Herr Ministerpräsident, in Ihrer Rede ist für alle, für jeden Bürger, der hier oben sitzt, sichtbar geworden, dass wir mit einer anderen Grundhaltung in diese Gespräche gegangen sind. Ich will Ihnen das verdeutlichen. Sie haben hervorgehoben, man müsse doch kompromissfähig sein, man müsse doch politisch beweglich sein, man müsse doch eine Lösung und einen Ausgleich finden.
Der Kompromiss darf aber kein Selbstzweck sein. Der Kompromiss muss doch einem Zweck, einem Ziel dienen, einer gemeinsamen Idee, einem Bild, das man von Deutschland hat, wohin man Deutschland entwickeln will. Nichts von dem ist in diesen Jamaikagesprächen deutlich geworden. Kein Bild von Deutschland, das diese Parteien hätten gemeinsam vorantreiben können. Dann ist ein Kompromiss Selbstzweck, Machterhalt und Pöstchenverteilerei. Das haben wir halt nicht mitgemacht.
Lieber Ministerpräsident Bouffier, wir möchten nach einem intensiven Wahlkampf, in dem die Ideen gegeneinandergestellt worden sind, nach einer Kompromisslinie suchen, wie wir Hessen weiterentwickeln können. Das braucht jedoch eine Idee. Das braucht ein Bild.
Wir sind fest davon überzeugt, dass die Gerechtigkeitsfrage des 21. Jahrhunderts die Bildungsfrage ist. Wir sind fest davon überzeugt, dass die Teilhabe an Bildung und die damit verbundenen Aufstiegschancen eine ganz zentrale Frage sind, der wir uns stellen müssen. Insbesondere wir Landtage sind dafür verantwortlich. Das sind Bilder und Ideen, die für uns wichtig sind. Wer gemeinsam mit uns ein Ziel erreichen will, muss sich diesen Fragen stellen und eine Idee gemeinsam mit uns vorantreiben wollen. Das ist mein Hinweis für die nächste Zeit.
Lieber Volker Bouffier, an einer Stelle haben Sie mich heute wirklich erschüttert. Ich bin wirklich erschüttert von Ihrem Bild einer parlamentarischen Demokratie.
Wie kann man als ein Vertreter einer Landesregierung ein Parlament auf diese Art und Weise respektlos darstellen? Als wären wir nicht in der Lage, unseren verfassungsmäßigen Verpflichtungen nachzukommen.
Als wären wir darauf angewiesen, dass Sie uns die Gesetze aufschreiben, und als wären wir nur noch in der Lage, die Hand zu heben. Der Deutsche Bundestag ist gewählt und damit beauftragt worden, Gesetze zu machen. Der Hessische Landtag stellt Ihnen – ebenso wie der Deutsche Bundestag der Bundesregierung – ein Budget zur Verfügung. Der Hessische Landtag gibt Ihnen Geldmittel, im Rahmen derer Sie als Regierung handeln können. Natürlich können Sie mit diesen Mitteln die tagespolitischen Probleme lösen. Wie stellen Sie denn unsere Demokratie dar?
Das bestärkt mich in meiner festen Überzeugung, dass wir auch darüber reden müssen, wie wir uns als Parlament selbst verstehen und wie unser Verhältnis zur Regierung ist.
Mir ist heute noch einmal deutlich geworden, wie wichtig unsere Forderung ist. Zwei Legislaturperioden sind in einem so wichtigen und machtvollen Amt genug, weil man ansonsten offenbar das Verhältnis zwischen Regierung und Parlament nicht mehr so begreift, wie ich es begreife, Herr Bouffier. Vielleicht habe ich es auch falsch verstanden. Das glaube ich aber nicht.
Dieser Hessische Landtag ist von den hessischen Bürgerinnen und Bürgern gewählt worden und hat verfassungsmäßige Aufgaben. Sie sind von diesem Hessischen Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Dieser Hessische Landtag gibt Ihnen ein Budget. Er gibt Ihnen den Rückhalt und die Gesetze, auf deren Grundlage Sie dieses Land im Sinne dieses Landtags und damit im Sinne dieses Volkes regieren. Vergessen Sie das bitte nicht. Bitte behandeln Sie diesen Hessischen Landtag mit mehr Respekt. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Kollege Rock, die Kollegen sind in Sorge, dass die Tagesordnung jetzt völlig durcheinandergerät.
Ich will gleich das Ergebnis vorwegnehmen: Ich habe den Eindruck, Sie haben das vielleicht missverstanden. Ich sage das gleich, damit wir da nicht unnötig auseinandergeraten.
Sie haben ausgeführt: „was mir berichtet wurde“. – Der Unterschied zwischen mir und Ihnen ist der: Ich war dabei. Ich brauche keinen, der mir etwas berichtet.
Die Frage, die Sie eben aufgeworfen haben – was waren die vier Partner bereit bei der Frage des Familiennachzugs bei den subsidiär Geschützten zu machen? –, habe ich verhandelt. Und verhandeln kann man nur, wenn man Vertrauen hat, Vertrauen von allen vier.
Sie sind lange genug in der politischen Arena, um zu wissen, dass dann, wenn vier Parteien um eine solche Frage ringen, die für alle eine große Bedeutung hat, man dem Verhandlungsführer sagt: Ich könnte mir vorstellen, vielleicht da; wir können die anderen einmal fragen, ob die mitgehen würden. – Denn man möchte ja auch nicht, dass man dann vielleicht eine Position preisgibt, die man nie mehr wieder einholt – insbesondere nach diesen katastrophalen Erfahrungen, dass man ständig erleben musste, dass einer, der vielleicht ein Angebot machte im vertrauten Bereich, anschließend lesen konnte, was auf dpa wieder irgendjemand getwittert hat, um sich wichtig zu machen.
Ich habe eine andere Aufgabenwahrnehmung. Genau das habe ich nicht gemacht. Deshalb muss ich mich sehr deutlich äußern. Selbstverständlich habe ich diesem Haus die Wahrheit vorgetragen.
Ich mache Ihnen ein Angebot. Ich werde Ihnen nicht berichten, was ich mit den Einzelnen besprochen habe. Ich habe verschiedenste Entwürfe von jeder Gruppe schriftlich, und ich werde die nicht veröffentlichen. Aber ich biete Ihnen an: Fragen Sie einmal Ihren Bundesparteivorsitzenden Christian Lindner, ob es richtig ist, dass wir am Sonntagabend irgendwann – ich weiß nicht genau, 20 Uhr, 21 Uhr – ein langes Vier-Augen-Gespräch geführt haben und er von mir persönlich einen Vorschlag bekommen hat, wie man das lösen kann. Fragen Sie ihn.
Genau so war es. Ich schätze Herrn Lindner, und ich bin sicher, wenn Sie ihn fragen, ob es dieses Gespräch und diesen Umstand gegeben hat, wird er es nicht bestreiten.
Deshalb, meine Damen und Herren, bei allem Spaß am Diskutieren und auch den Verlockungen – wir gehen ja auch auf Wahlen zu –, jeder muss noch einmal sehen, wie er seine Position beschreibt, und es könnte ja sein – mit Verlaub, ich rede immer und werbe für die absolute Mehrheit der CDU –, es klappt nicht. Das könnte bei der FDP auch passieren
oder bei der SPD oder den GRÜNEN. Das könnte passieren. Also muss man sich klar sein: Man sieht sich im Leben immer zweimal.
Die zweite Bemerkung, lieber Herr Kollege Rock: mein Respekt vor diesem Haus und mein Verständnis. – Ich war länger Oppositionsabgeordneter als die meisten hier. Ich weiß, wie das ist in der Opposition.
Ich habe nun lange die Freude, Regierungsverantwortung zu tragen. Aber ich will da keinen Zweifel lassen. Vielleicht müssen wir es gelegentlich deutlicher machen. Ich habe mich zu bedanken gehabt bei der Fraktion der Freien Demokraten, bei meiner eigenen Fraktion, dass sie mich zum Ministerpräsident gewählt hatten,
auch Sie in Person. Ich habe mich sehr dafür bedankt. Und das konnten Sie nur, wenn Sie mir vertrauen.
Ich hatte nie einen Zweifel, dass dieses Vertrauen zwischen uns – auch wechselweise; auch wenn wir teilweise unterschiedliche politische Ansichten haben – in dieser Grundfrage, wie Parlament und Regierung miteinander umgehen, nie gestört war.
Selbstverständlich habe ich größten Respekt auch vor dem Deutschen Bundestag. Was ich gesagt habe, ist, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass man aufgrund der Situation – das haben ja einige beschrieben – mit einer Minderheitsregierung bei bestem Willen aller Fraktionen, der Mitglieder aller Fraktionen, überhaupt arbeitsfähig, geschweige denn, funktionsfähig sein kann.
Wir hier im Hause haben die Regel – um ein Beispiel zu nehmen –, dass wir während der Plenarsitzungen keine Ausschusssitzungen haben, dass wir während der Plenarsitzungen auch wirklich keine Ausschussreisen machen, dass wir während der Plenarsitzungen keine Untersuchungsausschüsse machen, dass wir während der Plenarsitzungen keine Sondersitzungen machen. Im Deutschen Bundestag finden diese permanent und ununterbrochen statt – neben allen Besuchergruppen. Es sind 700 Abgeordnete, die Tausende von Vorschriften im Jahr – klug oder unklug – am Ende zu entscheiden haben.
Sich bei einem solchen Parlamentsbetrieb vorzustellen – da habe ich noch nicht davon gesprochen, dass ein Großteil der Regierung ununterbrochen unterwegs ist; meist in Brüssel oder irgendwo auf der Welt –, man könne ernsthafte Fragen in einen Konsens bringen, da fehlt mir jede Fantasie.
Deshalb – verstehen Sie es bitte so –: Ich habe den Eindruck, dass es vielleicht ein Missverständnis war.
Im Übrigen – das können wir jetzt auch einmal abräumen –: Ich habe gelesen, dass Sie mit dem Kollegen Schäfer-Gümbel viel lieber Kaffee trinken.
Mit so etwas im Leben muss man ja leben. Aber ich lade Sie herzlich ein. Vielleicht ist es dann wenigstens so, dass man auf eine Ebene kommt, und wenn Sie mögen, gibt es auch Tee. – Herzlichen Dank.
(Heiterkeit bei der CDU und der FDP – Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Damit sind den Fraktionen jeweils weitere sechs Minuten Redezeit zugewachsen. Als Nächste spricht Kollegin Öztürk, die dadurch jetzt zehn Minuten Redezeit hat. Bitte sehr.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich gemeldet, weil ich im Rahmen der Rede von Herrn Ministerpräsidenten Bouffier das Gefühl hatte, als er über die Situation in Hessen gesprochen hat und auch jetzt versucht hat zu analysieren, warum wir in der Situation sind, in der
wir gegenwärtig im Bund sind – ich möchte es ganz vorsichtig ausdrücken –, dass er ein wenig nahe daran ist, Geschichtsklitterung zu betreiben. Und ich finde, das darf man so nicht stehen lassen.