Protokoll der Sitzung vom 20.06.2018

Nicht richtig ist, dass das eine hessische Sonderentwicklung gewesen sei.

(Norbert Schmitt (SPD): Das tröstet uns!)

Wir hatten in den Neunzigerjahren bis weit in die Zweitausenderjahre eine Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, in der sich Kommunal- und Landespolitik – egal, welche Parteien an der Regierung waren – aus dem öffentlich geförderten Wohnungsbau verabschiedet haben.

Ich darf daran erinnern, dass in Kiel ein SPD-Oberbürgermeister und eine Große Koalition 11.000 Wohnungen in dieser Zeit verkauft haben. Ich darf daran erinnern, dass in Dresden 26.000 Wohnungen mit Zustimmung von CDU, FDP, teilweise der SPD und teilweise der LINKEN verkauft wurden. Damit es nicht parteipolitisch wird, darf ich daran erinnern, dass in Freiburg der vom Oberbürgermeister der GRÜNEN geplante Verkauf der städtischen Wohnungsgesellschaft

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Da sind welche verkauft worden? In Freiburg?)

erst durch einen Bürgerentscheid verhindert wurde. Ich darf daran erinnern, dass SPD und LINKE in Berlin – damals hieß DIE LINKE noch PDS – 2004 die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft verkauft haben. Es gab eine par

teiübergreifende Weichenstellung in der Politik, dass man den sozialen Wohnungsbau nicht mehr so wichtig genommen hat. Darunter leiden wir bis heute.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Es ist keine hessische Sonderentwicklung, dass die Hälfte der Sozialwohnungen in den letzten 20 Jahren weggefallen ist. Das ist leider bundesweit so, und zwar völlig unabhängig davon, welche Parteien die jeweiligen Landesregierungen gestellt haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Warum ist das so, meine Damen und Herren? – Weil sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt in den letzten Jahren dramatisch geändert hat. Ist man in den Neunzigerjahren und Anfang der Zweitausenderjahre noch davon ausgegangen, dass die Bevölkerungsentwicklung sinkt, haben wir spätestens seit Anfang der Zweitausendzehnerjahre eine steigende Bevölkerungsentwicklung in Deutschland.

Wir haben einen massiven Druck in die Städte, weil Bürgerinnen und Bürger in den Städten leben wollen. Auf diese neue Entwicklung müssen wir Antworten geben. Zur Wahrheit gehört auch dazu, dass wir auf dem Wohnungsmarkt seit der Finanzkrise 2008, seit der Niedrigzinspolitik und seit der Politik des losen und leichten Geldes einen massiven Spekulationsdruck haben, der preistreibend wirkt. Das alles sind neue Entwicklungen. Aber auf all diese Entwicklungen hat diese Landesregierung seit 2014 reagiert. Sie hat seitdem darauf Antworten gegeben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Worum geht es beim Wohnungsbau? – Es geht erstens darum, dass Geld für geförderten Wohnungsbau zur Verfügung steht. Das ist in Hessen so: 1,7 Milliarden € für 20.000 Wohnungen für 60.000 Menschen. Kein einziger Antrag auf Förderung einer sozial unterstützten Wohnung scheitert in Hessen am Geld. Geld steht zur Verfügung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Zweitens. Wir brauchen Flächen. Wir müssen uns nicht so sehr damit beschäftigen, immer neue Flächen auszuweisen. Wir haben gerade im Rhein-Main-Ballungsgebiet eine Reihe von Flächen, die Bauland sein könnten. Wir müssen die Kommunen dabei unterstützen, diese Flächen tatsächlich zu erschließen. Genau das ist die Idee hinter der BaulandOffensive, die diese Landesregierung auf den Weg gebracht hat, nämlich die vorhandenen Flächen endlich nutzbar zu machen, damit auf diesen Flächen gebaut werden kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken über- nimmt den Vorsitz.)

Wir brauchen drittens die richtigen Rahmenbedingungen. Ich nenne die Allianz für Wohnen. Ich nenne die Mietpreisbremse bei Bestandsmieten. Ich nenne die Mietpreisbremse bei Wiedervermietung. Ich nenne die Fehlbelegungsabgabe. Ich nenne die Überarbeitung der Hessischen Bauordnung. Auch hier haben wir gehandelt. Auch hier haben wir unsere Hausaufgaben gemacht.

Wir brauchen viertens eine leistungsfähige Landeswohnungsbaugesellschaft. Ich sage ausdrücklich: Wenn wir die Nassauische Heimstätte nicht hätten, müssten wir sie erfinden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

60.000 Wohnungen stellt diese landeseigene Wohnungsbaugesellschaft zur Verfügung. Der durchschnittliche Mietpreis beträgt 5,71 € pro Quadratmeter. Selbst im besonders unter Wohnungsdruck stehenden Frankfurt beträgt der Durchschnittsmietsatz für Wohnungen der Nassauischen Heimstätte 6,64 € pro Quadratmeter. Das ist eine verantwortliche Wohnungsbaupolitik in der Verantwortung des Landes mit unserer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Jetzt deckeln wir die Miete bei der Nassauischen Heimstätte für kleine und mittlere Einkommen. Das ist der richtige Weg. Wir begrenzen die Umlage der Modernisierungskosten in diesem landeseigenen Betrieb. Ferner sorgen wir dafür, dass die Nassauische Heimstätte 2.000 weitere Wohnungen in der Sozialbindung hält. Wir handeln also. Wir machen eine andere Wohnungsbaupolitik als in den Neunzigerjahren, weil sich die Herausforderungen geändert haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Fünftens brauchen wir ein richtiges Konzept für den Wohnungsbau. Die von einigen hier im Haus vertretene Wohnungsbaupolitik aus Glas, Beton und Stahl, wie es bei der Vorstellung des Landtagswahlprogramms der SPD hieß, oder das „Bauen, Bauen, Bauen“, wie es heute hier geschildert wurde

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Von Herrn Boddenberg gesagt wurde!)

wie es von Herrn Schäfer-Gümbel und Herrn Boddenberg gesagt wurde –, ist kein ausreichender Ansatz. Wenn man für eine Politik aus Glas, Beton und Stahl ist, dann verschwimmt der Blick auf zielgerichtete Lösungen. Ich will Ihnen das anhand des Beispiels des Polizeipräsidiums Frankfurt nachweisen.

Mit dem Gesamtkonzept, das wir beim Verkauf des Polizeipräsidiums Frankfurt realisiert haben, stellen wir mehr Wohnraum zur Verfügung, halten wir mehr Wohnungen in der sozialen Bindung, haben wir mehr für die Entwicklung des Quartiers erreicht, als es mit irgendeinem Konzept zuvor vorgelegt wurde. Das, was wir da vorgelegt haben, schafft mehr Wohnraum als alle anderen Konzepte. Wenn man nur auf „Bauen, Bauen, Bauen“ setzt und sich nicht anschaut, was wirklich hilft, dann redet man so über den Verkauf, wie das hier gemacht wurde. Wenn es einem aber darum geht, die Wohnraumsituation von Menschen real zu verbessern, dann macht man es so, wie es diese Landesregierung gemacht hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Hermann Schaus (DIE LINKE): Was sind Ihre Vorstellungen, Herr Wagner?)

Wir haben beim Polizeipräsidium Frankfurt alle Wünsche der Stadt Frankfurt erfüllt. Die Vorgaben der Stadt Frank

furt waren: 40 % Wohnraumfläche in der Geschossfläche, davon 30 % geförderter Wohnungsbau. Das haben wir gemacht. Die Stadt Frankfurt wollte auf diesem Gelände eine Kita errichten. Das haben wir gemacht. Die Stadt Frankfurt wollte eine Turnhalle auf diesem Gelände errichten. Das haben wir gemacht.

Dabei sind wir aber nicht stehen geblieben. Durch den Verkauf haben wir jetzt die Möglichkeit, 60 Millionen € in einen Liegenschaftsfonds zu investieren. Mit diesem Liegenschaftsfonds kaufen wir Grundstücke. Auf diesen Grundstücken entstehen 600 bis 850 Wohnungen. Nicht nur „Bauen, Bauen, Bauen“, sondern das Ganze auch noch mit Hirn machen und so, dass es tatsächlich hilft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Hermann Schaus (DIE LINKE): Wo entstehen die denn, Herr Wagner?)

Mit den Verkaufserlösen können wir 530 Wohnungen in der Belegungsbindung halten, meine Damen und Herren. Das wäre alles nicht möglich gewesen, hätten wir die Entwicklung allein auf dieses Gebiet konzentriert. Ich will diejenigen, die vorgeschlagen haben, auf diesem Gebiet zu 100 % sozial geförderten Wohnungsbau zu machen, fragen: Haben wir nicht unsere Lektion aus den Siebzigerjahren gelernt, dass wir durchmischte Gebiete brauchen, dass es um den sozialen Zusammenhalt von Gebieten gehen muss? Haben wir das nicht gelernt? Wollen wir wieder zurückfallen in die Wohnungsbaupolitik der Siebzigerjahre?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Glas, Beton und Stahl alleine lösen nämlich nicht die Probleme. Es muss um bezahlbaren Wohnraum und um lebenswerten Wohnraum gehen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): So ist es!)

Deshalb war es so wahnsinnig klug, die Erlöse aus dem Verkauf des Polizeipräsidiums Frankfurt auch für ein Programm zur Förderung des nachhaltigen Wohnumfeldes zu nutzen.

Meine Damen und Herren, wir haben gehandelt. Wir haben die Fehler vergangener Jahre in der Wohnungsbaupolitik, die bundesweit gemacht wurden, nicht fortgesetzt. Außerdem haben wir das richtige Konzept, wie wir das weiter machen.

Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Wagner.

Letzter Satz. – Das ist der entscheidende Punkt. Es gibt Kräfte, die wollen auf „Bauen, Bauen, Bauen“ setzen, ohne Sinn und Verstand. Sie wollen die Fehler der Wohnungsbaupolitik der Siebzigerjahre wiederholen.

(Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Wir hingegen stehen für eine Wohnungsbaupolitik, die bezahlbares Wohnen und ein lebenswertes Wohnumfeld im Blick hat. Das ist der Unterschied, meine Damen und Herren. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Danke, Herr Wagner. – Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Schäfer-Gümbel, Vorsitzender der SPD-Fraktion, gemeldet.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Wagner, es gäbe ganz vieles zu sagen. Dazu werden die zwei Minuten aber nicht ausreichen. Ich will aber wenigstens zu drei Punkten kurze Anmerkungen machen.

Erstens zu Ihrem Eigenlob in Sachen Sozialwohnungsquote beim Verkauf des Polizeipräsidiums Frankfurt. Das ist Ergebnis des harten politischen Drucks von Mike Josef.

(Lachen der Abg. Mathias Wagner (Taunus) und Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das ist auch hier in der Anhörung deutlich geworden. Weil er das ausgeführt hat, haben Sie sich anschließend darüber aufgeregt, dass er aus internen Gesprächen berichtet habe. So viel zur Redlichkeit in der Debatte.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Ich merke seit Wochen, dass Sie es darauf anlegen, zu versuchen, unsere Formulierung, dass man zum Bauen auch Baumaterialien braucht und nicht nur darüber reden sollte, und dass das übersetzt wird mit „Bauen, Bauen, Bauen“, wie es Herr Boddenberg heute zugespitzt hat, in eine in der Tat völlig verkorkste Städtebauentwicklungspolitik der Sechziger- und Siebzigerjahre zu übersetzen. Das ist nicht in Ordnung. Sie wissen, dass wir in den vergangenen Jahren bei Fragen der sozialen Stadterneuerung engstens zusammengearbeitet haben. Ich will darauf verweisen. Ich hätte mir gewünscht, dass das beispielsweise beim Verkauf der Hegemag-Wohnungsbaubestände aus dem Darmstädter Bauverein nicht an einen privaten Investor gegangen wäre. Die damalige grün-schwarze Mehrheit unter Führung meines sehr geschätzten Kollegen Jochen Partsch war aber nicht bereit, mit dem öffentlichen Wohnungseigentümer Stadt Gießen darüber ernsthaft zu verhandeln.