Protokoll der Sitzung vom 11.09.2018

Bei uns bekannten Revolutionen wurden irgendwann die Funkhäuser sowie die Presseverlage gestürmt und die Mitarbeiter auf die Straße gezerrt. Darüber sollten die Medienvertreter hierzulande einmal nachdenken, denn wenn die Stimmung endgültig kippt, ist es zu spät!

Meine Damen und Herren, das hat mit legitimem politischen Meinungskampf gerade einmal gar nichts zu tun.

(Allgemeiner Beifall)

Es ist die offene Verachtung der grundlegenden Prinzipien einer freiheitlichen Demokratie.

Wenn man die AfD dann stellt, geschieht immer das Gleiche: Ihre Spitzen erklären, das kenne man gar nicht, jedenfalls billige man es nicht. Und dann frage ich mich: Was geschieht anschließend? – Nichts. Es gibt auch keine klare Distanzierung. Der Landesvorsitzende dieser Partei in Hessen hat erklärt, es sei „nur saublöd formuliert“.

(Lachen bei der CDU – Michael Boddenberg (CDU): Unglaublich!)

Was braucht es eigentlich noch, damit wir gemeinsam klarmachen, wo die Grenzen verlaufen?

Man könnte eine Vielzahl von Belegen heute hier nennen. Wir müssen diese Methoden demaskieren und immer wieder aufklären. Wir müssen uns ihnen entgegenstellen – unaufgeregt, aber klar und unmissverständlich.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das ist eine Gratwanderung – häufig für jeden von uns. Aber die größte Gefahr wäre, gleichgültig zu bleiben. Die größte Gefahr für eine Demokratie sind Gleichgültigkeit und Verdruss. Deshalb dürfen wir dem, was da vor sich geht, nicht gleichgültig gegenüberstehen. Wir dürfen uns auch nicht daran gewöhnen. Wir dürfen nicht zusehen, wie der demokratische Wertekonsens in unserer Gesellschaft im Graben politischer Hetze und Verachtung untergeht. Das darf nicht sein.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Damit auch das klar ist: Natürlich sind nicht alle Mitglieder der AfD und schon gar nicht alle Wähler rechtsradikal oder rechtsextremistisch. Entscheidend ist aber, was die Führung dieser Partei tut oder was sie unterlässt.

Sie nimmt bewusst in Kauf, dass die Grenzen zum Extremismus undeutlich werden und die Grundlagen unserer freiheitlich-demokratischen Demokratie erschüttert werden. Nicht nur in Chemnitz marschieren sie bewusst gemeinsam mit den Verächtern dieser Demokratie, mit Pegida, mit den Anhängern der Identitären Bewegung, mit Altund Neonazis.

Wie soll man es eigentlich anders verstehen als eine Verächtlichmachung des Rechtsstaates, wenn ausgerechnet die Landtagsfraktion – eine Parlamentsfraktion – der AfD in Baden-Württemberg dem Justizvollzugsbeamten, der unter grobem Bruch aller seiner Amtspflichten diesen Haftbefehl veröffentlicht hat, unverzüglich eine Stelle in dieser Fraktion anbietet?

Wie soll man es anders verstehen als eine Verächtlichmachung des Rechtsstaates, wenn der Bundesvorsitzende dieser Partei, Herr Alexander Gauland, in der „FAZ“ vor wenigen Tagen formuliert, dass das politische System weg müsse. Er spricht von einem politischen System, das sich überholt habe. Er spricht von Systemparteien, Systempolitikern, Systemjournalismus, ja, auch von Lügenpresse.

Das alles drückt eine Verachtung und Abwendung von allen tragenden Prinzipien dieser Demokratie aus. Das sind Begriffe, die wir alle schon einmal gehört haben. Sie waren die Wegbereiter in den Nationalsozialismus.

Genau hierhin gehört auch eine Bemerkung, die mehr als deutlich macht, wes Geistes Kinder diese Partei führen: Herr Gauland hat die Nazidiktatur und ihre millionenfachen Opfer als einen „Vogelschiss“ bezeichnet. – Das war kein Vogelschiss, sondern es war der Kulturbruch und der Tiefpunkt unserer Geschichte. Wer so formuliert, der verhöhnt die Opfer und der bereitet den Weg der AfD nach ganz rechts außen vor.

(Anhaltender allgemeiner Beifall)

Wenn z. B. die stellvertretende Bundesvorsitzende der AfD, Frau von Storch, am 19. Dezember des vergangenen Jahres twittert: „Je länger Merkel am Ruder bleibt, desto mehr Fleisch werden wir von ihrem Kadaver reißen“,

(Zuruf von der CDU: Ekelhaft!)

dann ist das die Sprache blanker Hetze und blanken Hasses.

(Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der LIN- KEN und der FDP)

Wenn diese Dame dann angesprochen wird, erklärt sie, das habe nicht sie geschrieben, sondern einer ihrer Mitarbeiter. Ich weiß nicht, wer es geschrieben hat, aber das macht die Sache nicht besser.

Das sind keine Ausrutscher. Das hat Methode. Das darf nicht unwidersprochen bleiben.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn ohne Widerspruch schleichen sich neue Begriffe ein, werden die Maßstäbe verschoben und gewöhnt man sich an Tabubrüche. Das darf nicht passieren. Wir dürfen den Brandstiftern im Biedermänner-Sakko so etwas nicht durchgehen lassen.

Deshalb möchte ich sagen: Ich hätte zum Ende dieser Legislaturperiode über vieles sprechen können – mit gutem Grund. Ich habe mich bewusst entschieden, darüber zu sprechen, wie dieses Land lebenswert bleibt und wie dieses Land beieinander bleibt. Das ist die zentrale Frage – nicht nur am 28. Oktober, sondern auch am 29. Oktober und in den vielen Wochen danach. Es wird uns alle noch gewaltig beschäftigen. Deshalb sage ich: Bewahren wir Haltung, geben wir Orientierung, und ziehen wir klare Grenzen. Dann bleibt Hessen lebenswert, und dann halten wir die Gesellschaft beisammen. – Vielen Dank.

(Lang anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das war die Regierungserklärung. Den Oppositionsfraktionen steht jetzt gemäß unserer Geschäftsordnung eine Redezeit von 22 Minuten zur Verfügung. Die erste Wortmeldung in der Aussprache kommt von dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Herrn Kollegen Schäfer-Gümbel.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sie haben eine Regierungserklärung zum gesellschaftlichen Zusammenhalt angekündigt und einige Bemerkungen gemacht, die ausdrücklich – das haben Sie am Beifall meiner Fraktion gemerkt – unsere Zustimmung finden.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dennoch lässt mich Ihre Regierungserklärung mehr ratlos als orientiert zurück.

(Beifall bei der SPD – Manfred Pentz (CDU): Das liegt am Empfänger!)

Sie haben kein einziges Wort zur Zukunft gesagt. Sie haben keinen einzigen Vorschlag dazu gemacht, wie man in Zukunft den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert. Sie sind bei einem Teil Ihrer Beschreibungen sehr an der Oberfläche geblieben.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

In Ihrer Regierungserklärung haben Sie versucht, mit schönen Worten ein Bild von Ihrer Regierung zu malen, ein Bild, das die Realität verzerrt.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Fangen wir mit dem ersten Satz Ihrer Erklärung an. Sie sagen, Hessen sei ein starkes Land. Ich sage: Hessen ist ein starkes Land – außer man sucht eine bezahlbare Wohnung. Zu dem Thema haben Sie kein einziges Wort gesagt.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Hessen ist ein starkes Land – außer man steht im Stau oder in überfüllten Bussen und Bahnen.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Hessen ist ein starkes Land – außer man muss Straßenausbaubeiträge zahlen.

(Beifall bei der SPD)

Hessen ist ein starkes Land – außer man sucht Fachpersonal für die MINT-Fächer.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos) – Zurufe von der CDU)

Hessen ist ein starkes Land – außer man hat einen befristeten und schlecht bezahlten Arbeitsplatz. Hessen ist ein starkes Land – außer man leistet als Polizist zu viele Überstunden.

(Beifall bei der SPD)

Hessen ist ein starkes Land – aber nicht wegen Ihrer Regierung. Sie schauen weg. Deshalb sehen Sie die Herausforderungen nicht mehr.

(Dirk Landau (CDU): Und Sie machen alles mies!)

Der Unterschied zwischen uns beiden ist: Sie schauen weg, ich schaue hin.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos) – Zurufe von der CDU)