Protokoll der Sitzung vom 22.05.2014

Noch bitte einen Moment.

Aus aktuellem Anlass ist es für mich fast unerträglich, dass in diesen Stunden in Kassel bei einem evangelischen Kongress zum Thema Sozialethik zwei Referenten eingeladen sind, die Homosexualität nicht als natürliche Veranlagung, sondern als Störung begreifen. Sie bieten Therapien an, um Schwule „umzupolen“, wie sie das nennen, und sogar zu „heilen“.

Auch für die Hessische Landesregierung stelle ich ausdrücklich fest: Diese Form der Diskriminierung hier in Hessen ist nicht nachvollziehbar, und die Proteste dagegen sind absolut berechtigt.

(Allgemeiner Beifall)

Die Hessische Landesregierung spricht sich gegen homophobes und transphobes Verhalten aus. Ich bitte Sie inständig, fraktionsübergreifend und jenseits unterschiedlicher Teilaspekte und Differenzen, dieses übergeordnete Ziel mit zu vertreten. In der Zivilgesellschaft sollten wir zusammen alles dafür tun, dass dieser internationale Tag gegen Homophobie möglichst bald ein Gedenktag wird. Solange das der Fall ist, werden wir aktiv für die Vielfalt unterschiedlicher Lebensformen eintreten, denn Hessen ist bunt und vielfältig. Das ist gut so und soll auch so bleiben.

(Beifall)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Die für die Oppositionsfraktionen vorgesehene Redezeit hat sich um 1:40 Minuten erhöht. – Bitte sehr, Frau Kollegin Schott.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Hessen ist an der Stelle bunt – das ist richtig. Aber in Kassel findet gerade ein Kongress statt, bei dem sich Menschen treffen und verkünden, dass man Homosexualität heilen könne.

In der Stadt Kassel waren sich die Parteien – bis auf die CDU – einig, dass man das so nicht stehen lassen kann. Ich finde, dazu sollten Sie von der CDU-Fraktion hier Farbe bekennen. Sie sollten klar und deutlich sagen, ob Sie diesen Weg mitgehen, der rückwärts führt. Sagen Sie: „Es handle sich um eine Krankheit, und wenn man lange genug die Hand auflegt, dann kann man sie heilen“, oder stehen Sie dafür, dass die Menschen so leben können, wie sie leben wollen? Dann hätten Sie in Kassel klar und deutlich Farbe bekennen müssen und nicht so handeln dürfen, wie Sie es getan haben, sich nämlich wegzuducken.

(Beifall bei der LINKEN – Lebhafte Zurufe von der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schott. – Das Wort hat Herr Abg. Schäfer-Gümbel, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Da uns ein bisschen Redezeit zugewachsen ist, will ich die Gelegenheit nutzen, anlässlich dieser Aktuellen Stunde und des Gedenktages, den wir in großer Einmütigkeit am vergangenen Samstag am Mahnmal „Frankfurter Engel“ begangen haben, nach den Reden des Kollegen Kai Klose und von Frau Arnoldt einen Vorschlag zu machen.

An verschiedenen Stellen ist in dieser Debatte die Frage des weiteren Umgangs mit Opfern des § 175 Strafgesetzbuch aufgeworfen worden. Ich möchte, auch im Namen meiner Fraktion, vorschlagen, dass wir für die nächste Parlamentssitzung eine gemeinsame politische Initiative verabreden, mit der wir den Bund eindringlich auffordern, eine Entschädigungsregelung zu erlassen,

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und der FDP)

damit von der Gedenkstunde und der von den GRÜNEN beantragten Aktuellen Stunde das politische Signal ausgeht: Wir haben nicht nur darüber geredet, sondern wie geben in genau dem Sinne, wie es Kai Klose hier beschrieben hat, ein klares Signal des Hessischen Landtags, dass endlich Entschädigungen geleistet werden müssen, solange diejenigen, die betroffen waren, noch leben – danach hilft es ihnen nämlich nicht mehr. Ich würde mich freuen, wenn das gemeinsam gelänge.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer-Gümbel. – Mir liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist auch diese Aktuelle Stunde abgehalten.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 28, Tagesordnungspunkt 15 und Tagesordnungspunkt 67 auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend für ein solidarisches Europa: Schutz und Hilfe für Flüchtlinge – Drucks. 19/391 –

Antrag der Fraktion der FDP betreffend gemeinsame europäische Verantwortung leben – Zuständigkeiten für die Flüchtlingsaufnahme in Europa endlich gerecht regeln – Drucks. 19/323 –

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Flüchtlinge in Europa und Hessen gerecht behandeln – Drucks. 19/442 –

Redezeit: zehn Minuten pro Fraktion. Zu Wort gemeldet hat sich Frau Kollegin Cárdenas. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Spätestens seit dem Bootsunglück vor Lampedusa, als am 3. Oktober 2013 390 Geflüchtete vor der italienischen Mittelmeerinsel ertranken, steht die Flüchtlingspolitik wieder im Fokus der Öffentlichkeit.

Lampedusa, ein 20 km² großes Stück Land zwischen Tunesien und Sizilien, ist zum Synonym geworden für das Scheitern der europäischen Asylpolitik, für ein inhumanes Grenzregime, das den Tod verzweifelter Flüchtlinge nicht nur in Kauf nimmt, sondern als Bestandteil seiner Abschreckungspolitik einkalkuliert.

Am 26. Mai 1993, als der Bundestag mit den Stimmen der damaligen Regierungsparteien CDU/CSU und FDP sowie mit Zustimmung der SPD den sogenannten Asylkompromiss beschloss, der die Asylgarantie des Grundgesetzes aushebelte, sagte Gregor Gysi in seiner Rede vor dem Parlament:

Wer heute der faktischen Abschaffung des Asylrechts zustimmt, muss wissen, dass er Mitverantwortung trägt, wenn eines Tages an den Grenzen auf Flüchtlinge geschossen wird.

Heute wissen wir: Die Grenzschutzagentur Frontex, die Europa eigens eingerichtet hat, um Migrantinnen und Migranten von seinen Grenzen fernzuhalten, muss gar nicht schließen. Die Festung Europa kommt ohne Mauern und Schießanlagen aus, denn sie hat einen Burggraben.

Fast täglich erreichen uns Nachrichten von Asylsuchenden, die – angewiesen auf lebensgefährliche Fluchtwege – im Mittelmeer, in der Ägäis oder im türkisch-griechischen Grenzfluss Evros verunglücken und sterben. Über 23.000 Geflüchtete sind seit dem Jahre 2000 auf dem Weg nach Europa ertrunken, verdurstet, erfroren oder auf andere Weise ums Leben gekommen.

Wer schiffsbrüchigen Flüchtlingen zu Hilfe kommt – das hat nicht nur der Cap-Anamur-Prozess gezeigt –, riskiert,

wegen Beihilfe zur illegalen Einreise strafrechtlich belangt zu werden. Das können wir nicht weiter hinnehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Europa, das sich gerne als ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sieht, tatsächlich ein solcher Raum werden möchte, dann muss Europa zuallererst sein Grenzregime überdenken und in seiner Flüchtlingspolitik einen grundlegenden Kurswechsel einleiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Europa wird niemals ein Raum der Freiheit sein, wenn es Verfolgte und Schutzsuchende weiterhin brutal abweist. Europa kann kein Raum der Sicherheit sein, wenn es das Massensterben vor seinen Toren nicht verhindert. Und Europa wird auch kein Raum des Rechts werden, wenn es den Rechtsschutz derjenigen, die in besonderem Maße darauf angewiesen sind, auf ein Minimalmaß reduziert, wenn es mit der Dublin-Verordnung ein Asylsystem bereitstellt, in dem Fragen der Zuständigkeit einzelner EU-Länder eine größere Rolle als die Fluchtgründe der Betroffenen spielen.

(Beifall bei der LINKEN)

Heute, drei Tage vor der Europawahl, fordern wir LINKE daher: Die Praxis, Flüchtlingsboote abzufangen und abzudrängen, muss aufhören. Wer Schiffsbrüchigen zu Hilfe kommen will, der darf juristisch nicht belangt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir fordern: Schafft sichere Fluchtkorridore für Menschen, die Schutz bei uns suchen. Nur ein Bruchteil der Personen, die schutzbedürftig sind, kommt nach Europa. Das muss angesichts rechtspopulistischer Scharfmacher, die den Untergang Europas durch Flüchtlingsströme beschwören, immer wieder gesagt werden.

Dem UNHCR-Bericht „Global Trends“ zufolge hielten sich Ende 2012 von den weltweit insgesamt 45 Millionen Menschen, die auf der Flucht sind, 81 % in Entwicklungsländern auf. Dass Geflüchtete meist in ihrer Region bleiben, zeigt uns das Beispiel syrischer Kriegsflüchtlinge. Nach Deutschland sind laut UNHCR bislang 30.000 Personen geflüchtet, in die Nachbarstaaten Syriens dagegen 2,6 Millionen Menschen.

Daher fordern wir LINKE: Europa muss einen substanziellen Beitrag dazu leisten, die Erstzufluchtsländer von Flüchtlingen, die strukturell meist überfordert sind, zu entlasten.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Resettlement-Initiative des UNHCR, bei der es um die dauerhafte Aufnahme von Schutzbedürftigen in aufnahmebereiten Drittstaaten geht, muss zu einem europäischen Projekt werden. Von den 80.000 Resettlement-Plätzen, die weltweit tatsächlich zur Verfügung stehen, bieten alle 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union zusammen nur 5.500 an. 20.000 Neuansiedlungsplätze müssten es aber sein, um dem Richtwert des UNHCR für die Europäische Union zu genügen.

Wir fordern weiterhin, denjenigen Asylsuchenden, die es trotz aller Widrigkeiten nach Europa geschafft haben, ein faires Asylverfahren zu garantieren, das sie schützt. Wir wollen weg von der bisherigen Regelung der Dublin-Verordnung, die Asylsuchende zwingt, ihr Asylverfahren im Land ihrer Einreise durchzuführen, und sie in allen anderen

Ländern der Europäischen Union in die Rechtlosigkeit treibt.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Verordnung, die dazu führt, dass Schutzsuchende in einem entwürdigendem Verfahren zwischen den EU-Ländern hin und her geschoben, inhaftiert oder in die Illegalität getrieben werden, ist auch zutiefst unsolidarisch, weil sie einseitig die südlichen Randstaaten belastet.

Wir LINKE fordern daher eine grundlegende Reform des Dublin-Systems. Wir fordern, wie übrigens auch der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss in seiner Initiativstellungnahme vom 16. Oktober 2013, dass Geflüchtete selbst entscheiden, in welchem Land sie das Asylverfahren durchführen wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Schluss noch ein Wort zu den jüngsten Gesetzentwürfen der Bundesregierung. In dem Entwurf für ein Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung will die Bundesregierung durch die Einführung einer Art Aufnahmehaft die Haftgründe für Asylsuchende ins Uferlose ausdehnen. Diese Initiative ist, wie es Heribert Prantl von der „Süddeutschen Zeitung“ auf den Punkt brachte, „Perfidie in Paragrafenform“. Wir meinen, das ist ein Entwurf, der nicht zu geltendem Recht werden darf.

(Beifall bei der LINKEN)

In einem weiteren Vorstoß der Bundesregierung sollen Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. In diesem Kabinettsentwurf kommt eine gesellschaftliche Stimmung zum Ausdruck, die von antiziganistischen Ressentiments geprägt ist – eine Stimmung, die nicht zuletzt von Stellungnahmen aus dem Regierungslager befeuert wird, wonach Romaflüchtlinge nur aus wirtschaftlichen Gründen gekommen seien und das Asylrecht missbräuchten.