Protokoll der Sitzung vom 15.07.2014

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Als Zwischenstand nach der ersten Anhörung und Offenlage der Regionalpläne sollen in Nordhessen 2,05 % und in Mittelhessen 2,5 % der Landesfläche zu Vorranggebieten für Windenergie werden. In Südhessen ist die Auswertung der eingegangenen Stellungnahmen noch im Gange. Dort waren in der ersten Offenlage, inklusive Frankfurt/RheinMain, 2,8 % der Fläche für die Windenergie vorgesehen.

Natürlich wird sich an einigen Punkten noch etwas verändern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dafür gibt es diese Anhörungs- und Beteiligungsverfahren doch. Angesichts dieser Zahlen aber gehe ich weiterhin davon aus, dass wir das vom Energiegipfel angestrebte 2-%-Ziel erreichen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist klar: Der Ausbau der Windkraft kann natürlich auch zu Konflikten führen, auch zu Konflikten mit dem Natur- und dem Artenschutz. Das Ziel der Landesregierung ist es, hier einen fairen Interessenausgleich hinzubekommen.

Ich sage ausdrücklich: Die neue Landesregierung hat hier einen großen Vorteil. An diesem Thema arbeitet nun eine Umwelt- und Naturschutzministerin mit einem naturgemäß großen Interesse an der Energiewende, aber auch ein Wirtschafts- und Energieminister mit einem großen Interesse am Naturschutz.

Eine neu geschaffene Lenkungsgruppe unter Vorsitz von Staatssekretärin Tappeser und Staatssekretär Samson wird Lösungsvorschläge und konkrete Handlungsempfehlungen erarbeiten. Unser gemeinsames Ziel ist die bestmögliche Vereinbarkeit von Windenergienutzung und Naturschutz. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dazu brauchen wir intelligente Lösungen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um das einmal an einem konkreten Beispiel zu verdeutlichen: Windstarke Gebiete, die zu bestimmten Zeiten auch als Zugkorridore für Kraniche dienen, können trotzdem als Vorrangfläche ausgewiesen werden, und zwar dann, wenn die Windenergieanlagen während des Vogelzugs zeitweilig abgeschaltet werden. Im Ergebnis bleiben die Zugkorridore erhalten, die windstarken Flächen können dennoch die meiste Zeit des Jahres genutzt werden.

Das meine ich, wenn ich sage, wir sollten uns auch Flächen ansehen, die wir bislang pauschal ausgeschlossen haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie gesagt, es geht um intelligente Lösungen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit der Ausweisung der Flächen, und diese Diskussion führe ich doch auch, wird für viele Bürgerinnen und Bürger die bislang abstrakte Energiewende plötzlich konkret – so konkret, dass sich bisweilen trotz der allgemeinen und weiterhin sehr großen Zustimmung zur Energiewende lokales Unbehagen einstellt.

(René Rock (FDP): Unbehagen?)

Nicht jedem gefällt die Vorstellung, dass sich auf den bewaldeten Höhen der Umgebung demnächst Windräder drehen könnten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich nehme diese Bedenken ernst.

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Meine Erfahrung ist: Je früher vor Ort über Vorhaben aufgeklärt wird, je transparenter Investoren agieren, je früher wir auf die Bürgerinnen und Bürger zugehen und ihre Ängste und Sorgen aufnehmen, desto sachlicher verläuft die Diskussion vor Ort.

Aus diesem Grund hat die Landesregierung das Bürgerforum Energieland Hessen eingerichtet. Damit bieten wir den Kommunen konkrete und maßgeschneiderte Hilfestellung: von der Unterstützung langfristiger Planungsvorhaben bis hin zu „Feuerwehreinsätzen“ bei akuten Konflikten zwischen verschiedenen Gruppen. Dabei haben wir mit der Hessen-Agentur einen kompetenten Partner an unserer Seite. Ich sage Ihnen ausdrücklich: Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass fundierte Sachinformation viele Bedenken entkräften kann – wenn man ein Interesse daran hat, sich mit der Sache zu beschäftigen.

Deshalb werden wir dieses Kommunikationsangebot ausweiten. Wir stellen weiterhin 1,1 Millionen € bereit und planen für die kommenden Jahre in derselben Größenordnung. Wir werden auch den vom Netzausbau betroffenen Kommunen dieses Angebot zur Verfügung stellen. Noch im August werden wir die von Sued-Link betroffenen Kommunen zu einer Dialogveranstaltung in das Regierungspräsidium Kassel einladen.

Ausdrücklich will ich dazu sagen: Konflikte, die vor Ort hochkochen, finden medial immer besondere Beachtung. Worüber hingegen kaum berichtet wird, sind die zahlreichen Projekte, die derzeit realisiert und vor Ort unterstützt werden.

Vor wenigen Tagen war ich bei der Eröffnung eines Windparks der Energieversorgung Offenbach – der sich allerdings im Nachbarland Rheinland-Pfalz befindet. Dort ist ein Windpark mit zehn Anlagen in Betrieb gegangen. Sie erzeugen genügend Strom, um 23.000 Haushalte zu versorgen.

Die Menschen vor Ort unterstützen dieses Projekt. Von den sechs beteiligten Gemeinden, die von den Pachteinnahmen profitieren, haben zwei gar keine Windkraftanlagen auf ihrer Gemeindefläche. Hier passiert nämlich, was wir für Hessen anstreben: interkommunale Zusammenarbeit, die sich für die Kommunen auszahlt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Jetzt sage ich ausdrücklich: Es kann nicht funktionieren, Windkraftanlagen möglichst auf die Gemeindegrenze zu setzen, um damit den maximalen Gewinn mit einer minimalen Betroffenheit für die eigene Kommune zu kombinieren.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer Windkraftanlagen in seiner Nachbarschaft akzeptieren soll, muss etwas davon haben dürfen. Dies erhöht natürlich die Akzeptanz vor Ort.

Genau hier setzt der Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen zur Änderung der Hessischen Gemeindeordnung an, den wir diese Woche beschließen werden. So können Kommunen selbst zur treibenden Kraft beim Ausbau der erneuerbaren Energien werden, eigene Projekte realisieren und damit einen großen Teil der Wertschöpfung vor Ort behalten.

Mir ist aber noch ein weiterer Moment von der Windparkeinweihung in Erinnerung. Bei diesem Fest waren auch Familien mit kleinen Kindern. Die Jungs und Mädchen haben noch nie etwas von Fukushima, geschweige denn von Tschernobyl gehört. Sie standen einfach nur mit offenem Mund und großen Augen vor den Windrädern und staunten. Diese Generation wird mit dem Anblick von Windrädern groß werden. Für sie wird es das Normalste der Welt sein. Später wird ihnen das genauso wenig auffallen wie vielen von uns die Strommasten, wenn wir auf der A 5 an Biblis vorbeifahren.

Meine Damen und Herren, natürlich verändert sich das Landschaftsbild, wenn Windräder aufgestellt werden. Zu manchen Einwänden, auch von Denkmalschützern, sage ich allerdings: Wenn sich Sichtbeziehungen niemals verändern dürften, dann hätte in Frankfurt niemals ein Hochhaus gebaut werden dürfen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In Offenbach gibt es eine Domstraße, obwohl es in Offenbach niemals einen Dom gab. Die heißt so, weil man ganz früher von dort den Frankfurter Dom sehen konnte. Aus Offenbacher Sicht ist der Neubau der Europäischen Zentralbank heute sicherlich dominanter als der Dom. Windräder werden unsere Landschaft sicherlich weniger stark verändern, als Hochhäuser das Stadtbild von Frankfurt verändert haben. Irgendwann, da bin ich mir sicher, werden Windräder im besten Sinne dazugehören, also normal sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Auch darauf möchte ich hinweisen: Da, wo es Konflikte gibt, sind die Zeitungen voll davon. Es ist aber so, dass vielerorts in Hessen die Projekte schon heute ziemlich geräuschlos ablaufen. Ich kann jedem nur empfehlen, einmal nach Heidenrod oder Söhrewald oder auf den Galgenkopf bei Bad Schwalbach zu fahren. Da gab es anfangs natürlich auch viele Fragen, da gab es anfangs auch Skepsis. Aber inzwischen entstehen dort Windparks, die vor Ort akzeptiert sind, mehr noch, die von der großen Mehrheit der Menschen vor Ort gewollt sind. Das zeigt, dass es funktionieren kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir als Landesregierung verstehen die Kommunen als Partner bei der Umsetzung unserer energiepolitischen Ziele. Wir möchten ihnen mehr Beinfreiheit geben, und wir wollen die Stadtwerke fit machen für die „Energiewende vor Ort“.

Als hessischer Wirtschaftsminister habe ich kein Interesse daran, dass sich Unternehmen mit ihren Arbeitsplätzen in der Nähe der neuen Erzeugungsschwerpunkte und damit vor allem in den windstarken Küstenregionen ansiedeln. Es ist daher auch unumgänglich, den überschüssigen Strom der Windkraftanlagen aus Norddeutschland dorthin zu transportieren, wo er dringend gebraucht wird. Das sind – nicht zuletzt infolge des Atomausstiegs – eindeutig die wirtschafts- und verbrauchsstarken Länder Hessen, BadenWürttemberg und Bayern. Deshalb ist es richtig, die Übertragungskapazitäten in Nord-Süd-Richtung in den kommenden Jahren deutlich zu erhöhen.

Keine Frage: Die Energiewende bedeutet nicht weniger als einen kompletten Systemwechsel unserer Energieversorgung. Die vier großen Energiekonzerne, die den deutschen Strommarkt über Jahrzehnte bestimmt haben, werden ihre dominierende Marktstellung verlieren. In Zukunft werden sich dezentralere Strukturen herausbilden, mit deutlich kleineren, technologisch hoch spezialisierten Erzeugern und Marktteilnehmern.

Deshalb ist die Energiewende auch weit mehr als der Ausbau von Windrädern und Stromleitungen. Wir werden es künftig mit intelligenten Systemen zu tun haben. Von der Erzeugung über den Transport, die Speicherung und die Verteilung bis hin zum Verbrauch – all diese Stationen werden in Zukunft miteinander kommunizieren. Sie werden dafür sorgen, dass Ihre Spülmaschine zu Hause ein Signal bekommt, wenn das System einen Stromüberschuss im Netz meldet und der Strompreis gerade im Keller ist. In den Spitzenlastphasen, also wenn der Strom besonders teuer ist, wird vielleicht der Akku des Elektrofahrzeugs in der Garage als Stromspeicher genutzt, der bei „Niedrigpreis“ wieder aufgeladen wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn es uns gelingt, hier in Hessen diese Entwicklungen voranzutreiben, innovative Produkte an den Markt zu bringen, dann ist das praktische Standortsicherung im besten Sinne, und dann sichert das die Konkurrenzfähigkeit hessischer Unternehmen im internationalen Wettbewerb.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerade hier sehe ich eine zentrale Rolle Hessens im Zuge der Energiewende. Wir werden aufgrund unserer geografischen Lage niemals so viel Windstrom produzieren können wie Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern. Aber wir können durch die gezielte Förderung von Spitzenforschung einen ganz anderen, ebenso wichtigen Beitrag für die Energiewende in Hessen leisten. Das bedeutet nicht, dass wir den Ausbau von Windenergieanlagen vernachlässigen. Aber das bedeutet, dass eine kluge Energiepolitik die spezifischen Stärken eines Landes pflegt und weiter stärkt.

Gerade im Bereich der Wissenschaft und Forschung haben wir einiges zu bieten. Insbesondere in Nordhessen hat sich ein energietechnologisches Cluster herausgebildet, das im

Wesentlichen auf universitären Ausgründungen wie dem heutigen Fraunhofer IWES oder dem Flaggschiff SMA in Niestetal und Kassel beruht. Auch mit dem Institut dezentrale Energietechnologien schreitet die Netzwerkbildung in Nordhessen durch Verknüpfung zahlreicher Unternehmen mit der Universität Kassel weiter voran.

Ich war vor Kurzem an der Uni Kassel. Dort entsteht gerade der von der Landesregierung, der Stadt Kassel und der Europäischen Union geförderte Science Park. Durch diese Förderung können junge Absolventen mit Geschäftsideen dort bezahlbare Büro- und Entwicklungsräume nutzen. So helfen wir bei der Markteinführung ihrer Produkte, dem Schritt von Wissenschaft nach Wirtschaft.

Ich habe dort eine ganze Reihe von Produkten gesehen, die während des Studiums entstanden sind und die jetzt auf dem Weg in die echte Produktion sind. Da sind tolle und beeindruckende Geschäftsideen dabei gewesen. Was mir besonders in Erinnerung geblieben ist: Ein junger Mann produziert Messeaufsteller auf Heubasis. Das ist kein Witz. Wenn Sie daran riechen, dann riecht es nach Heu und nicht nach Plastik. Jetzt können Sie sagen, das ist eine Kleinigkeit – ist es eben nicht. Wenn Sie einmal an der Messe Frankfurt gesehen haben, wie nach einer großen Messe diese Aufsteller zu Tausenden weggeworfen werden, dann ist völlig klar: Wir werden in Zukunft mit Ressourcen anders umgehen müssen und auch dort kreativer werden müssen. Auch das gehört zur Energiewende dazu.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich mache mir keine Sorgen, dass es an jungen Talenten mit innovativen Ideen mangelt, die auch den Schritt raus aus der Universität, rein in den freien Wettbewerb wagen wollen. Wir beobachten aber, dass junge Unternehmen mitunter Schwierigkeiten haben, auf dem klassischen Weg an die dringend notwendigen Investitionsmittel zu kommen. Sie kennen die alte Debatte um das Wagniskapital.

Deshalb bieten wir mit unserer landeseigenen Förderbank, der WIBank, zielgenaue Kreditprogramme gerade für kleine und kleinste Unternehmen an. Es ist wirklich spannend, zu sehen: Viele dieser Kredite gehen an Unternehmen, die sich mit Energie- und Ressourcenfragen im weitesten Sinne beschäftigen, vom kleinen Fahrradladen, der seine Verkaufsfläche vergrößern will, bis hin zu Unternehmen, die sich auf das Filtern von Abwässern konzentriert haben und teure technische Geräte anschaffen müssen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist kein Zufall: Viele kleine Start-up-Unternehmer haben erkannt, dass man mit Investitionen in grüne Technologien richtig Geld verdienen kann. Ich will, dass diese Unternehmen in Hessen mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt noch einen weiteren Punkt: Gerade jetzt, in Zeiten von Niedrigzinsen, suchen viele Anleger und institutionelle Investoren nach Möglichkeiten, ihr Geld sinnvoll und nachhaltig anzulegen. Auch hier werden wir uns als Landesregierung stärker als bislang engagieren. Wir wollen Unternehmen und Investoren Plattformen bieten und Veranstaltungen organisieren, auf denen beide Akteure zusammenfinden können: die, die Geld brauchen, und die, die nach neuen Anlageformen suchen. Ich glaube, auf dem

Feld von „Green Finance“ bieten sich gerade auch für den Finanzplatz Frankfurt Möglichkeiten, neue Geschäftsfelder zu erschließen.