Protokoll der Sitzung vom 15.07.2014

Dieses Zwei-Grad-Ziel ist nicht irgendein abstraktes Ziel, sondern es geht darum, dass sich die Erde bis Mitte des Jahrtausends um nicht mehr als 2 Grad erwärmt. Das ist ein Ziel, das nicht bedeutet, dass der Klimawandel aufgehalten werden kann, sondern dass er als beherrschbar gilt – beherrschbar zwar für unsere Region, aber für viele andere Regionen auf der Welt schon heute nicht mehr.

Auch deswegen ist es richtig, die Energiewende voranzutreiben. Man muss sie aber nicht nur wollen, sondern man muss sie auch können, so, wie Sie es in der Vergangenheit mehrfach formuliert haben.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister, ein echter Fortschritt in einer Regierungserklärung zur Energiewende von diesem Pult aus ist das klare und glaubhafte Bekenntnis zur Energiewende. Das war in der Vergangenheit, wie wir beide wissen, ausdrücklich nicht immer der Fall. Dass Sie jetzt allerdings das kleine Karo des Ministerpräsidenten und der Vorgängerregierung übernehmen und mit Blick auf den Energiegipfel davon sprechen, dass der Herr Ministerpräsident dazu eingeladen hat – was unzweifelhaft richtig ist –, aber nicht erwähnen können, dass er von einer Idee des Deutschen Gewerkschaftsbunds ausgegangen ist, befremdet mich. Aber das mit dem Copyright hatten wir eben schon.

(Beifall bei der SPD)

Da wir noch bei den Grundsätzen sind, will ich zu den Grundlagen der Energiewende zurückkommen. Ich will daran erinnern, dass die Energiewende keine Frage des Jahres 2011 ist. Auch darin bin ich mir mit dem Herrn Minister sehr einig. Der rot-grüne Atomausstieg unter der Regierung Schröder war richtig, und er wäre für uns insgesamt, sowohl volkswirtschaftlich als auch in Bezug auf die einzelnen Haushalte und Unternehmen, ausdrücklich günstiger gewesen als das, was mit dem energiepolitischen Chaos nach dem Oktober 2009 in Deutschland begann.

(Beifall bei der SPD)

Der Ausstieg aus dem Ausstieg von Schwarz-Gelb hat bei einem der schwierigsten Themen, nämlich bei einem Infrastrukturthema – Infrastrukturthemen vertragen keine kurzfristigen Kehrtwendungen; das produziert immer große Probleme –, enorme Kosten verursacht und enorme Investments kaputt gemacht. Darüber haben wir hier mehrfach diskutiert. Im Übrigen wurde dadurch auch Planungssicherheit zerstört.

Dieser Teil des Hauses hat Fukushima nicht gebraucht, um zu erkennen, dass die Atomwirtschaft ein Irrweg ist.

(Zuruf des Abg. Peter Stephan (CDU))

Herr Stephan, spätestens nach Fukushima hat diese Erkenntnis zumindest den größten Teil der anderen Seite erreicht. Deswegen kam es zwangsläufig zum Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg.

(Peter Stephan (CDU): Sie reden am Thema vorbei!)

Herr Stephan, ich will Ihnen allerdings noch einmal sagen, dass das Chaos, das derzeit in Berlin und auch in Hessen aufgeräumt werden muss, ausdrücklich in Ihre Verantwortung fällt: Es ist schwarz-gelbes energiepolitisches Chaos.

(Beifall bei der SPD – Peter Stephan (CDU): Wo ist denn hier ein Chaos?)

Herr Stephan, ich will, weil die Welt so schnell vergisst und ich nicht möchte, dass sie das vergisst, ausdrücklich wiederholen, dass es einen anderen, einen einfacheren und auch einen konzeptionell überlegteren Weg gegeben hat als das, was wir in den letzten Jahren permanent erleben mussten, und das, wie gesagt, immer unter Ihrer Verantwortung. Deswegen sage ich noch einmal: Ich bin sehr bei dem Herrn Minister. Ich bin sehr froh, dass hier eine Regierungserklärung abgegeben wurde, in der ein glaubhaftes Bekenntnis der neuen Landesregierung zur Energiewende steht. Herr Al-Wazir, dazu darf ich Ihnen ganz herzlich gratulieren.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens will ich einige wenige Bemerkungen zu den Grundlagen der Energiewende machen. Die Energiewende und ihr Neustart – der notwendige Neustart in Berlin, Herr Stephan – sind deutlich mehr als auf der einen Seite die Ablehnung der Atomenergie und auf der anderen Seite die Begrüßung von Windrädern. Auch darüber haben wir in diesem Haus mehrfach diskutiert.

Die Grundlagen für den Neustart der Energiewende waren diese Punkte: sauber, sicher und bezahlbar. Dabei ging es immer darum, dass sie sauber, sicher und bezahlbar für alle ist, nicht nur für einige wenige.

Das ist doch nach den Debatten, die wir in der Bundespolitik, aber auch in Hessen hatten, völlig klar: Die Transformation der Energiewirtschaft und der energiewirtschaftlichen Grundlagen ist die eigentliche Herausforderung; denn – ich wiederhole es – wir dürfen die Energiewende nicht auf die Ablehnung der Atomenergie auf der einen Seite und auf die Bejahung der Windkraft oder der erneuerbaren Energien insgesamt auf der anderen Seite reduzieren, sondern es kommt darauf an, diese „Brücke ins Solarzeitalter“, wie es Hermann Scheer immer wieder betont hat, so kurz wie möglich, aber auch so tragfähig wie möglich zu bauen.

(Beifall bei der SPD)

Diese Aufgabe ist in den letzten Jahren konsequent von sehr vielen, die sich mal mehr, mal weniger qualifiziert zu diesen Fragen geäußert haben, unterschätzt worden. Das gilt erst recht in einem Industrieland wie Hessen.

Es wundert mich nicht, dass man dieses Thema in der Vergangenheit immer wieder unter den Tisch fallen ließ, und es wundert mich auch nicht, mit welcher Leichtigkeit mancher, den Erhalt und die Sicherung der industriellen Basis in Deutschland im Blick habend, mit den harten Auseinandersetzungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Bundeswirtschaftsminister auf der einen Seite und der EU-Kommission auf der anderen Seite über die beihilferechtlichen Rahmenbedingungen und – vor dem Hintergrund der EEG-Umlage – über die Industrierabatte umgegangen ist. Das fand ich wirklich sehr „mutig“ angesichts der Tatsache, dass dies in der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise – so haben wir es hier mehrfach betont – offensichtlich eines der Assets und einer der Gründe war, warum wir relativ gut aus der Krise herausgekommen sind. Es lohnt sich, das zu erhalten.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister, deswegen bin ich Ministerpräsident Kretschmann außerordentlich dankbar, der mit Blick auf die Bund-Länder-Gespräche einen etwas anderen Duktus vorgegeben hat als Sie in Ihren Ausführungen, als er in der Pressekonferenz nach den Bund-Länder-Gesprächen am 2. April dieses Jahres erklärt hat:

Ich kann auch nur noch einmal die gute und konstruktive Atmosphäre loben. Auch der Bundeswirtschaftsminister ist von den Ländern für seine Verhandlungsführung in Brüssel, was die Wahrung unserer Interessen angeht und die ja nicht ganz einfach ist, von allen Ländern sehr gelobt worden.

Es war in der Tat wichtig, die Kosten der Umlage zu stabilisieren und gleichzeitig aber die Energiewende nicht auszubremsen. Ich glaube, das ist uns ganz gut gelungen.

(Zurufe von der SPD: Hört, hört!)

Diesem Fazit von Ministerpräsident Kretschmann habe ich nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der SPD)

Mit Blick auf die Zeit spare ich mir jetzt allerdings ein paar Hinweise auf Herrn Oettinger und sein Verhalten in der Diskussion über die Beihilfebefreiungen und auf seinen Versuch, seine persönlichen Überzeugungen zu der Energiewende mithilfe von europäischem Recht von hinten durch die Brust ins Auge durchzusetzen. Er ist damit Gott sei Dank gescheitert.

Ich würde mir allerdings wünschen, dass die Europäische Kommission zukünftig auch ein bisschen stärker darauf achtet, die industrielle Basis Europas insgesamt zu stabilisieren und nicht durch unnötige Debatten zu gefährden.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister, ich sage das deswegen, weil es schon ein bisschen billig ist, sich mit Blick auf die eigenen Aufgaben und den eigenen Neustart der Energiewende in Hessen als einziges Konfliktfeld die Abarbeitung am Bundeswirtschaftsminister und die Beschlüsse des Bundeskabinetts und der Großen Koalition in Berlin auszuwählen – da sind wir übrigens nicht ganz allein, mit Blick auf diejenigen, die konzeptionell nicht ganz unbeteiligt an dem waren, was zur EEG-Reform herausgekommen ist, und die Ihrer Partei nicht so ganz fernstehen, wenn ich mich recht erinnere.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Jetzt kommts!)

Da kommt jetzt gar nichts. Ich weise nur darauf hin, wer konzeptionell daran mitgearbeitet hat, Herr Kaufmann. Normalerweise sind Sie auch stolz darauf, und ich denke, das können Sie auch sein. Ich finde, dass Rainer Baake als Staatssekretär in Berlin eine ausgezeichnete Arbeit leistet. Das kann man an einem solchen Tag auch ausdrücklich sagen.

Da Sie allerdings versuchen, sich hier in dieser Form an Sigmar Gabriel abzuarbeiten, dabei aber den Ministerpräsidenten loben, will ich Ihnen sagen: Im Gegensatz zu Ihnen beiden war ich Teilnehmer der Verhandlungen um die energiepolitischen Teile der Koalitionsvereinbarung.

(Zurufe von der CDU: Ach!)

Ich habe eine ziemlich genaue Ahnung und Einschätzung darüber, wie Sie als CDU aufgestellt waren. Ich habe auch eine gewisse Vorstellung zur Rolle Ihrer Schwesterpartei – ich habe neulich einen hochrangigen Vertreter Ihrer Partei in Berlin kennengelernt, der sagte, Koalitionspartner könne man sich aussuchen, Familienmitglieder nicht.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich finde, das bringt es beim Thema der Energiewende ziemlich auf den Punkt. Zur Frage der energiepolitischen Irrläufer aus Bayern brauchen wir uns heute nicht zu verhalten. Ich will aber darauf hinweisen, dass ich eine sehr präzise Einschätzung darüber habe, wie Sie als Union bei dem Energiethema in Berlin aufgestellt waren und was für Interessenlagen Sie und die anderen hatten. Sich jetzt hierhin zu stellen und so zu tun, als habe man gar nichts damit zu tun und müsse von Hessen das retten, was man vorher auf jeden Fall verhindern wollte – das ist schon ziemlich abenteuerlich und nicht sonderlich glaubwürdig, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Damit will ich zu Ihrer Arbeit kommen, Herr Minister. Einführend möchte ich mit einem Zitat vom 13. November 2012 beginnen, einer Bewertung des von Ihnen zuvor angesprochenen Energiegipfels.

„Ein in weiten Teilen verlorenes Jahr für die Energiewende“ bilanziert der Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Tarek Al-Wazir, nach dem heutigen Nachfolgetreffen des Energiegipfels in der Staatskanzlei. „Die Voraussetzungen für ein Gelingen waren gut, nach der Atomkatastrophe von Fukushima gab es eine große Einigkeit, die Energiewende auch in Hessen voranzubringen. Die wesentlichen Punkte wurden aber bisher nicht umgesetzt. Stattdessen torpediert die schwarz-gelbe Landesregierung mit dem Entwurf des Landesentwicklungsplans den dringend nötigen Ausbau der Windkraft in Hessen. Ministerpräsident Bouffier hat während des heutigen Treffens leider auch keine Perspektiven aufzeigen können, die schwarz-gelbe Regierung ist auch hier erschöpft …

DIE GRÜNEN kritisieren, dass Ministerpräsident Bouffier (CDU) immer wieder nur die Probleme benennt, die mit der Energiewende verbunden sind.

(Beifall bei der SPD)

Mir ist auch klar, dass Sie jetzt nach dem Koalitionsvertrag sagen, es sei alles anders. Das ist auch Ihr gutes Recht. Dennoch will ich das an den Anfang stellen; denn die Frage ist: Welchen Beitrag leisten Sie eigentlich in Ihrer Regierungserklärung mit Blick auf die konkreten Fragen, was passiert?

(René Rock (FDP): Gar keinen!)

Ich will mir nur ein einziges Thema herausgreifen, um es exemplarisch durchzudeklinieren: Onshorewindkraft.

Wir haben auf dem Energiegipfel gemeinsam verabredet, uns mit Blick auf den notwendigen Kapazitätenzubau von Onshorewindanlagen – Wind an Land – darauf auszurichten, dass wir 2 % der Landesfläche zur Verfügung stellen müssen, um am Ende die benötigte Leistung zu erreichen. Es war nicht so, dass wir gesagt hätten, wir bräuchten, grob über den Daumen gepeilt, 2 % Landesfläche für den Wind. Dahinter lag vielmehr die Überzeugung, dass wir einen be

stimmten Kapazitätszubau von Wind an Land brauchen, um die Ziele der Energiewende zu unterstützen, wie sie in Berlin formuliert wurden, um damit eine eigene Landesperspektive aufzumachen.