Protokoll der Sitzung vom 23.11.2017

(Torsten Warnecke (SPD): Ja, in einer Achterbahnfahrt!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dann kommen in Ihrem Vortrag solche Sätze wie, die Hessische CDU hätte schon immer nach dem Prinzip „Mehrheit ist Wahrheit“ gehandelt. Ich weiß nicht, ob Sie diese Formulierung schon einmal von mir, vom Ministerpräsidenten Bouffier oder seinem Vorgänger gehört haben. Ich meine, mich nicht erinnern zu können, dass wir das einmal so gesagt haben. Wir stehen selbstverständlich dazu, dass wir diese Mehrheit auch umsetzen, wenn wir eine Mehrheit haben und Wählerinnen und Wähler sich für uns und einen Koalitionspartner entschieden haben, mit dem wir gemeinsam re

gieren. Wie wollen und sollen wir dem Wähler erklären: „Du hast uns zwar gewählt, wir haben einen Koalitionsvertrag; aber wir fragen jetzt immer die Opposition, ob sie nicht auch irgendwie dabei sein will“? Ich sage ausdrücklich, dass ich es völlig in Ordnung finde, dass Sie häufig – auch in der jüngsten Vergangenheit – angeboten haben, dass Sie mitwirken wollen. Das ist völlig in Ordnung. Aber Sie müssen bitte einfach auch akzeptieren, wenn wir sagen: Wir glauben, dass wir alleine zu einer guten Lösung kommen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Klar!)

Wir haben gerade gestern oder vorgestern noch miteinander gesprochen. Sie haben den Anstoß gegeben: Wollen wir uns nicht hier im Hessischen Landtag gemeinsam zu dem Verhalten der kuwaitischen Airline, einen israelischen Passagier nicht befördern zu wollen oder ihm die Beförderung zu versagen, verhalten? – Danke für diesen Anstoß. Ich sage ausdrücklich: Das ist doch völlig in Ordnung. Ich weiß nicht, wie weit die Kolleginnen und Kollegen mit der Formulierung sind, vielleicht bekommen wir das noch hin. – Aber Sie können nicht erwarten und am Ende immer den beleidigten Maxe spielen, wenn wir beispielsweise bei einer ganz anderen Frage – –

Was soll denn das? – Doch, das sage ich einfach mal so. (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist eine Frechheit!)

Ja, aber das kommt mir so vor. Dann sind Sie eben nicht beleidigt, dann sind Sie enttäuscht.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist eine Frechheit, das ist so gemeint!)

Also, ich nehme das zurück, ich entschuldige mich in aller Form: Sie sind enttäuscht.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Nein, brauchen Sie nicht! Sie haben es doch nicht so gemeint, Herr Boddenberg!)

Herr Schäfer-Gümbel, Sie können nicht, wenn wir bei einer wichtigen Frage wie beispielsweise der weiteren Entwicklung des Frankfurter Flughafens hochkomplexe und intensive Gespräche mit allen Beteiligten führen, am Ende sagen: Nur weil wir nicht dabei sein durften, ist das jetzt doof, und ich bin eingeschnappt. – Ich will ausdrücklich sagen: Das ist aus meiner Sicht kein Verständnis von Parlaments-, Parteien- und Fraktionsdemokratie, wie wir sie im Hessischen Landtag pflegen. Wir gehen aufeinander zu. In einer wichtigen Angelegenheit, was die Frage des Asylpaketes anbelangt, haben wir vieles gemeinsam gemacht. Aber hin und wieder, oder in der Regel, regieren wir auch mit dieser Mehrheit in diesem Land.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme dann zu dem – –

(Holger Bellino (CDU): Ja, genau!)

Holger Bellino schaut etwas skeptisch. Ich kann das nur darauf beziehen, dass es etwas später wird – vielleicht auch morgen.

(Günter Rudolph (SPD): Dann wird das Hähnchen ja kalt!)

Das sollten wir jetzt miteinander aushalten. – Ich komme einmal zu dem, was in den letzten Tagen passiert ist. Herr Kollege Schäfer-Gümbel, auch da sage ich ausdrücklich: Sie haben ansatzweise mehrere Botschaften verlautbaren lassen. Deswegen habe ich eingangs gefragt: Was wollen Sie denn eigentlich?

Jüngst werden Sie zitiert mit dem Satz: Eine große Koalition ist im Moment nicht denkbar oder möglich. So in etwa haben Sie es wohl formuliert. Es könnte ja sein, dass Sie zumindest sagen: Im Moment nicht, aber vielleicht kommen ja Entwicklungen, dass es dann doch möglich ist. Am Montag haben Sie unmittelbar nach dem Ende der Verhandlungen von Jamaika einen 100 % apodiktischen Beschluss gefasst: Wir machen nicht mit. – Das war eine ganz andere Entscheidung.

Heute sagen Sie hier, Stichwort: Minderheitsregierung, es gäbe auch noch eine weitere Variante. Ich finde, der Ministerpräsident hat völlig zu Recht dazu gesagt, dass ein Land mitten in Europa, mitten in der Europäischen Union – das größte, volkswirtschaftlich gesehen, aber, wie ich finde, auch politisch durchaus gewichtige Land Bundesrepublik Deutschland mit mittlerweile zunehmend globalen Verantwortlichkeiten –, ohne eine klare Haltung nicht regiert werden kann. Das versteht sich doch von selbst. Ich bin noch gar nicht bei der Innenpolitik, ich bin bei der Außenpolitik.

(Beifall bei der CDU)

Wir reden bei der Außenpolitik über die Frage: Wie geht es in den Flüchtlingslagern weiter? Ich will einmal in Erinnerung rufen: Eine der zentralen, katastrophalen Entwicklungen in der Weltpolitik war im Januar 2015 die Halbierung der Mittel für Flüchtlinge in Flüchtlingslagern im Libanon und in angrenzenden Ländern von 27 auf 14 € pro Monat. – Meine sehr geehrten Damen und Herren, wollen wir demnächst stunden-, tage- oder wochenlang im Deutschen Bundestag darüber verhandeln, wie wir bei solchen Notwendigkeiten sehr schnell zu Entscheidungen kommen? Ich nenne ganz bewusst diese Entscheidung: Das war eine Entscheidung in wenigen Tagen, die an uns vorbeigelaufen ist. Wollen wir da nicht in der Sekunde reagieren können? Ich könnte Ihnen ganz andere, viel größere und weiter gehende Fragen stellen – nicht das, was das Menschliche anbelangt. Was dort passiert ist, ist das Schlimmste, was ich in den letzten zwei, drei Jahren erlebt habe.

Wie gehen wir mit den Vereinigten Staaten um? Ja, es sind die Abkommen angesprochen worden, auch das Abkommen mit Kanada. Aber wie verhält sich die Bundesrepublik Deutschland zu dem, was Herr Trump dort weltweit anrichtet? Wir müssen auch Herrn Macron eine Antwort geben, das haben Sie gesagt. In dem Zusammenhang haben Sie auch gesagt: Europa muss endlich eine gemeinsame Haltung haben. – Wie soll Europa in wesentlichen und wichtigen Fragen vorankommen, beispielsweise bezüglich der Grundsatzfrage: Wie geht es mit der Europäischen Union weiter? Bleibt es bei einer föderalen Struktur, wie wir sie jetzt haben? Bleibt sie ein Staatenbund? Oder wird sie irgendwann ein Bundesstaat?

Das sind Fragen, die auch heute in ersten Ansätzen diskutiert werden müssen und vielleicht schon lange diskutiert werden. Aber wir müssen da sukzessive zu Entscheidungen kommen. Wie wollen Sie denn erwarten, dass sich die Europäische Union außen-, verteidigungs- und flüchtlingspolitisch zusammenrauft, wenn wir Deutsche es noch nicht

einmal hinbekommen, eine einheitliche, mit einer Stimme sprechende Politik der Bundesrepublik Deutschland zu haben?

Das geht nicht mit einer Minderheitsregierung. Aus meiner Sicht geht es nicht, dass man schaut: Wer ist denn jetzt gerade einmal dabei, oder wer zieht sich ansonsten zurück? In einer Minderheitsregierung könnten das dann die einzelnen Fraktionen alle so handhaben, außer derjenigen, die die Federführung hat. Wo ziehen wir uns zurück und schauen zu und verteilen Noten? – Was gewinnen wir denn mit einer Minderheitsregierung? Zeit? Für wie lange? Für zwei Monate, für vier Monate, für sechs Monate? Wissen Sie das? – Ich weiß es nicht. Ich glaube nur, dass wir auf dem Weg zu einer Neuwahl, die dann eben etwas später, aber doch kommt, unglaublich viel Frustration, Enttäuschung und Verwirrung der deutschen Gesellschaft, der deutschen Wählerinnen und Wähler hätten und sonst nichts gewonnen hätten.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Lieber Holger Bellino, ich will zum Schluss kommen. Mein Appell von heute Morgen war, dass wir alle noch einmal darüber nachdenken. Ich empfehle die Lektüre des Autors Altenbockum der „FAZ“, der sich genau mit der Frage beschäftigt: Wozu sind eigentlich Wahlen da? Was sagt unsere Verfassung zu unserem heutigen Zustand? Wie wollen wir den Menschen erklären, dass man jetzt – für den Fall einer Neuwahl – eine Bundeskanzlerin oder einen Bundeskanzler wählt, um am Ende mit dieser Wahl eigentlich die Absicht zu verbinden, dass die- oder derjenige dann gleich wieder die Vertrauensfrage stellt und abgewählt wird?

Wie sollen wir das erklären? – Ja, es ist die Ultima Ratio. Aber bis dahin haben wir alle die Verantwortung – ich wiederhole es –, tief, intensiv und kompromissbereit nachzudenken, ob es nicht doch den Weg der Verständigung, zumindest zu weiteren Gesprächen gibt.

Ein Allerletztes will ich nicht weglassen. Sie haben diese Woche gesagt: Frau Merkel macht das nur aus Gründen des Machterhalts. – Den Vorwurf finde ich schon einigermaßen – ich sage es ganz bewusst – unerträglich. Die Bundeskanzlerin hat – ich habe es heute Morgen gesagt – gemeinsam mit Volker Bouffier und vielen anderen Beteiligten von vier Parteien versucht, etwas hinzubekommen.

Man konnte sich nicht so ganz des Eindrucks erwehren, dass manche versucht haben, mit dem Scheitern von Jamaika das Scheitern der Bundeskanzlerin zu verbinden. Das ist ihr gutes Recht. Ob es in Ordnung ist, dass ausgerechnet die Seite, die das Risiko des Scheiterns gar nicht erst eingehen wollte, diesen Vorwurf formuliert, das überlasse ich dem Publikum.

Herr Rudolph, eine allerletzte Frage müssen Sie aber noch beantworten, auch wenn das für Sie langweilig sein mag. Das ist mir aber egal. Sie müssen noch eine weitere Frage beantworten: Was passiert eigentlich nach einer möglichen Neuwahl? Was ist denn dann die Aussage der SPD? Mit wem wollen Sie dann regieren? Was sagen Sie denn Ihren Wählerinnen und Wählern vor einem möglichen weiteren Wahlgang? – Es kann sein, dass wir deine Stimme, mit der du eigentlich beabsichtigst, dafür zu sorgen, dass die SPD regiert, auch nutzen und dann mitregieren.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das Problem haben noch andere!)

Wenn uns das Ergebnis aber nicht gefällt, dann lassen wir das. Auch wenn du Wähler das anders wolltest, hast du uns mit deiner Stimme in die Oppositionsrolle gezwungen.

(Zurufe von der SPD)

Was sagen Sie Ihren Wählerinnen und Wählern? Ich wünsche gute Verrichtung bei der Ansage an das Publikum bei einem eventuellen weiteren Wahlgang. Ich hoffe, dass Sie gemeinsam mit uns noch einmal über alternative Wege nachdenken. – Herzlichen Dank fürs Zuhören, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Boddenberg. – Ich nutze die Gelegenheit und begrüße auf der Besuchertribüne den Botschafter der Republik Rumänien, S. E. Herrn Dr. h.c. Emil Hurezeanu.

(Beifall)

Herzlich willkommen. Wir freuen uns, dass Sie dem Hessischen Landtag einen Besuch abstatten. Vielen Dank.

Als Nächster spricht für die Fraktion der Freien Demokraten der Fraktionsvorsitzende René Rock.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Schade, dass der Kollege Boddenberg nichts zur Vertragstreue gesagt hat!)

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, ich finde den Ton, den Sie angeschlagen haben, auch gegenüber uns, verbindlich und angenehm. Sie haben hier zu Recht ausgeführt, dass Sie es respektieren, wenn ein Verhandlungspartner entscheidet, dass es für eine Regierungsbildung nicht reicht, und die Gespräche für beendet erklärt. Herr Ministerpräsident, Sie können aber nicht Folgendes machen in einer verbindlichen und freundlichen Art, wie es die GRÜNEN in Berlin in einer anderen Tonlage machen, was ein Nachtreten ist. Sie können sich doch nicht hierhin stellen und sagen: Wir waren eigentlich durch mit den Verhandlungen. Es hat alles geklappt. Insofern verstehen wir nicht, warum Sie weggelaufen sind.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Dann müssten Sie nämlich hier auch sagen, wie Sie den Familiennachzug mit den GRÜNEN geregelt haben. Sie müssen hier dann einmal ganz genau sagen, über welches Stöckchen die GRÜNEN gesprungen sind. Sie waren doch dabei. An welcher Stelle haben sie denn nachgegeben?

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Wenn Sie hier so auftreten und damit im Endeffekt versuchen, uns in eine Ecke zu stellen, wie es andere sehr viel unfreundlicher machen, dann müssen Sie auch ganz genau erklären, was verhandelt worden ist. Was ich von unseren Parteigremien erfahren habe, war genau nicht das, was Sie hier vorgetragen haben. Darum ist das, was Sie hier gemacht haben, für uns ebenso nicht zu akzeptieren wie das, was die GRÜNEN in Berlin machen. Bleiben Sie bei der Wahrheit.

(Beifall bei der FDP)

Die Wahrheit muss man hier aber auch konkret vortragen. Ich will das noch einmal deutlich machen. Ich bin bei Ihnen. Wir müssen daran arbeiten, dass wir kompromissbereit und regierungsbereit sind. Vielleicht stellt sich in wenigen Monaten in Hessen eine ähnliche Frage. Das ist uns allen hier im Parlament doch klar. Deshalb müssen wir alles unterlassen, was Gräben zieht. Nun zwingen Sie uns aber, deutlich zu machen, dass es ganz anders war. Sie zwingen Christian Lindner und die Freien Demokraten in Berlin immer wieder, aus diesen vertraulichen Gesprächen zu zitieren, weil Sie uns in eine Ecke stellen. Hören Sie doch auf damit.

(Beifall bei der FDP)

Bleiben Sie beim ersten Teil Ihrer Aussage. Es macht Sie sympathisch, wenn Sie sagen, dass Sie das Ergebnis respektieren. Lassen Sie aber bitte den zweiten Teil weg; denn ansonsten zwingen Sie uns, Gräben auszuheben. Wir müssen uns dann rechtfertigen und deutlich sagen, wie es aus unserer Sicht war. Das ist nicht zielführend, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der FDP)

Ich gehe aber davon aus, dass Sie das Ziel haben, das Sie vorhin vorgetragen haben.