Protokoll der Sitzung vom 23.05.2018

In diesem Zusammenhang sehe ich auch die Wahl der beiden richterlichen Mitglieder des Staatsgerichtshofs und diesen würdevollen Akt der Vereidigung, den wir nun gemeinsam durchführen können.

Ich darf die beiden, Herrn Liebermann und Herrn Dr. Wolf, bitten, nach vorne zu treten.

(Die Anwesenden erheben sich von den Plätzen.)

Beide sind bereits vereidigt, sodass die Frau Präsidentin schon zu Recht darauf hingewiesen hat, dass sie lediglich noch einmal an einen bereits geleisteten Eid zu erinnern sind.

Herr Dr. Wolf hat diesen Eid am 31. Januar 2012 geleistet. Er hat sich verpflichtet, die Verfassung des Landes Hessen getreulich zu wahren. Ich erinnere Sie, Herr Dr. Wolf, dass dieser Eid auch für Ihre weitere Tätigkeit im Staatsgerichtshof gilt.

Herr Liebermann hat den Eid am 13. Juli 2016 geleistet – den gleichen Eid –, und auch dieser gilt für Ihre weitere Tätigkeit fort.

Von daher wünsche ich uns weiter eine gute Zusammenarbeit. – Vielen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Ich darf ebenfalls meine herzlichen Glückwünsche überbringen und unterbreche die Sitzung kurz, damit Sie dies ebenfalls tun können, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Unterbrechung von 15:24 bis 15:28 Uhr)

Kolleginnen und Kollegen, ich hebe die Sitzungsunterbrechung auf.

Eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend zweiter Hessischer Landessozialbericht als wichtige Grundlage für eine weiterhin zukunftsweisende Sozialpolitik in Hessen, Drucks. 19/6478. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann wird dies Tagesordnungspunkt 106 und kann zusammen mit Tagesordnungspunkt 70 aufgerufen werden. – Das ist der Fall.

Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 70 auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Konsequenzen aus dem zweiten Hessischen Landessozialbericht ziehen – Landesaktionsplan gegen Kinderarmut realisieren – Drucks. 19/6415 –

zusammen mit Tagesordnungspunkt 61:

Antrag der Abg. Merz, Alex, Decker, Di Benedetto, Gnadl, Roth, Dr. Sommer (SPD) und Fraktion betreffend Konsequenzen aus Hessischem Sozialbericht ziehen – Drucks. 19/6287 –

und dem soeben aufgenommenen Tagesordnungspunkt 106:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend zweiter Hessischer Landessozialbericht als wichtige Grundlage für eine weiterhin zukunftsweisende Sozialpolitik in Hessen – Drucks. 19/6478 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten. Als Erste spricht Frau Kollegin Schott für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben gerade gehört, dass heute vor 69 Jahren das Grundgesetz verabschiedet wurde. Es lohnt sich, ab und an nachzulesen, was in den Grundrechten enthalten ist: Da ist die Rede von Ehe und Familie, die unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen. – Das scheint nicht für Alleinerziehende zu gelten; denn sonst hätten die nicht das niedrigste Haushaltsnettoäquivalenzeinkommen.

Aber auch in Paarhaushalten mit mehreren Kindern liegt das Einkommen deutlich unter demjenigen der Haushalte ohne Kinder. Hier ist die Familien- und Steuerpolitik gefragt.

Da ist die Rede davon, dass jede Mutter den Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft hat – anscheinend aber nur, bis das Kind auf der Welt ist, dann lässt das Interesse nach. Das zeigt sich unter anderem daran, dass die Eltern vom Grundsicherungsregelsatz nicht einmal die Windeln kaufen können.

Da ist die Rede von der Unverletzlichkeit der Wohnung. Was aber ist mit Menschen, die ihre Wohnung verlieren, weil sie arm sind? Hört da die Unverletzlichkeit auf? Da das Land noch immer keine Wohnungslosenstatistik hat, liegt nur die Erhebung der Liga vor, die für 2015 etwa 3.400 obdachlose Menschen erfasst.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. – Wo bleibt denn die Würde der Frau, die sich nicht einmal traut, ihre Freude über die Schwangerschaft zu zeigen, weil es bereits das zweite Kind ist, das sie bekommt, und weil sie alleinerziehend ist und weil sie erwerbslos ist und Hartz IV bezieht, und weil sie weiß, wie die Umwelt auf sie reagieren wird? Welche Haltung gibt sie ihrem Kind mit, das nie die Freude über die Schwangerschaft gespürt hat?

Sind unsere Grundrechte mit den Auswirkungen von Armut in diesem Land vereinbar? – DIE LINKE sagt: Nein.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor einem Jahr haben wir den Antrag auf einen Landesaktionsplan gegen Kinderarmut gestellt. Da hieß es, das Thema werde prominent im zweiten Sozialbericht behandelt. – Das ist durchaus richtig. Die Handlungsempfehlungen umfassen aber sage und schreibe zwei Seiten, und bis heute warten wir darauf, dass sich die Landesregierung in diesem Haus einmal zu diesem Sozialbericht verhält und dass ein

mal klar wird, was die Konsequenzen aus diesem Bericht sind. Nichts von alledem ist passiert.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Angelika Lö- ber (SPD))

Schauen wir uns die zwei Seiten an. Da steht etwas von Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Verlässliche Kinderbetreuung wird von der Landesregierung gefordert, allerdings wird die Verantwortung vollständig den Kommunen mit einer viel zu geringen Unterstützung des Landes zugeschoben.

Nein, Kitas müssen alle kostenfrei sein und eine gute personelle Ausstattung bieten. Sie sind eine wichtige Sozialisationsinstanz für Kinder. Deshalb muss das Land endlich die finanzielle Verantwortung für Kitas übernehmen und den Kommunen das Geld zur Verfügung stellen.

Für Alleinerziehende sollen familienfreundliche und flexible Arbeitsbedingungen existenzsichernd in den Beschäftigungsverhältnissen sichergestellt werden. – Wie das passieren soll, wissen wir allerdings erst, wenn die Kommission „Hessen hat Familiensinn“ Handlungsfelder entwickelt hat. Wissen Sie denn wirklich nicht, was Alleinerziehende brauchen? – Neben der Betreuung in der Kita benötigen sie eine Betreuung in der Grundschule. Das heißt echte Ganztagsschulen und nicht dieses Flickwerk, das Sie da jetzt bieten.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Dr. Daniela Sommer (SPD))

Sie brauchen Arbeit, von der sie leben können. Ihnen nützt es nichts, wenn der Sozialminister mantraartig wiederholt, dass die Landesregierung keinen Einfluss auf die Gehälter im Sozial- und Gesundheitswesen habe – was ja die typischen Frauenberufe sind.

Sie haben Einfluss, und zwar einen großen; denn wenn die Kommunen genügend Geld haben, dann können sie auch Erzieherinnen einstellen, und dann können sie auch die Gehälter bezahlen, die angesagt wären, um diesen Beruf so wertzuschätzen, wie es notwendig wäre.

Wenn die Schwangerschaftskonfliktberatung und viele andere soziale Einrichtungen besser vom Land finanziert würden, könnten höhere Löhne bezahlt werden und mehr Angebote für Alleinerziehende gemacht werden. Wenn Familienleistungen nicht im Ehegattensplitting und der Förderung von gut Verdienenden versickern würden, wäre Alleinerziehenden geholfen. Dafür brauchen wir nicht erst das Ergebnis einer Kommission.

Das Bildung- und Teilhabepaket soll Kinderarmut bekämpfen? Das meinen Sie doch nicht wirklich im Ernst? Abgesehen davon, dass es schon seit einigen Jahren existiert und sich überhaupt kein Erfolg eingestellt hat: Dass es nicht funktioniert, können Sie in den Berichtsteilen der Sozialverbände, der Kirchen und des DGB nachlesen. Eine Familie beschreibt, wie sie zwischen dem Jobcenter und der Musikschule hin- und herpendelt, um endlich die 10 € zu bekommen, damit das Kind in die Musikschule gehen kann. Dann muss sie immer noch 20 € drauflegen, die sie eigentlich nicht hat.

Dieses bürokratische Paket wurde eingeführt, weil die Regelsätze für Kinder viel zu niedrig sind, und das ist immer noch so. Erst in der letzten Woche hat „Monitor“ errechnet, dass jährlich 25 Milliarden € eingespart werden, weil

die Grundsicherung zu niedrig ist. Dieses Land spart zulasten der Allerärmsten.

(Clemens Reif (CDU): Nicht so schreien!)

Ich schreie dann, wenn es notwendig ist, und an dieser Stelle muss man scheinbar schreien.

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Scheinbar oder anscheinend?)

Die Landesregierung ist bereit, eine Wohnungsnotfallstatistik zu erstellen. Liebe Güte, notwendiger wäre, Wohnungen zu bauen. Aber es ist gut,

(Beifall bei der LINKEN)

dass immerhin der langjährige Kampf der Wohlfahrtsverbände und die 326 Seiten Sozialbericht dazu geführt haben, wenn sie tatsächlich eingeführt wird.

Neben den Erfahrungswerten der Wohlfahrtsverbände gibt es die bundesweite Schätzung der BAG Wohnungslosenhilfe. Die Zahlen für 2016, heruntergerechnet auf Hessen, wären 64.500 Menschen. Mehr bezahlbare Wohnungen wären eine sehr wirksame Maßnahme gegen Armut. Wenn von dem niedrigen Einkommen noch sehr hohe Mieten bezahlt werden müssen, dann reicht es eben nicht mehr für Bildung, für Gesundheit, für Mobilität, für Kultur, manchmal nicht einmal fürs Essen, oder es führt eben zur Arbeitslosigkeit.

Dass kostengünstige Kredite keine Wirksamkeit entfalten, müsste die Landesregierung inzwischen bemerkt haben. Es ist auch unsinnig, das Geld privaten Wohnungsbauunternehmen in den Rachen zu werfen. Warum nützen Sie die finanziellen Ressourcen nicht und ermöglichen den Kommunen endlich sozialen Wohnungsbau?

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Die Landesregierung hat die Frauen und das Gender Pay Gap entdeckt. Vergessen Sie allerdings das Pension Gap nicht. Das ist noch gravierender und bildet die Altersarmut bei Frauen ab. Sie haben den Lohnatlas erstellt. Er soll einen Ansatzpunkt für weiteres Handeln bieten. Ach ja, und wo ist Ihr Handeln? Wo ist Ihr Ansatzpunkt? Den suchen Sie wohl immer noch, oder?

Ich habe vorhin einiges zu existenzsichernden Arbeitsverhältnissen gesagt, auf die Sie Einfluss haben, den Sie ausüben könnten, wenn Sie es wollten. Da wären auch die Hochschulen zu benennen. Da gibt es in der Zwischenzeit eine Menge schlecht bezahlte und ziemlich prekär beschäftigte Menschen, besonders im Mittelbau – auch hier wieder Frauen. Dann gibt es auch noch die Minijobs und die prekären Arbeitsverhältnisse insgesamt, die durch die HartzGesetze ermöglicht wurden. Kein Mensch baut dort irgendetwas zurück, aber das ist Ihrer aller Verantwortung.

Zum Unterhaltsvorschuss kann man sagen – das ist einer der benannten Punkte –: Das nützt tatsächlich einigen, aber wiederum nicht den Grundsicherungsempfängerinnen. Da geht es nur von einer Sozialkasse in die andere.