Protokoll der Sitzung vom 04.02.2016

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Sitzung und begrüße Sie alle, nachdem jetzt die letzten Schlipse aus den Zwanzigerjahren abgeschnitten wurden.

(Heiterkeit – Abgeschnittene Krawatten hängen vor den Sitzen der Abgeordneten.)

Ich bin auch schon darauf hingewiesen worden, dass solche Demonstrationen im Plenarsaal, gerade von weiblicher Seite aus, eigentlich nicht zulässig sind.

(Günter Rudolph (SPD): Jawohl!)

Wir lassen das heute einmal auf sich beruhen. Demnächst hängen die Männer hier ihre T-Shirts auf. Irgendetwas machen wir auch einmal – um nicht noch mehr anzukündigen.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass die Stimmung so gut ist, und hoffe, dass sie auch so bleiben möge. Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Wir haben noch einige offene Punkte. Es ist heute überschaubar. Offen sind die Punkte 5, 10, 11, 13 bis 36, 38, 39, 41 bis 44, 46, 52 bis 56 und 59.

Der Dringliche Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend eine umweltfreundliche Kaliproduktion ist möglich – Hessen muss seine Wirtschaftspolitik zulasten unserer Umwelt und anderer Bundesländer korrigieren, Drucks. 19/3103, ist eingegangen und verteilt. – Die Dringlichkeit wird allseits bejaht. Dann wird er Tagesordnungspunkt 63 und kann nach der Aktuellen Stunde, nach Tagesordnungspunkt 55, aufgerufen und ohne Aussprache abgestimmt werden. Es geht nur so, anders geht es heute nicht – fertig.

Zum Ablauf der Sitzung. Wir tagen heute bis 18 Uhr und machen eine Mittagspause von einer Stunde. Zuerst kommen die Aktuellen Stunden. Die ersten beiden sind unter den Tagesordnungspunkten 52 und 54 zusammengefasst. Die Redezeit beträgt 7,5 Minuten. Nach den Aktuellen Stunden geht es mit Tagesordnungspunkt 46 weiter.

Es fehlen heute entschuldigt der Herr Ministerpräsident ab 17 Uhr, Frau Staatsministerin Puttrich bis 10 Uhr. Es fehlen ganztägig die Abg. Dr. Ulrich Wilken, Wolfgang Greilich, Jürgen Banzer und Ursula Hammann. Gibt es sonst noch Entschuldigungen? – Das ist nicht der Fall.

Heute sind den ganzen Tag Wikipedia-Fotografen und -Autoren im Hessischen Landtag, um kostenlos Fotos der Abgeordneten zu erstellen bzw. zu aktualisieren. Das kennen Sie alle. Sie finden die Fotografen und Autoren in den Räumen 121 M und 122 M bis ca. 18:15 Uhr.

Es gibt heute zwei Geburtstage im Hause. Ich gratuliere zunächst Frau Abg. Handan Özgüven. Wir haben jetzt noch keine Blumen da, die kommen wegen Weiberfastnacht etwas später.

(Heiterkeit)

Sie bekommen jetzt erst einmal eine Flasche Wein. Wenn Sie den nicht selbst trinken, können Sie ihn mir geben, irgendeiner wird den Wein schon trinken. Alles Gute zu Ihrem Geburtstag.

(Allgemeiner Beifall – Vizepräsident Frank Lortz überreicht eine Flasche Wein.)

Unser Freund, Abg. Ernst Ewald Roth, hat heute ebenfalls Geburtstag. Wir gratulieren ihm ganz herzlich. Alles Gute.

(Allgemeiner Beifall – Vizepräsident Frank Lortz überreicht eine Flasche Wein.)

Hat noch jemand Geburtstag? Nein. – Gut, dann sind wir am Ende der amtlichen Mitteilungen und können in die Tagesordnung einsteigen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 52 auf:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend eine Aktuelle Stunde (Hessens Bürgerinnen und Bürger zeigen klare Haltung gegen rechts) – Drucks. 19/3086 –

zusammen mit Tagesordnungspunkt 54:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde (AfD befürwortet Waf- fengewalt gegen Flüchtlinge – rechter Hetze auch in Hessen entschieden entgegentreten) – Drucks. 19/3088 –

Redezeit: 7,5 Minuten. Es beginnt der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Anlass für diese Aktuelle Stunde ist der Aufmarsch der Neonazis in Büdingen ausgerechnet zum Jahrestag der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten am 30. Januar – oder vielmehr der große Bürgerprotest dagegen. Deswegen haben wir die Überschrift „Hessens Bürgerinnen und Bürger zeigen klare Haltung gegen rechts“ gewählt.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und der FDP sowie bei Abge- ordneten der CDU und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Nach Medienberichten standen 150 Ewiggestrigen zehnmal mehr Demokratinnen und Demokraten gegenüber. Das war ein gutes und richtiges Signal. Denn auch heute ist offensichtlich der Schoß noch fruchtbar, aus dem der menschenverachtende Ungeist der Naziideologie kroch. Auch heute gilt der Anspruch „keinen Fußbreit den Faschisten in Deutschland“.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und der FDP sowie bei Abge- ordneten der CDU und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Deshalb danken wir den Bürgerinnen und Bürgern, die sich dem Aufmarsch der Rechten engagiert entgegengestellt haben, die weder eine schweigende Mehrheit noch eine qualifizierte Minderheit hinter sich haben.

Wir danken der Versammlungsbehörde, der es gelungen ist, eine Verbotsverfügung zu erlassen, um den Fackelzug zu unterbinden, die auch vor dem Bundesverfassungsgericht standgehalten und damit ein martialisches Auftreten der Neonazis verhindert hat. Herzlichen Dank dafür.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und der FDP sowie bei Abge- ordneten der CDU und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Man kann nur hoffen, dass die Hetzreden, die an diesem Tag gehalten wurden, auch noch ein juristisches Nachspiel haben und konsequent verfolgt werden.

Die konsequente Verfolgung ist auch die notwendige Antwort auf das deutliche Ansteigen von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte. Die Schüsse in Dreieich, die Handgranate in Villingen-Schwenningen haben uns schockiert und zeigen, welche Gewaltbereitschaft es inzwischen zumindest bei einer Gruppe von Menschen in unserem Land gibt.

Mindestens 16 Sprengstoffanschläge auf Flüchtlingseinrichtungen in Deutschland im Jahr 2015 – so das vorläufige Fazit des Bundeskriminalamts am heutigen Morgen –, das ist Rechtsterrorismus, der auch als Rechtsterrorismus bekämpft werden muss.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und der FDP sowie bei Abge- ordneten der CDU und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Ich will auch daran erinnern, dass es erst im Jahr 2011 war, als der Terror des NSU öffentlich wurde. Damals haben die staatlichen Sicherheitsbehörden versagt, und wir müssen alles dafür tun, damit sich das nicht wiederholt.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und der FDP sowie bei Abge- ordneten der CDU und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir heute über die politische Rechte reden, dann müssen wir aber auch über die geistigen Brandstifter reden, und dann können wir zur AfD nicht schweigen.

(Beifall des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Ich will die AfD nicht mit Neonazis in einen Topf werfen. Aber sie sind Rechtsradikale in Nadelstreifen, die ebenfalls unsere Demokratie gefährden.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und der FDP sowie bei Abge- ordneten der CDU und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Die Umfragewerte dieser Partei sind für uns ein Alarmsignal, auch weil sie immer offener rechtsradikal werden. Wenn Frau Petry und Frau von Storch über Schüsse auf Flüchtlinge fabulieren, ist nicht nur eine Geschmacksgrenze überschritten, sondern dann stellen sie den überragenden Verfassungsgrundsatz der Menschenwürde infrage, dann stellen sie den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit infrage. Es ist eine schlicht perverse Vorstellung, Flüchtlinge, die vor Krieg, Hunger und Elend fliehen, als Angreifer auf unseren Staat darzustellen, auf die man schießen dürfe.

(Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Das ist so weit von jedem rechtsstaatlichen Empfinden, aber auch so weit von jeder menschlichen Regung entfernt, dass man dafür nur tiefste Verachtung empfinden kann. Die AfD zeigt damit das Gesicht der Unmenschlichkeit. Das muss man mit aller Klarheit sagen, statt sich auf Debatten über eine angebliche Ultima Ratio oder mögliche oder unmögliche gesetzliche Grundlagen einzulassen.

An dieser Stelle will ich ausdrücklich dem Ministerpräsidenten für seine klaren, eindeutigen und auch richtigen Worte danken, die er am Dienstag ausgesprochen hat – wenngleich ich mir gewünscht hätte, dass sie ein paar Tage früher gekommen wären.

(Beifall bei der SPD – Manfred Pentz (CDU): Immer das Gleiche!)

Das ist nicht immer das Gleiche. Es war schon auffällig, dass einige länger gebraucht haben als andere.

Damit komme ich aber auch zu der Frage, wie viel politischer Diskurs mit der AfD möglich ist. Dazu hatten wir in den vergangenen Tagen aus meiner Sicht eine schräge Debatte im Land. Jeder hat das Recht, zu sagen: „Mit Leuten, die solche menschenverachtenden Positionen vertreten, setze ich mich nicht an einen Tisch“ – egal ob vor der Fernsehkamera oder nicht. Wie gesagt: Dazu verlange ich keine generelle Regelung, würde aber auch niemandem Vorschriften machen. Aber jede und jeder hat das Recht, da eine eigene Entscheidung zu treffen.

(Beifall bei der SPD)

Natürlich darf man die AfD in Talkrunden einladen – zumal das eine freie und unabhängige Entscheidung von Sendern und Redaktionen ist. Aber es ist auch nicht falsch, festzustellen, dass einige der vermeintlichen Groß-Talker dabei gescheitert sind, die AfD zu demaskieren und ihr beizukommen.

Ich will ausdrücklich unterstreichen: Das liegt vor allem daran, dass Vertreter dieser Partei nicht diskursfähig sind. Sie sind so in ihrer engen, armseligen Welt von Vorurteilen, Hass und Minderwertigkeitskomplexen gefangen, dass mit ihnen eine vernünftige Diskussion gar nicht möglich ist. Ich frage mich allen Ernstes: Was muss das für ein trauriges Leben sein, das Leute dazu bringt, so sehr zu hassen?