und Niedriglöhne vorgeht. Dazu ist leider niemand bereit.
Vielen Dank. – Als Nächster spricht Herr Kollege Boddenberg für die Fraktion der CDU. Bitte sehr, Sie haben 23 Minuten.
(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Michael, mach es kurz! – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Sie hätten dazu eine Regierungserklärung machen sollen!)
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gebe zu, dass mir etwas längere Redezeiten durchaus entgegenkommen. Ich tue mich nach wie vor schwer, sehr komplexe Fragestellungen in fünf Minuten in Aktuellen Stunden zu beraten. Herr Kollege Schäfer-Gümbel, ich glaube, es ist auch in Ihrem Sinne, dass wir schon ein bisschen tiefer einsteigen, wenn wir heute die Frage aufrufen: Wie geht es eigentlich unserem Land? Damit meine ich natürlich nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern ich meine auch Hessen.
Sie haben eben einen sehr energischen und lautstarken Auftritt gehabt. Ich sage ausdrücklich, dass ich das nicht kritisiere. Nach dem, was Sie hier gesagt haben, bin ich mir immer noch nicht so ganz sicher, was Sie jetzt eigentlich wollen. Ich sage ausdrücklich, dass das kein Vorwurf ist, sondern das ist eine ernst gemeinte Frage.
Ich will einmal in Erinnerung rufen, dass wir seit dem Wahltag am 24. September 2017, also seit rund 60 Tagen, alle miteinander nicht so recht wissen, was die Sozialdemokratie jetzt eigentlich will. Dass Sie eine Entscheidung um 18:05 Uhr getroffen haben, kann doch nur Folgendes bedeuten: Herr Kollege Schäfer-Gümbel und Herr Kollege Warnecke, das kann doch nur bedeuten, dass die Sozialdemokraten schon vor dem Ende des Wahltags vorbesprochen und beschlossen haben: Wir gehen in die Opposition.
Das glaube ich aber nicht. Denn erst einmal muss der Wähler sprechen. Es hätte auch sein können, dass Ihre Partei ein bisschen besser abschneidet.
Oder aber Sie haben beschlossen, zwei Varianten zu nehmen. Zum einen ist das, um 18:05 Uhr sofort die Erklärung abzugeben: Wir sind nicht dabei. – So haben Sie es gemacht. Sie hatten dann aber auch eine Schublade, in der die Option lag, unter bestimmten Voraussetzungen weiter mit im Verhandlungsboot zu sein.
Dazwischen muss es irgendeine Grenze gegeben haben, bei der Sie sich für das eine oder andere entschieden haben. Sie sind in einer urdemokratischen Partei mit starken
Gremien. Sie können mir deshalb nicht erklären, dass Sie innerhalb von fünf Minuten diese so zentrale Frage entschieden haben. Sie müssen hier doch einmal erklären, bei welchem prozentualen Wahlergebnis Sie am Ende linksherum oder rechtsherum entschieden haben. Das hätte ich gerne einmal gewusst. Ich glaube, da geht es mir nicht alleine so.
Herr Schäfer-Gümbel, Sie sind heute hier energisch aufgetreten. Meiner Ansicht nach sind Sie in einigen wenigen Momenten etwas larmoyant aufgetreten. Sie haben von Häme geredet. Ich weiß nicht, wovon Sie da reden, außer dass es natürlich hin und wieder einmal in der politischen Auseinandersetzung auch im Hessischen Landtag Formulierungen gibt, die man vielleicht so interpretieren könnte.
Lieber Herr Kollege Schäfer-Gümbel, Sie sitzen gerade vor dem früheren Generalsekretär der hessischen CDU und dem Fraktionsvorsitzenden der CDU im Hessischen Landtag. Wenn ich Häme so wie Sie definieren würde, dann könnte ich stundenlang Vorträge halten, was wir denn in den letzten Jahren so haben hinnehmen müssen. Ich habe mich darüber nie beschwert.
Heute Morgen hatten wir eine Debatte, bei der es um die Frage ging, wie robust wir die politische Debatte führen. Wenn ich mich daran robust beteilige, dann muss ich auch hinnehmen, dass es hin und wieder ein bisschen robust zurückkommt.
Herr Schäfer-Gümbel, Sie haben meiner Ansicht nach eines erkennen lassen. Für mich bezeichnet dieses Bild es am besten: Die SPD befindet sich irgendwie auf einer Achterbahnfahrt. – Auch das sage ich ohne Häme, um es gleich vorwegzunehmen. Vielmehr stelle ich das nur fest.
Sie haben von einem Riss in der Union gesprochen. Ja, wir haben hinsichtlich der Asyl- und Flüchtlingsfrage eineinhalb bis zwei Jahre ernsthafte Debatten innerhalb der Union gehabt. Wer wollte denn das verschweigen? Das stand jeden Tag in der Zeitung.
Glauben Sie ja nicht, dass uns das gefallen hat. Glauben Sie ja nicht, dass mir jeder Satz – ich sage das einmal ganz bewusst so – aus Bayern gefallen hat. Glauben Sie, dass wir beispielsweise in der Runde der Fraktionsvorsitzenden der Parlamente mit dem bayerischen Kollegen, aber auch mit den anderen Kollegen über die Frage gesprochen haben: Was bedeutet für euch eine Obergrenze beim Asylrecht? Welche Bedeutung hat möglicherweise die Zahl, die die Bayern in den Raum gestellt haben? Geht das in die Richtung eines Signals an die Welt, dass wir glauben, dass diese Zahl durchaus sagen soll, dass es da eine Grenze hinsichtlich der Zahl der Personen gibt, die wir glauben in diesem Land integrieren zu können? – Das ist jetzt der Kompromiss auf Unionsseite, von dem auch Sie gesprochen haben. Er ist leider nach dem 24. September 2017 zustande gekommen.
Da will ich schon einmal sagen, dass das bis hin zu den LINKEN geht. Ich rufe erneut den Namen Wagenknecht in den Raum. Ich könnte über Herrn Lafontaine reden. Ich könnte Herrn Gabriel zitieren. Übergreifend haben wir alle miteinander Vertreterinnen und Vertreter in unseren Parteien und Parlamenten, die erklärt haben: Ja, es gibt da eine Grenze der Belastung.
Da hat es jetzt einen Kompromiss gegeben. Das ist das, was Sie als Riss bezeichnet haben. Ich finde, das ist genau das, worüber wir heute Morgen geredet haben. Das ist nämlich das typische Ergebnis einer langen, für mich eigentlich zu langen Phase der Kompromissfindung.
Die Achterbahnfahrt der Sozialdemokraten, die ich angesprochen habe, hat schon viel früher begonnen, und sie ist bis heute nicht beendet. Sie haben nach wie vor einen aus meiner Sicht tiefen Spalt in der Sozialdemokratie Deutschlands, ob Sie noch zu den Beschlüssen der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Schröder stehen oder nicht. Mit Herrn Schröder haben Sie darüber hinaus noch ein paar andere, aus meiner Sicht durchaus verständliche Probleme. Er war derjenige, der einmal erklärt hat, dass Herr Putin ein lupenreiner Demokrat sei. Ich weiß nicht, ob er das heute noch wiederholt. Er zeigt aber nicht, dass er sich von dieser Aussage distanziert. Die Sozialdemokraten sind hinund hergerissen, ob sie ihn da hart attackieren oder ob sie das lieber wegnuscheln. Ich glaube, sie haben sich für Letzteres entschieden. – Aber das auch nur als Randbemerkung.
Dieser tiefe Riss in der Sozialdemokratie hat am Ende dazu geführt, dass sich viele Menschen von der Sozialdemokratie abgewandt haben. Das ist ein Wählervotum, das man natürlich akzeptieren muss. Aber ich kann verstehen, dass es eine Volkspartei wie die SPD, die früher einmal Wahlergebnisse von 40 % und mehr hatte und die jetzt bei 20 % gelandet ist, schmerzt, dass sie in einer schwierigen Phase ist. Auch das, Herr Schäfer-Gümbel, sage ich völlig ohne Häme. Ich stelle es nur fest.
Herr Kollege Rudolph, ich freue mich nicht jeden Tag darüber, dass das bei der SPD gerade so ist; denn wir brauchen starke Volksparteien in unserem parteipolitischen Spektrum. Wir sehen gerade, wie es schwieriger wird, wenn es um Mehrheitsbildung geht und es viele kleinere Parteien gibt – ohne dass ich denen zu nahe treten will.
Kolleginnen und Kollegen, ich könnte jetzt Hartz IV als das zentrale Symbol der sozialdemokratischen Zerrissenheit nennen.
Noch einmal ausdrücklich: Das verstehe ich. Aber dann finde ich es ein bisschen unangemessen, dass Sie der Union vorwerfen, Stichwort: Demokratieverständnis, dass die Union in einem wesentlichen Punkt der Politik dieser Tage, der Asyl- und Migrationsfrage, in der sie so lange gerungen hat, zu einem Ergebnis gekommen ist.