Protokoll der Sitzung vom 15.10.2014

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Kollegin Gnadl für eine Kurzintervention.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Klein, Sie werden wohl nicht bestreiten, dass im September 2014 18.640 junge Menschen unter 25 Jahren arbeitslos waren. Sie werden auch nicht bestreiten, dass sich jährlich rund 17.000 Jugendliche im sogenannten Übergangssystem wiederfinden. Das zeigen zumindest die statistischen Berichte des Landes Hessen.

Wenn Sie mir zugehört hätten, Herr Klein, dann hätten Sie erfahren, um was es uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bei diesem Thema geht. Es geht uns erstens darum, dass wir ein Problembewusstsein dafür schaffen, dass es viele junge Menschen in diesem Übergangssystem gibt, die in endlosen Warteschleifen hängen.

(Manfred Pentz (CDU): Uns geht es um jeden Einzelnen!)

Zweitens. Wir bestreiten nicht, dass es einzelne Akteure gibt, die eine gute Arbeit im Rahmen dieses Übergangssystems machen, oder dass es Programme gibt, die versuchen, die Situation zu verbessern, wie das z. B. mit OloV in Hessen der Fall ist. Aber es geht uns vor allen Dingen darum, dass das gesamte System grundsätzlich reformiert und geändert werden muss, damit es sich auf die einzelnen jungen Menschen und nicht auf die Träger und Akteure ausrichtet. Die 18.640 Jugendlichen, die arbeitslos und unter 25 Jahre alt sind, müssen im Mittelpunkt unseres Bemühens stehen.

(Beifall bei der SPD – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Was machen wir denn hier die ganze Zeit?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Ihnen das Beispiel von Marvin nicht gefällt, dann nehmen Sie doch das Beispiel von Sandra.

(Manfred Pentz (CDU): Wir kümmern uns auch um Marvin!)

Die kenne ich sehr gut. Diese Sandra ist eine schwerhörige junge Frau. Sie hat eine Maßnahme angeboten bekommen, Kellnerin im Gaststättengewerbe zu erlernen.

(Zurufe von der CDU)

Frau Kollegin Gnadl, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. – Diese schwerhörige junge Frau musste eine Fördermaßnahme antreten, wo sie lernt, Kellnerin im Gaststättengewerbe zu werden. Danach war sie um die Erfahrung reicher – –

(Manfred Pentz (CDU): Letzter Satz! – Weitere Zurufe von der CDU)

Kollegin, bitte letzter Satz.

(Anhaltende Zurufe von der CDU)

Ich kann ja kaum meinen letzten Satz sprechen, Frau Präsidentin.

(Clemens Reif (CDU): Letzter Satz! Das ist unfassbar!)

Diese Frau war um die Erfahrung reicher, dass sie jetzt kellnern kann. Aber sie war auch um die Erfahrung reicher, dass sie als schwerhörige junge Frau gar nicht in diesem Beruf arbeiten kann.

(Beifall bei der SPD)

Herr Reif, ich habe durchaus gehört, was Sie eben gesagt haben. Ich verbitte mir eine Kritik an der Führung im Präsidium. Das ist keine unfassbare Präsidentin, sondern es war unfassbar, wie sich Teile dieses Hauses bei den letzten Sätzen der Kollegin Gnadl mit Lautstärke verhalten haben.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Clemens Reif (CDU): Das ist unfassbar!)

Herr Klein, Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich würde jetzt aber alle herzlich bitten, dass wir wieder zur Sachlichkeit zurückkehren und die Lautstärke etwas bremsen.

Sehr geehrte Frau Gnadl, ich habe Ihnen sehr gut zugehört. Wenn Sie mir zugehört hätten, hätten Sie auch erkannt, dass ich diese Zahlen gar nicht bestritten habe. Ich habe nur Größenordnungen klargestellt. Wir haben jetzt doch ganz intensiv diskutiert, dass wir ein Problem haben. Wir haben immer noch zu viele junge Arbeitslose. Ich habe Ihnen aufgezeigt, wie wir in den letzten Jahren durch richtungweisende Entscheidungen in der Bildungspolitik, durch verbesserte Maßnahmen im Rahmen der dualen Ausbildung, durch Hilfsprogramme, durch Ausbildungsbegleiter und, und, und, kontinuierlich junge Menschen an die Hand genommen haben, die Probleme haben, und damit kontinuierlich, peu à peu die Jugendarbeitslosigkeit gesenkt haben.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Gnadl, es ist aber ein Irrglaube, dass Sie die Jugendarbeitslosigkeit auf null zurückfahren können. Wir werden immer einen Anteil derer haben, die uns massiv Probleme bereiten, die vielleicht auch gar keiner Arbeit nachgehen wollen.

Wenn Sie jetzt sagen, wir müssten noch mehr tun: Ich habe doch versucht, Ihnen klarzumachen, dass jeder, der sich ohne Perspektive im Übergangssystem aufhält, einer zu viel ist. Aus dem Grund werden wir schauen. Wir werden aber auch keinen Kahlschlag veranstalten. Wir werden vor allem eines nicht machen, Frau Gnadl, und das ist Ihr erklärtes Ziel seit Jahren: Sie wollen einmal eine Ausbildungsabgabe, und beim nächsten Mal springen Sie auf die vollschulische Berufsausbildung. Das werden Sie mit uns nicht erreichen. – Herr Schäfer-Gümbel, Sie schauen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Weil das, was Sie gerade erzählen, großer Unfug ist! – Gegenrufe von der CDU: Keine Ahnung!)

Natürlich könnten wir die Jugendarbeitslosigkeit ganz herunterfahren, wenn wir als Staat wie die Wilden junge Menschen ausbilden. Nur, dann bilden wir doch an der Wirtschaft vorbei aus. Wir brauchen das duale Ausbildungssystem, weil auf diese Art und Weise so ausgebildet wird, dass diese Menschen hinterher in der Wirtschaft eine Arbeitsplatzgarantie haben. Es bringt doch nichts, schulisch irgendwelche ideologischen Ausbildungsgänge anzubieten, und nach drei Jahren sind die jungen Leute wieder auf der Straße, weil sie nicht übernommen werden.

Herr Klein, Sie müssen bitte auch zum Schluss kommen.

Wir werden alles tun, das duale Ausbildungssystem weiter zu stützen, weiter nach vorn zu bringen. Wir werden schulisch alles tun, den jungen Menschen noch mehr Perspektiven und noch mehr Fähigkeiten in der Berufswahlentscheidung zu bieten, damit auch da keine Abbrecher entstehen. Frau Gnadl, wenn wir alle zusammen an einem Strang ziehen und wenn wir es dann noch schaffen, gemeinsam in eine Richtung zu ziehen, haben wir viel erreicht.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächster Redner ist Kollege Greilich, FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der SPD-Fraktion heischt zunächst einmal nach Zustimmung, wenn in der Überschrift die Worte verwendet werden: „kein Abschluss ohne Anschluss“. Ich glaube, mindestens hinter diesen Worten könnte sich das ganze Haus problemlos versammeln. Trotzdem kann man mit beiden Anträgen, die hier vorgelegt worden sind, nicht glücklich sein; der bisherige Verlauf der Debatte hat das gezeigt. Das gilt für den SPD-Antrag genauso wie für den Antrag der Koalition. Beide Anträge enthalten viele Worte. Aber da, wo es wirklich interessant und konkret wird, ist es entweder fraglich oder inhaltslos.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist nicht so, dass wir bislang im Bereich der beruflichen Bildung oder der Reform der Übergangssysteme tatenlos gewesen wären. Im Gegenteil, bereits in der vergangenen Legislaturperiode wurden Maßnahmen entwickelt und weiterentwickelt, die die Zielsetzung der Eingliederung und der Anschlussfähigkeit unseres Systems realisieren sollten. Insbesondere haben wir mit der Reform des Übergangssystems begonnen, die jetzt fortgeführt werden muss; das ist so weit wohl unstreitig.

Allerdings sind mir da die vorgelegten Anträge, die wir aufgrund ihres Umfangs sicherlich noch ausführlich im

Ausschuss beraten werden, reichlich unkonkret. Insbesondere der Antrag der Koalition mit der erneuten Bitte an die Landesregierung bzw. an das Kultusministerium, seiner Aufgabe nachzugehen, führt nicht allzu viel weiter. Die schwarz-grüne Koalition hat noch nicht verlautbaren lassen, ob und wie sie die Reformpläne der letzten Wahlperiode beibehalten, umsetzen oder weiterentwickeln will. Herr Kollege Klein, ich muss leider feststellen, der Antrag ist in dem Bereich weitgehend inhaltslos, oberflächlich und führt nicht sonderlich weiter.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen Einschub, der sich an alle Kollegen in allen Fraktionen richtet. Ich würde mir wünschen, dass dieser Landtag selbstbewusst und stark genug ist und das auch in der Formulierung seiner Anträge zeigt, auch was die Regierungsfraktionen angeht. Wir sind keine Bittsteller gegenüber der Landesregierung. Das Formulieren von unterwürfigen Bitten ist nicht der Stil, der in dieses Haus gehört.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Wenn, dann erteilt dieser Landtag Aufträge an die Landesregierung. Das ist seine Aufgabe, das ist sein Recht. Wir sind die Volksvertretung und haben dafür zu sorgen, dass Entsprechendes geschieht. Also: die Wortwahl etwas anpassen.

In der Sache, zum Thema Übergangssysteme, will ich deutlich formulieren: Ich habe schon in der gesamten Diskussion in der Vergangenheit eine große Befürchtung gehabt. Wir konnten das vernünftig aufgreifen und kanalisieren. Aber ich habe auch nach dem Verlauf der heutigen Debatte wieder die Befürchtung, dass manche dazu neigen, bei der Reform des Übergangssystems das Kind mit dem Bade auszuschütten. Die Regierung war mit einer liberalen Kultusministerin und einem liberalen Wirtschaftsminister auf dem richtigen Weg. Wir haben dafür gesorgt, dass sich das schulische Bildungsniveau der Abgänger in Hessen im langjährigen Vergleich deutlich erhöht hat. Die Quote der Schulabgänger ohne Abschluss ist nachhaltig – nicht nur vorrübergehend, sondern nachhaltig – rückläufig. Das indiziert die starke Bildungsbeteiligung, die wichtige Voraussetzung dafür ist, den Nachwuchs an qualifizierten Beschäftigten sichern zu können.

(Beifall bei der FDP)

Trotzdem gibt es noch immer Jugendliche, die die Schule nach Beendigung der Schulpflicht ohne Abschluss verlassen. Frau Kollegin Gnadl, natürlich muss es das Ziel sein, dass jeder Jugendliche einen Abschluss erreicht. Deshalb gilt es, dass die Bildungspolitik an dieser Zielsetzung festhält und daran ausgerichtet wird. Ich habe schon gesagt, Hessen ist dort auf einem guten Weg. Seit dem Jahr 2000 sinkt in Hessen, wie im Übrigen in Deutschland insgesamt, aber ganz besonders in Hessen, sowohl bei Männern als auch bei Frauen der Anteil frühzeitiger Schul- und Ausbildungsabgänger. Das sind Zahlen, da können Sie sich darauf verlassen, dass sie stimmen. Hessen hat aktuell einen geringeren Anteil an frühzeitigen Schul- und Ausbildungsabgängern als irgendein anderes Land. Im Jahr 2000 betrug der Anteil derer, die ohne Abschluss abgingen, noch nahezu 18 %; im Jahr 2007 waren es nur noch 13 % und 2013 11 %.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich sage sehr deutlich: 11 % sind 11 % zu viel. Aber der Weg, den wir dort beschritten haben, muss fortgesetzt werden, damit möglichst viele Jugendliche die Chancen auf eine weiter

führende Ausbildung, z. B. auf die duale Ausbildung, und damit auch auf einen Arbeitsplatz haben.

(Beifall bei der FDP)

Ein zentrales Instrument dafür ist die individuelle Förderung, aber auch die Verstärkung der Berufsorientierung in der Schule. Bei diesem Punkt sind wir einer Meinung mit der SPD, wenngleich die Konsequenzen nicht durchgängig deckungsgleich sind. Es ist oft so, dass man die Analyse teilt und sich trotzdem über den Weg streiten kann.

Ich sage sehr deutlich: Nach meiner Einschätzung hat das Fach Arbeitslehre so, wie es heute in den Schulen unterrichtet wird, seinen Zweck verfehlt. Wir brauchen schon in den frühen Klassen eine viel stärkere Berufsorientierung, und wir brauchen auch eine sehr individuell ausgerichtete. Das gilt vor allem für all die Jugendlichen, die noch nicht die Anforderungen zur Aufnahme einer Berufsausbildung oder eines Studiums erfüllen oder keinen Ausbildungsplatz finden, weil sie zwar formal die Anforderungen erfüllen, ihnen aber in der Praxis nicht gerecht werden. Dort müssen wir helfen, dort müssen wir eine Weiterqualifizierung anbieten. Da spielen auch die oft genannten Übergangssysteme eine entscheidende Rolle.

Wir müssen darauf achten, dass die Bildungsgänge an den beruflichen Schulen stärker strukturiert werden, um die Angebote noch besser mit der Wirtschaft koordinieren zu können. Ziel ist es – auch da besteht, glaube ich, weitgehende Einigkeit –, mehr Schulabgänger auf direktem Weg, also ohne Umwege, in eine duale Ausbildung zu bringen. Mit der Reform haben wir in der letzten Wahlperiode begonnen. Das muss jetzt konsequent fortgeführt werden.