Protokoll der Sitzung vom 01.03.2018

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen selbstverständlich auch einen Ausbau des ÖPNV. Gerade im rasant wachsenden Rhein-Main-Gebiet

müssen die Kapazitäten des ÖPNV erweitert werden. Der ÖPNV stagniert seit den Achtzigerjahren. Die Verkehrsprojekte, die jetzt umgesetzt werden, sind die, über die wir seit Jahrzehnten reden.

Ich will an der Stelle sagen: Selbstverständlich muss man den Radverkehr stärken, Kollegin Müller. Da bin ich vollkommen Ihrer Meinung. Aber ich glaube, dass die Stärkung des Radverkehrs auch darüber funktionieren würde, dass man die Mitnahmemöglichkeiten in den Bahnen verbessert. Natürlich schrecken Menschen davor zurück, auf das Rad umzusteigen, wenn sie wissen, dass das Wetter nicht sicher ist. Wenn man also die Mitnahme von Fahrrädern ermöglicht – was heutzutage zu Hauptverkehrszeiten überhaupt nicht geht –, schafft man eine gewisse Flexibilität. Das würde dazu führen, dass die Menschen auf das Fahrrad umsteigen; denn sie wissen, dass sie es im Zweifelsfall in der Bahn mit nach Hause nehmen oder Wege kombinieren können.

Die meisten Ausbauprojekte sind seit Jahrzehnten geplant, und ihre Umsetzung ist längst überfällig. Sie werden daher nur Abhilfe schaffen, aber die Situation nicht grundlegend ändern. Deswegen müssen wir darüber reden, wie wir das ÖPNV-Angebot ausweiten bzw. wie wir es im ländlichen Raum überhaupt wiederherstellen.

In dieser Woche sind mehrere Alternativen angesprochen worden. Dazu zählen z. B. die privaten Mitnahmemöglichkeiten; das haben Sie sogar ins ÖPNV-Gesetz geschrieben. Das reicht bis zu der vom Kollegen Lenders erwähnten „Mitnahmebank“, die es in irgendeinem Dorf gibt. Dort kann man sich in der Hoffnung hinsetzen, dass zufällig einer vorbeikommt und einen mitnimmt. Zu nennen sind hier auch die Bürgerbusse. Aber das ist doch kein Ersatz für ein verlässliches ÖPNV-Angebot. Das brauchen wir doch.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Problem ist: Wenn man kein verlässliches Angebot hat oder wenn der Bus nur zweimal am Tag fährt, können die Menschen nicht darauf zählen, sondern sie sind gezwungen, aufs Auto umzusteigen. Der Bus fährt gerade dann nicht, wenn sie es brauchen. Wenn man im ländlichen Raum beim Nahverkehr eine solch schlechte Taktung hat und die Busse abends nicht mehr fahren, ist das ein Problem. Ich finde, da muss dringend etwas passieren.

Von daher plädiere ich für einen Ausbau des ÖPNV. Die Privilegierung des Autoverkehrs muss ein Ende haben. Die Automobilkonzerne müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Sie müssen Grenzwerte einhalten. Es geht hier schließlich nicht um irgendwas, sondern um Schadstoffe, die Menschen krank machen. Wir wissen, an den am stärksten befahrenen Straßen wohnen Menschen, die sich keine Wohnungen oder keine Häuser im Grünen leisten können. Deswegen ist das auch eine soziale Frage.

Daher sage ich: Wir brauchen den Mut zu einer echten Verkehrswende. Wenn die Androhung von Fahrverboten dazu beiträgt, dass hier umgedacht wird, ist das sicherlich ein richtiger Schritt.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat Herr Kollege Caspar, CDU-Fraktion.

(Unruhe)

Augenblick, Herr Kollege Caspar, ich warte, bis die bilateralen Gespräche beendet sind. Das Gemurmel stört schon. Murmeln Sie bitte leiser. – Bitte schön, Herr Caspar.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch ich möchte der SPD-Fraktion dafür danken, dass sie diese Große Anfrage gestellt hat; denn sie hat es ermöglicht, hier sehr umfangreich und detailliert darzulegen, was alles in Sachen Verbesserung der Mobilität in Hessen getan wird. Außerdem möchte ich dem Ministerium und den Mitarbeitern, stellvertretend Herrn Staatssekretär Samson und Herrn Weber, dafür danken, dass sie die Fragen so ausführlich, so qualifiziert und so gut beantwortet haben.

(Beifall bei der CDU)

Frau Wissler, Sie haben gesagt, wir müssten darüber nachdenken, wie wir Verkehr vermeiden können.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ja!)

Richtig, wo immer das möglich ist, ist das ein sinnvoller Ansatz. Aber wir müssen auch sagen, es gibt viele Faktoren, die dazu geführt haben, dass sich der Verkehrsbedarf erhöht hat.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ja, allerdings!)

Ich nenne einen Faktor: Es gibt heute in Deutschland – damit auch in Hessen, insbesondere in den Ballungsräumen – so viele sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze wie noch nie. Die Menschen müssen in vielen Fällen zu ihrem Arbeitsplatz fahren. Mir ist sehr wohl bewusst, dass es – das sind nach wie vor relativ wenige Fälle – die Möglichkeit gibt, mit dem Einrichten eines Homeoffice und der Nutzung digitaler Infrastruktur das tägliche Einpendeln zum Arbeitsplatz zu vermeiden. Auch daran arbeiten wir. Gleichwohl müssen wir feststellen, wenn es mehr Menschen in Arbeit gibt, geht damit auch ein erhöhter Verkehrsbedarf einher.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das sind oft so tolle Arbeitsplätze, dass man die Miete davon nicht mehr bezahlen kann!)

Ich nenne einen zweiten Faktor: Ein sehr großer Teil der Schülerinnen und Schüler entscheidet sich heutzutage, an die Universität oder an die Hochschule zu gehen. Auch dadurch entsteht natürlich ein zusätzlicher Verkehrsbedarf. Schauen Sie sich an, wie viele Studierende es noch vor 15 oder 20 Jahren an den Hochschulen gab und wie viele im Gegensatz dazu heute studieren. Auch daraus kann man ableiten, dass es beim Verkehr einen Mehrbedarf gibt.

Ich nenne einen dritten Faktor: Das ist die Kaufkraft der Bevölkerung. Diese positive wirtschaftliche Entwicklung hat eben die Auswirkung, dass die Menschen – da sie über mehr Ressourcen verfügen – mehr Waren kaufen und dadurch auch der Güterverkehr zunimmt.

Aber ich glaube, die drei Punkte, die ich eben genannt habe, wollen wir nicht missen. Das sind Dinge, die wir durchaus für sinnvoll halten. Damit geht eben ein verstärktes Verkehrsaufkommen einher.

Wie kann man dem begegnen? Man kann dem – relativ einfach – nur mit zwei Maßnahmen begegnen. Erstens muss man die vorhandene Infrastruktur ausbauen, und

zweitens muss man die vorhandene Infrastruktur kreativer, innovativer und effizienter nutzen. Das sind die beiden Bereiche, in denen wir unterwegs sind.

Wir fangen mit dem Ausbau der Infrastruktur an. Zum Beispiel haben wir für die Schieneninfrastruktur bis 2030 12 Milliarden € seitens des Bundes zur Verfügung. Sie wissen ebenfalls, dass wir, was den Bedarf bei den Straßen betrifft, in Hessen erreichen konnten, dass uns jetzt nicht nur 7 %, sondern sogar 12 % der Bundesmittel dafür zur Verfügung stehen. Es ist also so viel Geld vorhanden wie noch nie, um die Infrastruktur auszubauen. Das ist notwendig und sinnvoll.

Aber der Engpass, den wir dort haben, ist durch das Planungsrecht bedingt. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, als ich feststellen konnte, dass es in dem angedachten Koalitionsvertrag heißt – wir werden nach diesem Wochenende wissen, ob eine Chance besteht, ihn umzusetzen; wir hoffen es jedenfalls –, dass sich die neue Große Koalition vornimmt, das Planungsrecht zu beschleunigen und zu vereinfachen. Das wäre der entscheidende Durchbruch, den wir benötigen, um die Infrastruktur auszubauen, die wir alle in dieser Form dringend brauchen.

Ich nenne den zweiten Punkt: die effizientere und innovativere Nutzung vorhandener Strukturen. Auch hier erwähne ich das Beispiel Schienenverkehr: Wenn wir es beispielsweise bei der Bahn mithilfe neuer technischer Verfahren – die gibt es – umsetzen können, dass die Züge in geringerem Abstand und trotzdem sicher fahren, können wir die Kapazitäten auf den vorhandenen Gleisen erhöhen und sind somit in der Lage, durch das Einsetzen einer größeren Zahl von Zügen zusätzliche Verkehrsangebote im Schienenverkehr zu machen, auch im öffentlichen Personennahverkehr.

Dazu zählen auch viele Angebote, das auf den ländlichen Raum herunterzubrechen, wo zwar geringe Verkehrsmengen zu bewältigen sind, das Verkehrsangebot aber in einer entsprechenden Taktung vorhanden sein muss. Der Geschäftsführer des RMV, Prof. Ringat, formuliert das immer so schön. Er sagt: Das ganze System funktioniert wie die kleinen Flüsse und die großen Flüsse. – Nur wenn wir die Zubringer aus den ländlichen Gebieten haben – hin zu den Buslinien, von den Buslinien zu den Bahnlinien –, machen wir ein Angebot, das dort viele Menschen wahrnehmen können. Ich glaube, mit den Dingen, die dort auf dem Weg sind, von den Bürgerbussen bis zu den kleinen ehrenamtlichen Lösungen, über die wir gesprochen haben und die in der Fläche durchaus ihre Bedeutung und vor allem ihre Berechtigung haben, sind wir auf einem guten Weg.

Aber denken Sie auch an die innovativen Entwicklungen. Da gibt es z. B. den Kleinbus, der bis zu acht Leute transportieren und autonom fahren kann und versuchsweise schon eingesetzt wird. Auch hier haben wir die Hoffnung, dass wir diesen gerade im ländlichen Raum einsetzen können. Denn, wenn wir geringere Personalkosten für den Bustransport haben, können wir natürlich auch aus diesem Grund mehr an Angebot schaffen, was auch wichtig für die Entwicklung in unserem Land ist.

Ich stelle daher fest: Das Thema Verkehr ist gerade für Hessen als zentrales Land und Durchgangsland von zentraler und erheblicher Bedeutung. Wir sind uns als Regierungsfraktionen dieser Tatsache bewusst. Wir haben die notwendigen Initiativen ergriffen. Wir haben auch den Haushalt so aufgestellt, dass wir unsererseits von Landes

seite die notwendigen Mittel bereitstellen. Gleichwohl bleibt viel zu tun. Auch hier gilt wie vorhin: Es gibt so viel zu tun, dass es einen guten Grund dafür gibt, diese Regierung am 28. Oktober wiederzuwählen. Die Bürgerinnen und Bürger werden diese Chance haben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Staatssekretär Samson. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir befinden uns quasi in Mobilitätswochen, wenn ich das richtig sehe. Ich habe selten eine Sitzungswoche erlebt, in der wir so viele Mobilitätsthemen auf der Tagesordnung hatten. Ich finde das gut.

(Zuruf von der FDP)

Denn – und da sind wir uns, so glaube ich, in der Analyse auch gar nicht so uneinig – Mobilität ist ein zentrales Zukunftsthema mit ganz vielen Facetten. Daher an dieser Stelle mein Dank an die SPD für die Fragen und für die Große Anfrage. Das gibt uns Gelegenheit, dieses wichtige Zukunftsthema noch einmal ausführlich zu beleuchten.

Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass die Arbeit, die meine Mitarbeiter und andere Mitarbeiter dabei investiert haben, auf einen fruchtbareren Boden gefallen wäre. Das heißt nicht, dass Sie uns loben müssen. Das ist überhaupt keine Frage. Aber vernünftig zu lesen und das eine oder andere einmal zur Kenntnis zu nehmen und nicht relativ pauschal Verurteilungen an diesem Pult vorzutragen, das wäre, so finde ich, ein angemessener Umgang mit der Arbeit der Mitarbeiter, die viel Engagement hineingesteckt haben.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Nicht geschimpft ist genug gelobt!)

Mobilität ist ein Grundbedürfnis moderner Gesellschaften – sowohl in sozialer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Wir als schwarz-grüne Landesregierung wollen und werden Mobilität auch zukünftig gewährleisten. Das ist keine einfache Aufgabe, der wir uns aber jeden Tag aufs Neue stellen – auch mit einer langfristigen Strategie und einem Konzept.

Dass Sie, Herr Frankenberger, dieses Konzept nicht erkennen können, kann ich Ihnen gar nicht vorwerfen. Ich kenne weltweit keine Opposition, die ein Konzept einer Regierung ohne Weiteres loben und freimütig erkennen will. Das ist das Wesen der Opposition. Das ist gut. Das kann man auch nachvollziehen.

Ich glaube, wir haben in der Summe der Antworten dargelegt, dass wir ein Konzept und eine Strategie haben, an der wir uns orientieren. Das war so, und das wird auch zukünftig so sein.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie sich das anschauen, erkennen Sie auch, dass die Mobilitätspolitik seit 2014 eine neue Richtung erhalten hat.

Wir agieren verkehrsträgerübergreifend, inter- und intramodal, wir erhöhen die Mittel für den ÖPNV auf einen historischen Höchststand, wir führen mit dem Schülerticket und dem Jobticket neue Produkte ein, wir unterstützen erstmalig hier in Hessen viel intensiver die Nahmobilität in enger Kooperation mit den Kommunen. Wir setzen den Grundsatz „Erhalt vor Neubau“ durch, indem wir 80 % der Haushaltsmittel dafür einsetzen. Damit lösen wir den Sanierungsstau perspektivisch auf – sicher nicht von heute auf morgen, das ist klar. Aber die Perspektive ist klar. Und wir nutzen die Digitalisierung, und zwar für alle Verkehrsträger.

Herr Lenders, ja, Herr Posch hat einiges im Bereich Verkehrstelematik getan. Wir haben aber ein ganz anderes Verständnis von Digitalisierung. Verkehrstelematik ist eine Grundlage und eine Voraussetzung. Aber wenn ich über Digitalisierung in der Mobilität rede, dann liegt das weit jenseits dessen, was Sie unter Verkehrstelematik verstehen.

Das alles sind erste Bausteine einer Mobilitätswende, und das merken die Bürger. Gehen Sie in die Familien, und sprechen Sie mit ihnen über das Schülerticket. Das hat das tatsächliche Mobilitätsverhalten vieler Familien mit Kindern jetzt schon verändert, und das wird es in Zukunft weiterhin tun. Ergänzt durch das Jobticket ist das der Ansatz für ein Flatrate-orientiertes Mobilitätsverhalten, das wir perspektivisch brauchen.

Dazu gehört – und da muss man es einordnen – die Debatte um den kostenlosen ÖPNV. Einen vollständig kostenlosen ÖPNV kann ich mir schwer vorstellen. Aber über Preisdifferenzierungen auch günstige Angebote zu machen für einen attraktiven ÖPNV, das ist der richtige Weg. Diesen gehen wir in Hessen, und den werden wir auch fortsetzen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)