Protokoll der Sitzung vom 18.12.2014

(Beifall bei der CDU)

Es besteht auch keine Verpflichtung, sich einem Arbeitgeberverband anzuschließen. Es besteht keine Verpflichtung, einer Gewerkschaft beizutreten oder einen Tarifvertrag abzuschließen. Das ist die rechtliche Situation. Eine andere Frage ist natürlich, ob wir, wenn wir Wirtschaftsunternehmen beraten sollen, wenn wir Standortwerbung machen, darauf hinweisen: Es hat Deutschland immer ganz gut getan, wenn wenig gestreikt wird und wenn sich Betriebsleitung und Betriebsrat gut verstehen und miteinander kommunizieren. Das ist auch eine Erfolgsquelle für Deutschland, für unsere Wirtschaft.

Wir müssen schon unterscheiden: Was sind die rechtlichen Rahmenbedingungen, und was wäre im eigenen Interesse dieser Unternehmen empfehlenswert? Das vermischen Sie miteinander, das wollen Sie miteinander vermischen. Aber da machen wir nicht mit. Deshalb werden wir Ihren Antrag auch ablehnen.

Nach Angaben des Arbeitgebers Amazon werden den betroffenen Arbeitnehmern ca. 9 € pro Stunde bezahlt. Das liegt über dem Mindestlohn, der jetzt eingeführt wird.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Super, dann ist ja alles gut!)

Das liegt auch über den Lohnabschlüssen, die ver.di im Einzelhandelsgewerbe ausgehandelt hat. Das liegt in Hessen zwischen 8 und 9 € im unteren Bereich. Das haben sie auch so veröffentlicht.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Was? Den Tarifvertrag kenne ich nicht! 11,36 € ist das Mindeste nach dem Einzelhandelstarifvertrag!)

Da sich nun nicht die Frage stellt, ob ein Tarifvertrag als allgemein verbindlich erklärt werden kann, ist dies für die Betroffenen auch weitgehend irrelevant, was die Bezahlung anbelangt, was den Lohn anbelangt, was am Ende auf der Gehaltsabrechnung erscheint.

Davon völlig unabhängig sind aber die Fragen, wie sich ein Unternehmen aus eigenem Interesse verhält und ob es richtig ist, sich einen gewissen Ruf anzueignen. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir vor einigen Jahren darüber diskutiert haben, wie Amazon ausländische Arbeitnehmer anwirbt, welche Dinge ihnen angekündigt werden, die nachher nicht erfüllt werden. Das ist natürlich etwas, was wir arbeitsmarktpolitisch nicht wollen, was uns seinerzeit auch sehr geärgert hat, weil wir ausländische Arbeitnehmer hier gezielt anwerben wollen.

Wir achten natürlich auch sehr darauf, welche Unternehmen Ketten von befristeten Arbeitsverträgen anbieten. Das halten wir nicht für richtig, genauso wie wir es nicht für richtig halten, dass Arbeitnehmer als Praktikanten über längere Zeit arbeiten.

Aber auch das sind Dinge der politischen Bewertung und der Frage, was wir Unternehmen bei der Standortwahl empfehlen würden. Aus diesem Grund halten wir unseren Antrag von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für wesentlich differenzierter, um mit dem Problem umzugehen. Wir können auch überhaupt nicht verstehen, warum die Sozialdemokraten gerade den Punkt 3, wo auf das Vergabe- und Tariftreuegesetz hingewiesen wird, ablehnen wollen, warum sie dem nicht zustimmen wollen.

Ich glaube, es ist ein wichtiges Argument, das von den Geschäftsleitungen bewertet werden müsste, dass die Firma Amazon unter diesen Bedingungen sehr wenig Chancen hätte – so bewerte ich das zumindest –, einen öffentlichen Auftrag des Landes Hessen zu bekommen. Das ist doch ein ganz wichtiges Signal. Das ist etwas, was die Arbeitnehmer interessiert. Das ist auch etwas, was Geschäftsleitungen zum Nachdenken bringen müsste. Insofern ist unser Antrag die richtige Grundlage, mit diesem Problem umzugehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hermann Schaus (DIE LINKE): Seit wann bemüht sich Amazon um Aufträge des Landes?)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Bartelt. – Für die Landesregierung hat Herr Staatsminister Grüttner das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen über zwei Sachverhalte: auf der einen Seite eine Tarifauseinandersetzung bei der Firma Amazon und auf der anderen Seite die Genehmigung von Sonntagsarbeit bei der gleichen Firma. Ich werde auf beide Aspekte eingehen.

Ich bin ausgesprochen dankbar, dass insbesondere Herr Kollege Decker in seiner Rede Revue hat passieren lassen

aus den Jahren 2012 bis zum aktuellen Zeitpunkt, was Tarifautonomie bedeutet – um auf den ersten Teilbereich einzugehen. Kollege Dr. Bartelt hat gerade noch einmal verdeutlicht, dass die Tarifautonomie ein verfassungsrechtlich geschütztes Gut und Recht ist.

In Art. 9 Abs. 3 unseres Grundgesetzes ist das Recht verankert, Koalitionen zu bilden, um Vereinbarungen mit normativer Wirkung und frei von staatlichen Eingriffen über Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, insbesondere Tarifverträge über das Arbeitsentgelt, abzuschließen. Genau dieser Verfassungsrahmen gebietet es, dass der Staat, und damit auch die Landesregierung, in solchen Auseinandersetzungen, bei solchen Fragestellungen neutral bleibt. Es kann keinen Eingriff und keine Parteinahme durch den Staat geben.

Das Aushandeln von Tarifverträgen ist ein wesentlicher Zweck der Koalitionen, nämlich den Gewerkschaften als Arbeitnehmervertretern auf der einen Seite und den Arbeitgeberverbänden auf der anderen Seite, und damit Bestandteil der Koalitionsfreiheit nach den einschlägigen Vorschriften oder Artikeln des Grundgesetzes. Nicht nur der autonome, also der frei von staatlicher Einflussnahme vonstattengehende Abschluss von Tarifverträgen ist geschützt. Zu den verfassungsrechtlich geschützten Mitteln zählen dabei natürlich auch Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluss oder die Änderung von Tarifverträgen ausgerichtet sind.

Es wurde mit der grundgesetzlich garantierten Koalitionsfreiheit für die Tarifvertragsparteien die Grundlage geschaffen, gemeinsam und auf Augenhöhe Löhne auszuhandeln und verbindlich festzuschreiben. Ergo ist es auch nicht Sache der Landesregierung, ich denke, auch noch nicht einmal Sache des Landtags, sich in Tarifauseinandersetzungen einzumischen und in irgendeiner Form Stellung zu beziehen.

Das passiert gerade bei Amazon. Schon allein aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz heraus verbietet es sich, dass die Landesregierung hier Partei ergreift. Es ist alleinige Aufgabe der Tarifpartner, der Gewerkschaften auf der einen Seite und dem Unternehmen Amazon auf der anderen, die Auseinandersetzungen zu widerstreitenden Interessen zu führen und eine Verbesserung der Bedingungen zu verhandeln oder, wenn nötig, auch dafür zu kämpfen.

Als Land Hessen haben wir einzig den Auftrag, im Rahmen der uns zugefallenen Kompetenzen – das sind in Teilen Auswirkungen der Arbeitszeitregelungen und des Arbeitsschutzes – darauf zu achten, dass Arbeitsbedingungen entstehen, die zumutbar sind, und nicht unzumutbare Arbeitsbedingungen zuzudecken, sondern sie aufzudecken und abzustellen. Wir sind im Rahmen unserer Aufsichtsfunktion dafür zuständig, dass Vorschriften eingehalten werden und zumutbare und einwandfreie Arbeitsbedingungen in einem Unternehmen herrschen.

Wir erinnern uns an Berichterstattungen, aber auch die darauf folgenden Diskussionen über Unterbringung und Beschäftigung von Leiharbeitern bei der Firma Amazon. Wir haben sehr schnell und intensiv in unserem Verantwortungsbereich gehandelt, Amazon aufgefordert, das nicht nur abzustellen, was kritisiert worden ist, sondern es auch überwacht. Missstände, die wir alle verurteilt haben, sind kontrolliert, und sie sind beseitigt worden.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Seit dieser Zeit sind wir dort regelmäßig tätig. Dabei kön- nen wir mit Fug und Recht sagen, dass die Anstrengungen, den Arbeitsschutz in dem Unternehmen Amazon zu ver- bessern und einzuhalten, seit dem Vorfall erheblich gestie- gen sind, aber – ich sage das sehr deutlich – auch von ei- nem erheblich gestiegenen Interesse des Unternehmens selbst getragen wurden. Amazon hat sich sehr bemüht, konstruktiv mit uns als Auf- sichtsbehörde zusammenzuarbeiten. Da ist und war es für die Landesregierung immer der richtige Weg, für die Ein- haltung und auch für die Durchsetzung der Arbeitnehmer- schutzrechte in Hessen konsequent zu sorgen, und das tun wir auch weiterhin. Allerdings müssen wir auch immer sehen, in welchem Kontext wir uns befinden, insbesondere auch, welche Rah- menbedingungen eine Landesregierung zu setzen hat, Rah- menbedingungen, die es auch ermöglichen, dass erfolgrei- ches wirtschaftliches Handeln in unserem Land möglich ist. Wir wollen dabei auch verhindern, dass es Arbeitneh- mer unterschiedlicher Klassen und unterschiedlicher Rech- te gibt. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen achten und schauen wir auch darauf, ob es rechtliche Regelungen gibt, die Arbeitnehmer schützen und die auch von dem Unternehmen Amazon angewendet werden. Natürlich, das ist schon mehrfach gesagt worden, wendet Amazon hier einen Tarifvertrag an, der der Logistikbranche angeglichen ist. Diese Standards werden eingehalten und angeglichen.

Dass für eine Anbindung an einen anderen Tarifvertrag, den Tarifvertrag Einzelhandel, der vielleicht andere oder bessere Bedingungen für die Arbeitnehmer bedeuten könnte, gekämpft wird, das ist gutes Recht in den Tarifauseinandersetzungen und ist natürlich Ausfluss der Tarifautonomie und damit auch Sache der Tarifpartner.

Natürlich ist ein gerechter Lohn auch ein Gradmesser für soziale Gerechtigkeit. Aber es bestehen ein sozialer Rahmen und eine Orientierung, die auch den Arbeitnehmer bei Amazon nicht recht loslässt. Das gilt im Übrigen auch für viele andere.

Was leicht vergessen wird: Für gut 40 % der Beschäftigten in den alten Bundesländern und für 53 % der Beschäftigten in den neuen Bundesländern gibt es überhaupt keinen Tarifvertrag. Trotzdem orientieren sich Arbeitgeber zumeist an bestehenden Tarifverträgen, ohne selbst einen abzuschließen. Und es gibt auch die Arbeitnehmer, die davon profitieren. Amazon hat sich bisher für diesen Weg entschieden. Wie die Tarifauseinandersetzungen ausgehen, werden wir sehen.

Um auf den ersten Antrag noch einmal einzugehen, bestehen entgegen der Begründung in diesem bei Amazon abgesicherte Arbeits- und Einkommensbedingungen. Die Einkommen erlauben es den Arbeitnehmern auch, ihre Zukunft planbar zu gestalten. Das sind keine rechtlosen Arbeitnehmer.

(Manfred Pentz (CDU): So sieht es aus!)

Bei der Auseinandersetzung zwischen ver.di und Amazon geht es nicht um irgendwelche prekären Arbeitsverhältnisse oder um Ausbeutungstatbestände, sondern schlicht und einfach um das Aushandeln von Einkommensbedingungen

aus anderen Tarifverträgen. Das ist in Ordnung, und das ist Sache der Tarifautonomie. Noch einmal: An dieser Stelle haben wir uns nicht einzumischen.

(Manfred Pentz (CDU): Nicht mehr und nicht weniger!)

Wenn wir als Landesregierung sagen, unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass der soziale und wirtschaftliche Wohlstand weiterhin in Hessen erhalten und gefördert wird, dann müssen wir sehen, wir sind, wenn wir in die Region Nordhessen und dort speziell in verschiedene Bereiche schauen, ausgesprochen erfolgreich unterwegs.

(Beifall bei der CD)

Dazu gehören im Übrigen auch Ansiedlungen von Unternehmen, wie es beispielsweise Amazon gewesen ist. Ohne solche Unternehmen hätten wir nicht eine so positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft in Nordhessen.

In Hessen haben wir zurzeit eine Arbeitslosenquote von 5,4 %, im Regierungsbezirk Kassel von 5,2 %, in HersfeldRotenburg von 4,4 % – Stichtag: 4. November 2014. Die Arbeitslosenquote im SGB-II-Bereich beträgt im November 2014 in Hessen lediglich noch 3,7 %, im Regierungsbezirk Kassel 3,5 % und in Hersfeld-Rotenburg 3 %. Das hat auch etwas mit den Unternehmen zu tun, die dort tätig sind.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das fällt nicht vom Himmel, weil die Unternehmen, dazu gehört auch Amazon, vielen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten die Chancen einer Erwerbstätigkeit bieten, sodass die Abgänge im SGB-II-Bereich – wir haben ein Ranking, der Landtag bekommt es jeden Monat zur Verfügung gestellt, das für den Wirtschaftszweig von Amazon in Hersfeld-Rotenburg relevant ist, im Zeitraum von Dezember 2012 bis November 2013, das sind die letzten vergleichbaren Zahlen – im Vergleich zu anderen hessischen Regionen überdurchschnittlich hoch gewesen sind.

Viele, die aus dem Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch herausgekommen sind, sind in dieser Region herausgekommen, weil für sie Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Unsere Aufgabe ist es nicht, zu kommentieren, wenn man um andere Einkommensbedingungen streitet. Aber unsere Aufgabe ist es, Rahmenbedingungen zu setzen, dass dort wirtschaftliche Entwicklungen vonstattengehen, Wohlstand gesichert werden kann

(Beifall bei der CDU und der Abg. Martina Feld- mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

und dass insbesondere diejenigen, die leistungsfähig, aber aus unterschiedlichen Gründen auf Transferleistungen des Sozialgesetzbuches angewiesen sind, aus diesen Transferleistungen herauskommen und eigenständig für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Das ist ein großer Erfolg auch der Landesregierung in dieser Region und der dort im wirtschaftlichen Bereich Tätigen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, ich darf Sie an die Fraktionsredezeit erinnern.

Deshalb müssen wir immer sehen, dass wir an der Stelle als Landesregierung so handeln, dass die Rechte, die geschützt werden müssen, auch konsequent geschützt werden, dass es aber keine Regelungen geben kann, die überbordend einengen und den Spielraum des Landes, den es zur Verfügung hat, übersteigen.

Damit sind wir bei dem zweiten Teil, der Feststellung von Sonntagsarbeit und einer entsprechenden Genehmigung. Wir müssen an der Stelle schon das, was auch Herr Abg. Dr. Bartelt gesagt hat, sehr deutlich sehen. Das erste ist, die Sonntagsarbeit wurde am 3. und 4. Dezember beantragt. Laut Pressemitteilung von ver.di vom 8. Dezember ist die Streikankündigung an diesem Tag für 0 Uhr gekommen. Der erste Punkt ist, der Antrag kam vor der Ankündigung des Streiks.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Das ist klar! Die Genehmigung?)

Die Genehmigung, ist vollkommen klar. Hören Sie doch einfach zu. – Der zweite Teil ist, dass es unmittelbar nach Eingang dieses Antrags eine mündliche Erörterung im Regierungspräsidium in Kassel gegeben hat. Im Rahmen dieser mündlichen Erörterung im Regierungspräsidium Kassel wurde der Betriebsrat der Firma Amazon hinzugezogen.

Der Betriebsrat der Firma Amazon hat in einer Betriebsversammlung am 19. Oktober diesen Jahres beschlossen und zugestimmt, dass für die beiden infrage stehenden Sonntage eine Sonntagsarbeit beantragt wird.

(Michael Boddenberg (CDU): Das ist ja interessant!)