Protokoll der Sitzung vom 12.09.2018

Jetzt komme ich zu dem zweiten Punkt. Da will ich Sie ein bisschen in meine eigene Verwirrung mitnehmen.

(Zuruf des Abg. Gernot Grumbach (SPD))

Es geht schneller. Trotz unseres Alters, lieber Kollege Grumbach, geht es schneller.

(Norbert Schmitt (SPD): Herr Hahn hört noch gut! Hören tut er noch ganz gut!)

Das sehen andere in meiner Familie anders. Aber das ist jetzt auch nicht das Thema.

(Heiterkeit)

Nun ganz im Ernst: Wenn man aus dem Rathaus herauskommt, ist man in aller Regel klüger.

(Lothar Quanz (SPD): Das kommt auf das Rathaus an!)

Jetzt bleibe doch bitte einmal ein bisschen ernst. Es geht ja wirklich um viel Geld.

Wenn ich jetzt sage: „Okay; Pech, dass wir jetzt geringe Zinsen haben; also Tadel an Schäfer“, müsste ich ja sagen: Wir beschließen nun im Landtag, dass die Zinsen steigen, und dann gibt es die goldene Sänfte für Thomas Schäfer. – Sie verstehen den damit kommunizierenden Gedankengang? Tja.

Jetzt denke ich weiter: Wieso goldene Sänfte für Thomas Schäfer? Dann hat er zwar bei den Derivaten gewonnen, aber bei 80 % der Schulden verloren; denn dann muss er ja höhere Zinsen bezahlen. Sie vergessen offensichtlich immer, dass das ein Gesamtpaket ist.

Nun können wir, weil wir im Rathaus noch nicht alle Antworten bekommen haben – die man vielleicht jetzt auch noch nicht geben kann; deshalb ist kein Tadel damit verbunden –, uns fragen: Wieso sind eigentlich 20 % mit Derivaten unterlegt worden? Wieso nicht mehr oder weniger? Jetzt kann sich jeder eine Zahl ausdenken – den Geburtstag seiner Frau, wie auch immer. Nein, es sind 20 % gewählt worden. Warum? Darauf haben wir keine Antwort bekommen.

Ich glaube, darauf kann man auch keine Antwort geben – jedenfalls keine fundierte. Man kann eine subjektive Antwort geben. Die haben wir bekommen. Aber dürfen wir dann, wenn wir Steuergeld in die Hand nehmen, ausschließlich subjektiv begründete Dinge machen? Im Nachhinein ist man immer klüger. Das zeigt ja auch, dass auch beim Finanzminister und seinen Mannen und Frauen irgendwie die Unsicherheit bestanden hat: Wie nutze ich dieses System? – Jetzt nutzt er es halt bei einem Fünftel. Okay.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, an dieser Stelle kommt aber das zweite Thema. Eigentlich steht in dem Handbuch für liberale Ordnungspolitikerinnen und -politiker: Benimm dich wie der Markt.

(Zuruf des Abg. Jan Schalauske (DIE LINKE))

Deshalb hat es mich ja so überrascht, Herr Schalauske, dass Sie das auch gesagt haben. Es hat mich fast schon wieder an meiner Ideologie zweifeln lassen, dass Sie auf einmal dasselbe sagen, was ich gedacht habe. – Damit das jeder hier im Raum versteht: Wir hatten in der Sitzung eine Diskussion, und Kollege Schalauske war nach meiner Erinnerung sogar der Erste, der gesagt hat: Wieso wollen Sie sich gegen den Markt verhalten? Eigentlich darf das nicht sein. Gerade bei Steuergeldern muss man an den Markt denken.

(Jan Schalauske (DIE LINKE): Das habe ich so nicht gesagt!)

Okay. Dann ist das vielleicht die Formulierung, die ich später am Telefon von einem leitenden Mitarbeiter der VhU gehört habe. Er hat mir das als alter Hayek-Schüler nämlich genau so erklärt und gesagt, dass man bei Steuergeldern dem Markt folgen solle und nicht etwa meinen solle, man arbeite besser gegen den Markt – das macht man ja –, sondern dass der Markt es dann schon richten wird und auf alle Fälle klüger ist als die gesamten Finanzministerien aller deutschen Bundesländer einschließlich des Bundesfinanzministeriums.

Ich trage Ihnen das ein bisschen holprig vor, weil ich Ihnen damit deutlich machen will, wo die Probleme liegen. Deshalb verstehen wir nicht – diese Frage hat der Minister sehr selbstbewusst beantwortet, nachdem ich sie sehr fokussiert gestellt hatte –, warum man nach den Prognosen, die manche aus dem Markt gegeben haben, sei es der EZB-Chef, sei es die Bundesbank, sei es die Helaba, nicht gesagt hat: Jetzt sind wir genauso klug wie die, und das übernehmen wir.

(Dr. Walter Arnold (CDU): 2011!)

Ich bin bei der Grundsatzfrage aus dem Jahr 2011. 2011 wurde entschieden, dass man auf Derivate geht. Dazu wurde gesagt – der Minister hat es deutlich zu Protokoll gegeben, und daran ist zunächst einmal nichts Verwerfliches –: Wir haben alle Menschen gefragt, von denen wir gedacht haben, dass wir sie fragen müssen, und dann haben wir uns eine eigene Meinung gebildet.

Im Nachhinein gesehen wäre es klüger gewesen – ich komme vom Rathaus –, dieses Fachwissen wissenschaftlich fundiert abzusichern. Deshalb haben wir mehrfach nach einem Gutachten gefragt, und wir wissen, dass andere Bundesländer Gutachten erstellen ließen. Ob sie dann klügere Entscheidungen getroffen haben, rührt an einer Grundsatzfrage: Geht man gegen den Markt, oder geht man nicht gegen den Markt? Aber so zu tun, als ob man alles selbst wisse, weil man einige Leute vorher gefragt hat, war in unseren Augen nicht klug.

Ebenfalls nicht klug war ganz offensichtlich der Zeitpunkt gewählt, zu dem man in die Derivate gegangen ist, sowie die Zeitspanne, für die man eine Absicherung vorgenommen hat. Auch wir haben uns ein bisschen umgeschaut, weniger in Berichten, wie das Kollege Schalauske wohl gemacht hat, sondern in anderen Bundesländern. Die Nordrhein-Westfalen und die Baden-Württemberger kennen dieses System ebenfalls, aber sie sind später hineingegangen und haben deshalb von dem Zinsverfall noch profitiert. Vielleicht waren wir Hessen zu früh dran.

Wie gesagt, wir kommen vom Rathaus; im Nachhinein ist man immer klüger. Aber vielleicht wäre eine andere Entscheidung getroffen worden, wenn sich ein Gutachter mit der Sache beschäftigt hätte. Damals war gerade das Thema – ich kann mich als damaliges Mitglied der Bundesführung der FDP sehr gut daran erinnern –: Wie gehen wir mit Griechenland um? Was passiert denn da? Zieht das alles herunter – oder auch nicht? Fakt ist jedenfalls: Die Bundesländer, die das System ebenfalls genutzt haben, sind später eingestiegen – mit dem Ergebnis, dass es für sie günstiger ausgegangen ist.

War die lange Laufzeit der Derivate von 40 Jahren eine kluge Entscheidung? Ich weiß, der Minister wird jetzt sagen: Kollege Hahn, Sie haben nicht aufgepasst, es gibt eine bestimmte Zinsentwicklung, und ab dem 30. Jahr sinkt die wieder.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Das wollte ich gerade sagen: Dann hätten wir auch eine Laufzeit von 50 Jahren nehmen können. – Sie haben bewusst entschieden: Irgendwann ist Schluss. – So würden es unsere Kinder formulieren. Wir formulieren es ein bisschen anders.

Ich will Sie mit diesen Fragen nicht verwirren, aber sie müssen gestellt werden; denn wir alle haben sie damals nicht gestellt. Ich behaupte übrigens auch, wir haben die Problematik damals gar nicht offengelegt bekommen. Ich war damals stellvertretender Ministerpräsident, und ich stehe dazu: Ich trage die politische Verantwortung daran mit; ich bin damals nicht so tief eingestiegen wie in den letzten drei Wochen.

Es handelt sich aber auf alle Fälle um eine Sache, die ein Geschmäckle hat. Ich habe auf unsere Hauptangriffspunkte hingewiesen: Warum 20 %? Warum zu einem großen Teil eine Laufzeit von 40 Jahren? Warum so früh? Wäre man später hineingegangen, wäre es günstiger gewesen. Warum hat man das alles selbst besser gewusst und hat keinen Auftrag an einen Gutachter erteilt?

Deshalb ist meine Conclusio: Der Landesrechnungshof hat zugesagt, dass es eine umfangreiche Prüfung gibt. In öffentlicher Sitzung wurde gesagt, dass es aber noch keine Vorlage aus der zuständigen Abteilung gibt. Ich werde nie lernen, wie die Organisationsstrukturen im Rechnungshof sind, ich will es auch nicht mehr wirklich lernen, jedenfalls liegt noch nichts vor, sodass man dem Parlament nichts vorlegen kann. Ich erwarte viel von dem Bericht. Ich erwarte, dass unsere Fragen bis in die Tiefe beantwortet werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sehen, das Thema ist noch nicht durch, und wir sind nicht diejenigen, die hier sagen: Das, was du damals gemacht hast, ist alles Mist. – Wir würden im Nachhinein aber gerne wissen, warum die Entscheidung so getroffen worden ist; denn eines ist klar: Derzeit verdient der Steuerzahler des Landes Hessen an diesem Geschäft nicht.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat Kollege Kaufmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss ehrlicherweise feststellen, dass ich doch ein bisschen verwirrt bin, auch ob der Rede des Kollegen Hahn.

Ich will zuvor einfügen – das soll keine Entschuldigung sein, nur damit Sie es richtig einordnen können –: Wir GRÜNE waren 2011 nicht an der Regierung und damit an Entscheidungen jedweder Art nicht beteiligt. Wir GRÜNE waren aber aufgrund unserer Aktivität nach der Gesetzesnovelle 2012 mit beratender Stimme im Landesschuldenausschuss vertreten, und zwar durch mich. Insoweit habe ich das alles mitbekommen.

Verehrter Herr Kollege Hahn, ich will es einmal so sagen – es kam in der Rede des Kollegen Schmitt noch deutlicher heraus –: Man kann sich nur dann darüber beschweren,

dass man Transparenz vermisst oder nicht hinreichend informiert worden ist, wenn man auch zugibt, dass die Beschaffung von Informationen nicht nur eine Bring-, sondern auch eine Holschuld ist. Wenn mich die Erinnerung an diverse Sitzungen des Landesschuldenausschusses nicht völlig täuscht, war auch dort das, was hier und heute Thema ist, des Öfteren Thema – eigentlich in jedem Jahr –, und am Ende gab es in diesen Sitzungen keine unbeantworteten Fragen.

(Dr. Walter Arnold (CDU): So ist es!)

Das heißt, wir alle müssen es uns selbst ankreiden, wenn wir jetzt Informationsdefizite feststellen.

Ich stelle keine Defizite fest in dem Sinne, wie ich meine, dass man es richtigerweise beurteilen müsste. Wir haben uns, glaube ich – zumindest bitte ich Sie, einmal darüber nachzudenken –, von der „Welt“ vor drei Wochen ein Stück weit in die Irre schicken lassen. Die politische Frage, warum ausgerechnet die „Welt“ dieses Thema in der Form aufmacht, wäre ganz interessant zu diskutieren; denn diejenigen, die daraus Honig saugen wollen, gehörten bisher nicht zur Klientel der „Welt“. Das stehe einmal dahin. Aber den Vorwurf zu erheben, gezockt zu haben, und zwischen den Zeilen letztendlich genau das zu verlangen, ist irgendwie, gelinde gesagt, Irrsinn.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Auf die Vorwürfe, die in die Richtung gehen, man hätte es nicht machen sollen, habe ich im Ausschuss schon gesagt: Man stelle sich einmal vor, man würde den gesamten Kreditbedarf des Landes über Tagesgeld abdecken. Da würde jeder sofort sagen: Das geht nicht, weil das Risiko aufgrund der Volatilität des Marktes zu hoch ist. – Man braucht längerfristige Perspektiven; wir nennen das auch Planbarkeit. Deswegen ist mit diesen Aspekten des Kreditmarkts richtig umgegangen worden. Wenn der Kollege Hahn sagt, man müsse am Markt bleiben, dann sage ich: Derivate gehören zum Finanzmarkt genauso wie Kreditzinsen. Auch diese werden in mindestens gleichem Maße gehandelt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Insoweit ist in diesem Gesamtkomplex nicht die Frage, wie man das eigene Ergebnis möglichst optimieren kann. Die Frage ist vielmehr: Wie kann man eine stabile, planbare Finanzwirtschaft für die öffentliche Hand, für das Land betreiben? Deshalb gehört das, was Sie bisher betrachtet haben, zwar dazu, aber es ist doch keineswegs alles. Allein schon ein schlichter Blick auf die Fälligkeiten der bestehenden Kredite in den einzelnen Jahren – was wir im Landesschuldenausschuss immer getan haben – sagt viel über die Frage aus: In welcher Weise kommen zusätzliche Verpflichtungen auf uns zu? Wie können wir uns im Sinne einer stabilen Weiterentwicklung darauf einstellen?

Ich will – das mag Sie verwundern – ein Beispiel nehmen, das aus einer völlig anderen Welt stammt und einige von Ihnen dazu bringen wird, den Kopf zu schütteln. Ich rede von den Airlines. Es geht mir um folgenden Punkt: Da, wo ich einen Bedarf voraussehe, muss ich Sicherungsgeschäfte tätigen. Die Airlines haben mit den größten Bedarf an Kerosin; das wissen wir. Also tätigen sie Sicherungsgeschäfte, z. B. am Warenterminmarkt – wie auch immer. Da gibt es auch Derivate. Warum? – Sie machen das nicht, um nur

das Minimum bezahlen zu müssen, sondern um ihre Preise stabil zu halten, sie sozusagen abzusichern.

Das ist genau das Gleiche, wie wenn ein Finanzwirtschaftsunternehmen – wie das Finanzministerium in dem Sinne eines ist – erklärt: Mit meinen über 40 Milliarden € Schulden brauche ich eine Anschlussfinanzierung, weil ich die Schulden nicht so schnell wegbekomme. Deswegen muss ich so etwas machen. – Die Schulden bekommt man nicht so schnell weg; darin sind wir uns einig. Genau das ist geschehen.

Nach den Berichten, nach dem, was wir in der Vergangenheit erlebt haben, und nach dem, was wir kürzlich im Ausschuss hören konnten, haben wir festzustellen: Die Liquiditätsversorgung Hessens wird hoch professionell gemanagt. Dafür sollte man dankbar sein und ein Lob aussprechen. Herr Soll, der uns als Pensionär noch einmal zur Beantwortung von Fragen zur Verfügung stand, ist nicht anwesend. Es war früher immer der Gag, dass derjenige, der im Finanzministerium die Schulden verwaltet hat, den schönen Namen „Soll“ führte. Das hat uns immer zum Lächeln gebracht.

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Hätte er mal „Haben“ geheißen! – Heiterkeit!)

Das ist jetzt eine scherzhafte Anmerkung. Verehrter Kollege Hahn, ich glaube, fürs Haben ist eher die Haushaltsabteilung als Ganze zuständig.

Deswegen will ich auf die Eingangsbemerkung des Kollegen Schmitt zurückkommen, der in seiner Einleitung gesagt hat, es müsse über die Höhe der Schulden geredet werden. Die Schulden sind hoch; die Gesamtschuldenhöhe ist von uns in der Vergangenheit immer kritisiert worden. Jetzt liegen die Schulden bei gut 40 Milliarden €. Aber ich möchte gerade aus grüner Sicht an dieser Stelle unterstreichen – wir haben uns in der Vergangenheit immer gegen das Schuldenmachen ausgesprochen –: Wir haben in der schwarz-grünen Koalition ganz eindeutig die Wende hinbekommen, und das, obwohl uns das von der schreibenden Zunft kaum einer zugetraut hätte, in sehr hoher Geschwindigkeit.