Protokoll der Sitzung vom 21.06.2018

Aus Bürgern, die selbstverständlich ihre durch Steuern bezahlten Straßen nutzen, werden mit der Pkw- und LkwMaut plötzlich Kunden, die ein Produkt kaufen. Die IGA hat sogar ein wirtschaftliches Interesse daran, möglichst viel Verkehr auf die Straßen zu ziehen. Das ist umweltpolitisch und verkehrspolitisch absurd und genau das Gegenteil von dem, was wir brauchen.

Über ÖPP-Projekte, die sogenannten öffentlich-privaten Partnerschaften, sollen private Investoren praktisch unbegrenzt beteiligt werden. Es gibt zwar eine Grenze von 100 km pro Projekt, aber es kann ja unbegrenzt viele Projekte geben. Diese Begrenzung ist also eine Nebelkerze. Dass diese ÖPP-Projekte nicht besser oder billiger sind als ein rein staatlicher Autobahnbetrieb, hat nicht nur der Bundesrechnungshof ausgerechnet, sondern das zeigen auch abschreckende Beispiele wie die Firma A 1 mobil in Niedersachsen, die nicht genug Maut einnahm, in wirtschaftliche Schieflage geriet und den Bund auf mehr als eine halbe Milliarde Euro verklagt hat.

Es soll also sehr wohl private Rendite mit den Autobahnen gemacht werden, und die wird jemand bezahlen müssen. Ob das die Nutzer oder die Steuerzahler sind – am Ende zahlt es die Allgemeinheit. Was steckt also dahinter, außer den Fonds und der Versicherungen neue Investmentoptionen zu offerieren? – Ganz einfach: Dahinter steckt auch der Fetisch der schwarzen Null. Die IGA bildet faktisch einen Schattenhaushalt. Das Unternehmen kann munter Schulden aufnehmen und ÖPP-Projekte mit privaten Inves

toren betreiben, und die Schuldenbremse spielt keine Rolle mehr, weil die Mittel – vor allem auch die Mauteinnahmen – gar nicht mehr im Bundeshaushalt auftauchen.

Die Mauteinnahmen sollen komplett bei der IGA bleiben. Genannt wird das dann „geschlossener Finanzierungskreislauf“. Die CSU tönt: Jeder Euro der Maut fließt wieder in die Straße. – Ja, aber das nimmt dem Haushaltssouverän, nämlich dem Parlament, auch die Möglichkeit, die Mauteinnahmen für etwas anderes zu nutzen, z. B. für den Schienenausbau und die Verkehrswende. Das Geld, vor allem aus der Lkw-Maut, bleibt also schön in dieser Blackbox IGA.

Wir haben die Schuldenbremse immer als Investitionsbremse abgelehnt, weil wir genau solche Folgen befürchtet haben. Wenn die öffentliche Hand sich selbst verbietet, Geld für Investitionen auszugeben – nichts anderes ist die Schuldenbremse –, dann kann die Infrastruktur nur mithilfe von Schattenhaushalten, Privatisierungen und ÖPP-Projekten saniert und aufrechterhalten werden. Das ist intransparent und langfristig auch teurer, als wenn der Staat es selbst macht, weil am Ende eben Investoren auch mitverdienen wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist undemokratisch und ökologisch hoch bedenklich. Und es macht die Menschen, die sich bisher mit harter Arbeit um hessische Autobahnen gekümmert haben, zu einem Spielball. Denn an die Beschäftigten scheint bei der ganzen Verteilungsfrage in Berlin offensichtlich überhaupt niemand auch nur eine Sekunde gedacht zu haben.

Leider ist die Grundgesetzänderung beschlossen. Aber Sie können jetzt Planungssicherheit für die Beschäftigten verlangen. Ich finde, hier kann man wirklich noch etwas drehen. Deshalb sollten Sie, Herr Minister, es ernst nehmen, wenn die Wirtschaftsverbände, die Bauindustrie, die Beschäftigten und die Gewerkschaften gleichermaßen Sturm laufen gegen diese Pläne.

Deshalb sage ich: Machen Sie Druck gegen dieses Standortkonzept. – Ich sage auch: Wir haben hier einen stellvertretenden CDU-Vorsitzenden, einen stellvertretenden SPDVorsitzenden, und wir haben hier einen grünen Minister. Deshalb finde ich, man sollte das ganze politische Gewicht in die Waagschale werfen und für die Menschen kämpfen, deren Dienstherr Sie jetzt noch sind, nämlich für die Beschäftigten von Hessen Mobil.

(Beifall bei der LINKEN)

Hier muss man im eigenen Laden klare Verhältnisse schaffen für die Beschäftigten, die bleiben, und für die, die gehen, bevor sich dringend benötigte Fachkräfte etwas anderes, Planbareres suchen. Wenn es jetzt auch nicht allein in Ihrer Hand liegt, was mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geschieht, die zur IGA wechseln, dann sorgen Sie wenigstens für den Rest für Klarheit und Planungssicherheit, bevor der Politikbetrieb des Landes nach der Wahl möglicherweise für Monate stillsteht. Geben Sie den Menschen Zusagen, die auch für eine zukünftige Landesregierung rechtsverbindlich sind, beispielsweise einen Schutztarifvertrag und Standortgarantien. Ich finde, das ist das Mindeste, was das Land Hessen diesen Menschen schuldig ist, die jeden Tag hart arbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Wissler. – Als Nächster hat sich Herr Kollege Frankenberger für die Fraktion der Sozialdemokraten gemeldet. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

(Norbert Schmitt (SPD): Jetzt stell erst einmal alles richtig! – Gegenruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU): Er spricht jetzt für die Große Koalition! – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), zur CDU gewandt: Das wäre das erste Mal!)

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Wissler, da Sie in Ihrer Rede die Schlachten von vorgestern geführt haben, lassen Sie mich noch einmal darauf eingehen, dass dies, als die Bundesinfrastrukturgesellschaft zum ersten Mal ins Gespräch kam, bei allen Bundesländern zu einer großen Zurückhaltung geführt hat. Die Bundesländer haben immer wieder betont, dass sie selbst hervorragend aufgestellte Straßenbauverwaltungen hätten. Die Kolleginnen und Kollegen von Hessen Mobil haben bei immer weniger Mitarbeitern – denn die CDU-geführte Landesregierung hat dort in den letzten Jahren einen massiven Stellenabbau vorangetrieben – eine engagierte und qualifizierte Arbeit abgeliefert. Dafür gebührt ihnen unsere Anerkennung.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wenn ein solch großes Rad wie die Übertragung von Fernstraßen auf den Bund gedreht wird, dann führt das bei den Beschäftigten naturgemäß und zu Recht zu Unsicherheit und Ängsten. Lassen Sie mich daher einmal festhalten: Wir als Sozialdemokraten sind erleichtert, dass erreicht worden ist, dass niemand gegen seinen Willen zur neuen Gesellschaft wechseln muss – sei es den Arbeitsplatz oder als Arbeitnehmer der neuen Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD)

Dafür sind wir als Sozialdemokraten gemeinsam mit den Gewerkschaften und Beschäftigtenvertretungen eingetreten.

Meine Damen und Herren, auch das war für uns Sozialdemokraten wichtig: Die neue Infrastrukturgesellschaft wird eine Gesellschaft mit einem Tarifvertrag sein. Sie wird an Tarifrecht gebunden sein. Liebe Janine Wissler, eine privatrechtliche Organisation ist keine Privatisierung; aber diese Diskussion haben wir schon anlässlich der Gründung im Juni des letzten Jahres geführt. Auch will ich hier einmal ausdrücklich festhalten: Die Sozialdemokraten haben dafür gesorgt, dass der Privatisierung ein Riegel vorgeschoben wurde. Dass wir da widerstanden haben, darauf sind wir auch ein Stück weit stolz.

(Beifall bei der SPD)

Als diese Grundgesetzesänderung beschlossen worden ist, ist von ver.di ausdrücklich bestätigt worden, dass dieser Fetisch der Privatisierung damit ausgeschlossen ist. Deswegen macht es auch keinen Sinn, weiterhin bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für Unsicherheit zu sorgen, liebe Janine.

In der letzten Verkehrsministerkonferenz, ich glaube, es war im April dieses Jahres, ist das Standortkonzept der Bundesinfrastrukturgesellschaft verkündet worden. Nach

diesem Konzept – Herr Kollege Lenders hat bereits darauf hingewiesen – soll es in Hessen keine Niederlassung geben, in Nordrhein-Westfalen und in Bayern dagegen zwei.

Hessen hat fast 1.000 km Autobahnen, es ist in Bezug auf den Verkehr das Transitland Nummer eins in Deutschland. Mit dem Ballungsraum Rhein-Main ist es verkehrlich das am meisten frequentierte Drehkreuz in Deutschland. Nun sagen einige: Es ist ja gut, dass eine Außenstelle des Bundesamts nach Gießen kommen soll; das sind qualifizierte Arbeitsplätze für Hessen. – Stimmt, das ist alles in Ordnung. Dort werden aber hoheitliche Aufgaben erledigt; die Steuerung erfolgt nämlich über die Bundesinfrastrukturgesellschaft und deren Niederlassungen, und von diesen soll Hessen nach diesem Konzept keine bekommen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, für uns als Sozialdemokraten ist nicht nachvollziehbar, warum das Rhein-Main-Gebiet zukünftig von Rheinland-Pfalz, von Montabaur, aus gesteuert werden soll. Wir können nicht nachvollziehen, dass die Entscheidungen über den Ballungsraum Rhein-Main, über das Verkehrsdrehkreuz mit dem höchsten Aufkommen in Deutschland, zukünftig in Rheinland-Pfalz getroffen werden. Das ergibt aus fachlicher Sicht überhaupt keinen Sinn.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Mathias Wag- ner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Was man von der besagten Verkehrsministerkonferenz so hört, muss es dort alles ziemlich geheimnisvoll zugegangen sein. Dort gab es verschlossene Umschläge, in denen die Verkehrsminister sozusagen das Standortkonzept der Bundesregierung präsentiert bekommen haben. Das haben die Verkehrsminister der Bundesländer dann zur Kenntnis genommen, mehr aber auch nicht. Ich kenne das Ganze nur aus Erzählungen; es ist uns mehrfach so dargestellt worden.

Es ist von Hessen erst einmal überhaupt keine Reaktion erfolgt. Die Umschläge wurden aufgemacht; es wurde zur Kenntnis genommen; es gab aber keine Reaktion. Nachdem dann insbesondere Hessen Mobil und deren Beschäftigte heftige Kritik an dem Standortkonzept geübt haben, kam endlich Bewegung in die Diskussion. Unser Fraktionsvorsitzender Thorsten Schäfer-Gümbel hat Ministerpräsident Bouffier bereits Anfang Mai aufgefordert, sich auf Bundesebene für eine Niederlassung einzusetzen, und sich selbst mit einem entsprechenden Brief an den zuständigen Verkehrsminister gewandt.

Auch die Beschäftigten von Hessen Mobil und die Wirtschaft treten weiterhin nachhaltig für eine eigene Niederlassung in Hessen ein. Ich glaube, der Brief der Handwerkskammer hat uns gestern alle erreicht. Ich weiß, dass Ministerpräsident Bouffier und der hessische Verkehrsminister mittlerweile initiativ geworden sind. Es ist auch gut, dass wir in dieser Frage an einem Strang ziehen.

Ich komme noch einmal auf die besagte Verkehrsministerkonferenz im April 2018 zurück. Dort gab es neben geschlossenen Umschlägen auch Beschlüsse.

(Michael Boddenberg (CDU): Zur Übergabe der Umschläge, oder was?)

Es hielt sich ziemlich lange das Gerücht, dass die Verkehrsminister der Länder den Vorschlag des Bundes einstimmig gebilligt haben sollen. Der Verkehrsminister von Hessen hat das dann geradegerückt und im Ausschuss klar

gestellt. Es ist ein Beschluss folgenden Inhalts gefasst worden:

Die Verkehrsministerkonferenz begrüßt, dass vom Bund mittlerweile konkrete Vorschläge für wesentliche Strukturelemente der Neuordnung der Bundesfernstraßenverwaltung vorgelegt wurden, die in den nächsten Wochen und Monaten mit den Ländern abgestimmt werden müssen.

Das ist richtig. Daraus kann man keine Zustimmung interpretieren.

(Michael Boddenberg (CDU): Das stimmt irgendwie!)

Nur, Herr Staatsminister Al-Wazir, nachdem die Vorschläge auf dem Tisch lagen und jedem sofort ins Auge sprang, dass Hessen bei diesem Vorschlag leer ausgehen und keine eigene Niederlassung bekommen würde, hätten wir uns eine unmittelbare Reaktion vonseiten des Landes Hessen gewünscht.

(Beifall bei der SPD)

Herr Staatsminister Al-Wazir hat immer wieder betont, dass das Land Hessen bei der Erstellung des Konzepts nicht eingebunden gewesen sei. Es habe zwischen den Ländern und dem Bund bis zur Erstellung des Konzepts Funkstille geherrscht. Die Begründung war unter anderem eine schwierige Regierungsbildung in Berlin. Dies hat auch dazu geführt, jedenfalls nach Aussage des Ministers, dass Hessen keine eigenen Vorschläge in die Diskussion einbringen konnte.

Ich muss daher noch einmal auf eine Debatte zurückkommen, die wir im Juni des letzten Jahres anlässlich der Gründung der Infrastrukturgesellschaft geführt haben. Für die Landesregierung hat Staatssekretär Samson in der Debatte folgende Position vertreten:

Es ist festgeschrieben, dass es zehn Tochtergesellschaften

damals waren die Niederlassungen noch Tochtergesellschaften –

in Deutschland geben wird. Ich habe das außerordentlich große Bedürfnis, dass eine davon in Hessen angesiedelt wird. Für viele hier scheint das selbstverständlich zu sein. Ich glaube, diese Kuh ist noch nicht vom Eis.

(Jürgen Lenders (FDP): Ja!)

Wenn man am 1. Juni des letzten Jahres bereits Anzeichen dafür hatte, dass Hessen keine eigene Niederlassung bekommen soll, dann frage ich mich, was diese Landesregierung vom Juni des letzten Jahres bis April dieses Jahres gemacht hat, um für hessische Interessen einzutreten.

(Beifall bei der SPD – Jürgen Lenders (FDP): Nichts!)

Uns wurde ein Bild vermittelt, dass sich der Bund den jetzt vorliegenden Vorschlag im stillen Kämmerlein ausgedacht hat.

(Zuruf des Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP))