Protokoll der Sitzung vom 23.11.2017

Deshalb ist es, wenn ich auf die beiden Aktuellen Stunden der LINKEN und der FDP eingehen darf, vielleicht zu kurz gesprungen, Herr Lenders, wenn wir sagen: Diese Entscheidung von Siemens hat etwas mit dem Industriestandort Hessen zu tun. – Ich will drei äußere Faktoren in Hessen nennen. Beim Breitbandausbau ist Hessen auf Platz 3 der Flächenländer vor Bayern und vor Baden-Württemberg.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Ich nenne den Straßenbau, die Investitionen in die Infrastruktur. Ich glaube, wir haben es gestern oder vorgestern im Rahmen der Regierungserklärung hier diskutiert. Das nimmt in den Jahren 2018 und 2019 Rekordsummen an.

Als Drittes und Letztes nenne ich das Beispiel Forschung und Entwicklung. Da sind wir mit den hessischen Unternehmen bei 2,15 % in der Spitzengruppe neben einer hervorragend aufgestellten universitären Landschaft.

Dass das am Standort Hessen von Erfolg geprägt ist, zeigen auch die Indikatoren: Produktivität – Platz 1 aller Flächenländer der Bundesrepublik. Gründerquote – Platz 3 nach Hamburg und Berlin, also auch hier Platz 1 aller Flächenländer. Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte – im August war es ein Höchststand, der Rekord seit 25 Jahren mit über 2,5 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und demgemäß einer niedrigen Arbeitslosenquote von 4,8 %, wie sie letztmals vor 25 Jahren gemessen wurde.

Es ist richtig: Wir haben im Frühjahr schon einmal eine Diskussion geführt, dass wir als Landesregierung, als Land Hessen uns auf diesen Lorbeeren nicht ausruhen können, ganz im Gegenteil.

Wir haben seinerzeit über den Innovationsindex diskutiert. Ich erinnere mich an die Abschiedsrede von Florian Rentsch. Natürlich ist dies kompliziert und anspruchsvoll. Wir sind von Platz 7 auf Platz 10 abgerutscht. Das wird niemanden mehr ärgern als uns in der Landesregierung. Deshalb ist es Ansporn, an diesen Stellen weiterzuarbeiten.

Aber alle diese Faktoren, Herr Lenders, sind mit Sicherheit nicht der Grund dafür, dass die Siemens-Vorstandsetage eine Entscheidung getroffen hat,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das stimmt! Die bauen überall in der Welt ab!)

die für uns nicht nachvollziehbar und nicht akzeptabel ist.

Es gibt zum Teil Gründe, die wir nicht beeinflussen können, etwa die Entwicklung in der Kraftwerkssparte im Umfeld der Energiewende; Sie haben davon gesprochen. Richtigerweise muss man aber sagen, dass die Energiewende 2011 stattfand, dass die Entscheidung für den Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland nunmehr sechs Jahre her ist. Da muss ich von einem Unternehmensvorstand erwarten können, dass er sich ausreichend und rechtzeitig mit dem Umbruch, mit dem Strukturwandel beschäftigt.

(Stephan Grüger (SPD): 17 Jahre!)

Ja, aber der proklamierte Ausstieg, der 2011 zur Energiewende führte, ist sechs Jahre her.

Siemens Offenbach ist auf diesem Feld ohnehin nicht unmittelbar betroffen. Gasturbinen und Großkraftwerke sind Anlagen, die nicht nur in Deutschland gebraucht und gebaut werden, sondern die überall in der Welt neu entstehen. Das heißt – darauf wurde hingewiesen –, die Auftragslage am Standort Offenbach, die Überstunden, die die Beschäftigten in den letzten Monaten geleistet haben, weisen eben genau nicht darauf hin, dass es einen Strukturwandel gäbe, der am Standort Offenbach oder in Deutschland diese Entscheidungen notwendig machen würde.

Deshalb sage ich sehr deutlich: Da teilt ein Gesamtkonzern, der eine Bilanz mit einem Milliardengewinn vorlegt und auf ein Rekordniveau zusteuert, zwei Wochen später seinen Beschäftigten mit, dass Standorte geschlossen und zusammengelegt werden. Für den Standort Offenbach bedeutet das die Schließung. Das zeugt davon, dass in diesem Unternehmen wenig Fingerspitzengefühl vorhanden ist und dass von dem Geist von Werner von Siemens offenbar nicht mehr viel übrig geblieben ist, was wir sehr bedauern.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb komme ich zum Anfang meiner Rede zurück. „Für augenblicklichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht.“ Dies sollte auch für DAX-Vorstände gelten. Deshalb appellieren wir an die Vorstände von Siemens in Offenbach und auch bundesweit. Wir unterstützen die Landesregierung in ihrem Bemühen, alles möglich zu machen, damit die Perspektive in Offenbach weiterhin erhalten bleibt.

Ich bin sicher, dass die gut ausgebildeten Kräfte, die Ingenieure natürlich auch an anderer Stelle Beschäftigung finden, auch hier im Rhein-Main-Gebiet. Die Fachkräftesituation gewährt ihnen auf jeden Fall eine Perspektive. Aber das steht heute hier nicht zur Diskussion. Wir erwarten von einem Unternehmen, dass es sich auch in der gesellschaftlichen Situation verantwortlich zeigt.

Insofern Glückauf für Sie und für die Bemühungen der Landesregierung, erfolgreich tätig zu werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Kasseckert. – Ich erteile Frau Kollegin Kinkel für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Bitte sehr, Frau Kollegin.

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsident! Die erste Rede vor dem Parlament ist ja immer etwas Besonderes. Deshalb danke ich der FDP und der LINKEN ausdrücklich für das spannende Thema Siemens in der heutigen Aktuellen Stunde.

Das Management von Siemens hat jahrelang die offensichtliche Trendwende im Kraftwerksbereich versäumt. Es hat versucht, die Energiewende zu ignorieren, und will jetzt auf dem Rücken der Beschäftigten kurzfristig durch Stellenabbau Kosten sparen. Eine nachhaltige Unternehmenspolitik sieht aber in jeglicher Hinsicht anders aus.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der LINKEN)

Dafür aber die Energie- und Klimapolitik der Landesregierung und explizit den Klimaschutzplan als Ursache zu nennen, ist grundfalsch. Angesichts des auch in Hessen immer deutlicher werdenden Klimawandels – steigende Temperaturen, mehr Extremwetterereignisse, häufiger tropische Nächte – ist es mir, ehrlich gesagt, ein Rätsel, weshalb die FDP noch immer nicht eingesehen hat, dass ein schnelles Handeln erforderlich ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Die Hessische Landesregierung setzt deshalb sinnvolle Maßnahmen eben auch im Bereich der Ökonomie um. Beispielsweise fördert die Landesregierung mit rund 12 Millionen € Investitionen kleiner und mittlerer hessischer Unternehmen in Technologien zur Ressourceneffizienz. Gerade die Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie stärkt den Wirtschaftsstandort Hessen, wie es viele Unternehmen in Hessen schon jetzt zeigen. Das aktuellste Beispiel für

die Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie kommt aus Nordhessen. VW hat vorige Woche verkündet, dass dort ein Leitwerk für E-Mobilität entstehen wird, mit einem Invest von insgesamt 1,5 Milliarden €.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Für die FDP ist die schwarz-grüne hessische Regierung offenbar verantwortlich für den weltweiten Stellenabbau von Siemens.

(Heiterkeit der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Meine Damen und Herren, wir sagen zwar immer: „Grün wirkt“, aber dies gilt auch für den hessischen Wirtschaftsminister sicherlich nur bedingt im globalen Sinne.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Leider!)

Erstaunlich ist bei Siemens, dass das Unternehmen eigentlich alle Voraussetzungen hat, um aus der Energiewende als Gewinner hervorzugehen. Know-how in der Kraftwerkssparte ist ja gerade beim Umbau der Energieversorgung gefragt. Bei der dezentralen Energiewende, wie wir GRÜNE sie wollen und wie sie aktuell fortschreitet, sind kleine, dezentrale Kraftwerkslösungen gefragt, aber nicht die herkömmlichen Großkraftwerke. Darauf muss sich das Unternehmen einstellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Stephan Grüger (SPD))

In einem offenen Brief an die Jamaikaparteien forderte Siemens übrigens vor Kurzem den Kohleausstieg und die Einhaltung der Klimaziele – und damit eben auch den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien.

Der Standort Offenbach hat für Siemens viele Vorteile, nicht nur das Know-how der Beschäftigten, sondern gerade auch die Anbindung und die Infrastruktur im Rhein-MainGebiet. Deshalb wird der Wirtschaftsminister das Gespräch mit Siemens suchen, auch mit den Beschäftigten und der Gewerkschaft, damit eine Zusammenlegung beider Standorte möglichst nicht zulasten von Offenbach und nicht zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Überhaupt ist klar, dass eine Veränderung bei Siemens, die sicherlich notwendig ist, nur gemeinsam mit den Beschäftigten geht und nicht ohne sie. Der Weg des Managements, Stellenstreichungen über Videokonferenzen oder Webcasts bekannt zu geben, mag zwar im Sinne der Digitalisierung sein, ist aber absolut nicht nachvollziehbar und rücksichtslos gegenüber den Beschäftigten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Was Siemens übrigens viel mehr helfen würde als diese Aktuelle Stunde, sehr geehrte Kollegen von der FDP, wäre ein Jamaikabündnis,

(Zuruf von der SPD: Ach Gottchen! – Zuruf des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

in dem hinsichtlich der Energiewende zwar Kompromisse geschlossen würden – das Thema hatten wir gerade –, mit dem aber auch ein Kohleausstieg festgelegt werden könnte.

(Zuruf des Abg. Jürgen Lenders (FDP) – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Dann würden nämlich auch Gaskraftwerke wieder eine Rolle spielen. Stattdessen hat die FDP die Sondierung abgebrochen. Damit trägt sie aber auch einen Teil der Schuld, wenn sich jetzt die Planungsunsicherheit nicht nur bei Siemens, sondern auch hinsichtlich vieler anderer Industriearbeitsplätze noch verschärft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie uns deshalb im Sinne der über 700 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemeinsam für den Standort Offenbach eintreten; denn die Beschäftigten sind am Ende die Leidtragenden der langjährigen Versäumnisse des Managements.

Vor diesem Hintergrund ist eine Veränderung bei Siemens dringend notwendig, damit auch die Kraftwerkssparte von Siemens endlich einen Beitrag zum Klimaschutz und zur Energiewende leistet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Kinkel. Meine Damen und Herren, das war die erste Rede von Frau Abg. Kinkel in diesem Hause. Herzlichen Glückwunsch dazu.

(Allgemeiner Beifall)