Der besagte Paragraf stammt übrigens aus dem Jahr 1933. Er wurde von den Nationalsozialisten eingeführt, um vor allem jüdische und kommunistische Ärztinnen und Ärzte zu kriminalisieren. Auf dieses Recht bauen wir hier immer noch. Gleichzeitig sah § 218 Strafgesetzbuch vor, dass Schwangerschaftsabbrüche mit Zuchthaus, am Ende sogar mit Todesstrafe bestraft werden konnten.
Das Schattendasein des § 219a Strafgesetzbuch erleichtert es, dass er die verschiedenen Debatten über Reformen zu den strafrechtlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch überdauerte. Er blieb selbst dann in Kraft, als 1976 entschieden wurde, dass Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen straffrei sind. Damit besteht heute die widersprüchliche Rechtslage, dass Ärztinnen und Ärzte zwar unter den in § 218 Strafgesetzbuch geregelten Bedingungen Schwangerschaftsabbrüche vornehmen dürfen, diese Leistung jedoch nicht öffentlich anbieten können.
Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröffnet, muss es dem Arzt ohne negative Folgen für ihn möglich sein, darauf hinzuweisen, dass Patientinnen seine Dienste in Anspruch nehmen können.
Das ist jetzt mehr als zehn Jahre her. Hinsichtlich des Werbens hat die ärztliche Berufsordnung trotz alledem noch sehr eindeutige Regelungen. Darin steht genau, was ein Arzt darf und was er nicht darf und welche Formen der Werbung nicht erlaubt sind. Das heißt, nach dem Prinzip „Heute gibt es zwei für einen“ geht es sowieso niemals, solange die ärztliche Berufsordnung gilt. Schon allein deshalb ist § 219a Strafgesetzbuch völlig überflüssig.
Er hat auch jahrelang einfach nur so vor sich hingedümpelt, ohne rechtliche Relevanz. Aber mit dem immer häufigeren und stärkeren Auftreten von sogenannten Lebensschützern, die alle Frauen und Frauenärzte bekämpfen, die sich überhaupt mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch beschäftigen – und zwar auf eine Art und Weise bekämpfen, die zum Teil wirklich unerträglich ist –, kommt es zu diesen Anzeigen und damit zur Kriminalisierung von Ärz
tinnen und Ärzten, die nichts anderes tun als das, was das Gesetz erlaubt. Sie erlauben sich auch noch, darüber zu sprechen, dass sie das tun, und sie lassen sich keinen Maulkorb verordnen.
Die Gießener Staatsanwaltschaft betont die Notwendigkeit des § 219a. Dieser soll verhindern, dass ein Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert wird. Ich möchte einmal die Ärztin zitieren, die heute verurteilt worden ist:
„Es ist doch niemand für Abtreibungen, … weder ich noch die Frauen, die zu mir kommen.“ Es gebe aber Situationen, in denen eine Frau eine Abtreibung brauche. „Es ist doch meine verdammte Pflicht, diese Frauen medizinisch zu versorgen.“
Eine gute Versorgung und gute Informationen sind dringend erforderlich. Mindestens in einem Teil dieser widersprüchlichen Gesetzgebung muss sich etwas ändern. Die Informationen von Ärztinnen und Ärzten müssen straffrei sein. Wir müssen diesen Paragrafen abschaffen. Dazu fordern wir Sie mit unserem Antrag auf.
Wir hoffen, dass wir Sie dazu gewinnen können – nicht nur hier im Landtag, sondern auch im Bundestag. Dort bringt DIE LINKE einen Gesetzentwurf ein. Ich habe heute Morgen schon gehört, dass auch die SPD das vorhat. Das heißt, es sind schon viele auf dem Weg. Es gibt noch mehr, die in diesem Land auf dem Weg sind. Es gibt fast 115.000 Unterschriften unter einer Petition. Heute Morgen waren trotz eines Werktags mehrere Hundert Menschen in Gießen vor dem Gericht, um zu demonstrieren. Es haben sich viele große Organisationen angeschlossen.
Es hat Solidaritätserklärungen von Frauenverbänden, Pro Familia und über 100 Ärztinnen und Ärzten gegeben. – Lassen Sie uns diesem gesellschaftlichen Aufbruch folgen und nicht hinterherhinken. Lassen Sie uns dafür Sorge tragen, dass Rechtssicherheit einkehrt und wir nicht Ärztinnen und Ärzte kriminalisieren. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden beim Schwangerschaftsabbruch über eines der sensibelsten Themen, mit dem Politik sich überhaupt in diesem Rahmen auseinandersetzen kann. Das ist eine sehr sensible, persön
liche Frage. Deshalb bin ich auch froh, dass wir heute nicht über einen solchen Antrag abstimmen müssen, sondern dass wir das noch einmal in Ruhe im Ausschuss erwägen können. Ich persönlich habe hauptsächlich Zeitungswissen über den Vorgang. Deshalb möchte ich mich bis zur Ausschusssitzung noch einmal kundig machen, was die genauen Hintergründe sind. Ich warne auch davor, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Vielmehr sollte man sich in einer solch sensiblen Frage – ich habe es schon einmal gesagt – Zeit nehmen und genau betrachten, was hier passiert ist.
Ich teile die Wahrnehmung der Linksfraktion, dass es aus einer sehr konservativen Richtung verstärkt wieder zu Aktivitäten kommt, um Einfluss auf die Entscheidungsfreiheit, ob man einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt oder nicht, zu nehmen. Auch da bin ich der Meinung, dass man genau hinschauen und sich als Abgeordneter klar positionieren muss. Aber auch da nehme ich mir nicht das Recht heraus, den Stab über die Meinung anderer Abgeordneter zu brechen. Ich habe meine klare Festlegung. Ich bin auf der Seite derer, die die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs befürworten. Ich will das an dieser Stelle wiederholen.
Man muss sich auch immer wieder Debatten, die wir schon an anderer Stelle geführt haben, in Erinnerung rufen. Wir haben uns intensiv darüber ausgetauscht: Wie kann man beim Schwangerschaftsabbruch die Beratung vernünftig gestalten? Wir haben uns auch intensiv über das Thema unterhalten: Wie kann man dafür sorgen, dass es überhaupt nicht erst dazu kommt?
Wir werden uns noch einmal ganz konkret über die Details dieses einen Vorgangs informieren. Dann werden wir intensiv an der Debatte im Ausschuss teilnehmen. Aber ich bin nicht in der Lage, hier in dieser Debatte mehr zu sagen – außer meinem grundsätzlichen Statement, wie ich persönlich die Situation einschätze. – Danke.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir werden dem Antrag der LINKEN nicht zustimmen. Ich möchte dies in vier Punkten begründen.
Erstens. Die Fraktion DIE LINKE neigt dazu, Anträge zu laufenden Gerichtsverfahren oder Tarifverhandlungen im Landtag einzubringen, um laufende Verfahren zu beeinflussen.
Nein, es ist nicht abgeschlossen. Es ist ein erstinstanzliches Urteil erlassen worden. Damit ist das Verfahren noch nicht abgeschlossen.
Anders wäre es, wenn die Politik nach Abschluss eines Verfahrens einen Handlungsbedarf entdecken würde. Häufig gibt auch das Bundesverfassungsgericht Hinweise an den Gesetzgeber, hier initiativ zu werden. Das trifft hier aber nicht zu. Im Übrigen – das ist das Entscheidende – ist Ihre Beschreibung des Streitgegenstandes völlig falsch dargestellt.
Sie schreiben in Ihrem Antrag, Frauen müssten das Recht haben, sich über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren. Sie verbreiten den Eindruck, dass dies jetzt beeinträchtigt werden würde. Das stellt überhaupt niemand infrage. Wir wollen, dass sich die Frauen informieren können.
Der Ärztin für Allgemeinmedizin – nicht Gynäkologin – wird aber etwas ganz anderes vorgeworfen, nämlich die Verbindung der Information mit Werbung, dass diese Schwangerschaftsabbrüche in ihrer Praxis vorgenommen werden können – mit einem Wettbewerbsanreiz, indem Preise angegeben werden.
Das ist der Gegenstand des Verfahrens gewesen, und das führte auch zu der erstinstanzlichen Verurteilung.
Meine Damen und Herren, ich zitiere aus der Pressemitteilung des Amtsgerichts Gießen. Hier wird der Sachverhalt einführend erklärt. Ich zitiere wörtlich:
Weiter sei ein Hinweis erfolgt, dass in der Praxis der Angeklagten alle hierin beschriebenen Methoden des Schwangerschaftsabbruchs gegen Kostenübernahme, sei es durch die Patientinnen selbst oder durch die jeweilige Krankenkasse, durchgeführt werden würde. Die Angeklagte habe durch dieses Angebot und die Durchführung der Schwangerschaftsabbrüche den Erhalt des üblichen ärztlichen Honorars angestrebt.
Meine Damen und Herren, der Komplex Schwangerschaftsabbruch, § 218, ist ein äußerst sensibles Thema. Es erfordert vertieftes Nachdenken und Gespräche, um selbst zu einem Urteil zu kommen. Es ist letztlich eine Gewissensentscheidung. Gesetze sind oft durch Gruppenanträge von Abgeordneten verschiedener Fraktionen im Bundestag entstanden.
Die Chronologie der Bundesgesetzgebung zeigt die Komplexität des Themas. Nur stichwortartig: 1974 Fristenregelung mit Beratung, 1975 Bundesverfassungsgericht erklärt diese für verfassungswidrig,
Ich komme darauf zurück. – 1976 Indikationsregelung, 1990 Einigungsvertrag im Rahmen der Wiedervereinigung Deutschlands, 1992 Beratungsmodell, 1993 Bundesverfassungsgericht erklärt dies erneut für verfassungswidrig, 1995 Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz, das die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt. – Seitdem herrscht ein Rechtsfrieden.