Protokoll der Sitzung vom 16.07.2014

(Beifall bei der CDU)

Wer sich hierhin stellt, von Ahnungslosigkeit spricht und einen Antrag vorlegt, der rückwärtsgewandt ist und darauf aufbaut, dass die Ergebnisse des runden Tisches, der hier schon angesprochen worden ist, tags zuvor in einer Presseerklärung vorweggenommen werden, wer also den Antrag formuliert, über den wir jetzt debattieren, ohne dass er die Ergebnisse des runden Tisches überhaupt darin einbeziehen will – was er könnte; er hätte das durchaus auch mit einem Dringlichen Entschließungsantrag und mit vielem anderen machen können –, zeigt, dass es ihm nicht um das Thema, sondern um das Schlagen längst verloren gegangener Schlachten geht.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn all das auch noch mit der Unterstellung von Ahnungslosigkeit verbunden wird, muss man sich diesen Antrag in der Tat genau anschauen. Dann wird einem angst und bange angesichts dessen, wie unverantwortlich und falsch, schon allein aufgrund von mangelndem Detailwissen über das Hessische Kinderförderungsgetz und die bisherige landesrechtliche Gesetzeslage, ein solcher Antrag formuliert ist. Schauen Sie sich den Antrag an: Eingangs wird festgestellt, dass „noch viele Träger die Möglichkeit [nutzen], die Förderung nach der bisher gültigen Mindestverordnung abzurechnen“. Diese Möglichkeit sei bis zum 01.09.2015 befristet.

Da ist der SPD-Fraktion wirklich viel durcheinandergeraten. Die Mindestverordnung war noch nie die Grundlage einer Landesförderung, sondern das war bis zum 31. Dezember – Herr Merz, Sie machen sich immer Notizen, schreiben Sie es mit – die Verordnung zur Landesförderung für Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege. Wenn Sie dort genauer hinschauen, merken Sie, dass die Fragestellung einer kindbezogenen Förderung überhaupt nicht neu ist. Diese wurde bei den unter Dreijährigen schon früher eingeführt. Auch sie orientierte sich an den vertraglich aufgenommenen Kindern und nicht an Gruppen oder an der genehmigten Platzzahl in einer Tageseinrichtung.

Sie wollen auf den Umstand abstellen, dass die Mehrzahl der Träger die Übergangsvorschriften nach dem Hessischen Kinder- und Jugendhilfegesetzbuch in Anspruch genommen hat und Einrichtungen gemäß den Voraussetzungen für Gruppe und Personal nach der Mindestverordnung betreibt. Das ist längstens bis zum 1. September 2015 möglich. Wir haben in diesem Gesetz diesen Übergangszeitraum ganz bewusst großzügig bemessen, um den Trägern bestehender Tageseinrichtungen, die bereits vor dem Inkrafttreten eine gültige Betriebserlaubnis hatten, einen schrittweisen Übergang von der bisherigen gruppenbezogenen Berechnung der Mindeststandards zur kindbezogenen Berechnung zu erleichtern.

Dann beklagen Sie, dass das erst 15 % gemacht haben. Ich finde, das ist viel. Gewisse Kindertageseinrichtungen müssen nämlich auch darauf schauen, wann der richtige Zeitpunkt zum Umstellen ist. Das Gesetz ist am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten. Aber ein Kindergartenjahr

dauert in der Regel bis zu den Sommerferien, und es ist auch sinnvoll, dass viele Träger erklären: Wir machen erst dieses Kindergartenjahr fertig, und dann stellen wir um. – Dann kommen immer mehr dazu. Sie haben doch selbst mitbekommen, dass beispielsweise alle in katholischer Trägerschaft befindlichen Kindertagesstätten im Landkreis Limburg-Weilburg zum 1. September dieses Jahres umstellen werden. Das ist eine ganze Menge. Dann wird die Zahl derjenigen, die schon an dieser Stelle abrechnen, gewaltig ansteigen.

Das gilt aber nicht für die Annahme – das haben Sie unterstellt –, dass diese Übergangsvorschrift auch eine Veränderung bei der Finanzierung beinhaltet. Jede Kindertagesstätte in Hessen, egal auf welcher Grundlage sie momentan betrieben wird, wird nach dem bereits am 01.01.2014 in Kraft getretenen Hessischen Kinderförderungsgesetz gefördert. Danach werden die Fördergrundlagen berechnet. Das sind also zwei unterschiedliche Gesichtspunkte. Deswegen ist die Umsetzung seit einem halben Jahr in vollem Gang.

Daher frage ich mich, auch was die Zahl betrifft, woher Sie Ihre Erkenntnis bezogen haben, dass sich viele kritische Einwendungen gegen das KiföG in der Praxis bewahrheitet hätten. Unter anderem seien durch die Umsetzung des Gesetzes bei den Fachkräften mehr befristete Arbeitsverhältnisse und mehr Teilzeitverträge entstanden. All das trifft nicht zu. Die Forderung, nun alles rückgängig zu machen, ist – das sage ich ganz deutlich – auch demokratietheoretisch ein Unfug sondergleichen; denn das wird dem Auftrag dieses Parlaments, Rechtssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger in Hessen zu schaffen und Kontinuität und Verlässlichkeit herzustellen, in keiner Weise gerecht.

Zudem hat sich in der vergangenen Woche gezeigt – um auf den Runden Tisch Kinderbetreuung zurückzukommen; der wird während dieser Plenardebatte noch einmal eine Rolle spielen, was auch gut ist, da das ein richtiger Erfolg war –, dass sich all die Schreckensszenarien, die jetzt noch einmal geschildert worden sind, in der Praxis in keiner Weise bestätigt haben. Unabhängig davon ist es vermutlich richtig, dass Träger größerer Tageseinrichtungen, große Träger oder Trägerverbünde eher von dem Hessischen Kinderförderungsgesetz profitieren. Andererseits erleichtert es das Gesetz mit seiner Flexibilität und der Kleinkinderpauschale auch den Trägern kleinerer Einrichtungen, das Angebot besser an die Bedarfe anzupassen.

Natürlich wird mit einem solchen Gesetz auch ein Anreiz dafür geschaffen, sich zu überlegen, wie man sich in Zukunft in der Kinderbetreuung organisiert: ob es für eine kleine Gruppe noch eine Zukunftschance gibt oder ob das anders werden muss. Wenn eine Zukunftschance vorhanden ist, werden auch Regelungen gefunden werden, wie sie wahrgenommen werden kann. Das Beispiel, an dem wir das gezeigt haben, hat das schon mehrfach deutlich gemacht.

Dass in dem Antrag unterstellt wird – das finde ich wirklich schlimm –, dass bei der Erarbeitung dieses Gesetzes „nicht das Wohl der Kinder“, sondern „betriebswirtschaftliche und fiskalische Überlegungen“ im Mittelpunkt standen, zeigt, von welcher Einstellung die SPD ausgeht. Sie unterstellt denjenigen, die das Gesetz erarbeitet und verabschiedet haben und die es jetzt weiterentwickeln, dass ihnen Qualität in der Kindertagesbetreuung nichts wert ist, sondern dass ausschließlich betriebswirtschaftliche Ge

sichtspunkte eine Rolle spielen. Das ist eine Unterstellung, die ich mit Entschiedenheit zurückweise,

(Beifall bei der CDU)

weil das Hessische Kinderförderungsgesetz wie zuvor die Mindestverordnung in Ausübung des staatlichen Wächteramts besagt – ich sage das ganz bewusst und auch sehr theoretisch –, dass die Standards zur Gewährung des Kindeswohls in Tageseinrichtungen für Kinder nicht unterschritten werden dürfen. Die mit der Mindestverordnung im Jahr 2008 deutlich verbesserten Mindestvoraussetzungen wurden auf das KiföG und auf das einzelne Kind bezogen fortgeführt und auch noch mit einem Zuschlag in Form von Ausfallzeiten ergänzt.

Natürlich stellt die Änderung von einer komplett auf die Gruppe bezogenen zu einer kindbezogenen Ausrichtung einen Systemwechsel dar. Aber von einer Standardabsenkung wurde bisher überhaupt noch nicht berichtet. Vielmehr wird uns zurückgemeldet, dass es gerade in gut besuchten Tageseinrichtungen mit kindbezogenen Mindeststandards und der Berücksichtigung von Ausfallzeiten zu einer Zunahme der erforderlichen Fachkraftstunden kommt.

Ich denke, niemand wird daran zweifeln, dass ein Landesgesetzgeber in Abstimmung mit den Trägern und Kommunen auch ökonomische Fragen der Kinderbetreuung betrachten muss. Das ist doch selbstverständlich. Daher orientiert sich das hessische KiföG in Analogie zu dem Bildungs- und Erziehungsplan nun durchgehend an dem einzelnen Kind und nicht nur objektbezogen an einer Einrichtung oder Gruppe.

Für die Träger besteht – ich finde, das ist doch auch der Charme eines solchen Gesetzes – mit diesem Gesetz auch ein ökonomischer Anreiz, mehr in die Qualität zu investieren, mehr Qualität anzubieten und die pädagogischen Inhalte letztendlich an den Bedarfen der Kinder und deren Familien auszurichten. Das ist in diesem Kinderförderungsgesetz der entscheidende Punkt. Dieser kindbezogene Ansatz findet sich im Übrigen auch in anderen Bundesländern wieder, die SPD-regiert sind. Dort findet die Diskussion vollkommen anders statt, beispielsweise in NordrheinWestfalen und in Hamburg.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Ah!)

Dort wird die Diskussion anders gesehen, und dort wird das Kindeswohl anders definiert, als es in Hessen durch die hessische SPD der Fall ist. Das Schlimme an der Unterstellung der SPD ist, dass man meint, das Gesetz würde die Qualitätsentwicklung in Tageseinrichtungen ignorieren. – Nein, Tageseinrichtungen für Kinder sind für uns Bildungseinrichtungen; und mit den neuen Qualitätspauschalen werden wir genau diesem Ansatz und dieser Aufgabe von Tageseinrichtungen gerecht.

(Beifall bei der CDU)

Ich will noch zwei Punkte nennen.

Herr Staatsminister, die Redezeit der Fraktionen ist abgelaufen.

Frau Präsidentin, ich nenne trotzdem noch zwei Gesichtspunkte.

Erstens. Nach wie vor ist die Integration von Kindern mit Behinderungen in Kindertagesstätten – auch dies ist nur auf den extremen Einsatz und die Moderation zurückzuführen – ein ganz wesentlicher Punkt. Aber das ist die Aufgabe der Kommunen und der Liga der Freien Wohlfahrtspflege; und ich bedanke mich ausdrücklich bei beiden Beteiligten, dass es ihnen – natürlich auch mit einem ökonomischen Anreiz seitens des Landes – gelungen ist, eine Vereinbarung abzuschließen. Dies wird noch in diesem Jahr Eingang in das Kinderförderungsgesetzes finden.

Dafür stellt das Land zusätzlich 10 Millionen € pro Jahr zur Verfügung. Sie werden sich auch an eine neue Zahl gewöhnen müssen. Es sind dann eben nicht mehr durchschnittlich 425 Millionen €, die das Land den Trägern und Kommunen für die Kinderbetreuung zur Verfügung stellt, sondern es werden jedes Jahr durchschnittlich 435 Millionen € sein. Das ist ein riesiges Zeichen an alle, um zu verdeutlichen, wie viel dieser Landesregierung und den sie tragenden Fraktionen die Kinderbetreuung und Qualität in der Kinderbetreuung wert sind. Das ist ein riesiger Punkt.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit wird man letztendlich den Anliegen von Kindern mit Behinderungen gerecht, auch in Kindertagesstätten pädagogische Inhalte in einer inklusiven Art und Weise genießen zu können.

Zweitens. Ich möchte einen weiteren Punkt benennen, weil es immer wieder zu einer Unterstellung kommt, die man nicht häufig genug zurückweisen kann, dass von einem Landesanteil in Höhe von ausschließlich 40 Millionen € für die Kinderförderung gesprochen wird. Kollege Rock hat die Konnexitätsvereinbarung zitiert.

Es gab in dieser Konnexitätsvereinbarung drei Blöcke. Ein Block war: Was ist in der Vergangenheit an Aufwendungen zur Qualitätsverbesserung bei den Kommunen entstanden, was letztendlich im Nachgang vom Land, weil es die Qualitätsstandards gesetzt hat, zu refinanzieren gewesen ist?

Der zweite Block war: Was hat das Land bisher bereits durch Programme wie BAMBINI und andere Förderprogramme in die Kindertagesstätten hineingegeben?

Der dritte und ganz entscheidende Block war: Wie bemessen die Kommunen über die Laufzeit des Gesetzes von fünf Jahren die zusätzlichen Aufwendungen, die aufgrund von Qualitätsverbesserungen in Kindertagesstätten auf sie zukommen?

Wir haben uns im Rahmen dieser Konnexitätsvereinbarung auf einen Betrag von 117 Millionen € geeinigt plus nun 13 Millionen €. Die Kommunen und die freien Träger, an die es weitergeleitet wird, haben mit ihrer Unterschrift eindeutig bestätigt: Es gibt eine Qualitätsverbesserung; das Land bezahlt dafür; das ist in dieser Pauschale vorhanden.

Wer an dieser Stelle sagt: „Qualität nutzt nichts“, oder: „Wir nehmen kein Geld in die Hand“, hat schlicht und einfach keine Ahnung, weiß schlicht und einfach nicht, wovon er spricht, oder aber – das unterstelle ich Herrn Merz gar nicht – will es nicht wissen und will schlicht und einfach rückwärtsgewandt argumentieren und sich nicht kon

struktiv in einen entsprechenden Dialog zur Weiterentwicklung des Kinderförderungsgesetzes einbringen. Einen solchen Dialog haben wir mit dem runden Tisch angestoßen; und ich werde ihn gern weiterführen. Der vorliegende Antrag ist nicht dazu geeignet, einen solchen Dialog zu befördern. Er ist eher rückwärtsgewandt und stoppt den Dialog über die richtige Entwicklung.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön. – Ich habe keine weiteren Wortmeldungen. Damit ist die Debatte zu den Tagesordnungspunkten 50 und 77 beendet.

Die Drucks. 19/632 und 19/680 werden an den Sozial- und Integrationspolitischen Ausschuss überwiesen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 52 auf:

Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN betreffend Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren – zehn Millionen Kriegstote in Europa sind Mahnung und dauerhafter Auftrag zur Bewahrung von Frieden, Diplomatie und Völkerverständigung – Drucks. 19/636 –

zusammen mit Tagesordnungspunkt 75:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren und eine Politik gegen Krieg und Kriegsvorbereitungen heute – Drucks. 19/ 677 –

Die vereinbarte Redezeit ist zehn Minuten. Die erste Wortmeldung kommt von Kollegin Wolff, CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor 100 Jahren, in der Juli-Krise 1914, begann die sogenannte „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“. David Lloyd George, der spätere britische Premierminister, sagte: „Die Nationen schlitterten über den Rand, hinein in den brodelnden Hexenkessel des Krieges ohne eine Spur von Verständnis oder Bestürzung.“

In seinem wegweisenden Buch sagt der australische Historiker Christopher Clark:

Besonders interessant an der Krise im Juli 1914 ist doch, dass sich alle getrieben fühlten. Alle meinten, unter Druck von außen zu handeln. Alle meinten, der Krieg werde ihnen von den Gegnern aufgezwungen. Alle trafen jedoch Entscheidungen, die zur Eskalation der Krise beitrugen. Insofern tragen sie auch alle die Verantwortung, nicht nur Deutschland … In dieser Geschichte gibt es keine Tatwaffe als unwiderlegbaren Beweis, oder genauer: Es gibt sie in der Hand jedes einzelnen Akteurs. So gesehen war der Kriegsausbruch eine Tragödie, kein Verbrechen.

Dann kommt das Stichwort, das auch die Überschrift des Buches ergeben hat:

So gesehen waren die Protagonisten von 1914 Schlafwandler – wachsam, aber blind, von Albträumen geplagt, aber unfähig, die Realität der Gräuel zu erkennen, die sie in Kürze in die Welt setzen sollten.

Meine Damen und Herren, da Clark also nicht von einem Verbrechen oder, wie in den Sechziger- oder Siebzigerjahren in der deutschen Diskussion, nicht von Schuld sprechen will, fragt er nach Verantwortung und nach der Vielschichtigkeit der Gründe, die zum Ersten Weltkrieg geführt haben.

Ich will einmal einen Sprung machen und versuchen, dies an einer einzigen Person zu verdeutlichen, nämlich an Franz Marc, dem berühmten deutschen Expressionisten, der voller internationaler Freundschaften war, ein Europäer, wenn man so will, der sich sofort freiwillig zum Krieg gemeldet, den Ersten Weltkrieg aber auch sehr schnell als „europäischen Bürgerkrieg“ benannt hat. Er fiel noch im Jahr 1914.