Protokoll der Sitzung vom 01.02.2018

Der Minister hat null Ahnung, wie der Krankenstand seiner Lehrkräfte ist. Er hat null Ahnung, wie der Unterrichtsausfall in Hessen ist. Es gehört zur Grundkompetenz eines Kultusministers, zu wissen, wie groß der Unterrichtsausfall ist. Er antwortet uns aber immer nur, das werde nicht statistisch erhoben, dazu könne er uns nichts sagen.

(Beifall bei der SPD)

Genauso wenig weiß er, welche Qualifikation diese fast 6.000 Vertretungslehrkräfte an unseren Schulen haben. Beim besten Willen: Das ist kein verantwortungsvolles Ausüben eines Amts. Wir werden ab dem 28. Oktober 2018 für bessere Bedingungen sorgen.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen May zu?

(Christoph Degen (SPD): Gern!)

Lieber Kollege Degen, Sie haben von 6.000 Vertretungslehrern gesprochen. Habe ich es richtig in Erinnerung, dass Sie diese Zahlen erst vor Kurzem abgefragt haben und dass dabei herauskam, dass mehr als die Hälfte der 4.000 Vertretungslehrer – so viele waren es in Wirklichkeit – Pfarrerinnen und Pfarrer sind, die Religionsunterricht geben, und von daher die Zahlen, die Sie hier in den Raum stellen, ein bisschen maßlos sind?

Herr Kollege May, die Zahlen sind keineswegs maßlos; denn sie beziehen sich auf das Schuljahr 2016/2017. Diese Zahlen sind im aktuellen Schuljahr, als sich der Lehrermangel deutlicher gezeigt hat, erheblich gestiegen. Wir reden auch nicht über die knapp 1.000 Pfarrerinnen und Pfarrer, die Vertretungsunterricht geben. Wir reden auch nicht über die Leute, die einen Praxisbezug in die beruflichen Schulen einbringen, sondern wir reden über Förderschulen und Grundschulen, wo der Einsatz von Diplom-Physikern und Diplom-Biologen überhaupt nichts bringt.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das sieht doch nicht nur die SPD so. Schauen Sie in die aktuellen Mitteilungen des Verbandes Bildung und Erzie

hung, Landesverband Hessen, die mit der Meldung überschrieben sind: „Die Personalplanung für die Schulen darf nicht länger im Blindflug geschehen“. – Das ist gegenwärtig der Fall. Sie haben es als Landesregierung versäumt, rechtzeitig für ausreichenden Lehrkräftenachwuchs zu sorgen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Das hat die FDP in ihrem Antrag gut dargestellt. Die Landesregierung bezieht sich hingegen auf Statistiken, nicht auf die Realität. Hier wird mit schönen Worten hantiert. Es werden Mogelpackungen auf den Weg gebracht. Eben sind die sozialpädagogischen Fachkräfte als Beispiel genannt worden. Herr Kollege Schwarz, gestern wurde der Haushalt verabschiedet. Wenn alle diese sozialpädagogischen Fachkräfte heute schon eingestellt sind: Chapeau, Hut ab. – Ich bin gespannt, ob Sie wirklich so viele Menschen finden werden, die diesen Job machen wollen.

Im Übrigen ist das deshalb eine Mogelpackung, weil Sie damit – ich darf den Finanzminister zitieren – wieder einmal eine Eier legende Wollmilchsau produziert haben: Leute, die die Schulsozialarbeit machen, bei der Inklusion helfen und alles Mögliche andere leisten. Am Ende wäre damit jeder Mensch überfordert. Was wir aber brauchen, ist eine echte Schulsozialarbeit in Hessen.

(Beifall bei der SPD)

Die frühkindliche Bildung muss gestärkt werden. Die Formulierung im Antrag der FDP-Fraktion wundert mich ein wenig, aber wenn Sie fordern, dass die frühkindlichen Bildungs- und Betreuungsangebote nicht vom Einkommen und nicht von der sozialen Herkunft abhängen dürfen, dann ist das ein gutes Plädoyer für gebührenfreie Kitas. Da gehen wir mit. Das finden wir sehr lobenswert.

Es muss zu einer Qualitätsverbesserung in den Kitas kommen, aber eben auch in den Grundschulen. Wenn hier argumentiert wird, wir hätten eine tolle Grundunterrichtsversorgung – der Kollege Greilich hat diesen Punkt schon aufgegriffen –, dann muss ich Ihnen sagen: Hessen ist im Grundschulbereich ganz hinten, was die Zahl der Pflichtwochenstunden angeht. Wenn man von einem so niedrigen Niveau ausgeht, dann ist es natürlich leicht, eine 100-%Versorgung und am Ende sogar eine 105-prozentige Versorgung abzudecken. Da ist mehr drin, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme zum Thema zunehmende bürokratische Belastung, insbesondere der Schulleitungen. Wir finden die Initiative der FDP-Fraktion richtig. Wir haben die Landesregierung bereits aufgefordert, eine Arbeitszeitstudie in Auftrag zu geben. Schon damals hat man davor die Augen verschlossen, weil man Angst vor allen Zahlen hat, die man nicht kontrollieren kann. Deshalb wäre die Initiative, hier im Hause eine Anhörung durchzuführen, in der uns die Schulleitungen darstellen können, warum sie sich so belastet fühlen, eine ordentliche Herangehensweise, die zu mehr Transparenz führen würde. Wir finden diesen Vorschlag gut und begrüßen ihn ausdrücklich.

(Beifall bei der SPD)

Schließlich geht es in dem FDP-Antrag noch um die Lehrerausbildung. Hier hat sich in den letzten Jahren nichts getan. Das Lehrerbildungsgesetz wurde nicht geändert. Wir

sind der Meinung, dass wir gerade wegen der vielen Herausforderungen, die unsere Lehrkräfte heutzutage zu stemmen haben, deutlich mehr in die Lehrerausbildung und in die Lehrerfortbildung investieren müssen. Gerade was die Inklusion und den Umgang mit heterogenen Lerngruppen betrifft, muss mehr getan werden. Wir sind der Meinung, dass die Studienzeit für Lehrer erhöht werden müsste, um den aktuellen Herausforderungen gerecht zu werden. Das haben andere Bundesländer schon längst getan. Auch das ist eine Maßnahme, die endlich angegangen werden muss.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, damit sich unsere Lehrkräfte, die Schulleitungen und die Bildungsverwaltung wohlfühlen. Hier zu argumentieren, alles sei in den Dienstordnungen schon geregelt, darüber brauche man nicht mehr zu sprechen, ist alles andere als ein Zeichen von Wertschätzung gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Mit der aktuellen Regierungskoalition, mit der amtierenden Landesregierung werden wir hierbei nicht weiterkommen. Sie verlieren sich in Zahlen. Wir wollen ab 2019 endlich dafür sorgen, dass an unseren Schulen wieder gut gelernt werden kann, dass vor allem die Schülerinnen und Schüler, die Eltern und die Lehrkräfte ernst genommen werden.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Degen. – Als nächster Redner spricht Herr Kollege Wagner für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In jede Plenarwoche haben wir wieder Gelegenheit, uns über die Schulpolitik auszutauschen, und die Versuchung liegt nahe – die Vorredner sind ihr auch erlegen –, das übliche bildungspolitische Schwarz-Weiß-Spiel aufzuführen und die üblichen Reden zu halten.

Ich will diesmal einen anderen Ansatz wählen. Ich glaube nämlich nicht, dass uns und unsere Schulen das übliche Schwarz-Weiß-Spiel wirklich weiterbringt. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Das übliche Schwarz-WeißSpiel verstellt ein bisschen den Blick auf die eigentlichen Herausforderungen und führt bei einigen hier im Saal dazu, falsche Konsequenzen zu ziehen.

Wir können uns gegenseitig die Frage vorhalten, ob genug in die Bildung investiert wird. Einige erzählen sogar, bei der Bildung werde gespart. Seit ich die Bildungspolitik beobachte – das sind jetzt in etwa 30 Jahre –, wurde noch nie an Bildung gespart, unabhängig davon, wer gerade die Regierung gestellt hat. Wir hatten in den vergangenen 30 Jahren eine permanente Entwicklung in die richtige Richtung, dass nämlich mehr in unsere Schulen investiert wurde. Es ist aber auch zutreffend, dass in den vergangenen 30 Jahren innerhalb einer Legislaturperiode noch nie so viel in Bildung investiert wurde und so viele Stellen geschaffen wurden wie in dieser Legislaturperiode.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass alle Probleme an den Schulen gelöst wären. Wer wollte das behaupten? Ich glaube, wenn wir bei dem üblichen Schwarz-WeißSpiel stehen bleiben, dann werden wir in der bildungspolitischen Debatte nicht weiterkommen. Herr Kollege Degen, es hilft uns auch überhaupt nicht weiter, wenn Sie zu Beginn Ihrer Rede die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen einerseits dafür kritisieren, dass wir Statistiken zur Entwicklung des Schulsystems haben und vortragen, und andererseits zwei Minuten später neue und zusätzliche Statistiken einfordern, damit Sie Argumente für Ihre Bildungspolitik haben. Am Ende wird uns das bei der Lösung der Herausforderungen an unseren Schulen überhaupt nicht weiterbringen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wir können die dreihundertste bildungspolitische Debatte führen, in der die Opposition über die 50 Stellen redet, die nicht besetzt sind, und die Vertreter der Regierungsfraktionen über die 50.000 Stellen reden, die besetzt sind.

(Stephan Grüger (SPD): So viel zum Thema Schwarz-Weiß!)

Es ist so. Die einen reden über 50 Stellen, wir reden über 50.000 Stellen. – Das wird uns am Ende aber nicht weiterbringen. Schauen wir doch einmal auf die Herausforderungen. Im Antrag der FDP-Fraktion wird das Thema Lehrermangel angesprochen. Ja, das ist eine reale Herausforderung. Für deren Bewältigung bringt uns aber die Frage, ob 50.000 Stellen besetzt und 50 Stellen nicht besetzt sind, erst einmal nicht weiter, sondern es bleibt die reale Herausforderung.

Wir können auch eine Debatte darüber führen, wer daran schuld ist. Kollege Schwarz hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass die Lehrer, die uns heute fehlen, ihre Ausbildung vor fünf bis sieben Jahren hätten beginnen müssen. Jetzt könnte ich sagen: Das hätte damals die Kultusministerin von der FDP machen müssen. – Das hilft aber keinem Menschen weiter; denn wir haben bundesweit einen Lehrermangel. Wie gehen wir also damit um? Die Opposition kann weiterhin ihre alten Reden halten und immer sagen, wir bräuchten mehr Stellen; aber wir werden diese Stellen kurzfristig nicht haben – oder zumindest nicht in der Zahl, die hier versprochen wird.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Demografische Rendite gibt es nicht!)

Dann ist es doch klug, das nicht schwarz-weiß zu malen und nicht über Sachen zu reden, die keiner erfüllen kann, sondern darüber nachzudenken, wie wir mit der Situation umgehen. Wie unterstützen wir unsere Schulen in einer Situation, in der wir bundesweit nicht genug Lehrerinnen und Lehrer haben?

Dann ist es wahnsinnig klug, aus der Not eine Tugend zu machen und endlich dafür zu sorgen, dass unsere Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen durch andere Professionen, durch Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen und perspektivisch auch durch Verwaltungskräfte, unterstützt werden. Dann ist es doch sinnvoll, in multiprofessionelle Teams zu gehen. Das ist pädagogisch richtig, und das ist auch das Einzige, was wir derzeit real tun können. Im Übrigen ist es auch genau das, was wir jetzt mit den 700 Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Herr Kollege Degen, wir können in einer Situation, in der uns Lehrerinnen und Lehrer bundesweit fehlen, die Zahl von Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger in unserem Bildungssystem beklagen. Herr Kollege May hat in seiner Zwischenfrage bereits darauf hingewiesen, dass von den 6.000 Personen ein Großteil Religionslehrer sind. Sagen wir einmal, es sind 3.000 oder 4.000 Personen, die kein zweites Staatsexamen haben.

Was ist denn Ihre Antwort? Sie beschreiben diesen Zustand, aber wir werden ihn kurzfristig nicht ändern können. Deshalb ist es doch richtig, dass wir Seiteneinsteiger qualifizieren, dass wir Seiteneinsteigerprogramme machen und dass wir Gymnasiallehrern anbieten, zuerst in der Grundschule zu unterrichten. Deshalb ist es doch richtig, die Ausbildungskapazitäten an den Hochschulen zu erhöhen, damit wir künftig wieder mehr Lehrerinnen und Lehrer haben.

Das alles machen wir doch. Deshalb sage ich: Wenn man schwarz-weiß diskutiert, verstellt es einem den Blick auf die eigentlichen Herausforderungen und vor allem auf die Lösungen, die unseren Schulen tatsächlich helfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Dritter Punkt. Die FDP spricht in ihrem Antrag völlig zu Recht die frühkindliche Bildung an. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, nicht jeder, der Ihre Kinderschule und die Verschulung des dritten Kindergartenjahres ablehnt – das ist Ihr Konzept –, will nichts für die frühkindliche Bildung tun. Vielmehr haben wir schlicht und ergreifend unterschiedliche Konzepte. Sie setzen auf die Kinderschule, also darauf, schon im dritten Kindergartenjahr alles möglichst schulisch auszurichten, und wir setzen auf den eigenen pädagogischen Ansatz des Kindergartens. Das ist der Unterschied. Ich glaube, unser Weg ist richtig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Wir können die alten Schwarz-Weiß-Debatten über Ganztagsangebote an unseren Schulen führen. Wir können das tun. Oder die Opposition könnte einmal zur Kenntnis nehmen, dass wir bei dem Thema Ganztagsschule kein Stellenproblem mehr haben. Ich wage die Prognose: Wir werden zum kommenden Schuljahr die Situation haben, dass mehr Stellen für die Ganztagsschulentwicklung zur Verfügung stehen, als von den Schulträgern abgerufen werden.

Wir haben kein Stellenproblem mehr, weil wir die Stellen für den Ganztagsschulbereich in den vergangenen Jahren erst unter einer FDP-Ministerin verdoppelt haben, und dann haben wir sie unter dem CDU-Minister und der schwarz-grünen Koalition noch einmal verdoppelt. Wir haben kein Stellenproblem mehr.

Auch den alten ideologischen Streit, der in diesem Landtag von der Opposition immer begonnen wird – zwischen dem Pakt für den Nachmittag und Profil 3, also zwischen gebundenen und offenen Ganztagsangeboten –, gibt es in der schulischen Realität nicht mehr. Alle Anträge von Schulträgern auf Teilnahme am Pakt für den Nachmittag werden genehmigt. Alle Anträge von Schulträgern auf Umwandlung einer Schule in eine gebundene Ganztagsschule nach