Volker Bouffier

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Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Hessen ist ein starkes Land, ein Land, das zusammenhält. Dieser Zusammenhalt ist vielerorts zu spüren. Er macht Hessen zu einer lebenswerten Heimat. Wir wissen alle aus vielen Umfragen über viele Jahre hinweg, dass die Menschen ganz besonders gern hier in Hessen leben.
Dass dies auch zukünftig gilt, ist keine Selbstverständlichkeit. Hessen stark und lebenswert zu halten und die Gesellschaft zusammenzuhalten, muss d i e zentrale Aufgabe der Politik sein.
Wir haben gemeinsam viel dafür getan, dass Hessen so stark ist. Diese Stärke ist eine gute Voraussetzung, damit Hessen lebenswert bleibt und damit wir diese Gesellschaft zusammenhalten. Breiter Wohlstand ist keine Garantie, aber er ist eine gute Voraussetzung, Neid, Hass und Gewalt schon im Ansatz zu bekämpfen.
Dieser breite Wohlstand ist eine belegbare Tatsache.
Den Menschen in Hessen geht es vielfach besser als in den anderen Ländern. Noch nie waren so viele Menschen in Hessen in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen und in guter Arbeit. Die Zahl der Arbeitslosen in Hessen gehört zu den niedrigsten in der Bundesrepublik.
In weiten Teilen unseres Landes herrscht Vollbeschäftigung. Unser Wirtschaftswachstum erreicht von Jahr zu Jahr Höchststände, und die Löhne und Einkommen der Menschen in Hessen gehören zu den höchsten in der ganzen Republik.
Meine Damen und Herren, das sind nicht nur Zahlen und Statistiken, sondern entscheidend ist etwas anderes. Ent
scheidend ist, dass unsere Politik den Menschen konkret nützt. Was ich Ihnen eben beispielhaft vorgetragen habe, nützt ganz konkret den Menschen in unserem Land, und das spüren sie. Deshalb leben sie auch gerne in Hessen.
Diese Landesregierung hat viel dafür getan, und wir arbeiten mit voller Kraft daran, dass das auch zukünftig gilt. Gerade die jungen Menschen, die in diesen Tagen zum Beispiel neue Ausbildungsverhältnisse begonnen oder ihr Studium aufgenommen haben, haben Chancen wie noch keine Generation vor ihnen.
Das hat viel mit unserer Arbeit zu tun. Wir haben Rekordsummen in die Bildung investiert. Wir haben so viele Lehrer wie noch nie. Wir haben so viel Unterricht wie noch nie. Wir haben auch so viele Ganztagsschulen wie noch nie. Meine Damen und Herren, der Bildungsfinanzbericht des Bundes hat uns bescheinigt: In keinem Flächenland wird für die Bildung pro Kopf so viel ausgegeben wie bei uns in Hessen. Das ist eine bewusste und richtige Entscheidung.
Wir haben die niedrigste Schulabbrecherquote bundesweit; das ist für die einzelnen Menschen gar nicht hoch genug einzuschätzen. Wir haben im Ländervergleich den zweithöchsten Anteil an Hochschulausgaben am Gesamthaushalt in der ganzen Republik.
Meine Damen und Herren, das sind Beispiele, aber das sind eindrucksvolle und nachweisbare Erfolge unserer Arbeit, und die können sich sehen lassen.
Wir müssen deshalb an diesem Weg festhalten; denn jede Investition in die Bildung ist eine gute Investition in die Zukunft unseres Landes.
Aber es geht nicht nur um die Bildung. Wir haben Rekordinvestitionen in den Straßenbau, den Schienenverkehr und den öffentlichen Personennahverkehr vorgenommen. Wir haben den Flughafen gestärkt. Wir arbeiten mit aller Gewalt und mit großer Intensität daran, dass die Belastungen der Anrainer gesenkt werden.
Wir denken global und handeln lokal. Vielleicht ist es nicht jedem aufgefallen: Noch nie wurden in Hessen so viele klimaschonende Verkehrsmittel gefördert und noch nie wurde in diesem Bereich so viel investiert wie in den letzten Jahren.
Ein Beispiel steht dabei für viele. Unsere Entscheidung, Schülern und Auszubildenden in diesem Land für 1 € am Tag die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs im ganzen Land zu ermöglichen, ist wirklich herausragend. Sie nützt vielen Familien finanziell sehr deutlich und ist ein Beitrag zum Klimaschutz. Dies ist eine modellhafte erfolgreiche Politik.
Wir haben früher als andere auch daran gedacht, nicht nur die Ballungszentren, sondern auch den ländlichen Raum zu
stärken. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in ganz Hessen muss immer unser Ziel sein. Deshalb unterstützen wir mit einer Vielzahl von höchst erfolgreichen Maßnahmen und Investitionen im Rahmen unserer Offensive „Land hat Zukunft – Heimat Hessen“ bewusst den ländlichen Raum. Wir wollen nicht nur die Metropolen oder den ländlichen Raum; beides macht Hessen und seine Unverwechselbarkeit aus. Indem wir uns um beides kümmern, machen wir dieses Land lebenswert und halten die Gesellschaft zusammen.
Niemand wird sich aber in einem Land wohlfühlen, das nicht sicher ist. Dort sinkt die Lebensqualität. Der Zusammenhalt der Gesellschaft ist gefährdet, wenn die Kriminalität hoch ist und der Staat den Bürger nicht schützen kann. Um diesem Sicherheitsanspruch der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden, genießt die innere Sicherheit in unserer Politik eine besondere Priorität. Und, meine Damen und Herren, diese Politik ist erfolgreich.
Gerade wenn viele Menschen Zweifel haben: Sprechen wir darüber. Hessen ist eines der sichersten Länder der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben so viele Polizistinnen und Polizisten wie noch nie. Die Kriminalität ist auf dem niedrigsten Stand seit 40 Jahren. Die Aufklärungsquote befindet sich auf Rekordniveau. Das sind gute Botschaften für die Menschen, auch und gerade für diejenigen, die zweifeln. Denen sagen wir: Die Fakten sprechen für ein lebenswertes Hessen und ein Land, in dem man gut – nicht nur heute, sondern auch in Zukunft – leben kann.
Diese Erfolge gründen sich natürlich auf der Ausstattung und der Arbeit unserer Polizistinnen und Polizisten, der Offensive für die Justiz, aber auch auf der Verstärkung für den Verfassungsschutz.
Besonders wichtig war und ist es uns – ich glaube, das können wir alle gemeinsam nur unterstreichen –, dass Kriminalität, Extremismus- und Terrorismusgefahren schon im Ansatz intensiv bekämpft werden. Deshalb sind die vielfältigen Programme und Anstrengungen zur Prävention nicht etwas, was sozusagen nebenbei geschieht, sondern sie sind ein Kernstück unserer Sicherheitspolitik. Mit diesen Präventionsanstrengungen ist Hessen heute in Deutschland führend.
Das sind wichtige Punkte und wichtige Beispiele, warum die Menschen gerne in Hessen leben.
Eine außergewöhnliche Herausforderung war für uns in Hessen wie für andere die nicht vorhersehbare Flüchtlingskrise. Es ging dabei nicht nur um die Unterbringung, Erfassung und Versorgung der Flüchtlinge. Das haben wir gut gemeistert, nicht zuletzt deshalb, weil sich viele Ehrenamtliche in diesem Land großartig eingebracht haben.
Meine Damen und Herren, es ging von Anfang an um mehr. Es ging darum und muss darum gehen, den Zusammenhalt in diesem Land nicht zu gefährden. Wir haben von
Beginn an im Blick gehabt, dass die Gesellschaft beieinanderbleiben muss. Deshalb haben wir – man kann es nicht oft genug betonen – bereits im November 2015 unseren Aktionsplan und alle folgenden Pläne mit einer wegweisenden Überschrift versehen. Diese Überschrift lautete: Integration von Flüchtlingen und Bewahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Meine Damen und Herren, diese Funktion, diese klare Beschreibung dessen, dass beides zusammengehört, das hat es so nur bei uns in Hessen gegeben.
Deshalb haben wir darauf geachtet, dass die Änderungen und Investitionen, die wir bisher für die Bewältigung dieser Herausforderungen vorgenommen haben, möglichst vielen Bürgerinnen und Bürger zugutekommen. Unser Ziel war und ist es, die Integration der Flüchtlinge zu fördern, damit sie durch Sprache, Schule und Ausbildung möglichst schnell ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen können. Zugleich galt es sicherzustellen, dass diese Anstrengungen nicht zulasten all der Menschen gehen, die schon immer in diesem Land gelebt haben.
Wir können nun nach den ersten Jahren und intensiven Anstrengungen feststellen, dass uns vieles gelungen ist. Tausende Flüchtlinge haben inzwischen Deutsch gelernt, absolvieren eine Ausbildung und wurden in den Arbeitsmarkt vermittelt. Wenn die Bundesagentur für Arbeit jüngst feststellt, dass es uns in Hessen gelungen ist, rund ein Drittel der Arbeit suchenden Flüchtlinge und Migranten in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zu vermitteln, ist dies ein großer Erfolg, der uns anspornt, diesen Weg weiterzugehen.
Nicht minder wichtig ist der Umstand, dass wir trotz all dieser Anstrengungen, die wir für die Flüchtlinge und Migranten unternommen haben, die Leistungen für die einheimische Bevölkerung nicht nur auf hohem Niveau gehalten, sondern in einer ganzen Reihe von Fällen sogar noch gesteigert haben. Wir wissen sehr genau, dass es noch erheblicher Anstrengungen von uns, aber auch der Zugewanderten bedarf. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber wir suchen nicht Probleme, sondern Lösungen, und wir sind dabei erfolgreich.
Ein nüchterner Blick auf die Herausforderungen, entschlossenes Handeln und konsequente Arbeit an der Lösung der Probleme kennzeichnen die Arbeit dieser schwarz-grünen Landesregierung. Wir überwinden dabei Gräben und arbeiten gesellschaftlich zusammen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch heute den Sozialdemokraten im Hessischen Landtag für ihre konstruktive Unterstützung bei der Bewältigung dieser Arbeit danken. Bei allem politischen Meinungsstreit sind wir so in der Lage, auch große und größte Herausforderungen Stück für Stück zu bewältigen und vor allem die Gesellschaft zusammenzuhalten.
Hessen ist also ein erfolgreiches und starkes Land, und dies lässt sich mit Fakten belegen. Diese unbestreitbaren Erfolge dürfen uns aber nicht blind machen dafür, dass sich bei vielen Bürgern eine deutliche Verunsicherung ausbreitet. Verlustängste, Ängste um die eigene Zukunft, Sorge um die kulturelle Identität unseres Landes, Zweifel am Funktionieren des Rechtsstaates bis hin zur offenen Ablehnung unserer demokratischen Grundwerte nehmen zu. Die Anforderungen im Beruf werden immer höher. Der technische Wandel wird immer rapider. Der Zwang zu immer größerer Flexibilität und Mobilität nimmt zu. Das Gefühl der Überforderung wächst. Die gesellschaftlichen Milieus lösen sich zunehmend auf. Die Bindungskräfte von Parteien, Kirchen und Gewerkschaften schwinden. Nicht wenige Menschen fühlen sich angesichts dieses Wandels überfordert und gelegentlich auch heimatlos. Viele Menschen suchen deshalb nach Neuorientierung und Halt. Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt davon, diese Orientierung können und müssen wir geben.
Zunächst einmal, indem wir den Menschen zuhören, die Probleme nicht ausblenden oder verniedlichen und indem wir den Menschen auch zeigen, wie wir die Probleme lösen können. Meine Erfahrung ist, dass die Bürger durchaus verstehen, dass vieles nicht einfach ist und manches nicht von heute auf morgen zu lösen ist. Aber der Kompass muss stimmen.
Was sie nicht verstehen und was sie auch nicht akzeptieren mögen, ist, wenn sie mit ihren Sorgen nicht ernst genommen werden oder wenn sie alle unterschiedslos, z. B. wenn sie die Flüchtlingspolitik für falsch halten, in der Öffentlichkeit zu Rechtsextremisten abgestempelt werden.
Wie in einem Brennglas sind diese Entwicklungen nach dem schrecklichen Verbrechen in Chemnitz deutlich geworden. In Chemnitz, aber auch an anderen Orten, drücken Menschen Sorgen und Nöte aus, die wir nicht ignorieren dürfen. Das mag nicht immer rational sein, das mag nicht immer gerechtfertigt sein, und es mag auch nicht jedem passen, was da artikuliert wird. Manchmal ist es sogar nur schwer zu ertragen. Umgekehrt gilt aber auch: Nicht jeder, der seinen Unmut kundtut, ist ein Rechtsextremer. Nicht jeder, der Kritik, Ängste und Sorgen zum Ausdruck bringt, ist ein Nazi. Es braucht deshalb eine klare Trennung zwischen denen, die auf Krawall, Hass und Gewalt aus sind, und jenen, die ihre Sorgen und Anliegen friedlich auch auf der Straße deutlich machen.
Auch in Chemnitz sind viele auf die Straße gegangen, die ein selbstverständliches Recht der freiheitlichen Demokratie in Anspruch nehmen, nämlich das Demonstrationsrecht. Wer diese Bürgerinnen und Bürger pauschal verunglimpft, verhält sich nicht besser als jene, die pauschal alle Andersdenkenden oder Migranten in diesem Land verurteilen. Das Mindeste, was die Menschen von uns, gerade von uns, erwarten können und auch erwarten müssen, ist, dass wir differenziert auf ihre Lebenssituationen blicken.
Es geht aber nicht nur um Chemnitz. Meine Damen und Herren, Extremismus, Antisemitismus, Menschenverach
tung, das gibt es auch anderswo. Das gibt es auch bei uns. Ein Blick in die sozialen Medien genügt, um zu erkennen, dass die Hemmschwellen zunehmend gefallen sind und der gesellschaftliche Zusammenhalt bedroht ist.
Deshalb braucht es Orientierung und klare Antworten. Es braucht eine klare Grenzziehung zwischen engagiertem Protest, deutlichem politischen Meinungsstreit auf der einen Seite und Ausgrenzung, Aufstachelung zum Hass und der bewusste Vermischung und dem Verwischen der Grenzen zum Extremismus auf der anderen Seite. Diese Grenzziehung ist entscheidend.
Das gilt in alle Richtungen. In diesen Tagen muss dies besonders in Richtung einer Partei gelten, die genau diese Grenzziehung immer wieder bewusst missachtet. Sie nennt sich die Alternative für Deutschland. Ich nenne sie nach meiner festen Überzeugung: Gefahr für Deutschland.
Meine Damen und Herren, Rechtspopulisten und Rechtsradikale leben von der Provokation. Das Internet ist ein idealer Wirt zur Verbreitung dieses rechten Bazillus. Wenn wir über jedes Stöckchen springen, das uns hingehalten wird, machen wir manchmal durch unsere Empörung erst das stark, was wir eigentlich bekämpfen wollen. Aber genau darauf zielen doch die dauerhaften Tabubrüche ab, und zwar ein Höchstmaß an Empörung zu generieren und dabei immer knapp unterhalb der Grenze der Strafbarkeit zu bleiben.
Das ist das Muster. Es ist immer das gleiche Muster. Wenn deutlich wird, was im Namen der AfD alles geschieht, kann man dieses Muster sehr klar erkennen. Wenn z. B. in einem Facebook-Eintrag der AfD-Kreistagsfraktion im Hochtaunus, also in unserem Land, zu lesen war – ich zitiere –:
Bei uns bekannten Revolutionen wurden irgendwann die Funkhäuser sowie die Presseverlage gestürmt und die Mitarbeiter auf die Straße gezerrt. Darüber sollten die Medienvertreter hierzulande einmal nachdenken, denn wenn die Stimmung endgültig kippt, ist es zu spät!
Meine Damen und Herren, das hat mit legitimem politischen Meinungskampf gerade einmal gar nichts zu tun.
Es ist die offene Verachtung der grundlegenden Prinzipien einer freiheitlichen Demokratie.
Wenn man die AfD dann stellt, geschieht immer das Gleiche: Ihre Spitzen erklären, das kenne man gar nicht, jedenfalls billige man es nicht. Und dann frage ich mich: Was geschieht anschließend? – Nichts. Es gibt auch keine klare Distanzierung. Der Landesvorsitzende dieser Partei in Hessen hat erklärt, es sei „nur saublöd formuliert“.
Was braucht es eigentlich noch, damit wir gemeinsam klarmachen, wo die Grenzen verlaufen?
Man könnte eine Vielzahl von Belegen heute hier nennen. Wir müssen diese Methoden demaskieren und immer wieder aufklären. Wir müssen uns ihnen entgegenstellen – unaufgeregt, aber klar und unmissverständlich.
Das ist eine Gratwanderung – häufig für jeden von uns. Aber die größte Gefahr wäre, gleichgültig zu bleiben. Die größte Gefahr für eine Demokratie sind Gleichgültigkeit und Verdruss. Deshalb dürfen wir dem, was da vor sich geht, nicht gleichgültig gegenüberstehen. Wir dürfen uns auch nicht daran gewöhnen. Wir dürfen nicht zusehen, wie der demokratische Wertekonsens in unserer Gesellschaft im Graben politischer Hetze und Verachtung untergeht. Das darf nicht sein.
Damit auch das klar ist: Natürlich sind nicht alle Mitglieder der AfD und schon gar nicht alle Wähler rechtsradikal oder rechtsextremistisch. Entscheidend ist aber, was die Führung dieser Partei tut oder was sie unterlässt.
Sie nimmt bewusst in Kauf, dass die Grenzen zum Extremismus undeutlich werden und die Grundlagen unserer freiheitlich-demokratischen Demokratie erschüttert werden. Nicht nur in Chemnitz marschieren sie bewusst gemeinsam mit den Verächtern dieser Demokratie, mit Pegida, mit den Anhängern der Identitären Bewegung, mit Altund Neonazis.
Wie soll man es eigentlich anders verstehen als eine Verächtlichmachung des Rechtsstaates, wenn ausgerechnet die Landtagsfraktion – eine Parlamentsfraktion – der AfD in Baden-Württemberg dem Justizvollzugsbeamten, der unter grobem Bruch aller seiner Amtspflichten diesen Haftbefehl veröffentlicht hat, unverzüglich eine Stelle in dieser Fraktion anbietet?
Wie soll man es anders verstehen als eine Verächtlichmachung des Rechtsstaates, wenn der Bundesvorsitzende dieser Partei, Herr Alexander Gauland, in der „FAZ“ vor wenigen Tagen formuliert, dass das politische System weg müsse. Er spricht von einem politischen System, das sich überholt habe. Er spricht von Systemparteien, Systempolitikern, Systemjournalismus, ja, auch von Lügenpresse.
Das alles drückt eine Verachtung und Abwendung von allen tragenden Prinzipien dieser Demokratie aus. Das sind Begriffe, die wir alle schon einmal gehört haben. Sie waren die Wegbereiter in den Nationalsozialismus.
Genau hierhin gehört auch eine Bemerkung, die mehr als deutlich macht, wes Geistes Kinder diese Partei führen: Herr Gauland hat die Nazidiktatur und ihre millionenfachen Opfer als einen „Vogelschiss“ bezeichnet. – Das war kein Vogelschiss, sondern es war der Kulturbruch und der Tiefpunkt unserer Geschichte. Wer so formuliert, der verhöhnt die Opfer und der bereitet den Weg der AfD nach ganz rechts außen vor.
Wenn z. B. die stellvertretende Bundesvorsitzende der AfD, Frau von Storch, am 19. Dezember des vergangenen Jahres twittert: „Je länger Merkel am Ruder bleibt, desto mehr Fleisch werden wir von ihrem Kadaver reißen“,
dann ist das die Sprache blanker Hetze und blanken Hasses.
Wenn diese Dame dann angesprochen wird, erklärt sie, das habe nicht sie geschrieben, sondern einer ihrer Mitarbeiter. Ich weiß nicht, wer es geschrieben hat, aber das macht die Sache nicht besser.
Das sind keine Ausrutscher. Das hat Methode. Das darf nicht unwidersprochen bleiben.
Denn ohne Widerspruch schleichen sich neue Begriffe ein, werden die Maßstäbe verschoben und gewöhnt man sich an Tabubrüche. Das darf nicht passieren. Wir dürfen den Brandstiftern im Biedermänner-Sakko so etwas nicht durchgehen lassen.
Deshalb möchte ich sagen: Ich hätte zum Ende dieser Legislaturperiode über vieles sprechen können – mit gutem Grund. Ich habe mich bewusst entschieden, darüber zu sprechen, wie dieses Land lebenswert bleibt und wie dieses Land beieinander bleibt. Das ist die zentrale Frage – nicht nur am 28. Oktober, sondern auch am 29. Oktober und in den vielen Wochen danach. Es wird uns alle noch gewaltig beschäftigen. Deshalb sage ich: Bewahren wir Haltung, geben wir Orientierung, und ziehen wir klare Grenzen. Dann bleibt Hessen lebenswert, und dann halten wir die Gesellschaft beisammen. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! – Ich weiß nicht: Möchten Sie jetzt vor mir oder nach mir sprechen?
Also gut. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin der CDU-Fraktion dankbar, dass wir die Gelegenheit
haben, uns – notgedrungen nur kurz – über dieses Thema auszutauschen.
Herr Kollege Rock, Sie haben recht. Das, was mich mehr als alles andere umtreibt, ist die Frage: Wie schaffen wir es, eine Gesellschaft, die vor großen Herausforderungen steht – das bestreitet doch ernsthaft niemand –, eine Gesellschaft, in der es Spannungen und Interessengegensätze gibt, die eher zu- als abnehmen – auch das bestreitet niemand –, zusammenzuhalten und in eine gute Zukunft zu führen? Ich habe die Debatte weitgehend mitbekommen. Wir sollten jetzt einmal einen kleinen Moment lang den pawlowschen Reflex weglassen, dass, wenn die eine Seite etwas vorschlägt, die andere Seite immer erklärt, das sei alles Käse.
Dann kommen einmal die, und dann kommen einmal jene. Ich habe mir überlegt, wie das auf jemanden wirkt, der unsere Arbeit begleitet und die Debatte gerade mitbekommen hat. Jawohl, alle sind für das Ehrenamt.
Dann macht man einen Vorschlag. Wie wird darüber diskutiert? – Wahlgeschenk? – Das ist eigentlich Blödsinn. Glauben Sie wirklich, dass irgendjemand diese Debatte ernst nimmt? – Ich glaube das nicht.
Deshalb will ich Ihnen zwei Antworten geben. Herr Schalauske, es geht nicht um die Frage der Mobilität. Die haben wir heute Morgen zigmal diskutiert. Es kann auch nicht um die Frage gehen, dass sich der Staat dort zurückzieht, wo er Aufgaben wahrnehmen muss. Es geht um etwas völlig anderes. Es geht um ein Verständnis dafür, wie sich diese Gesellschaft entwickeln wird.
Meine Damen und Herren, deshalb in aller Kürze: Die gesellschaftlichen Herausforderungen machen es notwendig, dass sich Politik und Staat vielfältig engagieren. Das tun wir. Ich hatte nicht vor, dazu zu sprechen – aber damit es auch nicht in Vergessenheit gerät, wenn man mich hier im Plenum fragt: Was tun wir für den Zusammenhalt dieser Gesellschaft? Meine Damen und Herren, dieses Land Hessen bietet Chancen für junge Menschen wie kaum ein anderes Land. – Das tun wir für diese Gesellschaft.
Wenn mehr Menschen als jemals zuvor seit der Gründung dieses Landes in Arbeit sind – in gut bezahlter Arbeit, im Durchschnitt die bestbezahlte Arbeit in Deutschland –, dann ist das ein herausragender Beitrag dafür, dass diese Gesellschaft zusammenbleibt. Wenn Hessen pro Nase mehr für Bildung bezahlt als jedes andere Bundesland, wenn wir eine breite Initiative für den ländlichen Raum starten, dann sind das alles Maßnahmen zum Zusammenhalt der Gesellschaft –
und das, meine Damen und Herren, bei allem Streit um die Details. Das kann doch ernsthaft niemand bestreiten. Niemand mit Sinn und Verstand kann daherkommen und behaupten, alle Arbeit sei getan.
Ich will noch auf ein zweites Thema eingehen, das Ihnen doch auch so am Herzen liegt. Wie gehen wir um mit der großen Herausforderung der vielen Menschen, die zu uns gekommen sind? Wie gehen wir um mit Menschen mit völlig anderen Hintergründen, religiösen Traditionen, gesellschaftlichen Vorstellungen? – Jetzt schauen Sie sich doch einmal an, wie diese Regierung damit umgegangen ist: sehr zielstrebig, sehr konsequent, aber ohne Schaum vor dem Mund – und alles in allem mit großem Erfolg. Meine Damen und Herren, auch das ist ein Beitrag zum Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Deshalb lassen Sie uns darüber in einen richtigen Wettstreit eintreten, wie wir das am klügsten tun. Meine Überzeugung ist nämlich, dass wir – bei aller Anstrengung von staatlicher und kommunaler Seite, auch im Wettbewerb um immer mehr – eine Sache nie erreichen: Es geht nämlich um die Frage, wie man aus einer Gesellschaft eine Gemeinschaft macht. Genau darum geht es. Bei realistischer Betrachtungsweise weiß doch jeder – Sie selbst haben von Ihrem Ehrenamt gesprochen –: Wir werden keine Gemeinschaft haben, wenn wir nicht Menschen haben, die immer wieder mehr tun, als sie müssen. Das ist sozusagen die Beschreibung des Ehrenamts: Menschen, die bereit sind, sich zu engagieren, auch für öffentliche Dinge; Menschen, denen es eben nicht egal ist, was um sie herum passiert, und die nicht nur darauf bauen, dass die Gesellschaft irgendwie alle Themen löst. Das kann und das wird nie gelingen.
In einer freiheitlichen Gesellschaft – dafür stehe ich – darf der Staat auch nie den Anspruch haben, alles und jedes umfassend zu regeln. Das nimmt den letzten Rest der Freiheit.
Deshalb geht es in erster Linie weder um Mobilitätsförderung noch um irgendetwas sonst. Es geht um die Grundüberlegung. Deshalb ist es richtig, was die Kollegen gesagt haben – Kollege Pentz –: Diese Ehrenamtler sind der Kitt dieser Gesellschaft. Sie brauchen es nicht, dass wir Abgeordnete ihnen auf irgendeinem Festtag immer alle lobend entgegentreten. Das ist zwar richtig, aber die Grundidee dahinter ist eine andere.
Herr Schalauske, an Sie noch einmal in aller Klarheit: Die Ehrenamtler sind keine Lückenbüßer für die Versäumnisse des Staates. Das Verständnis einer Gesellschaft, wie ich sie mir vorstelle, ist nicht der allumfassende, diktierende Staat,
sondern eine Gesellschaft, in der es viele Menschen gibt, die mitmachen.
Frau Kollegin Wissler, wir können hier beschließen, was wir wollen. Besonderes Engagement, Empathie, menschliche Zuwendung, besondere Orts- und Fachkenntnisse können Sie aber nicht staatlich verordnen. Da können Sie nur dankbar sein, dass es Menschen gibt, die so etwas einbringen, meine Damen und Herren.
Weil das so ist, habe ich mich sehr gefreut, dass die Initiative der CDU bei dem anstehenden Verfassungsreformprozess, die Unterstützung des Ehrenamtes als Staatsziel in die Verfassung aufzunehmen, breiteste Zustimmung gefunden hat. Alle haben zugestimmt. Darüber kann man sich doch nur freuen.
Worum geht es jetzt? – Es geht jetzt erstens darum, dass wir alle gemeinsam dafür werben, dass die Bürgerinnen und Bürger in Hessen bei der Volksabstimmung der geänderten Verfassung zustimmen. Zum Zweiten geht es darum, dass wir dieses Staatsziel, das wir alle gemeinsam wollen, mit konkretem Leben erfüllen.
Ich bin da offen für vielfältige Dinge. Ich habe es für nützlich und sinnvoll gehalten – deshalb habe ich diesen Vorschlag gemacht –, Menschen, die sich in ganz besonderer Weise engagieren, mit einem attraktiven Hessenticket wertzuschätzen und zu unterstützen. Darum geht es, meine Damen und Herren.
Der Staat kann das Ehrenamt nicht anordnen – Gott sei Dank. Aber unser aller Verpflichtung muss es doch sein – meine ist es seit eh und je –, dass wir dieses wertschätzen und unterstützen. Ich habe den Vorschlag gemacht: Lasst uns das an der Ehrenamts-Card orientieren. Über die Einzelheiten kann man doch diskutieren, da bin ich völlig offen. Aber damit mir nicht vorgeworfen wird, ich hätte da so eine wolkige Idee in den Raum geworfen, habe ich einen Vorschlag gemacht. Ich finde die Idee der Ehrenamts-Card, dass ehrenamtlich tätige Menschen besonders wertgeschätzt werden sollten, sehr nachvollziehbar.
Ich bin nicht immer ganz sicher, ob jeder weiß, worüber wir reden. Es geht um Menschen, die regelmäßig mindestens fünf Stunden in der Woche ehrenamtlich engagiert sind und keine Aufwandsentschädigung erhalten. Das unterscheidet sie von anderen Ehrenamtlern. Ich muss Ihnen sagen: Wenn sich jemand regelmäßig jede Woche fünf Stunden für diese Gemeinschaft engagiert, dann nötigt mir das großen Respekt ab und verdient unser aller Dankbarkeit.
Wir sind in der Aktuellen Stunde, deshalb muss ich zum Schluss kommen. – Wenn wir es mit einem attraktiven Hessenticket für die knapp 20.000 Personen, die derzeit in Hessen eine Ehrenamts-Card haben, schaffen, dass sich zukünftig noch mehr Bürgerinnen und Bürger darum kümmern, ehrenamtlich Kinder zu betreuen, älteren Menschen beizustehen oder in anderer Weise diese Gesellschaft zu einer Gemeinschaft zu machen, dann können wir uns alle gemeinsam nur darüber freuen. Das ist doch kein Gegenstand eines kritischen Diskurses. Das ist eine Hoffnung für den Zusammenhalt einer Gesellschaft.
Meine Damen und Herren, ich verstehe zwar die politische Debatte, aber in dieser Frage täten wir gut daran, wenn alle Demokraten zusammenstehen. Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung.
Der Antrag betrifft mich. Das ist die einzige Chance, die ich habe, dazu etwas zu sagen. Ich bin heute ab 18 Uhr offiziell entschuldigt. Die Debatte kann dann nicht in meiner Anwesenheit geführt werden. Das würde ich nicht für in Ordnung halten.
Deshalb gibt es jetzt zwei Möglichkeiten: Sie machen das, wenn ich da sein kann, oder aber ich nehme jetzt kurz Stellung. Ich stelle anheim, wie Sie es haben wollen; aber ich finde, da es ausschließlich um mich geht, darf sich das Haus nicht überfordert fühlen, wenn ich darum bitte, darüber zu diskutieren, wenn ich anwesend bin.
Meine Damen, meine Herren! Herr Kollege Schaus hat es ja schon begründet. Ich hätte es begrüßt, wenn mich jemand von den antragstellenden Fraktionen zuvor gefragt hätte. Dann hätte ich begründet, warum ich das so mache.
Ich bedauere das. Nun muss es halt so erledigt werden.
Ich habe noch nie irgendeiner Zeitung bei einer Pressekonferenz oder bei was auch immer eine Antwort verweigert. Das hat überhaupt nichts mit Pressefreiheit zu tun. Ich entscheide aber immer noch selbst, wem ich ein Interview gebe. Ich habe begründeten Anlass dazu.
Ich will das sehr klar sagen. Kollege Hahn hat vorhin von unserer gemeinsamen Regierungszeit gesprochen. Mein Vorgänger im Amt, Roland Koch, ist hier oft Gegenstand des Zitats oder der Erörterung. Ich war damals hessischer Innenminister. Der Innenminister war immer auch für das Pressewesen verantwortlich. Es war ausgerechnet die damalige Regierung, die die „Frankfurter Rundschau“ vor dem Bankrott gerettet hat. Das hat nicht jeder verstanden. Das entsprach jedoch unserer Grundüberzeugung.
Insolvenz. – Ungeachtet der Frage, ob mir das politisch gefällt oder nicht, war das eine Grundsatzentscheidung.
Warum habe ich mich entschieden, der „Frankfurter Rundschau“ kein Interview mehr zu geben? – Die „Frankfurter Rundschau“ hat es für richtig gehalten, sich mit meiner Politik auseinanderzusetzen. Das muss ich akzeptieren. Ich werde es aber niemals akzeptieren, dass die „Frankfurter Rundschau“ Kinder und Jugendliche meiner Familie an den Pranger gestellt hat – für ewig. Das Netz vergisst nichts. Das Archiv vergisst nichts. Diese Kinder müssen ihr ganzes Leben lang damit leben.
Das geht über das hinaus, was man als Innenminister, als Ministerpräsident und als politisch tätiger Mensch ertragen muss.
Das ist der Grund, warum ich mich entschieden habe, dass es Grenzen gibt. Ich respektiere den journalistischen Auftrag. Ich respektiere, wenn jemand etwas schreibt, was mir nicht gefällt. Ich verweise niemanden des Saales, wenn er seiner journalistischen Arbeit nachgeht. Von mir kann aber niemand verlangen, dass ich ein solches Verhalten auch noch dadurch würdige, dass ich persönliche Interviews gebe.
Herr Kollege Schäfer-Gümbel, Sie haben den Antrag mit unterschrieben.
Sie wissen ganz genau, worum es geht. – Danke.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In Hessen darf es keinen Platz geben für Antisemitismus, genauso wenig darf es Platz geben für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Ich begrüße sehr, dass der Hessische Landtag heute – wenn man einmal alles in allem zusammennimmt – doch recht übereinstimmend ein klares Bekenntnis abgeliefert hat. Das ist kein Ritual. Das ist eine Notwendigkeit, um vieles von dem, was Sie angesprochen haben, deutlich zu machen.
Um die Sache auf den Punkt zu bringen: Antisemitismus geht nicht nur die Juden an. Das ist nicht nur ein Angriff gegen die Juden. Antisemitismus ist ein Angriff auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, und deshalb ist es ein Angriff auf uns alle.
Meine Damen und Herren, das geht uns alle an – nicht nur als Ritual. Frau Kollegin Öztürk, ich nehme das gerne auf. Wenn der Präsident des Zentralrats öffentlich jüdischen Mitbürgern empfiehlt, in der Öffentlichkeit keine Kippa zu tragen, dann muss uns das aufrütteln. Dann ist das ein Signal. Man kann es auch als einen Hilfeschrei sehen. Ich möchte nicht, dass die Alternative so aussieht wie in Frankreich, wo die jüdischen Gemeinden ihre jüdischen Mitgläubigen und Bürger auffordern, auszuwandern.
Insofern ist Antisemitismus kein Thema, das uns nur in Hessen oder in Deutschland beschäftigt. Das macht die Sache nicht besser. Aber es zeigt die Dramatik. Deshalb geht uns das alle an.
Es gibt eine gefährliche Formel, wenn man sagt, das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Das ist es. Aber es ist auch ein bisschen die Gefahr, dass es dann sozusagen irgendwie ins Allgemeine verschoben wird. Die größte Gefahr jeder freiheitlich-demokratischen Grundordnung, der größte Einfallskorridor für Antisemitismus, für Rassismus, für Fremdenfeindlichkeit ist immer zuerst die Gleichgültigkeit der Menschen.
Wir dürfen nicht gleichgültig sein. Es darf nicht sein, dass solche Dinge sozusagen gesellschaftsfähig werden. Deshalb ist es eine Sache der allgemeinen gesellschaftlichen Auseinandersetzung, aber es ist ganz vorneweg eine Sache von jedem Einzelnen und insbesondere auch von denen, die wie wir öffentliche Verantwortung tragen.
Das Land Hessen hat eine lange Tradition in der Unterstützung und in der Hilfestellung und in der Sensibilität, wenn es um diese Fragen geht. Wir werden in wenigen Wochen einen besonderen Geburtstag feiern, nämlich den Geburtstag unseres Generalstaatsanwalts Bauer. Er war derjenige, der mutig, heftig umstritten die Auschwitzprozesse durchgesetzt hat. Das war sozusagen die größte Leistung gegen das Vergessen. Es war zum ersten Mal, dass Täter und Opfer ein Gesicht bekommen haben.
Ich weiß nicht, ob wir darauf stolz sein können – wir, heute, haben daran keinen Anteil. Aber es ist ein Stück Stolz für Hessen. Herr Kollege Rock und viele andere: Zeigen
Sie mir einmal ein Land, in dem so viel geschieht wie bei uns, wenn es um die Frage der Vorbeugung, der Prävention, aber auch der Unterstützung bei der Frage jüdischen Lebens geht. Wir sollten da nicht mit kleiner Münze arbeiten. Wir waren uns hier immer einig, wenn es um solche Fragen geht, und ich möchte das gerne aufrechterhalten.
Ich füge eine persönliche Bemerkung hinzu: Sie haben von Ihrem ersten Besuch in Yad Vashem gesprochen – ich meine sogar, wir wären zusammen dort gewesen. Ich habe ganz bewusst meine erste Auslandsreise als Ministerpräsident nach Israel unternommen. Das war kein Zufall. Ich bin seit vielen Jahren in unterschiedlichster Form mit den jüdischen Gemeinden eng verbunden. Ich bin Präsident der Jerusalem Foundation, wo ich mich darum bemühe, in einem sehr schwierigen Umfeld zu helfen, zu unterstützen und trotzdem nicht einseitig zu sein.
Dazu will ich zwei Dinge sagen: Ja, wir haben eine Debatte über die Frage, ob Antisemitismus nicht auch deshalb stärker geworden ist bzw. ob wir ihn als stärker empfinden durch die Zuwanderung vieler Muslime. – Das kann doch niemand mit Verstand bezweifeln. Das sind junge Menschen, die in ihrer Heimat nichts anderes kennengelernt haben als eine in der Regel instrumentalisierte Judenfeindlichkeit, in der man alles, was einen irgendwie bedrückt, den Juden zuordnet, ob nun im Irak, in Syrien oder in vielen anderen Ländern mehr.
Herr Kollege Schalauske, Sie haben von Europa gesprochen – leider Gottes ist das Phänomen des Antisemitismus ein weltweites, das kann man nicht bestreiten. Aber ich bitte schon darum, dass wir differenzieren: Nicht jeder junge Muslim ist automatisch ein Antisemit,
nicht jeder junge Muslim ist automatisch jemand, der unsere Werteordnung nicht akzeptiert.
Jetzt wird der Bogen deutlich: Wenn jemand zu uns kommt und hier für sich und seine Familie eine Zukunft haben will, dann ist es unumgänglich, dass er dieses Land annimmt, sonst wird er hier nie ankommen. Dieses Land anzunehmen bedeutet eben auch, die Besonderheit und die besondere Verpflichtung unseres Landes gegenüber dem Judentum und jüdischen Menschen anzunehmen.
Natürlich kann – und je nach Blickwinkel darf oder muss – man die israelische Regierungspolitik begrüßen, begleiten oder kritisch bewerten, selbstverständlich. Es ist im Übrigen die einzige wirkliche Demokratie in dieser ganzen Region – auch das muss einmal gesagt werden.
Aber wir müssen schon klarmachen, dass Kritik an einer Regierungspolitik uns auszeichnet, und diese Möglichkeit muss es geben. Etwas völlig anderes ist es jedoch, wenn wir darüber sprechen, dass es zu unserer Staatsräson gehört, das Existenzrecht Israels nicht zu bezweifeln oder gar in Abrede zu stellen. Wer sich mit der Hamas oder der Hisbollah in die gleiche Reihe stellt, die die Juden immer noch ins Meer treiben wollen, der muss verstehen: Das gehört nicht zu unserer staatlichen Ordnung.
Herr Kollege Schäfer-Gümbel hat mir gesagt, er müsse rausgehen – ich bitte um Nachsicht, dass ich jetzt auf Sie eingehe.
Okay. – Rechtsstaatsklassen. Das habe ich gelesen und gedacht: Was hat er sich wieder ausgedacht? Es wäre doch gut, wenn alle möglichst gut über die Grundlagen unseres Landes unterrichtet wären, das ist völlig unbestritten.
Das ist aber doch kein Argument, dass wir dort, wo besonderer Handlungsbedarf besteht, nichts tun. Wenn jetzt Menschen zu uns kommen – viele junge Menschen in einer sehr schwierigen Situation –, haben wir z. B. in den Erstaufnahmeeinrichtungen noch heute – das sage ich einmal bewusst – die Freude, dass 350 oder 400 Richterinnen und Richter und Staatsanwälte freiwillig ehrenamtlich den Menschen dort erklären, was unsere rechtlichen Grundlagen sind. Meine Damen und Herren, das kann man doch nicht kritisieren, dafür muss man vielmehr dankbar sein.
Hessen ist übrigens das einzige Land, das so etwas macht.
Wir haben keinen Nachholbedarf. Unser beispielhaftes Netzwerk der Prävention, das oft genug von allen gelobt wurde, gehört auch zu der Frage, was wir aktiv tun können. Herr Schalauske, Sie haben von Wissenschaft und Forschung gesprochen: Wir haben eine Professur zur Holocausterforschung. Das haben wir hier einvernehmlich beschlossen. Das ist doch gut.
Ich will es nur sagen, weil hier gelegentlich der Eindruck entstanden ist, dass wir nur heute darüber reden. Das ist aber eine Daueraufgabe.
Weil es eine Daueraufgabe ist, haben wir uns dazu entschieden, einen Antisemitismusbeauftragten zu benennen. Das werden wir in Übereinstimmung mit den jüdischen Gemeinden im Lande machen. Wenn es jetzt ein oder zwei Länder gab, die das vor uns gemacht haben: Glückwunsch, aber das ist doch kein Grund, das jetzt nicht mehr zu machen. Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass zumindest die größte Oppositionsfraktion, vielleicht auch alle, das für richtig halten.
Aber es ist eben nicht nur die Aufgabe eines Beauftragten, sondern es ist immer die Aufgabe von uns allen, und wir müssen der Gleichgültigkeit entgegentreten. Jetzt seien wir einmal ehrlich miteinander: Wenn Sie ins Netz schauen, was sich dort an Hass ergießt, ist das unerträglich. Das ist es, was ich mit dem Schleichenden meine. Wenn auf den Schulhöfen gerufen wird „Du Jude“, ist das nicht strafbar. Aber was gemeint ist, ist schon klar: Es ist die Botschaft der Ausgrenzung. Es ist die Botschaft: „Du gehörst nicht zu uns.“ Genau darum geht es. Da können wir 100 Erlasse schreiben; das bleibt ohne jede Wirkung, wenn nicht jemand da ist – hoffentlich junge Menschen, aber auch allemal diejenigen, die ein bisschen älter sind –, der nicht ein
fach vorbeigeht, sondern zu dem Zwölfjährigen, der das gerufen hat und sich vielleicht gar nicht klar darüber ist, was das bedeutet, sagt: „Pass mal auf, was meinst du denn eigentlich? Lass uns mal darüber reden.“
Jetzt seien wir einmal ehrlich: Es genügt keine Empörungskultur, sondern es sind die vielen kleinen Schritte. Es ist die Überzeugung, dass Demokratie nicht von den Gleichgültigen lebt – Demokratie lebt von den Mutigen. Die brauchen wir, beim Bekämpfen von Antisemitismus genauso wie beim Bekämpfen von Rassismus oder von Fremdenfeindlichkeit.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Schäfer-Gümbel hat die Echo-Verleihung schon angesprochen. Vielleicht noch eine Bemerkung dazu. Wir haben hier im Hause schon des Öfteren über solche Fragen wie die Freiheit der Kunst gesprochen. Sie ist ein Kernstück jeder Demokratie. Also gilt es für uns als diejenigen, die die politische Verantwortung tragen, klug und differenziert damit umzugehen. Kunst darf viel, Kunst soll auch viel dürfen. Aber es fällt mir schwer, zu begreifen, wenn ein bundesdeutsches Kulturereignis stattfindet und dort diejenigen ausgezeichnet werden, die die Auschwitz-Opfer verhöhnen – und die ganze Szene feiert Party,
während in Auschwitz am gleichen Tag ein leiser Trauermarsch stattfindet.
Jetzt haben sie beschlossen, die Veranstaltung aufgeben zu wollen. Für mich ist viel wichtiger: Hat da nicht irgendjemand einmal vorher nachgedacht?
Hat dort nicht irgendjemand einmal vorher kapiert, dass die Verkaufszahlen eben nicht alles rechtfertigen?
Das war keine Sternstunde unseres kulturellen Lebens, aus meiner Sicht war es ein Tiefpunkt.
Wenn wir das alles zusammenpacken, gibt uns der heutige Tag Gelegenheit, ein Bekenntnis abzuliefern, aber er verpflichtet uns auch. Wir in Hessen sind stolz auf unsere freiheitliche, auf unsere liberale Tradition. Dieser Stolz, den wir auf diejenigen haben dürfen, die vor uns gearbeitet haben, verpflichtet uns, alles zu tun, damit es so bleibt.
Deshalb kann die Botschaft nur sein: In Hessen ist kein Platz für Antisemitismus, kein Platz für Rassismus oder auch für Fremdenfeindlichkeit. Das heißt ganz konkret: Überall dort, wo es gegen die geht, die anders aussehen, gegen die, die anders glauben, gegen die, die irgendwie anders sind, ist jedem Versuch der Ausgrenzung mutig entgegenzutreten. Das gilt immer. Aber beim Kampf gegen den Antisemitismus gilt es aus vielerlei Gründen ganz besonders. – Ich danke Ihnen.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Opel ist ein starkes Stück Hessen, auf das wir immer stolz waren. Die Landesregierung kümmert sich seit Jahren nicht nur um Opel, sondern um ganz viele Unternehmen. Es ist unsere oberste Pflicht, uns um die Erhaltung der Standorte und der Arbeitsplätze zu kümmern. Lieber Kollege Lenders, deshalb vorweg Folgendes. Ihr letzter Satz war, die Politik solle sich aus Unternehmensentscheidungen heraushalten. Da haben Sie recht.
Aber, ganz offen gesagt: Als ich eine Regierung mit der FDP anführte, gab es hier im Haus das Ritual, dass der FDP-Kollege regelmäßig den Vorwurf zu hören bekam, dass er Klimafragen und die Verantwortung der Politik für die kommenden Generationen nicht hinreichend berücksichtige. Der Vorwurf war in der Regel von den GRÜNEN erhoben worden.
Seitdem die GRÜNEN regieren, hat die FDP ein Ritual, zu sagen, dass der Wirtschaftsminister vielleicht persönlich
ein ganz netter Kerl ist, aber eigentlich überhaupt nichts von Wirtschaft versteht. Es geht jetzt auf die Mittagszeit zu, ich komme jedoch gleich noch auf ein paar sehr schwierige Dinge zu sprechen. Räumen wir das doch einfach ab. Diese Rituale sind so ausgelutscht, sie interessieren niemanden. Sie helfen auch niemandem – schon gar nicht den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei Opel.
Ganz nebenbei: Herr Al-Wazir und ich sind ununterbrochen damit beschäftigt. Das, was er vertritt, ist die wahrscheinlich beste Zukunftsvision für Opel, nämlich Elektromobilität und nachhaltige Antriebe. Deshalb passt das ganz gut zusammen. Wenn wir ehrlich sind: Wo hat denn Opel eine Zukunft? Karl-Thomas Neumann hat gesagt: Wir stellen komplett auf Elektro um. – Das kann richtig sein, das kann aber auch falsch sein. Aber unabhängig von allen, die in Sachen Elektromobilität unterwegs sind, kann es auch streitig sein.
Ein Kernpunkt der neuen Unternehmensstrategie ist – soweit wir das überhaupt greifen können –, dass sie alles anbieten wollen: Elektro, Hybrid und auch traditionelle Technik. Deshalb gilt für die ganze Landesregierung: Die Themen sind viel zu ernst, als dass wir sie in dieser alten kleinkarierten Schwarz-Weiß-Methode angehen sollten. Unser Wirtschaftsminister lässt nichts anbrennen, wenn es um die Frage der Standorte und der Arbeitskräfte geht.
Sehr verehrte Frau Kollegin Wissler, Ihre Aktuelle Stunde hat den Titel „Arbeitsplätze und gute Arbeitsbedingungen bei Opel erhalten – Solidarität, Vielfalt und Gerechtigkeit zum 1. Mai“. Es war eine Rede zum 1. Mai. Das sei Ihnen gegönnt.
Ja, Opel. Wir können auch über Siemens und andere reden; da sind wir überall unterwegs.
Seitens des Landes kümmern wir uns – und ich in Person – seit über 20 Jahren um das Thema Opel. Wir hatten einmal eine Situation, in der wir nach langem Ringen entschieden haben, dass wir uns sogar finanziell engagieren würden. Es ging damals darum, dass Opel von Magna übernommen werden sollte. Damals wie heute haben wir auf allen Ebenen in engster Abstimmung mit den Betriebsräten und der IG Metall gehandelt. So halte ich das auch heute.
Herr Kollege Lenders, den PSA-Generalsekretär Olivier habe nicht ich pressewirksam eingeladen, sondern er wollte einen Termin. Wissen Sie, was er wollte?
Er hat mich, weil er das Gefühl hat, die Sache läuft in die falsche Richtung, darum gebeten, ich möge zwischen dem Unternehmen und der IG Metall vermitteln. Ich habe ihm gesagt: Wir können keine besseren Autos bauen; wir wissen gar nicht, wie es geht. Wir können hessische Steuergelder nicht in eine völlig ungewisse Situation investieren. Wir können aber helfen, so, wie wir bei der Übernahme von General Motors durch PSA geholfen haben. Das geht aber nur – das habe ich Ihnen gestern sehr deutlich gesagt –, wenn wir wissen, wohin die Reise geht. Genau dar
an mangelt es zurzeit. Hier kreuzen sich viele Themen. Sie sind zum guten Teil nicht neu.
Völlig daneben ist die uralte Rhetorik des Klassenkampfs. Vergessen Sie diese einfach. Wir brauchen sie vielleicht zum Festigen der eigenen Positionen. Ich bin damit überhaupt nicht einverstanden, was im Moment im Unternehmen stattfindet und wie die Arbeitnehmer geknechtet werden.
Aber wenn wir schon darüber reden – viele Tausende Menschen in diesem Lande schauen uns dabei zu, wie wir reden –: Wer ist denn PSA? Es ist zu einem kleinen Teil die Familie Peugeot, es ist zu einem sehr großen Teil der französische Staat, und es ist China.
Sie hielten heute Ihre 1.-Mai-Rede. Wir müssen aber auch darüber reden, wer eigentlich Eigentümer von PSA ist. Es sind nicht die finsteren Kapitalisten, die irgendwo ihre Aktiendepots haben und die in irgendeiner Weise versuchen, Geld zu machen.
Es ist der französische Staat, es ist China, und es ist zu einem relativ kleinen Teil die Familie Peugeot.
Das muss man jetzt einfach sagen, damit die Debatte nicht an den alten Plattitüden entlang verläuft. – Wenn man dies weiß, ist es nicht mehr so einfach. Frau Kollegin Kinkel, Sie haben recht: Der Standort Eisenach geht auch uns etwas an, weil dort viele Arbeitnehmer aus Hessen arbeiten. Aber es ist auch ein Thema, bei dem es bei den Menschen gerade in den neuen Bundesländern eine sehr große Empfindsamkeit gibt und Enttäuschung darüber besteht, dass Veränderungen von industriellen Situationen immer gerade dort stattfinden. Denken Sie an Siemens, und denken Sie daran, was in Görlitz und Cottbus passiert.
Wir haben globale Konzerne, und wir haben große Herausforderungen. Nur damit wir die Dinge einmal zusammenbringen: Opel ist ein starkes Stück Hessen, aber fast 90 Jahre gehörte es General Motors. In Deutschland hat General Motors mit Opel in den letzten 17 Jahren 17 Milliarden € minus gemacht – jedes Jahr 1 Milliarde €. Auch im vergangenen Jahr hat Opel 1 Milliarde € minus gemacht.
Nun kann hier keiner erklären, das sei unbeachtlich. Mit tapferen Forderungen – man müsse die Dinge so lassen, wie sie sind – streuen wir den Leuten Sand in die Augen. Das wissen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das weiß der Betriebsrat. Das weiß auch die IG Metall. Deshalb sagen sie alle: Jawohl, wir sind bereit, unter Umständen auch einen schwierigen Weg mitzugehen.
So, wie das jetzt ist, ist es nicht zukunftsfähig. Alle Automobilunternehmen machen Gewinn, bis auf einen: Opel.
Nun muss man kein großer Geist oder Ökonom sein, um zu erkennen: So, wie es ist, kann es nicht bleiben. – Deshalb haben wir alle es begrüßt, dass Opel durch den Wechsel von General Motors zu PSA eine neue Chance bekommt: eine neue Chance in der Modellpalette, eine neue Chance an den Absatzmärkten, mehr Freiheit und natürlich auch die Vorteile, die ein großer Konzern in der Beschaffung und in dem Vertrieb bietet. Darüber gab es keinen Zweifel.
Meine Kritik setzt an dem an: Was man vereinbart hat, muss man auch tun, sonst verliert man das Vertrauen. Diese Werte, die auch in schwieriger Situation hochgehalten werden müssen – das wird in Frankreich vielleicht ein Stück weit anders gesehen als bei uns –, sind wichtig. Tarifverträge sind einzuhalten.
Wenn ich jetzt auf die Idee komme und sage: „Kameraden, das können wir so nicht mehr hinkriegen“, muss man sich zusammensetzen und sich fragen, was man gemeinsam tun kann, aber man darf keine Drohkulisse aufbauen in der Hoffnung, dass sie schon irgendwann zu Kreuze kriechen werden. Das kann nicht die richtige Form sein. Das ist auch nicht zukunftsfähig. Deshalb ist es erforderlich, dass wir erfahren, welche Zukunftsvorstellungen sie haben. Das ist auch das, was ich Herrn Olivier gesagt habe. Das passt sehr schön. Er hat gesagt: Ja, wir könnten die Grenzwerte 2020, so, wie die Modellpallette ist, nicht einhalten. – Kollege Lenders hat gesagt: Die Hessische Landesregierung hätte dagegen etwas unternehmen müssen.
Schöne Grüße, das haben wir nicht beschlossen. Das hilft ihnen auch nichts. Herrn Olivier habe ich gesagt: Hören Sie mit solchen Sachen auf. – Wir saßen mit Herrn Tavares zusammen. Im Hinblick auf die Umstrukturierung war damals schon allen bekannt, dass bis 2020 bei dem Flottenmix z. B. der CO2-Wert deutlich niedriger sein muss.
Man kann die These vertreten, dass die Werte zu niedrig sind und damit zulasten der Automobilindustrie gehen. Die anderen verweisen jedoch auf das Klima. Das hilft alles nichts. Ich kann nur nicht akzeptieren, wenn mir von der Unternehmensführung Argumente vorgehalten werden, die schon vor zwei Jahren bekannt waren. Dann hätte man diese Aussagen so nicht treffen können.
Deshalb: Ich persönlich – auch der Wirtschaftsminister und überhaupt die ganze Landesregierung – bin natürlich sehr bestrebt, dass wir zukunftsfähige Arbeitsplätze haben. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Rüsselsheim als Standort erhalten bleibt. Dieses – insbesondere das Entwicklungszentrum – ist unser stärkstes Pfund. Wir wollen aber auch nicht sozusagen scheibchenweise immer wieder in eine Situation geraten, in der die Menschen ununterbrochen ins Ungewisse gestürzt werden und in der aus einer Unternehmenskultur eine Unkultur zu werden droht.
Dann ist es Aufgabe der Politik, gelegentlich zu sagen, was geht und was nicht geht. Wir können keine Autos bauen, wir können keine Milliarden in einen defizitären Betrieb werfen; aber wir können deutlich sagen, wie wir uns vorstellen, wie in Deutschland Unternehmen, Arbeitnehmer, Gewerkschaften, Betriebsrat und Politik zusammenarbeiten. Das haben wir in vielen Fällen erfolgreich bewiesen, und das werden wir auch wieder tun. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Debatte ist eine gute Gelegenheit, eine Gemeinsamkeit zu demonstrieren, die über den Tag hinaus und im Parteienstaat wichtig ist. Auch die Landesregierung empfindet uneingeschränkte Freude über die Freilassung des hessischen Bürgers Deniz
Yücel. Das eint uns hier, und das ist ein Grund zu ungetrübter Freude für ihn, für seine Familie, aber auch für uns.
Die Debatte hat gezeigt: Damit können wir es nicht bewendet sein lassen. So verstehe ich auch den Antrag und die Beiträge. Es ist gesagt worden – Herr Kollege Schalauske hat darauf hingewiesen –, am gleichen Tag, als Deniz Yücel freikam, sind drei Journalisten in der Türkei zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Die Debatte hat sehr stark Bezug genommen auf Journalisten – zu Recht. Aber ich will nicht vergessen: Seit dem Putsch in der Türkei sind Hunderttausende diesem Regime im Sinne des Wortes zum Opfer gefallen. Man hat sie enteignet. Man hat sie ohne jedes Gerichtsverfahren eingesperrt. Es sind viele Tausende von Lehrern. Es sind viele Hochschulprofessoren. Es sind viele Künstler. Aber es sind auch viele sogenannte ganz einfache Bürgerinnen und Bürger, die sich vermeintlich in irgendeiner Art und Weise schuldig gemacht haben und die wie in jeder Diktatur das Opfer des Klimas der Angst sind, der Denunziation, der Feigheit. Es sind die Namenlosen, an die ich heute erinnern will. Es sind Hunderttausende.
Es sind viele, die auch hier in Hessen Verwandte haben, Freunde haben. Das Thema ist nicht nur Türkei. Das Thema betrifft uns ganz unmittelbar. Es sind viele Menschen in diesem Land, die türkischstämmig sind. Das, was sich dort abspielt, spaltet auch hier diese Gemeinschaft. Erdogan hat es geschafft, nicht nur in seinem Land ein Klima der Angst, der Einschüchterung zu schaffen, sondern er transportiert es auch nach Deutschland, auch nach Hessen.
Jeder, die die Szene ein wenig kennt, weiß, es ist heute nahezu unmöglich, mit türkischstämmigen Familien eine offene Diskussion zu führen, ohne dass der Hinweis kommt: Wir bitten Sie, wir möchten uns dazu nicht äußern.
Dieses Klima der Angst ist das Fundament jeglicher Despotie. Ob das nun Autokraten sind, ob es Despoten sind oder Diktatoren – eines sind sie auf gar keinen Fall, die jetzt dort die Macht haben. Sie sind keine Demokraten, wie wir uns das wünschen.
Wer es schafft, dass z. B. Unterstützer einer Schule in Hessen diese Schule nicht mehr unterstützen mit dem Vorwurf, sie unterstütze die falschen Seite, wer es schafft, dass Einrichtungen geschlossen werden müssen, der hat ein gefährliches Werk betrieben.
Ich bin mit vielem, was hier gesagt wurde, ganz einig. Aber wir müssen den Dingen ins Auge sehen. Die Freude über die Freilassung ist für uns alle immer auch Verpflichtung, nicht die zu vergessen, die noch unter diesem Regime leiden.
Meine Damen und Herren, vor knapp einer Woche haben wir den Hessischen Friedenspreis an Carla del Ponte verliehen. Die Grundbotschaft all derer, die dort gesprochen haben, und auch der Grund, warum wir ihr den Friedenspreis verliehen haben, war das unbeugsame Eintreten für die Grundregeln der Menschenrechte und des internationalen Rechts. Nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts – darum geht es. Das ist hochaktuell, und es ist eine gute Gelegenheit, dass wir uns daran immer wieder erinnern.
Dann stellt sich die spannende Frage: Was heißt das in der Umsetzung vom Festvortrag zur praktischen Politik? Wie gehen wir um mit denen, die das Recht des Stärkeren und nicht die Stärke des Rechts in den Vordergrund stellen?
Erinnern Sie sich noch an den Spruch, den der Bundesaußenminister oder damals noch Bundeswirtschaftsminister – ich weiß es nicht mehr – sich in der Türkei durch den türkischen Staatspräsidenten anhören musste: „Wer bist du, dass du sprichst mit dem Präsidenten der Türkei?“ Das Revival des Führerkults greift in dieser Welt überall Platz nach dem Motto „starke Männer“, „Einigkeit“, „diese komischen Paragrafen weg“. So sind dann die Antworten bei dem Krieg in Afrin. Da wird plötzlich alles zur Terrorabwehr. Jeder, der nicht mehr in dieses System passt, ist nicht Mitbewerber, ist auch nicht Gegner, sondern der wird zum Feind erklärt. Genau das ist die Melodie, bei der wir keinen Millimeter nachgeben dürfen.
Dann stellt sich die Frage: Wie geht man mit den Potentaten dieser Welt um? – In der UNO sind zwei Drittel der Länder keine Demokratien, wie wir sie uns vorstellen. Trotzdem müssen wir irgendwie mit ihnen umgehen.
Herr Kollege Schalauske, ich bitte Sie, sich noch einmal deutlich zu überlegen, ob das klug war. Meine Antwort ist: Ich halte das nicht für klug. – Ich jedenfalls kenne die einzelnen Umstände, die für die Freilassung des Herrn Yücel notwendig waren, nicht. Ich habe größten Respekt vor den Leistungen derer, die dafür gesorgt haben, dass er freigelassen wurde. Ich habe Vertrauen in unser Land und in diejenigen, die dafür Verantwortung tragen, dass sie sich sehr sorgfältig überlegt haben, was zu tun ist, was man tun kann und was man unterlassen muss.
Das ist kein Thema, das uns allein betrifft. Wenn Sie sich zurzeit einmal in der Welt umschauen, dann sehen Sie, dass es neben Australien noch viele andere Länder gibt, die es immer wieder mit denselben Herausforderungen zu tun haben.
Ich war 1987 zum ersten Mal in Regierungsverantwortung und erbte gleich einen Fall mit zwei Geiseln aus Hessen, die in West-Beirut von der Hisbollah festgesetzt worden waren. Sie wollten einen Mörder freipressen.
Das hat mich immer wieder sehr beschäftigt, nicht nur von Amts wegen. Ich habe viel gelernt. Deshalb weiß ich, dass es da keine einfachen Antworten gibt. Deshalb sollten wir auch und gerade als Mitglieder des hessischen Parlaments Zurückhaltung üben, wenn wir die Arbeit beurteilen, die dort geleistet wird, ob es die des Bundesaußenministers, der Kanzlerin oder von wem auch immer ist.
Mein Vertrauen gilt uneingeschränkt denen, die diese Arbeit geleistet haben. Ich freue mich nicht nur über seine Freiheit, sondern ich habe auch Vertrauen in die kluge und aus meiner Sicht uneingeschränkt gesetzmäßige Haltung der Bundesregierung in dieser Frage.
Ich will eine letzte Bemerkung machen. Herr Kollege Schalauske, Sie haben geschrieben, wir sollten mehr tun. Ich habe den Brief heute gesehen. Sie haben an Frau Kolle
gin Puttrich geschrieben. Sie hat Ihnen geantwortet. Das ist die Brücke zu dem, was Herr Kollege Utter und andere gesagt haben.
Ja, auch Herr Kollege Rock. – Wir wollen zwischen den Menschen und dem System unterscheiden. Wir wollen Freunde der Türkei sein. Die vorhergehende Landesregierung hat insbesondere auf starkes Betreiben des Kollegen Hahn als erste in Deutschland eine Partnerschaft mit einer türkischen Region geschlossen, und zwar mit Bursa.
Das führen wir fort und erfüllen es mit Leben. Deswegen war Kollegin Puttrich zweimal dort, obwohl sie jedes Mal ausgeladen wurde. Sie ist trotzdem hingefahren.
Ganz nebenbei will ich sagen: Der uns allen bekannte damalige Gouverneur sitzt bis heute ein. Ich bekomme regelmäßig keine Antwort von der Türkei. Aber nicht nur er, auch sein Stellvertreter und diejenigen, die uns dort betreut haben, sind uns nicht egal. Ich hänge das nicht jeden Tag an die große Glocke. Aber wir lassen da nicht nach.
Wir sind dorthin gefahren. Wir haben die Vertreter aller Parteien eingeladen, auch die der HDP. Das wissen Sie. Sie konnten nicht kommen, oder wir haben sie nicht erreicht.
In einem sollten wir uns einig sein: Wir tun alles, was wir können. Manches muss man nicht an die große Glocke hängen. Wenn es um die Frage der Beobachtung des Prozesses geht, der jetzt stattfindet, dann muss ich sagen, dass ich das, was Frau Kollegin Puttrich gemacht hat, für richtig halte. Sie hat sich mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt. Darauf legen wir größten Wert.
Es geht da um einen türkischen Staatsbürger. Wenn das Auswärtige Amt sagt: „Wir konzentrieren uns bei der Frage der Prozessbeobachtung und Ähnlichem zunächst einmal auf die deutschen Staatsbürger, die dort sind“, dann vermag ich das nicht zu kritisieren. Das ist kein Weniger an Einlassen für Freiheit auch für ihn, auch wenn er nicht deutscher Staatsbürger ist.
Ich lege schon Wert darauf, dass sich die Hessische Landesregierung bei diesen Fragen im Einklang mit der Bundesregierung und insbesondere mit dem Bundesaußenministerium verhält. Denn ich glaube, für unser Anliegen sowohl in Bursa wie für Deutschland insgesamt ist es klug, dass wir dort keine Wege gehen, die nicht abgestimmt sind. Wir können das alleine nicht besser als die Bundesrepublik Deutschland in Summe beurteilen.
Deshalb bitte ich Sie, überlegen Sie sich noch einmal, ob die diesbezüglichen Überlegungen und Vorwürfe gerechtfertigt sind. Ich halte sie nicht für gerechtfertigt.
Wir werden an drei Dingen festhalten. Wir werden versuchen, unsere Partnerschaft am Leben zu erhalten, so gut uns das diese Despotie dort möglich macht.
Das ist mir wichtig. Zweitens werden wir die Gespräche auch mit denen führen, die die demokratischen Grundüberzeugungen mit Füßen treten.
Wir werden aber nicht zuletzt wegen derjenigen, die hier leben und deren Herz ein gutes Stück in der alten Heimat oder bei ihren Vorfahren ist, die sich der Türkei emotional sehr verbunden fühlen, etwas sagen müssen. Teilweise geht der Riss mitten durch die Familien hinsichtlich der Frage, wie man mit solchen Verhältnissen umgehen soll.
Wir müssen denjenigen klar sagen: Wir können verstehen, dass euch das zerreißt. Aber ihr müsst verstehen: In Deutschland kann es kein Pardon für Diktatur, Unfreiheit und Missachtung der Menschenrechte geben. Das ist es, was in diesem Land die Gesellschaft beieinanderhält.
Wir können Gespräche führen. Wir werden aber nicht klein beigeben. Wir werden das Unrecht beim Namen nennen. Das zeichnet Demokraten aus. – Vielen Dank.
Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! Ich bin dankbar für die Debatte – nicht für jeden Beitrag, aber dass wir Gelegenheit haben, darüber zu sprechen, wie unser Hessen aussieht.
Man kann es gar nicht oft genug sagen: Bei jeder Umfrage sagen weit über 90 % unserer Bürgerinnen und Bürger, sie leben gerne in Hessen – das ist schon einmal gut –, und, was noch viel wichtiger ist, über 90 % antworten mit Ja auf die Frage, ob sie glauben, dass ihre persönliche Zukunft in diesem Land gut sein wird. Das ist eine Zukunftserwartung, und das ist ein Zustandsbericht, der dem entspricht, wie Hessen ist – und das ist ein ganzes Stück anders, als wir es hier eben gehört haben.
Meine Damen und Herren, ich verstehe es ja: Wenn eine Regierung handelt, dann ist Ihre einzige Antwort, das sei Wahlkampf. Wenn wir etwas Gutes tun, dann sind Sie selten in der Lage, das anzuerkennen – ich komme gleich noch einmal darauf zurück. Aber eines vorweg: Glauben
Sie, das Schlechtreden und Miesmachen hilft irgendjemandem in diesem Lande? Das kann doch kein Mensch mehr hören.
Die Menschen möchten von uns hören: Wie sind eure Vorstellungen für unsere Zukunft? – Das kann man auf 137 Seiten genau nachlesen. Wir haben eine Menge gemacht.
Ich will und kann aus Zeitgründen diese 137 Seiten nicht durcharbeiten. Aber ein paar Bemerkungen seien mir schon gestattet. Wir wissen doch alle, dass wir in einer Zeit rasantesten Umbruchs leben. Der Ausgangspunkt war zunächst die demografische Entwicklung, richtig. Es tritt aber doch eine Menge hinzu. Wir haben eine Revolution der Kommunikation. Wir haben zum Teil eine Revolution in den Arbeitsprozessen: Industrie 4.0, Handwerk 4.0. Das sind alles Stichworte, die uns beschäftigen.
Die spannende Frage ist: Haben wir Ideen, wie wir das erfolgreich gestalten, oder nehmen wir uns gemeinsam zurück? – Diese Regierung hat in der Vergangenheit gehandelt. Sie handelt in der Gegenwart, und unser ganzes Ziel ist, dass wir auch in der Zukunft so handeln, dass die Menschen nicht nur heute gerne in Hessen leben, sondern dass sie auch in zehn oder zwanzig Jahren gut und gerne in Hessen leben. Darum muss es doch gehen.
Deshalb ist es durchaus in Ordnung, zu schauen, was wir schon alles gemacht haben. Es ist oft bemüht worden: Ja, natürlich, diese Region ist eine starke Region. Die Zahl der Menschen, die gemeinhin im ländlichen Raum verortet sind, kann man unterschiedlich messen. Die einen sagen, der ländliche Raum sind 85 % von Hessen, je nachdem, welche Maßstäbe man anlegt. Aber man wird sicherlich sagen können, dass es mindestens 60 % sind, und es sind mindestens 25 bis 30 % der Bevölkerung. Wenn man es in einem größeren Rahmen sieht, ist es fast die Hälfte der Bevölkerung.
Da geht es also nicht um abgehängte Gebiete, nicht um Expeditionen in ferne Länder, sondern das ist das, was uns Hessen ausmacht.
Meine Erfahrung und auch Ihre, wenn Sie ehrlich sind, ist doch: Die Menschen, um die es dort geht, sind sehr selbstbewusst. Die brauchen keine Tüdelei von denen, die aus dem Zentrum kommen und ihnen erklären, wie das Leben geführt wird. Nein, sie haben Anspruch darauf, dass ihre Zukunft so gestaltet wird, dass sie zu Hause eine gute Zukunft haben. Genau darum geht es, und deshalb nennen wir das auch Offensive für den ländlichen Raum, „Heimat Hessen“.