Es gibt viele Gründe dafür, die Hochschulen finanziell besser auszustatten, und zwar sehr viel besser, als die Landesregierung das aktuell tut. Aber dann sollten wir als Erstes über die Wissensvermittlung reden, über die kritischen Wissenschaften, über die Forschung, die an den Hochschulen stattfindet.
Herr Minister, da Sie in der Regel nicht auf uns LINKE hören – das haben Sie bedauerlicherweise in Ihrer Zeit als Innenminister schon nicht getan –
ja, aber Innenminister sind Sie nicht mehr –, möchte ich Ihnen folgende Worte von Hermann Hesse ans Herz legen. Diese Worte stammen aus der Einleitung zur „Bibliothek der Weltliteratur“. Sie lauten:
Sie diene eben nicht dazu, „uns reich, berühmt oder mächtig zu machen“, sondern hat ihren Lohn in sich selbst, „indem es unser Lebensgefühl, unser Selbstvertrauen steigert, indem es uns … glücklicher macht“ und unser Bewusstsein erweitert.
So weit Hermann Hesse. Herr Minister, ich würde einfach anregen, zur Vorbereitung auf Ihre Reden einmal bei Hermann Hesse nachzuschauen. Schauen Sie doch in der Literatur nach, anstatt sich vor allem auf die Veröffentlichungen der Bertelsmann Stiftung zu verlassen und sich darin zu bedienen. Ich glaube, das würde Ihrer Rede sowohl in Wortwahl als auch im Inhalt ganz guttun.
Interessant ist aber auch, zu was Sie in Ihrer Rede nichts gesagt haben. Sie haben leider kein Wort zu einem zentralen Problem gesagt, das wir nach wie vor im Bildungssystem und auch an den Hochschulen haben. Das ist nämlich die soziale Ungerechtigkeit im Bildungssystem, denn der Hochschulzugang hängt immer noch sehr stark von der sozialen Herkunft und dem Bildungsgrad der Eltern ab.
Von 100 Akademikerkindern beginnen 77 ein Hochschulstudium. In Nichtakademikerhaushalten sind es hingegen nach der aktuellen Sozialstudie des Deutschen Studentenwerkes lediglich 23. Die „FAZ“ schrieb deshalb vor einigen Tagen:
Man kann es auf die Formel bringen: Ein Kind aus einem Akademikerhaushalt studiert fast immer, ein Kind aus einem Arbeiterhaushalt selten. Sogar die Wahl des Studienfaches ist schichtspezifisch. So findet man unter Medizin- und Jurastudenten kaum Arbeiterkinder, aber relativ viele in den Ingenieurwissenschaften, Geisteswissenschaften und dem Bereich soziale Arbeit.
Diese Bildungsungleichheit ist ein Problem, aber offensichtlich ein Problem, das Sie nicht sonderlich umzutreiben scheint, Herr Minister. Dabei wurde doch gerade mit dem Master durch die Bologna-Reform eine weitere Bildungshürde eingezogen.
Wir sind in Hessen einen wichtigen Schritt gegangen, als wir die Studiengebühren wieder abgeschafft haben, weil sie eine Bildungshürde waren und weil sie soziale Ungleichheit noch verschärft haben. Das war ein richtiger Schritt.
Aber das reicht natürlich nicht, solange das BAföG nicht ausgebaut wird, solange die Studienbedingungen nicht verbessert werden, solange die soziale Infrastruktur nicht bedarfsdeckend ausgebaut wird und solange die soziale Auslese lange vor der Hochschulreife im Schulsystem beginnt.
Herr Minister, ein weiterer Punkt, über den Sie fast nichts gesagt haben, sind die über 40.000 Beschäftigten, die wir an den Hochschulen haben. Die haben Sie nur einmal kurz und knapp erwähnt. Ich glaube, ein bisschen weniger Selbstlob und ein paar Worte zu den Professoren, zu den Lehrbeauftragten, zu den Mitarbeitern im Mittelbau, zu
Statt dem Ministerpräsidenten und dem Finanzminister zu danken, sollten Sie vielleicht auch einmal denen Respekt zollen, die trotz der Politik der Landesregierung in den letzten Jahren, trotz knapper Mittel, trotz der Umstellung auf den Bologna-Prozess für gute Ausbildung und Forschung an den Hochschulen sorgen. Denen hätten Sie danken können, statt sich hier nur in Selbstlob zu ergehen.
Weil ich das Thema schon angeschnitten habe, möchte ich kurz etwas zu den zunehmend prekären Beschäftigungsverhältnissen sagen, die wir an den Hochschulen haben. 90 % der Stellen im Mittelbau sind mittlerweile befristet. Bei den Drittmittelprojekten sind es nahezu alle. Mehr als die Hälfte dieser Verträge laufen unter zwölf Monaten und mehr als zwei Drittel auf Teilzeitbasis.
Diese befristeten Kettenverträge haben sich im Wissenschaftsbereich zu einem Riesenproblem entwickelt – zum einen für die Beschäftigten, weil sie sich von Vertrag zu Vertrag hangeln, da sie nicht genau wissen, ob sie wieder einen Job bekommen, wenn der Vertrag ausläuft. Sie können überhaupt keine verlässliche Existenz aufbauen. Die Leute bekommen noch nicht einmal einen Kredit, geschweige denn, dass sie ihre Familienplanung irgendwie absichern können. Die Befristungspraxis ist für die Beschäftigten ein Problem.
Sie ist aber auch ein Problem für die Wissenschaftslandschaft, weil einfach viele gut ausgebildete junge Wissenschaftler den Hochschulen verloren gehen. Durch die Arbeitsbedingungen erhalten sie gar nicht die Möglichkeit, sich akademisch zu qualifizieren, und zwar nicht nur, weil die Qualifikationsstellen mittlerweile Mangelware sind, sondern auch, weil die immens hohe Belastung es nicht zulässt, sich auf die eigene Weiterbildung zu konzentrieren.
Der akademische Werdegang, der früher mit einer Beschäftigung an einer Hochschule ziemlich sicher gegangen werden konnte, bleibt vielen jungen Wissenschaftlern einfach verwehrt. Aufgrund des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes scheiden immer mehr nach einigen Jahren zwangsläufig aus, weil sie sich nicht weiterqualifiziert haben.
Viele dieser Menschen entscheiden irgendwann, dass sie nicht darauf warten, ob sich vielleicht irgendwann eine Perspektive eröffnet, an der Hochschule zu bleiben, sondern wenn diese Menschen irgendwann Mitte/Ende 30 sind und ein verlässliches Einkommen haben wollen, entscheiden sie oft, dass sie die Hochschule verlassen und anderswo ihr Geld verdienen.
So gehen den Hochschulen ganze Generationen junger Wissenschaftler verloren. Herr Minister, das ist ein Problem. Damit wird eben nicht Wissen geschaffen, wie Sie Ihre Regierungserklärung überschrieben haben, sondern mit einer solchen Befristungspraxis wird Wissen und werden Wissenschaftler mit Füßen getreten.
Gleichzeitig wird wieder über Nachwuchsmangel lamentiert. Dann werden Programme aufgelegt, um weibliche Doktorandinnen und Professorinnen an die Hochschule zu bekommen. Das ist aber völlig absurd, wenn man nicht dafür sorgt, dass Hochschulen gute Arbeitgeber sind, dass sie
Wir sind der Meinung, für Daueraufgaben braucht man Dauerstellen. Sie haben in Ihrer Rede leider keinen Lösungsvorschlag gemacht, wie man dieses Problem angehen kann, wie Sie die Hochschulen dabei unterstützen. Man kann die Verantwortung nicht einfach auf die Hochschulen abschieben, wie das im Koalitionsvertrag gemacht wurde: Die sollen mal machen. – Nein, das Land ist auch in der Pflicht, hier verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen.
Ich will auch kurz etwas zu den Beamtinnen und Beamten an den Hochschulen sagen, die nämlich 2015 einer Nullrunde und 2016 pauschal einer Besoldungserhöhung von 1 % entgegensehen. Herr Minister, das ist nicht Ihre persönliche Entscheidung gewesen. Aber es ist Resultat der selbst auferlegten Schuldenbremse. Und ganz ehrlich: Bei solchen Rahmenbedingungen wundert es mich nicht, dass die Hochschulpräsidenten immer wieder darauf hinweisen, was sie alles unternehmen müssen und wollen, um ihre Hochschulen als Arbeitgeber attraktiv zu machen.
Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede leider nichts zur Gleichstellung von Frauen und Männern gesagt, zur Berufung von Professorinnen, zur familienfreundlichen Hochschule. Aber wenn Sie Ihre halbstündige Redezeit dazu genutzt hätten, zu solchen Fragen etwas zu sagen, wäre natürlich sehr viel weniger Zeit für Ihre Lobhudelei auf die Landesregierung geblieben. Man muss natürlich Prioritäten setzen, und die haben Sie gesetzt – leider die falschen, Herr Minister.
Was auch völlig unerwähnt bleibt, ist das privatisierte Uniklinikum Gießen-Marburg. Das war immerhin einmal ein Leuchtturm der Landesregierung. Ich stelle fest, so überzeugt scheinen Sie von Ihrer Regelung zur Partikeltherapieanlage offenbar nicht zu sein, wenn Sie sie hier so vollständig unter den Tisch fallen lassen, wo Sie sich für so vieles gelobt haben, wofür Sie überhaupt nicht verantwortlich sind. Das haben Sie nicht erwähnt. Ich finde, das spricht dafür, dass wir es hier mit einem eingestürzten Leuchtturm zu tun haben und dass diese Privatisierung grandios gescheitert ist.
Zur Finanzierung der Hochschulen: Herr Rhein, in der Tat fließt mehr Geld an die hessischen Hochschulen. Durch die jährlich zusätzlich etwa 80 Millionen € an BAföG-Mitteln, die nun vom Bund getragen werden, eröffnen sich tatsächlich Spielräume. Aber man muss klar sagen, das ist jetzt kein Verdienst des Landes Hessen.
Herr Rhein, ich frage mich: Was hätten Sie eigentlich in dieser Regierungserklärung verkündet, wenn die Übernahme der BAföG-Gelder vom Bund nicht stattfinden würde? Sich jetzt dafür loben zu lassen, dass Sie diese Mittel nicht zweckentfremden, sondern dafür einsetzen, wofür sie gedacht sind, das finde ich doch ein bisschen vermessen.
Wir finden es richtig, dass dieses Geld an die Hochschulen fließt. Das werden wir nicht kritisieren. Aber wir werden dafür die Landesregierung auch nicht loben, weil wir es für
eine Selbstverständlichkeit halten – gerade angesichts der Situation, der die Hochschulen ausgesetzt sind.
Angesichts eines Zustroms an Studierenden ist es doch notwendig und klar, dass dieses Geld an den Hochschulen bleiben muss. Ich finde aber, dass sich die Hochschulfinanzierung in Hessen eben nicht nur mit anderen Bundesländern vergleichen lassen muss. Man muss auch schauen, wie die Hochschulfinanzierung in Hessen gemessen an der Wirtschaftskraft ist. Wenn man sich das anschaut, dann sind die Zahlen auch nicht so rosig, wie Sie das behaupten.
Herr Rhein, letzte Woche haben Sie in einer Pressekonferenz erklärt, was Sie denn jetzt mit den zusätzlichen Mitteln machen wollen. Zum Beispiel sollen die Hochschulen endlich die Tariferhöhung finanziert bekommen. Das finden wir gut und richtig; das ist aber auch keine Großtat, weil es auch das Land ist, das die Tarifverhandlungen führt, zumindest für die meisten Hochschulen. Da kann ich nur sagen, dann wünsche ich den Gewerkschaften sehr viel Erfolg dabei, eine anständige Tariferhöhung durchzusetzen, und hoffe, dass das Land bei dem Versprechen bleibt, diese Tariferhöhung dann auch voll zu finanzieren.
Herr Minister, ich frage mich ein bisschen, was Sie hier erklärt hätten, wenn es die 80 Millionen € zusätzlich nicht gegeben hätte. Was wäre dann mit der dringend notwendigen Erhöhung der Grundfinanzierung und mit der Tariferhöhung gewesen? Ja, es gibt mehr Geld, das ist ein Grund zur Freude. Aber ich finde, das ist jetzt auch kein Grund, sich hier feiern zu lassen und sich selbst auf die Schulter zu klopfen, wenn man einfach nichts dazu beigetragen hat, dass es dieses Geld jetzt gibt.
Ähnlich ist es auch bei HEUREKA. Sie loben sich jetzt für das Hochschulbauprogramm HEUREKA, dabei kürzen Sie diesem Programm die Mittel. Das ist geradezu absurd.
Zum einen ist es so: Wenn man die gleichen Mittel auf eine längere Zeit streckt, ist das eine Kürzung. Zum anderen bin ich auch nicht der Meinung, Herr Minister, dass man sich dafür bejubeln muss, dass man jahrzehntelang versäumte Sanierungen endlich einmal nachholt. Nichts anderes ist HEUREKA. Dass HEUREKA überhaupt nötig geworden ist, liegt doch daran, dass man die baulichen Maßnahmen über Jahrzehnte hinweg vernachlässigt hat. Fakt ist doch einfach, dass wir immer noch in vielen Fachbereichen viel zu wenig Lernraum haben, sodass Seminare auf Orte außerhalb des Campus ausweichen müssen. In Kassel haben wir eine Situation, wo auf Kirchen und Kinos ausgewichen wird. Es ist doch klar, dass die Landesregierung auch in der Verantwortung steht, die baulichen Voraussetzungen zu schaffen. Dass es ein solches Programm gibt, ist sinnvoll; aber auch das ist kein Grund, sich hier zu bejubeln, vor allem wenn man die Mittel streckt oder kürzt.