Protokoll der Sitzung vom 22.08.2018

Wo ist eigentlich Ihr Beitrag?

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Vollmundige Ankündigungen kennen wir von Ihnen zuhauf. Eine der letzten, die Sie angesprochen haben, war die Einrichtung eines Zukunftsministeriums vor der letzten Landtagswahl. Ich kenne die Reaktionen jetzt schon: Sie sind die personifizierte Zukunft, das heißt, man braucht eigentlich gar kein Ministerium.

(Lachen bei der SPD – Günter Rudolph (SPD): Ja, ja! – Janine Wissler (DIE LINKE): Zukunft ist Chefsache!)

Aber es ist exemplarisch für Ihre Ankündigungsrhetorik, dass Sie erklären: „Wir beschäftigen uns mit den Zukunftsfragen“, und danach kommt gar nichts. PR können Sie großartig; das ist überhaupt keine Frage.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Na ja!)

Aber an Substanz liefern Sie nichts. Das hat Ihnen das Institut der deutschen Wirtschaft gerade eindrücklich ins Stammbuch geschrieben.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Da ich leider nur zehn Minuten Zeit habe, will ich nur einige wenige Punkte kurz ansprechen, die aufgerufen worden sind.

Finanzen. Schwarze glauben allen Ernstes, dass sie mit Finanzen umgehen können. Ich will darauf hinweisen, auch mit Blick auf die 4 Milliarden €, von denen gestern die Rede war: In der Regierungszeit von Roland Koch und Volker Bouffier hat sich die Staatsverschuldung des Landes Hessen in knapp 19 Jahren im Vergleich zu den 50 Jahren zuvor mehr als verdoppelt. Das ist Ihre Bilanz.

(Beifall bei der SPD)

Die kommunalen Schulden sind gestiegen, die Abgaben auch. Bürgerinnen und Bürger sowie die kommunale Familie zahlen für die Versäumnisse Ihrer Finanzpolitik. Von 2011 bis 2016 – auch das hat Ihnen das Institut der deutschen Wirtschaft vorgerechnet – ist die Pro-Kopf-Verschuldung in Hessens Kommunen trotz des Schutzschirms, möglicherweise wegen Ihres Kommunalen Finanzausgleichs, um 529 € gestiegen, nicht gesunken. Das ist Ihre Bilanz nach 19 Jahren.

(Beifall bei der SPD)

Noch dramatischer ist die Entwicklung der öffentlichen Investitionen. Das ist das Hauptthema des Instituts der deutschen Wirtschaft mit Blick auf die Wirtschaftslage; denn der Teil, den der Staat liefern muss, bezieht sich auf die Infrastruktur. Der Anteil der Investitionen ist zwischen 2010 und 2016 in Hessen um ein Drittel zurückgegangen. Ein Drittel weniger Investitionen in Hessen innerhalb von sechs Jahren – das ist Ihre Bilanz. Das ist das Gegenteil von Zukunftssicherung.

(Beifall bei der SPD und des Abg. René Rock (FDP))

Kommen wir zur Mobilität. Auch dazu hat Ihnen das Institut der deutschen Wirtschaft einiges ins Stammbuch geschrieben. Wir haben schon mehrfach darauf hingewiesen, dass sich der Stau in Hessen mittlerweile auf eine Länge summiert, die dreimal um den Erdkreis reicht. Das hat Sie aber nicht sonderlich interessiert. Dass der Wertverlust dramatisch ist, hat Ihnen das Institut der deutschen Wirtschaft erneut vorgerechnet.

Dass 50 % aller Brücken in Hessen in einem schlechten oder sehr schlechten Zustand sind, hat etwas damit zu tun, dass die Investitionsfragen in 19 Regierungsjahren von Roland Koch und Volker Bouffier nicht ausreichend gewürdigt wurden.

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Außerdem ist Ihnen etwas zu den Themen Bauen und Planen ins Stammbuch geschrieben worden. An dieser Stelle zitiere ich noch einmal aus der „Süddeutschen Zeitung“. Der Ministerpräsident beklagt, die Verfahren dauerten zu lange. Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Sie haben hier leider 20 Jahre lang regiert. Insofern ist ein solcher kritischer Hinweis ein Hinweis, der sich dezidiert gegen Sie selbst und gegen sonst niemanden richtet.

(Beifall bei der SPD)

Besonders bemerkenswert an den Ausführungen des Instituts der deutschen Wirtschaft ist, was bei der Umsetzung des Bundesverkehrswegeplans in der vergangenen Dekade passiert ist. Von 87 geplanten und avisierten Neubaukilometern im Bundesautobahnbereich haben Sie gerade einmal 24 km gebaut. Von den 107 km, die zur Erweiterung anstanden, haben Sie es gerade einmal auf 17 km geschafft. Wenn Sie jetzt in Ihrem Antrag wortreich erklären,

dass im nächsten Bundesverkehrswegeplan mehr Mittel zur Verfügung stünden, freue ich mich riesig darüber. Diesem Teil würde ich sogar zustimmen. Mein Vertrauen, dass dieses Mehr an Mitteln dazu führt, dass Sie auch nur einen einzigen Kilometer mehr bauen als in den vergangenen zehn Jahren, ist allerdings sehr übersichtlich. Das will ich in aller Offenheit sagen.

(Beifall bei der SPD)

„Sanierung vor Neubau“ ist Ihr Credo. Im Grundsatz sind wir sehr dafür, weil wir einen Sanierungsstau haben. Das haben wir mehrfach gesagt, Herr Boddenberg. Der Punkt ist aber, dass das Credo bei Ihnen nicht mehr „Sanierung vor Neubau“ heißt. De facto geht es um Sanierung statt Neubau. Das ist aus unserer Sicht aber falsch.

(Beifall bei der SPD)

Ich muss Ihnen sagen: Bei neuen Ideen ist gähnende Leere, und zwar seit vielen Jahren. Die letzten Ideen, die es einmal von einem gewissen Roland Koch gegeben hat, sind nie richtig umgesetzt worden – in den meisten Fällen völlig zu Recht und auch Gott sei Dank. Dahinter kommt aber einfach nichts mehr.

Damit komme ich zum nächsten großen Thema. Auch zur Wohnraumversorgung hat Ihnen das Institut der deutschen Wirtschaft ins Stammbuch geschrieben, dass Sie in diesem Bereich nichts auf die Kette bringen – im Gegenteil. Wir werden in Hessen eine Nettozuwanderung von bis zu 160.000 Neubürgerinnen und Neubürgern haben. Wir bauen in den nächsten zwölf Jahren eine neue Großstadt, um Wohnraum für diese Menschen zu schaffen, um Verdrängungen zu verhindern. Ihre Antwort ist – das wurde gestern wieder wortreich erklärt –: Hochglanzbroschüre, Darlehensprogramme, die nicht abgerufen werden, und die Aufforderung an die Kommunen, Gelände kostengünstig und für Konzeptwettbewerbe zur Verfügung zu stellen. Das Land selbst hat sich in der Vergangenheit hierbei völlig zurückgehalten. Wir sagen Ihnen: Das ist der falsche Weg. Die Antwort lautet: Wohnungsoffensive – jetzt wirklich machen.

(Beifall bei der SPD)

Zum Thema „ländlicher Raum“ schreibt Ihnen das Institut der deutschen Wirtschaft ins Stammbuch, dass Ihre Zentralisierungspolitik der vergangenen 19 Jahre genau das Gegenteil von dem ausgelöst hat, was eigentlich notwendig gewesen ist. Der Vierklang aus Wohnen, Arbeit, Infrastruktur und Daseinsvorsorge ist das Zukunftskonzept für den ländlichen Raum. Außer ein paar PR-Aktionen haben Sie kein, aber auch gar kein Konzept dazu.

(Beifall bei der SPD)

Damit komme ich zum letzten Punkt, nämlich zur Industriepolitik. Auch da herrscht gähnende Leere bei dem, was Sie angesprochen haben. Der gestrige parlamentarische Abend der Lufthansa war aus vielen Gründen denkwürdig.

(Günter Rudolph (SPD): Ja!)

Ich habe mich sehr über die Lernkurve des derzeitigen Wirtschaftsministers gefreut, was das Thema Luftverkehrsabgabe angeht. Wir sind uns sehr einig, dass die Erträge aus der Luftverkehrsabgabe, wenn diese schon nicht abgeschafft werden kann, genutzt werden müssen, um emissionsgeminderte Flugzeuge anzuschaffen. Da sind wir sehr nah beieinander. Über den Weg haben wir zu diskutieren.

Ich will das deswegen ansprechen, weil ich mich gut daran erinnere, wie vor fünf Jahren einige Parlamentarier hier aufgetreten sind, was man alles beim Flughafen, bei K+S und an anderen Stellen machen könne. Ich glaube nicht, dass sich in den vergangenen Jahren substanziell etwas zu dem verändert hat, was vor 19 Jahren begonnen wurde. Auch das ist eine Bilanz Ihrer Regierung.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme zum Ende. Ich hätte gern noch etwas zur Elektromobilität auf der A 5 und zur Energieeffizienz gesagt. Die Redezeit ist aber vorbei. Deswegen will ich am Ende sagen: Ja, Hessen ist stark. Der Löwe ist mutig. Damit er allerdings stark und mutig bleibt, muss man nach 19 Jahren endlich die Investitionen hochfahren, nach 19 Jahren die Verkehrswende ernst nehmen, nach 19 Jahren Wohnungen bauen und nach 19 Jahren endlich Stadt und Land miteinander verbinden. Nur so wird Zukunft beginnen. Das ist der große Unterschied zwischen Ihnen und uns. – Danke schön.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Boddenberg, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schäfer-Gümbel, zunächst einmal bin ich froh, dass Sie den Antrag von CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN offensichtlich gelesen haben. Sie haben darauf hingewiesen. Wenn Sie den Antrag komplett gelesen hätten, hätten Sie Ihren heutigen Redebeitrag eigentlich zurückziehen können.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD)

Wir haben Ihnen in diesem Antrag einmal aufgeschrieben, wie es um das Land Hessen bestellt ist. Da Sie der festen Überzeugung sind – und darin stimmen wir vollkommen überein –, dass der Erfolg des Bundeslandes Hessen sehr viel mit der Landespolitik zu tun hat, will ich sagen, dass das 19 gute Jahre für das Land Hessen waren. Sie haben vergessen, darauf hinzuweisen, dass der Gutachter, nämlich das Institut der deutschen Wirtschaft, zunächst einmal feststellt, dass Hessen unter den Top-3-Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland ist. Das wird sich auch nicht ändern.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt aber auch durchaus Kritisches. Ich will natürlich nicht behaupten, dass wir schon fertig sind. Deswegen wollen wir ja weiter regieren, Frau Generalsekretärin Faeser. Deswegen bewerben wir uns am 28. Oktober 2018 erneut um die Stimmen der Wählerinnen und Wähler. Ich glaube, dass wir gute Argumente haben. Wir sagen den Menschen, dass wir dieses Land weiterhin stark erhalten, dass wir diesem Land weiterhin Stabilität geben und dass wir die Zukunftsperspektiven der jungen wie der alten Menschen in diesem Land verlässlich sichern.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Schäfer-Gümbel, wir haben mit den anderen Fraktionsvorsitzenden über das Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft diskutiert. Eines haben die Vertreter der hessische Wirtschaft, jedenfalls die, die dieses Gutachten in Auftrag gegeben haben – bei solchen Gutachten kommt meist das heraus, was man in Auftrag gegeben hat; zumindest kann man diese Randbemerkung da und dort lesen – –

(Marius Weiß (SPD): Das ist ja peinlich! – Weitere Zurufe von der SPD)

Es ist doch völlig in Ordnung, Herr Kollege Weiß, dass die Wirtschaft über solche Gutachten versucht, ihre Wünsche zu artikulieren. – Was ich aber diejenigen frage, die das Gutachten in Auftrag gegeben haben, was ich auch Herrn Prof. Hüther gefragt habe: Ist es in Ordnung, dass wesentliche Parameter weggelassen worden sind, beispielsweise die Rekordinvestitionen in die Bildung? – Auch diese Ausgaben gehört nach unserer Meinung zu den Investitionen, Herr Kollege Schäfer-Gümbel.

(Zurufe von der SPD)

Wie lautet die Antwort der hessischen Wirtschaft auf die Wirtschaftspolitik des Landes Hessen generell? – Die Forderungen sind, jedenfalls für mich, nicht ganz nachvollziehbar. Einerseits sagt die hessische Wirtschaft, wir sollen in die Infrastruktur und in vieles andere mehr investieren. Das tun wir; darüber rede ich gleich. Außerdem fordert die hessische Wirtschaft, dass wir die Steuern senken. Drittens fordert die hessische Wirtschaft, wir sollen Schulden abbauen. Wie man diesen Dreiklang unter ein Dach bringen soll, ist mir völlig schleierhaft.

(Zurufe von der SPD)

Nachdem wir gestern über neue Rahmenlehrpläne in der Bildungspolitik und über Schwerpunktsetzungen gesprochen haben, freue ich mich darüber, dass die Mengenlehre möglicherweise wiederkehrt. Schnittmengen kennt der eine oder andere vielleicht noch aus seiner Schullaufbahn. Ich sehe derartige Schnittmengen in den Vorstellungen der Wirtschaft nicht. Deren Forderungen stehen sich vielmehr diametral gegenüber.