Protokoll der Sitzung vom 25.09.2014

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch anfügen, dass es bei zukünftigen humanitären Einsätzen nicht nur um finanzielle Unterstützung gehen muss, sondern auch um soziale Leistungen. Nur, wo vor Ort politische und soziale Stabilität hergestellt wird, werden wir Menschen davor schützen, langfristig in solchen Notlagen, in solchen Krisen gefangen zu sein.

Damit dies – jetzt ganz aktuell im Irak und in Syrien – möglich wird, ist es höchste Zeit, das weitere Vordringen der terroristischen Truppen des IS zu stoppen, die derzeit vor den Augen der Welt an Schiiten, an gemäßigten Sunniten, an syrisch-katholischen und chaldäischen Christen sowie an Jesiden einen Genozid verüben.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es war ein Versäumnis, dass Deutschland nicht sofort den Versuch unternommen hat, eine gemeinsame europäische Haltung zu entwickeln und die Vereinten Nationen damit zu befassen, hier gemeinsam zu handeln.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Gestern hat es nun zwar eine Resolution gegen die Terrormilizen gegeben, mit dem Ziel, die Unterstützung der Terrormilizen durch Einreise aus anderen Staaten und durch die Lieferung von Unterstützungsmaterial zu unterbinden, doch wenn die Weltgemeinschaft ihre Schutzverantwortung ernst nimmt, muss sie über eine internationale Mission zur Schaffung und Sicherung des Friedens nach Kapitel VII der UN-Charta beraten.

Die deutsche Rolle müsste es ein, auf der Basis des internationalen Rechts – und, Frau Kollegin Hofmann, nicht auf der Basis des Handelns einzelner Staaten – eine multilaterale Lösung anzustreben.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Da hat sie recht!)

Ich stimme mit allen Vorrednern darin überein, dass militärische Mittel immer Ultima Ratio bleiben müssen. Aber wenn Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnische Säuberungen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit an der Tagesordnung sind, dann sind die Voraussetzungen auch für dieses letzte Mittel in meinen Augen gegeben. Deutschland wird sich hier einem eigenen Beitrag nicht entziehen können.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Frau Kollegin Hofmann, an dieser Stelle allerdings fand ich Ihre Ausführungen wenig schlüssig: Die bloße Lieferung von Waffen in das Krisengebiet Irak zur Aufrüstung der Konfliktparteien ist meines Erachtens der falsche Weg.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Hört, hört!)

Denn es ist nicht absehbar, unter wessen Kontrolle diese Waffen dauerhaft gelangen

(Hermann Schaus (DIE LINKE): So ist es!)

und zu welchen Zwecken sie dort eingesetzt werden.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): So ist es!)

Meines Erachtens ist es so: Wer Waffen in fremde Hände gibt, der verliert dauerhaft die Kontrolle darüber.

(Zuruf von der FDP: So ist es!)

Genau deswegen ist der Beschluss der Bundesregierung, Waffen in den Irak zu liefern, sehr wohl eine sehr weitreichende Änderung der deutschen außenpolitischen Grundlinien.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN)

Frau Kollegin Hofmann, um auf Ihr Bonhoeffer-Zitat zurückzukommen: Das ist eben der falsche Weg, um in die Speichen des Rades zu greifen. Wenn, dann müsste sich Deutschland zu einer internationalen Mission und zu einem deutschen Beitrag an einer solchen internationalen Mission bekennen.

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Denn wenn sich die Konfliktlage ändert oder Rüstungsgüter den Besitzer wechseln, kann diese gesamte Region noch weiter destabilisiert werden. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, insbesondere besteht auch die Gefahr, dass die Sicherheitslage unseres NATO-Partners Türkei gefährdet wird. Wer die Verbrechen im Irak beenden will, wer insbesondere dieser Region Stabilität zurückgeben möchte, der muss dies zwar mit Truppen tun, aber mit Truppen, die sich ganz klar im Rahmen eines Mandats der Vereinten Nationen bewegen.

Zur Wahrheit gehört dann auch, dass zu einer nachhaltigen Lösung auch die Bereitschaft gehört, sich nach dem Ende der Kampfhandlungen nicht selbst aus der Verantwortung zu entlassen, sondern als Weltgemeinschaft auch für Peacebuilding und -keeping einen Beitrag zu leisten, damit die Menschen dort dauerhaft in Sicherheit leben können.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, trotzdem wird die Zahl derer, die als Flüchtlinge ihren Weg nach Europa und gerade auch nach Deutschland suchen, weiter steigen. Meines Erachtens zeigt sich hier nochmals deutlich – als FDP haben wir dies auch schon durch einen entsprechenden Antrag, Drucks. 19/323, zum Thema in diesem Haus gemacht –, dass das derzeitige System der Verteilung von Flüchtlingen in Europa dringend reformbedürftig ist.

(René Rock (FDP): So ist es!)

Genau deshalb erneuern wir als FDP-Fraktion unsere Forderung an die Hessische Landesregierung, sich im Rahmen einer Bundesratsinitiative dafür einzusetzen, dass sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene für die Einführung eines europaweiten Schlüssels zur Verteilung von

Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen einsetzt, und zwar schnell.

Vorbild könnte hier der in Deutschland angewandte „Königsteiner Schlüssel“ sein. Darüber hinaus sollten familiäre Bindungen und Sprachkenntnisse der Asylsuchenden berücksichtigt werden, und es sollte eine Verteilung auf die Mitgliedstaaten je nach Bevölkerungsstärke und Wirtschaftskraft erfolgen.

(Beifall bei der FDP)

Das würde uns davor bewahren, weiterhin Bilder von Flüchtlingen zu sehen, bei denen sich nach der Bedrohung in ihren Heimatländern die Notlage fortsetzt, nämlich aufgrund unsicherer Reisewege über das Meer oder unwürdiger Situationen bei der Aufnahme in den Mittelmeer-Anrainerstaaten, die von uns an der Stelle keine Hilfe erhalten. Herr Kollege Tipi, ich habe mich über Ihre Ausführungen gewundert. Es klang so, als würden Sie sich für eine europäische Flüchtlingspolitik einsetzen. Ihre Fraktion hat aber – wie die Fraktion der GRÜNEN – eine europäische Antwort auf die Flüchtlingslage im Ausschuss leider abgelehnt. Herr Tipi, Sie hätten die Gelegenheit, das bei der Abstimmung über die Beschlussempfehlung im Plenum zu ändern. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich dazu durchringen könnten.

(Beifall bei der FDP)

Solange wir aber noch keine europäische Flüchtlingspolitik haben, so lange müssen wir uns in Deutschland und gerade auch in Hessen darum kümmern, Flüchtlinge so aufzunehmen, dass wir sie allumfassend unterstützen, dabei aber auch die Kommunen nicht überfordern. Dafür brauchen wir ein ganz konkretes Handeln vor Ort – in Abstimmung mit den Kommunen, mit vielfältiger bürgerschaftlicher Unterstützung –, um die hier Gestrandeten, die Flüchtlinge und Asylbewerber, umfassend zu unterstützen.

Deswegen werden Sie gleich die Gelegenheit haben, beim Setzpunkt der FDP-Fraktion unserer Forderung nach einem hessischen Flüchtlingsgipfel zuzustimmen, der genau dies bewirken soll: nicht mit dem Finger auf andere Ebenen zu zeigen, sondern vor Ort konkret herauszuarbeiten, welche Hürden überwunden werden müssen und was dazu notwendig ist. Da ist mehr notwendig als Geld. Da geht es auch darum, rechtliche Hürden und Hürden in der Verwaltung zu überwinden, damit die Flüchtlinge, die zu uns kommen, hier ein würdiges Leben erlangen, damit sie in die Gemeinschaft aufgenommen werden, sowohl in den Schulen als auch in ihrem ganz persönlichen Lebensumfeld. Das tut genauso not wie das Handeln auf internationaler Ebene.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Als letzte Fraktionsrednerin hat Frau Kollegin Öztürk für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren! Die Gräueltaten und die Vertreibung durch die Milizen der ISIS – ich benutze diesen Begriff bewusst, die Selbstbezeichnung „IS“ möchte ich nicht verwenden – im Irak und

in Syrien hat uns alle sehr erschüttert, vor allem seit August dieses Jahres. Im Rahmen einer Delegationsreise hatte ich die Möglichkeit, mir mit Kirchenvertretern und Journalisten aus Baden-Württemberg letzte Woche ein Bild von der Situation vor Ort zu machen und ein Gefühl dafür zu bekommen, was im Nordirak los ist.

Wir bekommen jeden Tag Bilder in unsere Wohnzimmer geliefert, abends nach dem Essen, und wir sind jeden Tag erschüttert, wenn wir sehen, dass Menschen in der Lage sind, im Namen der Religion andere Menschen abzuschlachten, andere Menschen vor laufenden Kameras zu enthaupten, Frauen, die zu anderen Religionen gehören, zu entführen, sie mehrfach zu missbrauchen, zu vergewaltigen und dann auf Märkten verkaufen zu wollen. Wir sind erschüttert darüber, dass Männer kaltblütig abgeschossen werden und dass im Nahen Osten zurzeit eine ethnische Säuberung, ein Völkermord stattfindet. Das ist eine Situation, die uns alle sehr erschüttert.

Wir alle fragen uns: Wie sieht die Lösung aus? Wie können wir in Hessen diesen Menschen helfen? Wie können wir einerseits die Gräueltaten vor Ort aufhalten, andererseits dem Leid der Menschen, die auf der Flucht sind, Abhilfe schaffen?

Wir sollten nicht vergessen: Viele der Menschen, die jetzt im Norden Iraks unterwegs sind, haben Angehörige und Verwandte bei uns in Hessen – oder zumindest in Deutschland. Denken Sie an die vielen traumatisierten Familien, die hier in Deutschland leben, mit ihren Angehörigen vor Ort verbunden sind und versuchen, diesen unbürokratisch zu helfen. Deshalb ist wichtig, dass wir uns in diesem Landtag darüber unterhalten, wobei ich die Bitte äußere, den Fokus nicht auf die Militärschläge, sondern auf die Situation der Zivilbevölkerung zu legen und sich darüber Gedanken zu machen, wie wir den Menschen konkret helfen können.

Die Hilfe der internationalen Gemeinschaft ist vor Ort vorhanden, soweit ich gesehen habe, aber die Hilfe kommt schleppend an – das muss man zugeben –, weil die Zahl der Flüchtlinge enorm hoch ist. Wir haben im Norden Iraks erfahren, dass seit kurzer Zeit, seit dem 3. August, ungefähr 400.000 Jesiden aus dem Shingal-Gebirge in die Regionen Dohuk und Erbil geflüchtet sind. Einschließlich der syrischen Binnenflüchtlinge, die der Irak aufnimmt – das sind etwa 200.000 Menschen –, sowie der Chaldäer, Mandäer und der sunnitischen und schiitischen Minderheiten sind es insgesamt 1,8 Millionen Binnenmigranten und -flüchtlinge, die zurzeit im Norden Iraks versuchen, Unterkunft zu finden. Das ist eine Herausforderung, die die Regionen destabilisiert, eine Situation, die dazu führen könnte, dass die Regionen kollabieren. Daher brauchen diese Menschen unsere Hilfe.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Wenn wir uns jetzt darüber unterhalten, ob die militärische Intervention die richtige oder die falsche Entscheidung war, dann kann ich mich nur dem Satz anschließen: Nichts zu tun ist ebenfalls eine Gefahr, deren Konsequenzen wir tragen müssen. – Falsches Handeln bringt ebenfalls Gefahren, mit deren Konsequenzen wir leben müssen. Ich glaube, es gibt zurzeit nicht nur die eine richtige Antwort. Ich finde aber, dass wir im Hessischen Landtag anerkennen müssen, dass im Bundestag verschiedene Fraktionen eine sehr intensive Auseinandersetzung über diese Fragen und

auch darüber führen, wie man die ISIS im Irak und in Syrien bekämpfen kann. Ich glaube, dass in dieser Region eine Gesamtstrategie notwendig ist, und ich glaube auch, dass die Lieferung von Militärausrüstung und von Beratern der Bundeswehr an die Peschmerga ein wichtiger und richtiger Schritt ist. Auch wenn bei der Abstimmung jeder eine Entscheidung nach seinem Gewissen treffen muss, ist es, wenn wir uns die Belange der Menschen vor Ort anschauen, zurzeit wichtig, dass überhaupt gehandelt wird.

Wenn wir vom Bürgerkrieg und von unterschiedlichen Parteien sprechen, dann muss uns klar sein, von wem wir reden. Die Peschmerga ist ein fester Bestandteil der nordirakischen Verteidigung, während die ISIS als militärische Einheit kein fester Bestandteil des Irak ist. Die ISIS ist vielmehr eine Terrormiliz, die den Menschen Angst und Schrecken einjagt und sie vertreibt.

In dieser Ausnahmesituation ist es zur Verhinderung eines Völkermordes ein legitimes Mittel, militärische Hilfe zu leisten und vor Ort präsent zu sein. Gleichwohl weiß ich, dass dieser erste Schritt nicht der Schritt ist, der die Region retten wird, auch nicht der Schritt ist, der diese Region auf die Dauer stabilisieren wird. Deswegen müssen weitere Schritte folgen.

Wenn wir über weitere Schritte sprechen, dann möchte ich mein Augenmerk in der verbliebenen Zeit auf die Situation der Frauen richten. Wir alle vergessen bei der Diskussion um Militärschläge und Rüstungslieferungen sowie bei der politisch-strategischen Dauerdiskussion, dass heute noch ca. 5.000 Frauen in den Händen der ISIS sind. Diese Frauen sind verschleppt und in der Region um Mossul festgehalten worden. Man bekommt unterschiedliche Berichte, was mit diesen Frauen geschieht. Ein Teil der Frauen soll, so heißt es, vergewaltigt worden sein und soll verkauft werden. Ein anderer Teil der Frauen wurde umgebracht. Die Situation der Frauen, die noch am Leben sind, ist dramatisch. Sie melden sich täglich bei ihren Familien in Erbil und in Dohuk und bitten darum, gerettet oder befreit zu werden. Ich weiß nicht, ob man die Befreiung von hier aus organisieren kann. Ich möchte aber nicht, dass wir so tun, als ob es diese Frauen nicht gäbe, die auf Hilfe warten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Es ist unsere Pflicht, auf diese Situation aufmerksam zu machen und uns zu überlegen, wie wir den Geflüchteten therapeutische Hilfe leisten können, wenn sie gerettet sind, und wie wir sie – ungefähr 300 Frauen haben es geschafft, sich aus den Händen des IS zu befreien – vor Ort, in der jesidischen und in der christlich-chaldäischen Gemeinde, unterstützen können.

Wir müssen wissen, dass die Menschen vor Ort kein Dach über dem Kopf haben, dass in sechs Wochen im Norden Iraks der Winter beginnt und dass die Menschen in Rohbauten, in Schulen, in Zelten und in provisorischen Lagern darben. Nahrungsmittel gibt es in einigermaßen ausreichender Menge. Aber wenn sie nicht binnen sechs Wochen winterfeste Unterkünfte bekommen, werden diese Menschen erfrieren.