Das ist schon der vertiefte Eindruck, den man bei Ihrem Koalitionsvertrag am heutigen Tag gewinnen muss. Bei all den Unterschieden, die Sie in der Sache haben, kann einem die Koalitionsrunde ein bisschen so vorkommen wie das Dschungelcamp: Wer schluckt hier die größten Kröten? Wer allerdings als Erster aus der Runde herausgewählt werden wird, das weiß heute auch niemand, das werden auch wir im Hause nicht alleine entscheiden. Am Ende entscheiden das die Wählerinnen und Wähler.
Ich will Ihnen am Ende sehr klar sagen: Wir werden sehen, ob Sie nur die Werbeetats in den Ministerien erhöhen, ob Sie die Türschilder auswechseln, ob Sie altes Geld in neue Programme gießen – wir kennen das aus der Zeit des Regierungswechsels von 1999, als Sie bei der Kinderbetreuung im Prinzip nur ein Türschild ausgewechselt und erklärt haben, Sie machten etwas Neues. Wir werden sehr genau hinschauen, ob Sie so oder so Politik machen oder ob Sie wirklich etwas verändern.
Das hat mit „beleidigt“ nichts zu tun. Wir werden Sie daran messen, ob Sie die Werbeetats der Ministerien erhöhen oder nicht, vor allem vor dem Hintergrund Ihrer Ankündigung, Herr Pentz, dass Sie die Beschäftigten im öffentlichen Dienst zum Sparschwein Ihrer verfehlten Haushaltspolitik machen wollen. Darauf sind wir sehr gespannt.
Deswegen kann ich am Ende nur sagen: Herr Ministerpräsident, was Sie am heutigen Tag vorgelegt haben, was die Koalitionsfraktionen als Koalitionsvertrag vorgelegt haben, das ist nicht der Politikwechsel, den wir wollten. Der Politikwechsel fällt schlicht und einfach aus. Wenigstens an diesem Punkt haben Sie keinen faulen Kompromiss gemacht. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer-Gümbel. – Nach der vereinbarten Rednerreihenfolge geht das Wort jetzt an die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte sehr, Herr Kollege Wagner.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Schäfer-Gümbel, Sie haben mit dem Dschungelcamp geschlossen. Das ist jetzt eine große Verlockung. Sie haben gesagt, die Regierungsfraktionen würden sich damit beschäftigen, wie im Dschungelcamp, wer wann welche Kröte schlucken kann. Wenn ich die Teile Ihrer Rede zusammenfasse, dann würde ich sagen, sie hat auch etwas mit dem Dschungelcamp gemeinsam, nämlich den Ruf: Ich bin in der Opposition, holt mich hier raus.
Ich kann das sehr gut verstehen. Ich kann mich sehr gut an die Tage im November letzten Jahres erinnern, als nach den Sondierungen die Entscheidung getroffen wurde, wer mit wem koaliert. Es war völlig klar, dass das sehr schwierige Entscheidungen waren. Es war klar, dass es Entschei
dungen geben wird, dass die einen an der Regierung beteiligt werden und die anderen nicht. Das hätte alles auch anders ausgehen können. Es hätte auch sein können, dass der Hessische Landtag in einer Großen Koalition zusammenkommt. Dann wäre es uns ähnlich gegangen wie Ihnen. Deswegen habe ich ausdrückliches Verständnis für Ihre Haltung, die Sie hier artikuliert haben.
Herr Schäfer-Gümbel, wenn wir uns einen Moment lang überlegen, diese Tage im November wären anders ausgegangen, und Sie hätten jetzt hier stehen und erklären müssen, warum Sie manche Sachen anders sagen als noch vor einem Jahr, warum Sie Kompromisse eingehen mussten und warum Sie manche Sachen nicht mehr machen können, dann sind wir uns doch einig, dass dann von Ihrer Rede nur noch die Hälfte übrig bleibt. Wir sollten uns doch nicht gegenseitig vorwerfen, dass wir in Koalitionen Kompromisse eingehen müssen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf von der SPD: Hätte, hätte, Fahr- radkette!)
Meine Damen und Herren, eine Regierungserklärung ist immer besonders. Sie ist nochmals besonders, wenn es sich um die erste Regierungserklärung einer schwarz-grünen Koalition in einem Flächenland handelt. Wer vor einem Jahr gewettet hätte, wer heute die Regierungserklärung in welcher Konstellation hält, und jemanden gefunden hätte, der diese Wette annimmt, wäre heute sehr reich. Diese Quoten wären exorbitant hoch gewesen.
Wie sah die Lage vor einem Jahr aus? Die Umfragen sagten eine klare Mehrheit für Rot-Grün voraus. SchwarzGelb war weit abgeschlagen, und ob DIE LINKE überhaupt im Parlament vertreten sein würde, das konnte vor einem Jahr keiner wissen. Dann kam die Landtagswahl, und alles war anders.
Ich habe es eben schon einmal angesprochen. Wir hatten eine sehr intensive Phase der Sondierungen. Es bestreitet doch niemand im Haus, dass aus unterschiedlichen Gründen und aus unterschiedlichen Argumenten am Ende nur noch die Entscheidung zwischen einer Großen Koalition und Schwarz-Grün gefällt werden konnte. So war die Situation.
Ich habe die herzliche Bitte, wenn das die Situation ist und wenn auch die Kolleginnen und Kollegen der SPD bereit waren, in eine Koalition, eine neue schwierige Konstellation zu gehen, dass wir uns nicht gegenseitig vorwerfen, diesen Schritt gemacht zu haben.
Wir alle im Landtag hatten vor der Wahl andere Konstellationen vor Augen. Wir GRÜNE haben schon im Wahlkampf und dann in den Sondierungsgesprächen und in den Koalitionsverhandlungen einen Gradmesser angelegt, der lautete: Ist es möglich, in einer Konstellation, mit wem auch immer, genug von unseren Inhalten zu verwirklichen? Ist es möglich, Hessen grüner und gerechter zu machen? – Meine Damen und Herren, auf der Basis dieses Koalitionsvertrages ist es möglich, Hessen grüner und gerechter zu machen. Genau deshalb sind wir diese Konstellation eingegangen.
Wir haben uns in diese Konstellation getraut, während andere sich nicht getraut haben. Ich werfe das der FDP und der Linkspartei nicht vor. Sie beide konnten oder wollten aus unterschiedlichen Gründen nicht in Regierungsverantwortung gehen.
Meine Damen und Herren, dann sollten Sie aber das Tremolo etwas gegenüber denjenigen senken, die das Wahlergebnis ernst genommen und sich dieser Verantwortung gestellt haben.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Janine Wissler (DIE LINKE): Wir haben 20 Stunden miteinander sondiert!)
Wir haben uns getraut, eine schwarz-grüne Koalition einzugehen, aber wir sind nicht miteinander verheiratet. Wir bleiben zwei unterschiedliche Parteien. Wir vertreten unterschiedliche Inhalte. Wir haben aber die Kraft gefunden, für unser Bundesland für fünf Jahre zu beschreiben, was wir gemeinsam vorhaben.
Es kann vielleicht darin eine Chance liegen, dass man jetzt genauer hinhört, was in diesem Landtag gesagt wird, dass Dinge noch weniger danach beurteilt werden, welche Partei oder welche Fraktion darüber steht, dass weniger nach Ideologien und mehr nach Inhalten entschieden wird. Wenn es das wäre, was diese schwarz-grüne Koalition für sich, aber auch für den Landtag insgesamt bewirkt, dann hätte es sich auch schon deshalb gelohnt, diese Koalition einzugehen.
Wir wollen Hessen grüner und gerechter machen. Deshalb sind wir diese Koalition eingegangen, und deshalb haben wir Volker Bouffier und dem Kabinett das Vertrauen ausgesprochen – und ja, meine Damen und Herren, es fühlt sich doch ungewohnt oder komisch oder merkwürdig an, wenn man in Hessen einen Wahlvorschlag für den Landtag bekommt, über dem nicht nur CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN stehen, sondern mit dem auch noch Volker Bouffier zur Wahl des Ministerpräsidenten vorgeschlagen wird. Das fühlt sich ungewohnt an. – Herr Bouffier, ich kann Ihnen sagen: Wir haben es in den vergangenen 17 Tagen noch nicht bereut, Sie gewählt zu haben, und wir wollen gemeinsam daran arbeiten, dass es auch so bleibt.
(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der CDU – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
Hessen grüner und gerechter machen – was heißt das konkret? Wir wollen eine Umweltpolitik, die die Reichhaltigkeit und Schönheit unserer Natur, unserer Wälder und Landschaften für uns und unsere Kinder erhält. Wir werden ein Klimaschutzkonzept voranbringen, damit auch Hessen seinen Beitrag zum Klimaschutz leistet, damit wir die Erderwärmung stoppen können, und um zu verhindern, dass sie immer schlimmer wird. Wir werden von Hessen aus die Welt nicht retten, aber wir wollen unseren Beitrag dazu leisten.
Wir wollen die ökologische Landwirtschaft voranbringen – nicht im Konflikt mit den konventionellen Landwirtinnen und Landwirten, sondern als wichtige Ergänzung und auch als Anspruch dessen, was die Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Land immer mehr nachfragen. Deshalb wollen wir den Bäuerinnen und Bauern diesen Weg ermöglichen.
Wir wollen für mehr Verbraucherschutz sorgen, und wir wollen unsere Wälder schützen. Wir haben das ehrgeizige Ziel, 5 % des Waldes in unserem Land sich selbst zu überlassen, damit dort die Urwälder der Zukunft wachsen, damit diese Wälder naturbelassen bleiben, damit auch unsere Kinder sehen, wie sich ein Wald entwickelt, der nicht bewirtschaftet wird. Wir wollen das Zertifikat für den Staatswald einführen – FSC, für diejenigen, die sich auskennen –, weil wir um die Bedeutung des Waldes für die Erholung und die Natur in unserem Land wissen, meine Damen und Herren.
Wer hätte vor Kurzem noch gedacht, dass CDU und GRÜNE gemeinsam beschließen, dem Europäischen Netzwerk gentechnikfreier Regionen beizutreten? – Das ist doch ein schöner Erfolg und ein Fortschritt für die Landespolitik.
Wir werden dem Tierschutz neue Bedeutung geben und einem Anliegen der Kollegin Ursula Hammann Nachdruck verleihen, endlich eine Stiftung Tierschutz zu bekommen, aus der dann unbürokratisch und schnell den vielen Initiativen in diesem Bereich geholfen werden kann.
Und wir wollen, dass die Werra wieder ein Süßwasserfluss wird – so banal und so einfach es auch klingt, aber das wollen wir erreichen. Dafür lohnt es sich doch, in einer Regierung zu arbeiten.
Frau Ministerin Hinz, ich bin mir sicher, die Themen Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sind bei Ihnen in erfahrenen und guten Händen. Ich erlaube mir die Bemerkung, dass die Herausforderungen in diesem Bereich während der vergangenen 15 Jahre auch nicht kleiner geworden sind. Diese Bemerkung sei mir erlaubt.
Wir wollen Schulen und Hochschulen, in denen alle Kinder – unabhängig vom Hintergrund und Geldbeutel ihrer Eltern – gleiche Chancen haben. Deshalb wollen wir einen Schulfrieden, Herr Schäfer-Gümbel, und laden hierzu auch ernsthaft alle im Landtag vertretenen Parteien sowie die bildungspolitischen Akteure ein. Deshalb wollen wir die Bildungs- und Betreuungsgarantie umsetzen, damit junge Menschen in der Grundschule von Anfang an besser gefördert werden können und Eltern Familie und Beruf endlich vereinbaren können. Wir wollen eben mehr Chancengerechtigkeit in unserem Land haben und nicht weniger, weil
endlich alle dabei sein und die Möglichkeit haben sollen, sich in unseren Bildungseinrichtungen verwirklichen zu können.
Wir halten an 105 % Lehrerversorgung in unserem Land fest. 105 % – das gibt es in keinem anderen Bundesland. Das ist mehr als eine Zahl, meine Damen und Herren, denn mit diesen 5 % über Grundunterrichtsversorgung können die Schulen tatsächlich Neues auf den Weg bringen, spezifische Förderprogramme umsetzen und für die soziale Gerechtigkeit sorgen, die Herr Schäfer-Gümbel will, die die CDU will und die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will.