Protokoll der Sitzung vom 24.11.2017

Wir brauchen weitere Anstrengungen, das ist völlig unbestritten. Wir können mit Sicherheit auch noch an der einen oder anderen Stelle etwas optimieren. Aber auf dem richtigen Weg sind wir auf jeden Fall unterwegs. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Abg. Schäfer-Gümbel für die SPDFraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich in dieser Debatte noch einmal zu Wort gemeldet, als Herr Kollege Wagner von einem „Zerrbild“ sprach, das die Opposition hier angesichts der Großen Anfrage zeichne.

(Günter Rudolph (SPD): Das ist ein Textbaustein!)

Danach hat der Minister von einer „Jagd“ nach dem Gesamtkonzept gesprochen, bei der andere Bundesländer nach Hessen schauen würden und völlig begeistert von dem seien, was hier passiere – das sei einmalig.

(Demonstrativer Beifall des Abg. Michael Bodden- berg (CDU) – Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Vorsicht. Sie sollten abwarten, was noch kommt.

(Michael Boddenberg (CDU): Ich weiß ja, was kommt!)

Ich glaube nicht, dass Sie wissen, was noch kommt. Es wird heute vielleicht für Sie überraschend.

(Michael Boddenberg (CDU): Nur zu!)

Was Sie hier tun, ist einmalig. Sie wollen die Flüchtlinge schnell integrieren.

Herr Wagner ist an einer Stelle am Ende ein bisschen vorsichtiger geworden. Er hat gesagt, man sei nicht perfekt. Ich will das deswegen anführen, weil Sie natürlich wissen, dass Sie sich hinter der Statistik nicht verstecken können. Ich will auch aus einem sehr persönlichen Grund heute in dieser Debatte das Wort ergreifen. Der eine oder andere weiß, dass meine Frau seit zweieinhalb Jahren Vormund eines Flüchtlingsjungen ist, der das System durchlaufen hat. Ich habe insofern einen sehr persönlichen Blick auf das, was dort passiert und was dort nicht passiert.

Ich muss Ihnen sagen: Ich ertrage gerade im Zusammenhang mit diesem Konzept diese Sprechblasen nicht mehr. Dabei teile ich alles, was zu dem überbordenden Engagement vieler Lehrerinnen und Lehrer gesagt wurde, ohne die das nicht funktionieren würde. Das ist eine besondere Situation, in der wir gemeinsam versucht haben, Strukturen zu bilden. Wir werden aber mit Ihren Statistiken nicht abbilden können, um was es geht.

Herr Kollege Wagner hat dann erklärt, das ginge nach dem Motto: alte Schlacht, schulische Warteschleifen und das Superprogramm „Wirtschaft integriert“. Er sagte, die Sprachförderung sei super, die Ein-Drittel-Quote sei großartig, und 27 Jahre sei der falsche Zugang.

Warum haben wir z. B. über die 27 Jahre geredet? Es geht da um den Zugang über 27 Jahre in diese Systeme. Wir haben darüber geredet, weil es junge Erwachsene gibt, die schlicht und einfach nicht mit 14 Jahren oder mit 16 Jahren hierhergekommen sind.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen muss man vielleicht Systeme bauen, bei denen man später anfangen kann. Ich erinnere mich gut daran, wie wir diese Frage mit dem Ministerpräsidenten – –

(Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Wagner, jetzt rede ich. Sie können nachher gerne nach vorne kommen. Sie sind herzlich eingeladen. Sie wissen, ich nehme mir in dieser Woche jede Zeit, die Sie brauchen.

Als es um die Frage der 27 Jahre ging, haben wir in den ersten Gesprächen mit dem Ministerpräsidenten immer einen zentralen Konflikt gehabt. Er hat sich immer dagegen ausgesprochen. Er hat gesagt, er würde nicht sehen, wie wir die Ressourcenfrage lösen könnten. Dieses Argument nehme ich ernst.

Trotzdem gibt es viele, die bei der jetzigen Systematik durchfallen. Deswegen ertrage ich dieses Statistikgelaber nicht mehr. Ich kann es wirklich nicht mehr hören. Denn Sie ignorieren, dass Menschen mit dieser Statistik nicht abgebildet werden. Sie können Ihrer eigenen Propaganda glauben.

Herr Minister, hinsichtlich der Sprachförderung erlebe ich gerade bei dem Programm „Wirtschaft integriert“, dass mir in vielen Handwerksbetrieben vor Ort gesagt wird, dass angesichts der Kürze der Ausbildung bei InteA die entsprechenden Sprachqualifikationen nicht erreicht werden könnten. Dafür gibt es nicht wirklich eine Lösung.

Ich glaube, dass man da nicht einfach irgendwelche institutionellen Lösungen backen kann. Ich bin gerne bereit, mit Ihnen weiterhin darüber zu reden, welches die möglichen Antworten und Lösungen sein können. Aber ich bitte sehr darum, dass dieses Verstecken hinter der Statistik, die besagt, was Sie alles erreicht haben, gerade angesichts der Situation, in der viele durch das Raster fallen – –

(Zuruf)

Genau. Herr Bocklet, wie viele fallen durch? Wir reden hier über einzelne Menschen. Ich will dafür sensibilisieren. Herr Bocklet, Sie brauchen nicht abzuwinken. Ich will nur dafür sensibilisieren, dass Sie sich nicht hinter Ihrer Statistik verstecken sollen. Angesichts der Großen Anfrage, die wir eingebracht haben, geht es nicht darum, Zerrbilder zu zeichnen. Vielmehr sollte darauf hingewiesen werden, dass es eine ziemlich große Aufgabe gibt. Sie kann mit den Instrumenten, die wir im Moment einsetzen, nicht gelöst werden.

(Beifall bei der SPD)

Einverstanden, wir sind auf einem guten Weg. Aber es muss mehr kommen. Die Frage, welche Antworten möglicherweise besser sein könnten, wird sich wahrscheinlich nicht allein dadurch beantworten lassen, dass Sie hier Statistik nach Statistik vortragen, die aber am Ende nicht aufzeigen, dass ganz viele durch das Raster fallen.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das behaupten Sie!)

Herr Wagner, ich kann Ihnen das belegen. Ich kann es Ihnen belegen, weil ich ziemlich viele von denen kenne.

Die Frage der Integration wird mit Ihrer Statistik nicht gelöst werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Damit ist die Antwort auf die Große Anfrage besprochen.

Wir können deshalb zu Tagesordnungspunkt 80 kommen:

Dringlicher Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Abschaffung des Paragrafen 219a StGB – Drucks. 19/5455 –

Die Redezeit beträgt fünf Minuten je Fraktion. Frau Kollegin Schott hat das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Heute Morgen stand in Gießen eine Frauenärztin vor Gericht, weil sie Frauen die Möglichkeit gibt, sich über einen Schwangerschaftsabbruch zu informieren. Auf ihrer Webseite kann man ein Formular aufrufen, mit dem man dann Informationen per E-Mail anfordern kann. Schon das wird als strafbar angesehen.

Ich möchte Ihnen das einmal zeigen.

(Die Rednerin hält ein Blatt Papier hoch.)

Das ist der Screenshot der Homepage. Herr Dr. Bartelt, Sie können gerne noch einmal einen Blick darauf werfen. Darauf steht nichts anderes als: Familienplanung, Schwangerschaftsfeststellung, Fehlgeburt/missed abortion und Schwangerschaftsabbruch. Man kann dann auf eine Seite weitergeleitet werden, auf der man per E-Mail eine Information anfordern kann. Das sind die Fakten.

(Zuruf)

Wenn Sie „falsch“ sagen, dann sagen Sie anschließend das Gegenteil.

(Dr. Ralf-Norbert Bartelt (CDU): Das ist unvollständig! Das ist falsch!)

Es gibt im Strafgesetzbuch immer noch den § 219a. Er stellt unter Strafe, wenn jemand wegen eines Vermögensvorteils Werbung für Schwangerschaftsabbrüche macht. Das will doch niemand haben. Das darf man auch nicht.

Die Frage ist doch: Was muss möglich sein? – Um sich im Sinne dieses Paragrafen strafbar zu machen, soll angeblich schon die Auflistung des Schwangerschaftsabbruchs als eine medizinische Dienstleistung des Arztes oder einer Klinik genügen. Da der Abbruch von der Krankenkasse oder der Patientin bezahlt wird, sieht die herrschende juristische Meinung die Voraussetzung des Vermögensvorteils als gegeben an.

Ungewollt schwangere Frauen können sich daher im Internet nicht darüber informieren, welche Ärztinnen oder Ärzte in ihrer Nähe einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Ihr Recht auf freie Arztwahl wird praktisch komplett ausgehebelt.

(Beifall der Abg. Janine Wissler und Dr. Ulrich Wil- ken (DIE LINKE))

Sie können einmal versuchen, das im Internet einzugeben. Wenn Sie einen Frauenarzt oder eine Frauenärztin suchen, der oder die einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt, werden Sie ihn oder sie nicht finden. Das heißt, sie sind als Frau komplett auf sich gestellt – oder haben die Hoffnung, von einer Beratungsstelle informiert zu werden.

Die Information durch den Fachmann oder die Fachfrau, nämlich den Gynäkologen oder die Gynäkologin, ist nicht möglich. Das wird durch diesen Paragrafen verhindert.

Immer mehr Lebensschützer zeigen Ärzte an, die nur das Wort Schwangerschaftsabbruch auf ihrer Homepage führen. Diese Anzeigen führen zu einer hohen Verunsicherung. Diese hohe Verunsicherung führt dazu, dass die Ärztinnen und Ärzte das in der Vergangenheit heruntergenommen haben. Damit sind Frauen mit ihrer Problematik wieder ein Stück weit mehr alleine.

Der besagte Paragraf stammt übrigens aus dem Jahr 1933. Er wurde von den Nationalsozialisten eingeführt, um vor allem jüdische und kommunistische Ärztinnen und Ärzte zu kriminalisieren. Auf dieses Recht bauen wir hier immer noch. Gleichzeitig sah § 218 Strafgesetzbuch vor, dass Schwangerschaftsabbrüche mit Zuchthaus, am Ende sogar mit Todesstrafe bestraft werden konnten.