Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist der erneute Versuch seitens der FDP, ein Thema hochzuhalten, ohne dass dabei irgendwelche konkreten oder rechtlich haltbaren Vorschläge gemacht werden, anstatt einfach einmal abzuwarten.
Ich habe die Ausführungen vom Kollegen Möller so verstanden, dass er gesagt hat, der Startschuss zur Evaluierung ist schon erfolgt, und dann können wir doch so lange abwarten,
bis die Ergebnisse vorliegen. Ich sage Ihnen: Am 16. Januar 2018 haben alle Partner zusammengesessen. Zurzeit werden die Protokolle ausgewertet. Und dann sehen wir weiter. Das ist das Ergebnis einer Zusage, die ich zu dem gleichen Thema hier an diesem Pult gemacht habe, indem ich gesagt habe: Wir werden die Evaluation zu diesem Gesetz vorziehen – vor der Regelkraft. Insofern, so meine ich, muss man an der Stelle schon einmal sehen, dass man abwarten kann, was eine solche Evaluation dann tatsächlich bringt.
Das große Problem, das ich momentan sehe, ist, dass Sie erklären, es existiere keine Rechtssicherheit für die Kommunen. Daher will ich ergänzend zu dem, was meine Vorrednerinnen und Vorredner gesagt haben, noch einmal auf einige rechtliche Entscheidungen hinweisen.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2009 zum Berliner Ladenöffnungsgesetz sagt klar, dass das bloße wirtschaftliche Interesse und das Shoppinginteresse grundsätzlich nicht genügen.
Das Bundesverwaltungsgericht setzt in seiner Entscheidung vom 11. November 2015 zum Ladenschlussgesetz regelhaft voraus, dass die Ladenöffnung in einem engen räumlichen Bezug zu einer konkreten Veranstaltung steht. Die Ladenöffnung muss in der Regel auf das Umfeld einer Veranstaltung begrenzt sein.
Der Verwaltungsgerichtshof in Kassel geht in seinem Urteil vom 15. Mai 2014 folglich davon aus, dass eine sonntägliche Ladenöffnung bei Streichung des Anlassbezugs nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts unzulässig wäre. Der VGH Kassel hat in seiner Entscheidung vom 27. März 2014 formuliert, dass für eine Freigabeentscheidung notwendigerweise eine Prognose für den Zeitpunkt des Anlasses zu treffen ist.
Die auf Sachgründe von lediglich eingeschränktem Gewicht gestützte sonntägliche Öffnung von Verkaufsstellen mit uneingeschränktem Warenangebot sei nur dann ausnahmsweise hinnehmbar, wenn sie „von geringer prägender Wirkung für den öffentlichen Charakter des Tages“ sei, so das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 11. November. Es hat in seinem Urteil vom 17. Mai 2017 ergänzt, dass die Steigerung der Attraktivität des Einzelhandels einer Stadt als Sachgrund nicht in Betracht kommt.
Wenn man diese höchstrichterlichen Gerichtsentscheidungen bei der Prüfung der Freigabe von verkaufsoffenen Sonntagen berücksichtigt und die den Kommunen von uns zur Verfügung gestellten Auslegungshinweise hinzunimmt, ist aus meiner Sicht Rechtssicherheit für die Kommunen geschaffen. Man muss die Vorgaben vor Ort aber eben auch annehmen und entsprechend umsetzen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Her- mann Schaus (DIE LINKE))
(Heiterkeit – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das müssen Sie jetzt hinnehmen, Herr Minister! – Janine Wissler (DIE LINKE): Das müssen Sie aushalten!)
Das muss ich ausnahmsweise aushalten. – Ich könnte Ihnen jetzt noch die Einzelheiten der Diskussion darstellen, die zurzeit geführt wird, die Prof. Dietlein in Gang gebracht hat. Er argumentiert, dass mehr oder minder Gemeinwohlgründe für eine Ladenöffnung an Sonntagen herangezogen werden sollten: geändertes Konsumverhalten, Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Onlinehandel, Funktionsfähigkeit zentraler Versorgungsbereiche, Belebung der Innenstädte. Aber auch diese Argumentation wird dem Regel-Ausnahme-Verhältnis an der Stelle nicht gerecht. Insofern ist natürlich auch die Stellungnahme von Herrn Prof. Schink aus der sehr renommierten Sozietät Redeker Sellner Dahs zum NRW-Ladenöffnungsgesetz zu sehen, der in seinen Ausführungen eindeutig darauf hinweist, dass wahrscheinlich nicht das Gesetz als solches angegriffen
wird, sondern Einzelentscheidungen angegriffen werden, die in Anwendung des Gesetzes erfolgen. Bei diesen Einzelentscheidungen bestehe die Gefahr und die größte Wahrscheinlichkeit, dass sie mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht in Einklang zu bringen seien und letztendlich Verbote ergehen werden. Unabhängig davon ist in der Zwischenzeit eine Normenkontrollklage gegen das NRW-Ladenöffnungsgesetz angedroht worden.
Am 12. Januar 2018 wurden die Kommunalen Spitzenverbände, weitere Verbände und Organisationen im Rahmen des Evaluierungsprozesses angehört. Wir prüfen und bewerten die Stellungnahmen der Anzuhörenden sorgsam. Danach werden alle Fraktionen in den weiteren Prozess eingebunden, dürfen sich gerne an den inhaltlichen Diskussionen beteiligen, auch in Form weiterer Vorschläge – allerdings unter Beachtung der bisherigen, gefestigten verwaltungsrichterlichen Rechtsprechung zu verkaufsoffenen Sonntagen. Dies scheint aus meiner Sicht der geeignete Weg zu sein, Planungssicherheit zu erreichen.
Vielen Dank, Herr Staatsminister Grüttner. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich stelle fest, dass diese Aktuelle Stunde abgehalten wurde.
Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Weltfrauentag und 100 Jahre Frauenwahlrecht – Gleichberechtigung bleibt wichtige Aufgabe – Drucks. 19/6074 –
Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten. Als erste Rednerin hat sich Frau Erfurth für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Wort gemeldet. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wir fordern die Hälfte der Welt“, so lautete der Ruf, mit dem Suffragetten im vorletzten Jahrhundert auf die Straße gingen, um durchzusetzen, dass Frauen genauso wahlberechtigt sein können wie Männer. Vor 100 Jahren, im November 1918, hat der Rat der Volksbeauftragten das allgemeine Wahlrecht für Frauen beschlossen. Am 19. Januar 1919 konnten Frauen in Deutschland das erste Mal wählen und gewählt werden. Vorausgegangen war diesem großen Ereignis ein langer und zäher Kampf – mit unqualifizierten Anfeindungen und Ausgrenzungen.
Meine Damen und Herren, wir haben diesen Antrag aus Anlass des Weltfrauentages, den wir in der nächsten Woche, am 8. März, begehen werden, eingebracht, um einen Blick zurück und einen Blick nach vorne zu werfen, um zu sehen, wie die Gleichberechtigung ihre Schatten voraus bzw. zurückwirft.
Wir alle wissen: Noch längst ist der Weg der Frauen zu tatsächlicher Gleichberechtigung und gleicher Repräsentanz in allen politischen Gremien nicht vollendet.
Junge Frauen von heute empfinden es als nichts Besonderes, wählen zu gehen, und tun es manchmal auch nicht. Für meine Großmutter war es als junge Frau allerdings noch etwas ganz Besonderes, wählen zu dürfen.
1949 ist es Elisabeth Selbert mit der Unterstützung von Frauenverbänden gelungen, einen wunderbar klaren und einfachen Satz im Grundgesetz zu verankern: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Trotz der Klarheit dieses Verfassungsauftrags wissen wir: Vollständige Gleichberechtigung ist längst noch nicht erreicht. Das ist für uns ein Grund, einen ähnlichen Satz in der Hessischen Verfassung zu verankern, um diesen Anspruch aufrechtzuerhalten und zu verdeutlichen, dass wir an der Vollendung der Gleichberechtigung weiter arbeiten wollen. Der Vorschlag, der jetzt vorliegt und der von den Hessinnen und Hessen in der Volksabstimmung bestätigt werden müsste, lautet nicht: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, sondern: „Frauen und Männer sind gleichberechtigt.“ Ich hoffe sehr, dass wir diesen Satz in der Hessischen Verfassung verankern können.
Ich möchte ein paar Zahlen nennen, die klarmachen, dass vieles von dem, was heute selbstverständlich zu sein scheint, noch gar nicht so lange selbstverständlich ist. 100 Jahre ist das Frauenwahlrecht alt. Bis 2005 hat es gedauert, dass erstmals in der Bundesrepublik Deutschland eine Frau zur Bundeskanzlerin gewählt wurde. Das war vor 13 Jahren.
Eine Bundespräsidentin hatten wir allerdings noch nie, Herr Bellino. Auch dafür wäre es an der Zeit.
1961 wurde die erste Frau in ein Bundeskabinett berufen. Ihr wurde – fast hätte ich gesagt: natürlicherweise – das Ressort „Gesundheit“ übertragen, also eine „klassische Frauensache“. Das neue Bundeskabinett wird wohl so viele Frauen umfassen wie noch kein Kabinett zuvor. Ich glaube, ganz paritätisch wird es aber nicht besetzt werden.
In den hessischen Parlamenten waren bis zur 9. Wahlperiode, die 1982 zu Ende gegangen ist, immer weniger als 10 % der Abgeordneten Frauen. Das muss man sich einmal vorstellen. Dann kamen die GRÜNEN – im Dezember 1982.
Im Dezember 1982 zogen die GRÜNEN mit ihren quotierten Listen erstmals in den Hessischen Landtag ein – Priska, ich glaube, du erinnerst dich daran –, und das war der eigentliche Beginn. Dann ist der Anteil der Frauen in allen Landesparlamenten und auch im Bundestag langsam angestiegen. 1982 hatten wir im Hessischen Landtag einen Frauenanteil von 11,82 %. In der derzeitigen Legislaturperiode liegt der Frauenanteil bei 33,6 % – ein gutes Drittel, immer noch nicht die Hälfte. Etwas mehr als die Hälfte der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Menschen sind Frauen, aber wir schaffen es nicht, diese Größenord
nung in der politischen Repräsentanz abzubilden und entsprechend viele Frauen in die Parlamente zu schicken.
Interessant fand ich auch, dass wir in der 17. Wahlperiode den höchsten Frauenanteil im hessischen Parlament hatten. An die 17. Wahlperiode erinnern sich einige nicht so gern; das war die Wahlperiode mit den berühmten hessischen Verhältnissen. Damals lag der Frauenanteil immerhin über 35 %.
Meine Damen und Herren, die SPD, die sehr für die Einführung des Frauenwahlrechts gestritten hat – Clara Zetkin und viele andere Frauen haben sich dafür eingesetzt –, die die erste Partei war, die überhaupt die Forderung im Programm hatte, das Frauenwahlrecht einzuführen, schafft es in diesem Jahr tatsächlich zum ersten Mal, eine Frau für den Parteivorsitz zu nominieren.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Mathias Wagner (Tau- nus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Bätschi, sage ich dazu nur!“)
Das zeigt vielleicht auch ein bisschen die Krux, die wir mit dem Anspruch haben, dass sich Frauen auch in allen politischen Führungsgremien durchsetzen: Es gibt offenbar eine Vielzahl von Faktoren, die Frauen davon abhalten, sich in Parteien, in der Politik oder auch in Spitzenämtern zu engagieren. Das ist eine Aufgabe, die die Parteien zu lösen haben. Die grüne Antwort darauf ist die Quote. Sie wird oft belächelt und für überflüssig gehalten. Aber ohne Quotierung scheint es nicht zu klappen. Ich schaue jetzt ein bisschen in Richtung FDP.
Das zeigen zumindest die Erfahrungen in den letzten Jahrzehnten. Für uns GRÜNE ist das die Erfahrung: Wir müssen sehr darauf dringen, dass wir auch die politischen Gremien paritätisch besetzen, und wir müssen sehr viel Hirnschmalz auf die Überlegung verwenden, wie politische Gremien zu besetzen sind. Wir müssen nach Verfahren suchen, wie wir das umsetzen.
Wir haben in Hessen vor zwei Jahren eine HGO-Änderung verabschiedet, in der wir zumindest den Appell verankert haben, dass bei der Aufstellung von Kommunalwahllisten mehr Frauen zum Zuge kommen. Im Rundfunkrat haben wir es geschafft, eine kluge Regelung zu finden, die den Anteil der Frauen erhöht.
Aber es geht nicht nur um die Politik, sondern auch um die Wirtschaft, um Aufsichtsräte, um alle möglichen Institutionen und um Jurys, die Preise vergeben. Es ist gut, wenn auch in solchen Gremien Männer und Frauen zu gleichen Anteilen vertreten sind.
Für Aufsichtsräte gilt eine Frauenquote von 30 %. Es gab am Anfang ziemlich viel Aufregung, und es wurde die Meinung vertreten, alles würde zusammenbrechen. Die Erfahrung zeigt, nichts ist zusammengebrochen. Wir haben eine bessere Durchmischung in den Aufsichtsräten. Aber wir sind noch längst nicht am Ziel.
Meine Wunschvorstellung ist, dass es einem irgendwann einmal so komisch vorkommt, wenn Gremien nicht paritätisch besetzt sind, dass es gar nicht mehr verordnet werden muss, sondern dass man fragt: Wieso sind mehr Männer als Frauen in diesem Gremium? – Das ist immer noch ein weiter Weg, aber ich glaube, wir müssen dahin kommen, dass es selbstverständlich ist, dass Gremien paritätisch besetzt werden.
Meine Damen und Herren, derzeit erleben wir etwas, was mich mit einer gewissen Sorge erfüllt. Manche der Vorurteile, die den Frauen vor der Einführung des Wahlrechts entgegenschlugen, scheinen nämlich bis heute nicht ausrottbar zu sein. Den Frauen wurde – selbstverständlich – die für das Wählen notwendige Intelligenz abgesprochen, aber es wurde ihnen auch die Zuständigkeit für den Haushalt als natürliche Bestimmung zugeschrieben, und dazu gehörte, nicht in die Politik oder in die Öffentlichkeit zu gehen.