Zu beachten sind in diesem Zusammenhang auch die Belastungen, die vom Verkehr selbst ausgehen: Die vielen Pendler, die morgens nach Frankfurt pendeln, jubeln morgens, wenn sie auf der A 5 im Stau stehen, nicht: „Jippie, ich bin mobil!“, sondern das ist eine Form von erzwungener Mobilität, weil man sich teilweise die Mieten in Frankfurt nicht leisten kann und gezwungen ist, in die Stadt hinein zu pendeln. Deshalb muss der Verkehr reduziert und vor allem auch auf die Schiene verlagert werden.
Mobilität ist eine wichtige Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dahin gehend klafft die Schere zwischen Ballungsraum und ländlichen Regionen immer weiter auseinander, was sich natürlich auch auf die Lebensqualität niederschlägt.
Im ländlichen Raum gibt es immer mehr Landstriche, in denen man sich entweder mehrere Autos pro Familie leisten kann, oder aber man muss Einschränkungen hinnehmen und sich überlegen, wie man zum Einkaufen, zum Arzt, zu Freunden und Verwandten oder ins Theater kommt.
In solchen Gegenden gibt es dann eine Abwärtsspirale. Ist das Angebot erst einmal so weit ausgedünnt, dass es nicht länger verlässlich ist und der Bus eben nicht mehr jede Stunde fährt, dann gehen die Fahrgastzahlen weiter zurück, das Angebot wird weiter reduziert, und es entsteht eine Situation, in der der demografische Wandel und die Landflucht noch beschleunigt werden, weil die Infrastruktur im ländlichen Raum wegfällt und die ländlichen Gebiete dadurch weniger attraktiv sind. Kreative Notlösungen wie Anruftaxen oder Mitfahrgelegenheiten sind, so nett es auch sein mag, kein Ersatz für ein vernünftiges ÖPNV-Angebot; das kann überhaupt nicht die Aufgabe sein.
Das sind nicht nur Probleme des ländlichen Raums. Die Probleme des ländlichen Raums kommen quasi wie ein Bumerang in die Städte zurück, und zwar in Form steigender Mieten, von mehr Verkehr, von Pendlerströmen. Deswegen ist es ein ganz wichtiger Punkt, dass wir einen ÖPNV brauchen, der den ländlichen Raum nicht abhängt.
Aus diesem Grund ist ein Umsteuern in der Verkehrspolitik notwendig. Deswegen braucht es auch mehr Geld vom Bund und vor allem endlich wieder Landesmittel. Auch müssen wir über neue Wege der Finanzierung nachdenken. Die Fahrscheine immer teurer zu machen und sich über das
Ansteigen des sogenannten Kostendeckungsgrades zu freuen, ist keine Lösung – zumal dieser Begriff auch etwas irreführend ist. Natürlich werden die Kosten immer von irgendjemandem gedeckt, im Zweifelsfall vom Fahrgast, der höhere Preise hinnehmen muss.
Im Gegenteil müssten wir überlegen, wie sich die Kosten von Fahrscheinen senken lassen, sodass der ÖPNV attraktiver wird und ihn sich jeder leisten kann. Da finde ich schon, dass man über andere Modelle der Finanzierung nachdenken kann, beispielsweise eines Solidartickets, wie das Semesterticket, das es schon heute gibt und von allen bezahlt wird. Aber es könnte auch darüber nachgedacht werden, z. B. Beiträge von Unternehmen zu erheben, also von Arbeitgebern und Gewerbetreibenden, die von einer guten ÖPNV-Anbindung profitieren. Beim Kfz-Verkehr sind Abgaben wie Straßenerschließungsbeiträge oder Stellplatzablösen die Realität. Warum sollte man so etwas nicht auch bei der ÖPNV-Erschließung zumindest einmal ins Auge fassen?
Ich komme zum Schluss. – Sie verwalten bei Bus und Bahn den Mangel, verteidigen bestenfalls den Status quo, aber es fehlt eine Vision. Und so ist es auch in Ihrem Antrag: In weiten Teilen stimmen wir mit der Bestandsaufnahme überein, die kostet ja auch erst einmal nichts. Natürlich ist die Aufforderung richtig, dass es mehr Geld vom Bund geben müsse. Aber er zeigt eben leider keinen Weg auf, wie wir zu einem Ausbau des ÖPNV und zu einer Verkehrswende kommen. Wenn es der Landesregierung damit wirklich ernst ist, dann wäre es das erste Zeichen, überhaupt einmal Landesmittel für den ÖPNV in den Haushalt einzustellen. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss sagen, dass ich von dem bisherigen Verlauf der Debatte ziemlich enttäuscht bin.
Ich bin deshalb ziemlich enttäuscht, weil die drei Redebeiträge der Oppositionsfraktionen gezeigt haben, dass man offensichtlich nicht verstanden hat, dass wir nicht mehr in der Phase oppositioneller Rituale sind, sondern in einer Phase, in der es wirklich fünf vor zwölf ist und es um die Frage geht, ob wir das Rückgrat des Schienennahverkehrs im Rhein-Main-Gebiet und in Nordhessen in den nächsten Jahren überhaupt noch sicherstellen können oder nicht.
Ich muss sagen: Wenn ich auf der Verkehrsministerkonferenz mit dem Kollegen Hermann aus Baden-Württemberg oder dem Kollegen Groschek aus Nordrhein-Westfalen spreche, dann sagen die mir, dass es in Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfalen parteiübergreifend Debatten im Landtag gab, in denen völlig klar war, dass es an diesem Punkt um die Frage geht, für die Interessen des Landes zu kämpfen, statt zu versuchen, noch irgendeinen Punkt zu finden, an dem man vielleicht noch die Landesregierung kritisieren könnte. Bei dieser Frage geht es wirklich um etwas,
wenn wir darüber reden, ob die Regionalisierung, die vor 20 Jahren begonnen hat, auf Dauer erfolgreich sein kann oder nicht.
Liebe Kollegen von der SPD, ehrlich gesagt: Wenn ich mir einmal überlege, was einmal in rot-grünen Zeiten von einer SPD- und einer GRÜNEN-Landtagsfraktion angestoßen wurde, was Lothar Klemm und Matthias Kurth – Stichwort: Gründung der Verbünde – einmal angestoßen haben, dass einmal klar war, dass wir da ein riesengroßes Daseinsvorsorgeprojekt umsetzen, dann hätte ich mir an bestimmten Punkten einfach einmal gewünscht, dass wir uns darin einig sind: Wir reden überhaupt nicht über die Frage, Frau Kollegin Wissler, dass der ÖPNV besser wird,
sondern wir reden in den nächsten Jahren über die Frage, ob wir den Status quo halten können, wenn sich der Bund nicht bewegt.
Ich sage das deshalb, weil wir drei Staatssekretärsrunden gehabt haben, in denen die 16 Staatssekretäre zusammengekommen sind. Wir hatten zwei Verkehrsministersonderkonferenzen. Auf der letzten Verkehrsministerkonferenz haben wir die Verhandlungen bis Mitternacht geführt und morgens um sieben weitergemacht, weil klar ist, dass es dort um Verteilungskämpfe geht, weil klar ist, dass es dort um die Frage geht, ob sich die Bundesländer einigen können, damit wenigstens die Bundesländer sich einig sind und gemeinsam gegenüber dem Bund auftreten. Was meinen Sie denn, was der Ministerpräsident heute und morgen auf der Ministerpräsidentenkonferenz in genau dieser Frage machen wird, meine sehr verehrten Damen und Herren? Er kämpft für die Landesinteressen. Und da spielt es überhaupt keine Rolle, welcher Partei er angehört.
Ein Kretschmann, ein Bouffier, eine Hannelore Kraft – sie alle vertreten in diesem Zusammenhang sozusagen die Interessen der westdeutschen Flächenländer. An diesem Punkt muss man wirklich nicht versuchen, irgendwie noch das Haar in der Suppe zu finden.
Wir reden vielmehr über die Frage, ob in den nächsten Jahren überhaupt noch Suppe da sein wird – um Ihnen einmal klarzumachen, worum es hier geht, meine Damen und Herren.
Entschuldigung, aber das regt mich auf. Es regt mich deshalb auf, weil wir es in den letzten 20 Jahren geschafft haben – nachdem der Bund diese Aufgabe regionalisiert und den Ländern die Verantwortung für den Schienenpersonennahverkehr gegeben hat –, das Angebot deutlich zu verbessern. Wir haben es geschafft, dass der RMV inzwischen jeden Tag 2,2 Millionen Fahrgäste befördert. Und man konnte gestern sehen, was passiert, wenn diese Züge nicht fahren: Dann geht nämlich auch auf der Straße nichts mehr, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir haben es geschafft, das Angebot im S-Bahn-Verkehr um fast 70 % auszuweiten, und das passierte in diesem Haus immer parteiübergreifend, darüber waren wir uns immer einig.
An diesem Punkt will ich noch eines sagen: Der Bund hat eine Aufgabe regionalisiert. Er hat die Aufgabe per Grundgesetzänderung den Ländern übertragen, und er hat sich gleichzeitig dazu verpflichtet, auch die Kosten dafür zu übernehmen. Der Bundesverkehrsminister sagt schließlich auch nicht, man solle eine Autobahn bauen, um anschließend hinzuzufügen, er gebe dafür nur 80 % der Baukosten. Nein, der Bund hat sich verpflichtet, die Aufgabe zu übertragen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Kosten auskömmlich sind. Aber er stiehlt sich gerade aus dieser Verantwortung.
Wenn man weiß, dass wir eigentlich ab 2015 eine Neuregelung der Regionalisierungsmittel brauchen, dass das Gesetz ausläuft und dass die Bundesebene keine Anstalten gemacht hat, dieses Gesetz zu novellieren, und sogar noch dafür gesorgt hat, dass im Entwurf des Bundeshaushalts nicht mehr die 1,5-prozentige Steigerung zu finden ist, sondern im nächsten Jahr schlicht gar nichts, dann müssten wir uns doch alle miteinander einig sein, dass wir alle auf unsere Bundestagsabgeordneten, und zwar egal welcher Fraktion, einwirken und ihnen sagen: Leute, so geht es nicht weiter.
Ich will Ihnen das an einem Punkt sagen. Die 1,5-prozentige Steigerung kam bisher jedes Jahr und ist übrigens dringend nötig, weil die Personalkosten steigen, weil die sonstigen Aufwendungen steigen und nicht zuletzt weil die Trassenkosten steigen. Wir haben die absurde Situation, dass die Regionalisierungsmittel seit 2002 um 6 % gestiegen sind und die Trassenkosten, die wir an die DB zu zahlen haben, um über 20 % gestiegen sind. Diese Trassenund Stationspreise machen inzwischen 40 % der Gesamtausgaben aus.
Wissen Sie, an wen die gehen? An die DB AG. Wissen Sie, wem die gehört? Der Bundesrepublik Deutschland, und zwar zu 100 %. Wissen Sie, wer Gewinn macht? Die DB. Wissen Sie, wohin die DB diesen Gewinn abführt? An den Bundeshaushalt. Gleichzeitig wollen die nicht dafür sorgen, dass diese steigenden Kosten uns erstattet werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da müssten wir uns eigentlich einig sein und gemeinsam ein kraftvolles Signal nach Berlin senden, dass es so nicht weitergeht.
Nur, um es Ihnen einmal klarzumachen: Diese 1,5 %, die nächstes Jahr fehlen, wenn der Bundeshaushalt unverändert beschlossen wird, machen für Hessen eine Kürzung von ungefähr 8 Millionen € aus. Wir haben jetzt natürlich mit dem gleichen Betrag gerechnet, aber faktisch bedeutet das, dass im nächsten Jahr 8 Millionen € fehlen würden.
Wenn man diese Dynamisierung jetzt nicht hinbekommt und sie auch nicht nachholt, dann bedeutet das über den Zeitraum der nächsten fünf Jahre 32 Millionen € weniger, mit denen der RMV bisher fest gerechnet hat. Glauben Sie ernsthaft, wir könnten das aus Landesmitteln ausgleichen? Glauben Sie, dass so etwas möglich wäre, diese große Aufgabe aus Landesmitteln auszugleichen?
Deswegen – um klar zu sagen, worum es geht – gibt es nur zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Man muss entweder die Tarife noch weiter erhöhen, oder man muss Züge abbestellen, ganz konkret.
Diese beiden Möglichkeiten gibt es, wenn wir die Dynamisierung nicht kriegen. Wenn der Bund die Aufgabe nicht erfüllt und die Kosten steigen, dann haben wir nur zwei Möglichkeiten. Dann müssen wir sagen, dieser Zug fährt nicht mehr, oder wir müssen sagen, die Tarife werden weiter angehoben. – Beides wollen wir nicht.
Ich glaube, dass an dem Punkt klar sein muss: Öffentlicher Personennahverkehr ist staatliche Daseinsvorsorge. Nach dem Grundgesetz steht den Ländern ein Beitrag aus dem Steueraufkommen des Bundes zu, der dazu führt, dass wir diese Aufgabe erfüllen können. Jetzt kann man lange darüber streiten, ob Landesmittel oder nicht Landesmittel. Aber wir müssen uns die jetzige Situation betrachten. Wir kriegen 541 Millionen € vom Bund, und wir legen jetzt schon aus hessischen Steuermitteln – im KFA, aber aus hessischen Steuermitteln – 120 Millionen € obendrauf. Ich finde, dass wir uns auch an diesem Punkt einig sein müssen, dass wir ein Interesse daran haben müssen, dass der Nahverkehr nicht schlechter wird, sondern dass er besser wird.
Wenn ich in die Zukunft schaue und mir betrachte, was wir noch so vorhaben, wenn wir über die Reaktivierung der Kurhessenbahn reden, wenn wir über die nordmainische SBahn reden, wenn wir über die Regionaltangente West reden, dann sage ich Ihnen: Wir bräuchten in Hessen mehr Mittel und nicht weniger Mittel, um die Aufgaben erfüllen zu können.