Herr Boddenberg, ich will das deswegen aufnehmen, weil dieses Argument: „Das war alles nur Wahlkampf und nicht böse gemeint“,
ein gefährliches ist. Es ist ein gefährliches Argument, weil man in der Öffentlichkeit den Eindruck gewinnen kann, dass Wahlkämpfe, die eigentlich die Zeit des Wettbewerbs um die besten Ideen, politischen Inhalte, Überzeugungen und Haltungen sind, bloßes Theater sind. Ich glaube nicht, dass es nur das ist. Aber mit solchen Bildern verstärken Sie eher die Politikverdrossenheit, als dass Sie einen Beitrag dazu leisten, Zukunftsaufgaben des Landes zu lösen.
Ich sage das alles deswegen, weil es völlig unerheblich ist, ob Sie wissen, wer welchen Brotaufstrich am Morgen nimmt oder wer welche Krawatte mit wem abstimmt.
Es geht schlicht und einfach darum, ob dieses Bündnis den Bürgerinnen und Bürgern Hessens gute Politik liefert, ob dieses Bündnis vor den Hoffnungen und Erwartungen der Menschen in Hessen besteht und ob Sie die aktuellen Herausforderungen des Landes lösen können. Das ist die Messlatte, an der wir Sie messen werden, an keiner anderen.
Dazu kommt natürlich auch, dass wir Sie an der Messlatte messen werden, was Sie vor dem 22. September gesagt haben, bei Bildung, bei Finanzen, bei Arbeit, bei Wirtschaft und vielem anderen mehr. Sie werden mit den Messlatten konfrontiert, die wir selbst aufstellen. Unsere Messlatten sind sehr einfach beschrieben: Wir wollen, dass dieses Land zukunftsfähig gestaltet wird. Dabei ist für uns erstens die Stärkung von Innovation und Bildung wichtig, zweitens die Schaffung von Arbeit, von der man auch leben kann, und die Stärkung des Wirtschaftsstandortes sowie drittens eine Erneuerung des sozialen Zusammenhalts und der sozialen Gerechtigkeit. Ich will das in aller Klarheit sagen: Genau bei dem letzten Punkt wird diese Regierung sicherlich am wenigsten zu liefern haben. Das war in der Regierungserklärung sehr deutlich.
Lassen Sie mich zunächst einige Bemerkungen zum Thema Bildung machen. Ich will das offen sagen: In diesem Koalitionsvertrag gibt es in der Tat einige Projekte, die es wert sind aus unserer Sicht, nach unseren Maßstäben und den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger, so wie wir sie wahrnehmen, ernsthaft verfolgt zu werden. Das gilt beispielsweise für die Veränderungen im Bereich der Gesamtschulen. Wir glauben, dass darin eine Chance steckt. Wir glauben auch, dass in der Stärkung des Sozialindex eine Chance steckt. Wir haben lange genug dafür gearbeitet, dass sich dieser Teil des Hauses ernsthaft mit diesen Fragen beschäftigt. Wir glauben auch, dass es grundsätzlich richtig ist, einen Weg zur Ganztagsschule zu gehen. Zu Ihrem konkreten werde ich gleich im Detail noch einiges sagen. Sicherlich ist auch die Ankündigung richtig und gut, die Lehrerinnen und Lehrer im System zu halten, Stichwort: demografische Dividende. Dazu werde ich ganz am Ende unter dem Stichwort Finanzen noch einiges sagen.
Insofern gibt es in der Tat eine Vielzahl von Punkten, die man aufnehmen kann, die es lohnt intensiver miteinander zu diskutieren. Ansonsten haben Sie aber in Ihrem Koalitionsvertrag getreu dem Motto des Burgfriedens versucht, festzuschreiben, was sowieso Ihre Positionen sind. Die Verantwortung, die wir immer und immer wieder betont haben, dass die soziale Herkunft den Bildungsweg eines Kindes nicht mehr so stark beeinflussen darf – denn dass wir das jetzt innerhalb von fünf Jahren vollständig auflösen, dafür bin ich nicht Optimist genug –, liegt ausdrücklich nicht im Fokus Ihrer bildungspolitischen Anstrengungen.
Deswegen haben wir Ihnen gesagt – Herr Ministerpräsident, das gehört auch dazu –: Wenn Sie auf Presseveröffentlichungen abstellen, die sich eigentlich nur auf mich
beziehen können, dann können Sie mich auch beim Namen nennen und nicht abstrakt. Ich war ja im Raum anwesend. Zum neuen Stil könnte auch gehören, dass Sie mich direkt ansprechen.
Wir haben gesagt, dass wir uns an keinem Bildungsgipfel beteiligen werden, so wie Sie ihn vorschlagen, bei dem nicht klar ist, dass es um die Grundsatzfrage geht, sondern nur um das Abhaken Ihrer bildungspolitischen Vereinbarung in einem Koalitionsvertrag, der für uns unzureichend ist. Solange Sie nicht bereit sind, das, was Sie im Koalitionsvertrag angelegt haben, zu öffnen und ernsthaft mit uns über die Frage zu diskutieren, wie die aus unserer Sicht größte Herausforderung im hessischen Bildungssystem bewältigt werden kann, nämlich dass die soziale Herkunft den Bildungserfolg eines Kindes so sehr beeinflusst wie in nahezu keinem anderen Land, ist für uns ein Weg zu Ihrem formalen Schulfrieden nicht gangbar.
Insofern liegt es bei Ihnen, hier für Klarheit zu sorgen, Herr Ministerpräsident. Wenn Sie bereit sind, dies zu öffnen und zu akzeptieren, dass wir nicht nur, wie beim Energiegipfel, auf Ihre Einladung hin und unter Ihrer Geschäftsordnung sprechen, dann werden wir über alles Mögliche reden. Was meine ich damit? – Ja, es ist richtig, wir haben auf dem Energiegipfel konstruktiv miteinander diskutiert. Da wurde aus unserer Sicht aber nicht alles zu einem Ergebnis geführt, wie wir es für notwendig gehalten haben. Nachdem wir Ihnen den Weg geöffnet haben, am Ende ein vernünftiges Ergebnis möglichst konsensual zu beschreiben, indem beispielweise Minderheitenpositionen durch Dokumentation in Fußnoten, in Erklärungen hinterlegt werden konnten, hatten Sie nicht einmal die Kraft, unsere Nebenerklärungen überhaupt in Ihren Publikationen zu veröffentlichen. Das zeigt, dass die Einladung zu gemeinsamen Gesprächen, das Verhandeln von gemeinsamen Punkten nicht ausreichen, wenn es darum geht, anschließend unter Umständen auch Unterschiede zu dokumentieren.
Ich will fairerweise sagen: Sie sind eben Regierung. Deswegen haben Sie auch die Möglichkeit, Ihre Position in einer anderen Form der Öffentlichkeitsarbeit zu dokumentieren. Insofern verzeihen Sie uns, wenn wir es so klar sagen: In Ihrer medialen Inszenierung fanden wir den Umgang mit der Opposition, was die Ergebnisse betrifft, an denen wir nicht unerheblichen Anteil hatten, schlicht und einfach unfair. So etwas wird mit uns nicht mehr gehen.
Ich will auch das aufnehmen, was Sie gesagt haben. Wenn Sie in der Regierungserklärung von Einheitslösungen reden und zu Ihrer Wahlkampfrhetorik zurückkehren – mit der meinen Sie ja ganz offensichtlich uns –, obwohl Sie, genauso wie andere in diesem Haus, in den Sondierungen erleben konnten, dass wir nicht dogmatisch an verschiedenen Positionen festhalten, sondern dass wir an manchen Stellen unter Umständen andere Zugänge zu Themen haben, auch andere Instrumente – für diese Form der ideologischen Auseinandersetzung ist eigentlich kein Raum –, dann muss ich ernsthaft fragen: Wie ernst gemeint sind Ihre Gesprächsangebote, wenn Sie am heutigen Tag versu
chen, solche Vokabeln erneut einzuführen? Wenn Ihr Dialogangebot ernst gemeint ist, dann hätten Sie sich das besser gespart.
In der Sache gibt es natürlich auch Differenzen. Ich will zwei ausdrücklich benennen: Es bleibt für uns dabei, dass die Schulzeitverkürzung auf G 8 in der Mittelstufe Murks ist und Murks bleibt. Ihre Form der sogenannten Wahlfreiheit, auch mit den Veränderungen, die es im Sommer mit Blick auf eine deutliche Ausweitung von G-9-Angeboten gibt, ist aus unserer Sicht nach wie vor eine Mogelpackung, weil das eigentliche Problem der Schulzeitverkürzung von G 8 nicht gelöst wird. Davon haben Sie uns bis heute nicht überzeugt. Es hätte auch andere Wege gegeben.
Das gilt im Übrigen auch – ich glaube, das wird eine der härtesten Auseinandersetzungen hier im Haus in den nächsten Jahren – für die Frage Ihres Ganztagsschulweges. Ich bin ja froh, dass Sie Ganztagsschulen inzwischen auch in Ihren Regierungserklärungen anders anerkennen, als wir es noch im Wahlkampf erleben durften. Das ist der Vorteil.
Mit Blick sowohl auf Ihr Modell als auch auf das von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und jetzt Ihr gemeinsames Modell will ich sagen, dass dieses ein paar Probleme aufwirft. Da sind Sie entweder betriebsblind oder nehmen bewusst in Kauf, dass Ihr Angebot, so wie Sie es bisher im Koalitionsvertrag angelegt haben – wir kennen noch kein konkretes Modell –, den Anspruch, den Sie damit erheben, nicht erfüllen wird.
Sie setzen darauf, dass die Nachmittagsbetreuung ab 14:30 Uhr bis 17 Uhr von den Städten und Gemeinden und den Eltern finanziert wird.
Sie werden uns erklären müssen – ich bin sehr gespannt, wie Ihre Modelle aussehen –, wie sich dies angesichts Ihrer harten Position in Bezug auf die Schutzschirmgemeinden und die Verweigerung, freiwillige Leistungen auszuweiten, auf den Ganztagsschulweg der betroffenen Städte und Gemeinden auswirkt.
Ich bin sehr gespannt darauf, wie sich Ihr Angebot auf Eltern und deren Kinder auswirkt, die nicht in der Lage sein werden, die finanziellen Aufwendungen dafür aufzubringen. Deswegen sage ich Ihnen: Ob Sie Kindern den Zugang zu Bildung erschweren oder erleichtern, werden wir sehr genau begleiten. Das wird einer der ganz zentralen Punkte, an denen wir Sie messen werden.
Strich drunter, Herr Ministerpräsident. Wir sind bereit, mit Ihnen über einen Schulfrieden in Hessen zu reden, aber dabei müssen alle Fragen aufgerufen werden und nicht nur die, die Ihnen zupasskommen. Wenn Sie dazu bereit sind, sind wir dabei.
Ich will ausdrücklich sagen, dass einige Ihrer Bemerkungen zum Thema Innovation und Fortschritt und der Frage, wie sich die Hochschul- und Forschungslandschaft in Hessen weiterentwickeln muss, ausdrücklich auf unsere Zustimmung treffen. Ich bin sehr gespannt, wie sich das in der konkreten Ausgestaltung Ihrer Hochschul- und Forschungspolitik auswirken wird.
Lassen Sie mich an der Stelle einen kleinen Exkurs machen: Ob Herr Rhein mit seiner Ernennung zum Wissenschaftsminister nun ein Absteiger ist oder nicht, das kann mir und uns ziemlich schnuppe sein.
Aber dass damit die Wissenschaft, die Forschung und die Kunst zu Themen einer Verlegenheitslösung degradiert werden, das kann uns nicht egal sein.
Entschuldigung, das haben doch nicht wir so intoniert. Wir haben doch nicht intoniert, dass die Berufung von Herrn Rhein eine Verlegenheitslösung ist und er überall zum Absteiger deklariert wurde. Ich sage Ihnen nur: Wenn Sie das Thema Innovation, Forschung und Entwicklung des Landes stärken wollen, dann müssen Sie dieses Ressort anders handhaben. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass Sie im Bereich der Hochschulen deutlich kürzen werden.
Damit will ich zum letzten Punkt beim Thema Familie und Betreuung kommen, der am heutigen Tag eine Rolle spielt.
Na, ja. Mit Verlaub, Herr Pentz: Wenn Sie die Frage der Ganztagsschulentwicklung, die Frage der individuellen Förderung, die Frage der sozialen Herkunft und der Bildungsgerechtigkeit nicht für substanzielle Themen halten, dann wird mir einiges aus der Vergangenheit klar.
Damit will ich zum letzten Punkt beim Thema Bildung und Familie kommen. Das ist für uns eines der größeren Ärgernisse dieser Koalitionsvereinbarung. Über runde Tische, Konvente, Gipfelchen und Gipfel, Kaffeekränzchen und anderes werde ich am Ende noch etwas sagen. Sie waren nicht in der Lage, eines der umstrittensten Projekte, bei dem wir hier in Hessen mit die größten Massenproteste seit sehr vielen Jahren erlebt haben,