Protokoll der Sitzung vom 25.03.2015

Es gibt auf der anderen Seite auch genügend Arbeitgeber, die die Potenziale von Auszubildenden nicht erkennen. Das will ich nicht wegnuscheln. Es ist vor allen Dingen der Mittelstand, der diese Auszubildenden auffängt. Es wäre wünschenswert, dass man der Mentalität, die hier ein bisschen vorherrscht, dass nur noch das Hochschulstudium etwas taugt, etwas entgegensetzt. Dazu sagt Ihr Antrag überhaupt nichts.

Wenn Sie die duale Ausbildung so loben, dann müssen wir Verantwortung dafür übernehmen und jungen Menschen sagen: Es gibt neben dem Hochschulstudium auch den klassischen Weg der Ausbildung. Das ist keine Einbahnstraße, sondern eine sehr wertvolle Ausbildung. Du kannst als Industriefacharbeiter am Ende deutlich mehr Geld verdienen als vielleicht derjenige, der ein Hochschulstudium absolviert hat.

Meine Damen und Herren, Ausbildung muss sich am Wohle der Kinder orientieren. Wenn wir eine Abbrecherquote von 30,5 % beim Studium haben, dann ist das ein Alarmsignal. Für manchen, der studiert, wäre es besser gewesen, er hätte im Handwerk eine Lehre gemacht.

(Beifall des Abg. Florian Rentsch (FDP) und bei Abgeordneten der CDU)

Das ist eine mentale Frage. Wir müssen dem etwas entgegensetzen. Wenn das keine Sonntagsreden sein sollen, wie wichtig uns die duale Ausbildung – der klassische Ausbildungsweg – ist, dann müssen wir den jungen Menschen auch die Perspektiven aufzeigen. Herr Kollege, dann müssen wir den jungen Menschen sagen, was wir in Hessen geschaffen haben – viele Landesregierungen, nicht nur diese, sondern schon viele Jahre auch die davor.

Die Durchlässigkeit von unten nach oben ist in Hessen so gut wie in fast keinem anderen Bundesland. Man kann ein bisschen stolz darauf sein, was man vom Gesellen über den Meister bis hin zum kompletten Studium machen kann.

(Michael Boddenberg (CDU): 2005 war das!)

Herr Boddenberg, ich habe es doch gesagt. Es sind viele Landesregierungen gewesen, die ihren Anteil daran haben. Das sollten wir nicht wegnuscheln. Der Antrag, den Sie dazu gestellt haben, sagt dazu überhaupt nichts aus, wie wir mehr Transparenz hineinbringen, wie wir mehr an die Schulen gehen, wie wir mehr an die Schüler herangehen und sagen wollen: Das ist eine super Perspektive, die du hast; du hast eine Riesenchance für dein Leben, ergreife sie. Duale Ausbildung ist eine klasse Chance für dich.

(Beifall des Abg. Florian Rentsch (FDP) und bei Abgeordneten der CDU)

Dieses Aufzeigen von Chancen muss halt frühzeitig stattfinden. Es muss vor Ort stattfinden. Ich kann nur sagen, das muss gemeinsam mit dem Handwerk, mit den Berufsschulen vor Ort passieren. Es gibt Beispiele, etwa in Limburg, wo Schüler aus den Klassen aus dem 8. Schuljahr einmal pro Woche für einen Tag in die Praxis gehen. Man kann das sehr pragmatisch machen.

Lassen Sie Ihren Lippenbekenntnissen zur dualen Ausbildung auch Taten folgen. Dann hätten Sie uns an Ihrer Seite. Aber der Antrag – dazu kann man sich leider nur enthalten.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Lenders. – Als Nächste hat Frau Abg. Gnadl für die SPD-Fraktion das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, es ist am Anfang richtig angesprochen worden: Es geht hier um die Zukunft, um die Perspektiven von Jugendlichen. – Das Thema ist außerordentlich wichtig. Wir haben schon im letzten Herbst auf der Grundlage einer Initiative von uns darüber diskutiert, dass sich jährlich rund 17.000 Jugendliche in den Warteschleifen befinden, und haben dabei unsere Forderung zu einer Ausbildungsgarantie hier im Hessischen Landtag deutlich gemacht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man sich jetzt das beschlossene Papier des „Bündnisses Ausbildung Hessen“ anschaut, dann kann man – das möchte ich am Anfang meiner Rede herausstellen – durchaus auch positive Aspekte gegenüber dem Ausbildungspakt von 2002 erkennen.

Erstens sitzen dieses Mal die Gewerkschaften mit im Boot. Das kann man als positive Entwicklung herausstreichen. Das zeigt vor allen Dingen das Versagen der schwarz-gelben Landesregierung im Jahr 2002, die es nicht zustande gebracht hat, ein wirkliches Bündnis mit allen Sozialpartnern auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei der SPD)

Allerdings kann man auch sagen, dass es für uns als SPD selbstverständlich ist, dass zu einem wirklichen Bündnis für Ausbildung auch die Gewerkschaften und alle Sozialpartner an einen Tisch gehören.

(Beifall bei der SPD)

Ich will zweitens positiv festhalten, dass das Papier viele der zu lösenden Probleme benennt. Ob das jetzt die Einsicht der Landesregierung war, das kann ich an dieser Stelle nicht sagen. Aber es wird doch deutlich, dass sich die Arbeitgeberverbände und auch die Gewerkschaften tagtäglich mit den Problemen auf dem Ausbildungsmarkt konfrontiert sehen, die zu lösen sind. Und diese Probleme werden immer drängender.

Wir haben eine Ausbildungsmarktsituation, die sich in wenigen Jahren dramatisch gewandelt hat. Während vor wenigen Jahren noch die Zahl der Ausbildungsplatzsuchenden die Zahl der freien Ausbildungsplätze überstieg, suchen heute Ausbildungsbetriebe händeringend nach Auszubildenden. Neben der wirtschaftlichen und demografischen Entwicklung liegt das vor allen Dingen daran, dass mittlerweile viele junge Menschen zunächst ein Studium beginnen, statt eine Ausbildung anzufangen.

Ein weiteres Problem ist, dass über eine lange Zeit die reine Zahl der Ausbildungsplätze im Fokus gestanden hat,

während die Frage der Qualitätsverbesserung der Ausbildung nur am Rande diskutiert wurde.

Ein drittes Problem ist, dass die Attraktivität der dualen Ausbildung, die das Fundament der Wirtschaft ist, zu steigern ist. Vor allen Dingen müssen Perspektiven nach dem Ausbildungsabschluss geschaffen werden. Und die Durchlässigkeit zwischen der Ausbildung der Betriebe und den Hochschulen muss verbessert werden.

Der vierte Punkt sind die Übergangssysteme und der Übergang von der Schule in den Beruf. Das muss dringend reformiert werden. Denn diese unsäglichen Warteschleifen sind für die betroffenen jungen Menschen frustrierend. Sie verbrauchen unnötig Ressourcen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Man kann sagen, das Problembewusstsein ist in dem Papier des Bündnisses für Ausbildung deutlich geworden. Die spannenden Fragen sind nur: Was macht die Landesregierung konkret? Welche Lösungsansätze bietet die Landesregierung an? – Dazu kann ich nur sagen: Ich finde das, was gerade von der politischen Seite zu dem Bündnis beigesteuert wurde, oft sehr halbherzig, sehr vage und sehr unkonkret. Wir vermissen bei der Landesregierung Ambitioniertheit, die angesichts der Problemlage notwendig wäre. Ich will Ihnen das an einigen Beispielen verdeutlichen.

Erstens. Die hessische Wirtschaft hat sich zu klaren Zielen bekannt. Es sollen 1.500 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden. Das möchten wir lobenswert erwähnen. Auch die Ankündigungen der Kammern, Auszubildenden etwa Kontakt zu Ausbildungsberatenden zu verschaffen oder zusätzliche Workshops und Schulungen zu schaffen, sind konkrete Ankündigungen, die man am Ende überprüfen kann.

Aber wenn es genau um die Maßnahmen geht, die das Land zu ergreifen hätte, dann bleiben die Formulierungen sehr wolkig und die Ankündigungen sehr unkonkret. Da gibt es viele Prüfaufträge statt konkreter Verpflichtungen. An dieser Stelle macht sich die Landesregierung einen schlanken Fuß.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Zweitens ist zu kritisieren, dass dem Problem des Mismatch – das wurde schon angesprochen – zu wenig Beachtung geschenkt wird. Wir erleben schon heute, dass wir auf der einen Seite zwar die unversorgten Suchenden nach Ausbildung haben, dass wir aber auf der anderen Seite auch die unbesetzten Lehrstellen haben und dass das nicht zusammenpasst. Das liegt nicht nur an regionalen Unterschieden, sondern auch daran, dass aus Sicht der Ausbildungsbetriebe die Bewerberinnen und Bewerber nicht zu dem Ausbildungsplatz passen. Hier wäre das Land unserer Ansicht nach in der Verantwortung, die Ausbildungsreife zu garantieren und frühzeitig entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Das sehen wir im Moment nicht gegeben.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte an dieser Stelle nur kurz zwei Beispiele nennen. Zum einen ist das die mangelnde Finanzierung der Schulsozialarbeit. Es geht aber auch darum, dass wir kein Fach Arbeitslehre haben. Man könnte das Fach Arbeitslehre hin zu mehr Berufsorientierung weiterentwickeln. Die Maßnahmen, die es bisher an den Schulen gibt, insbeson

dere an den Gymnasien, reichen unserer Ansicht nach nicht aus.

(Beifall bei der SPD)

Drittens haben Sie zwar erkannt, dass es Probleme in den Übergangssystemen gibt. Es gibt das Problem der Warteschleifen. In dem Papier ist aber zu lesen, dass sich das Land zum Ziel setzt, dass bis zum Schuljahr 2020/2021 von den Schulentlassenen eines Jahrgangs höchstens 10.000 Personen in den Übergangsbereich einmünden sollen. Das ist unserer Ansicht nach völlig unzulänglich. Wenn man die hohe Zahl der Jugendlichen in den Warteschleifen sieht, dann muss man sagen, dass uns das einfach nicht ambitioniert genug ist.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN – Zurufe von der CDU)

Sie können gleich ans Rednerpult treten und Ihre Ausführungen darlegen. Beruhigen Sie sich.

Ich habe nämlich noch einen vierten Kritikpunkt. Der hängt unmittelbar mit dem Mismatch und den Warteschleifen zusammen. Das Land bietet keinerlei Lösung an, wie das Problem der mangelnden Koordination zwischen den unterschiedlichen Ansprechpartnern, den Anbietern von Unterstützung und den Anbietern der Qualifizierung gelöst werden kann, das wir auf dem Ausbildungsmarkt haben. Da sind andere Bundesländer einfach wesentlich weiter als wir. Ich möchte nur Hamburg mit der Jugendberufsagentur oder auch Nordrhein-Westfalen mit dem Programm „Kein Abschluss ohne Anschluss“ erwähnen, das eine bessere Koordinierung unter den Verhältnissen eines Flächenlandes in Angriff genommen hat.

(Beifall bei der SPD – Zurufe)

Auf der Seite der CDU, beruhigen Sie sich doch. Sie erhalten noch das Wort.

Fünftens. Wir, die Mitglieder der SPD, sind davon überzeugt, dass die sogenannte Nachqualifizierungsoffensive eher ein Sturm im Wasserglas zu werden droht. Etwa ein Sechstel der jungen Menschen in Hessen ist ohne Berufsausbildung. Das erfordert unserer Ansicht nach ein entschiedenes politisches Handeln. Es muss eben ein bisschen mehr als Beratungsangebote sein. Das allein reicht am Ende nicht aus. Das Land müsste hier Geld in die Hand nehmen.

Wir stehen für eine echte Ausbildungsgarantie. Das fordern wir schon seit Längerem. Eine entsprechende Offensive haben wir eingebracht. Das vertreten wir auch weiterhin.

(Beifall bei der SPD)

Das Bündnis für Ausbildung zeigt klar: Es gibt ein hohes Interesse bei den Sozialpartnern, die gegenwärtig bestehenden Probleme auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt anzugehen. Das erkennen wir positiv an.

Wir würden uns aber von der Landesregierung ein ebenso großes Engagement wie von den Sozialpartnern wünschen. Stattdessen bekommt man den Eindruck, dass alle konkreten Maßnahmen auf dem Rücken der Sozialpartner abgeladen werden sollen, während sich die Landesregierung in Absichtserklärungen ergeht und sich mit fremden Federn schmückt. Dabei müsste jeder der Bündnispartner im jeweils eigenen Bereich versuchen, das ihm Mögliche zu tun. Das Land bleibt hier weit hinter seinen Möglichkeiten

zurück. Das sieht man gerade, wenn man das, wie ich es eben schon getan habe, mit anderen Bundesländern vergleicht.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin, Sie müssen dann bitte zum Schluss Ihrer Rede kommen.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss meiner Rede. – Wir brauchen in Hessen eine Stärkung der dualen Ausbildung, eine Ausbildungsgarantie und eine grundlegende Reform des Übergangs mit Hilfestellungen, die auf die einzelnen Ausbildungsuchenden und die Betriebe zugeschnitten sind. Wir werden als SPD-Fraktion an diesem Thema dranbleiben und unser Konzept weiter präzisieren. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))