Protokoll der Sitzung vom 29.04.2015

Genau diese Fragestellungen – die Beachtung von Menschenrechten und gelebte Humanität – stehen letztendlich im Mittelpunkt hessischer Asyl- und Flüchtlingspolitik. Ich betone noch einmal: Das Land und insbesondere unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger haben in den letzten Jahren eine große Solidarität und Menschlichkeit bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen gezeigt. Nach wie vor sind auch eine menschenwürdige Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen auf Dauer sichergestellt.

Deswegen geht ein großer Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Erstaufnahmeeinrichtungen, in den Kommunen, in den Regierungspräsidien. Die Unterstützung der Bevölkerung verdient genauso unseren Dank wie viele ehrenamtliche Helfer. Auch das gehört an dieser Stelle noch einmal verdeutlicht.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. René Rock (FDP))

Wir haben eine Regelung, mit der wir als Land versuchen, diese Aufgabe gemeinsam mit den Kommunen anzugehen. Die Zuweisung von Asylbewerbern erfolgt nach der sogenannten Verteilungs- und Unterbringungsgebührenverordnung. Für jeden zugewiesenen Flüchtling bekommen die Kommunen für einen begrenzten Zeitraum eine Kostenerstattung in Form einer Pauschale. Diese Pauschalen bewegen sich zwischen 725,40 € und 601,46 € pro Monat. Das sind die Zahlen nach der Erhöhung zum 1. Januar dieses Jahres.

Ich will Ihnen aber auch sagen, was sich hinter einer solchen Zahl verbirgt, wenn man einmal die Entwicklung in Hessen und damit auch das Engagement des Landes betrachtet. Allein in den Jahren von 2012 bis einschließlich 2015, geplant, haben sich die Aufwendungen des Landes für Asylbewerber verzehnfacht. Sie folgen damit auch der Verzehnfachung der Zahl derjenigen, die in der Erstaufnahme aufgenommen worden sind. Das ist eine gewaltige Anstrengung und natürlich auch eine massive Kostenbelastung für das Land. Trotzdem haben wir gesagt, wir gehen in eine enge und auch wichtige Kommunikation und Abstimmung zwischen Landesregierung, Kommunalen Spitzenverbänden, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und vielen anderen mehr, wie wir dies gestalten können.

Ich finde es dann vollkommen legitim, wenn die Liga und die agah ein gemeinsames Positionspapier formulieren: „Mindeststandards für die Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen“; das ist deren Aufgabe. Ob es jetzt unbedingt Aufgabe ist, weite Passagen dieses Papiers 1 : 1 wortwörtlich ohne Fußnote in den Antrag der SPD zu übernehmen, mag eine zweite Fragestellung sein, ob wirklich genügend Gehirnschmalz auch für eigene Überlegungen vorhanden gewesen ist.

(Gerhard Merz (SPD): Wir haben es vielleicht gelesen und uns zu eigen gemacht!)

Es ist gut, wenn Sie es sich zu eigen gemacht haben; aber es hätte als Diskussionsgrundlage nicht dieses Antrags bedurft, weil das Papier schon vorhanden gewesen ist.

Es gibt genauso – das ist immer spannend; man soll die Kommunen nicht alleinlassen – eine vollkommene Negation der Tatsache, dass wir am 16. dieses Monats mit den Kommunalen Spitzenverbänden über die Frage der Auskömmlichkeit der Pauschalen in einen Dialog eingetreten sind. Dieser Dialog ist von zwei Grundlagen geprägt, die zwischen den Kommunen und der Landesregierung vereinbart sind. Beide gehen auf Wünsche der kommunalen Gebietskörperschaften zurück; ich sage gleich noch etwas zu den Pauschalen. Ich finde, wenn man die Kommunen als Partner sieht, sollte man vielleicht auch ihre Wünsche ernst nehmen. So ist im Rahmen der Aufnahme dieser Gespräche beispielsweise die klare Vereinbarung zwischen den Kommunen und dem Land getroffen worden, dass wir nicht die Frage einer Vollkostenerstattung zum Gegenstand machen, sondern die Frage von Pauschalen.

(Gerhard Merz (SPD): Ja, das ist aber eine andere Geschichte!)

Es ist keine andere Geschichte, wenn man über Pauschalen redet. Darauf komme ich gleich noch, weil Herr Schäfer-Gümbel meint, zitieren zu können, es aber nicht ganz hinbekommen hat.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Günter Ru- dolph (SPD): Bescheidenheit!)

Es ist einfach so. Es gibt ja zwei Möglichkeiten, entweder man wollte es nicht, oder man kann es nicht. Sie können es sich aussuchen.

(Clemens Reif (CDU): Selektive Zitate sind das! – Gegenruf von der SPD: Da kennen Sie sich aus! – Clemens Reif (CDU): Die Stimme aus dem Off!)

Ich weiß schon, was ich sage.

Das Zweite, was wir mit den Kommunen vereinbart haben, ist die Frage: Reden wir über Mindeststandards oder Standards? Denn die Kommunen sind für die Unterbringung zuständig. In dem Moment hat uns der Hessische Städtetag gesagt: Bei uns gibt es eine Beschlussfassung, dass wir nicht über Mindeststandards reden; wir wollen keine. – Der Hessische Landkreistag hat gesagt: Ein paar Landkreise wollen Mindeststandards, aber die überwiegende Mehrheit der Landkreise will keine Mindeststandards in unserem Land haben. – Wir vereinbaren uns, dass in unseren Gesprächen Mindeststandards keine Rolle spielen.

Dann kommt dieser Antrag der SPD mit der Begründung, man müsse mit den Kommunen reden. Das ist doch ausgesprochen merkwürdig. Wenn wir die Kommunen als Partner haben wollen, müssen wir zumindest dafür sorgen,

dass wir ihnen da entgegenkommen, wo sie eigene Vorstellungen äußern.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Weiter so!)

Dann müssen wir natürlich auch über die Frage reden: warum Pauschalen? Jetzt sage ich Ihnen genau, was ich gesagt habe, und ich wiederhole es in aller Deutlichkeit, und zwar aus dem Grund, weil der Hessische Städtetag einmal von der Auskömmlichkeit der Pauschalen gesprochen hat und in einem nächsten Kontext gesagt hat: Wir wollen Vollkostenerstattung haben. – Auf meine Nachfrage beim Städtetag: „Was wollt ihr denn?“, war die Beschlusslage klar. Dann habe ich gesagt: Ja, ich finde, dass Pauschalen auch das Kostenbewusstsein schärfen. Vollkostenerstattung schärft kein Kostenbewusstsein vor Ort, weil man dann eben nicht mehr auf Kosten aufpassen muss. Deswegen sind Pauschalen die Mittel, um Kostenbewusstsein auch in Zukunft beibehalten zu können, und Vollkostenerstattung bedeutet an dieser Stelle kein Kostenbewusstsein.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Boddenberg (CDU): Das hat die SPD früher auch so gesehen!)

Diese Auffassung vertrete ich nach wie vor. Das ist das, was ich öffentlich gesagt habe. Ich finde mich im Übrigen auch in einem guten Kontext, weil es einen Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Aufnahme ausländischer Flüchtlinge gibt. Dort steht in der Problembeschreibung, wie das bei Gesetzesvorhaben der Fall ist:

Die Erstattung der Kosten für die Aufnahme und Unterbringung von Asylberechtigten belastet den Landeshaushalt derzeit …

Dann kommt ein Millionenbetrag.

Eine Länderumfrage hat ergeben, dass in der überwiegenden Mehrheit der Bundesländer für diesen Personenkreis keine Kostenerstattung erfolgt.

Darf ich Sie an die Redezeit der Fraktionen erinnern?

Ja, gut. – Als Lösung wird gesagt, „Pauschalerstattung der Aufwendungen in festen Beträgen je Person“ sei die Lösung dafür. Zur Frage der finanziellen Aufwendungen wurde dargestellt, welche Einsparungen für das Land mit der Einführung von Pauschalen verbunden sind. Dann steht unter „Auswirkungen für die Gemeinden und Landkreise“:

Der Übergang auf das Pauschalerstattungssystem kann kostenneutral erfolgen, wenn die Kommunen ihre Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Unterbringungskosten ausschöpfen. Aufgrund der jeder Pauschalierung immanenten Systemwirkung können die Erstattungen im Einzelfall den tatsächlich entstehenden Unterbringungsaufwand sowohl unter- als auch überschreiten.

Ein Gesetzentwurf der Landesregierung von SPD und GRÜNEN vom 23.01.1996 mit der Abschaffung der Vollkostenerstattung und der Einführung des Pauschalsystems – ich finde, das war zum damaligen Zeitpunkt eine richtige

Entscheidung. All das, was Sie damals geschrieben haben, gilt heute noch. Darüber reden wir mit den Kommunen:

(Norbert Schmitt (SPD): Die Frage ist, ob sie auskömmlich sind!)

über die Frage der Auskömmlichkeit von Pauschalen und deren Gestaltungsmöglichkeiten. All das, was die SPD in ihrem Antrag dazu schreibt, gibt nicht mehr Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort, sondern ist ein klares Vorschreiben, was zu tun ist.

Deswegen sage ich Ihnen an dieser Stelle: Wir werden die Gespräche mit den Kommunalen Spitzenverbänden über die Pauschalen konstruktiv weiter führen. Wir haben eine gemeinsame Datenerhebung geplant, um die Kosten der Kommunen bezüglich der einzelnen Kostenbestandteile der Pauschalen zu ermitteln. Wir sind auf einem guten Weg, gemeinsam die Auskömmlichkeit der Pauschalen zu ermitteln. Wir sind uns einig, dass wir keine Vollkostenerstattung haben wollen, und wir sind uns einig, dass es keine Mindeststandards gibt.

Was wir für Forderungen auf der Bundesebene haben, brauche ich an dieser Stelle nicht zu wiederholen. Ich sage sehr deutlich, mir wäre es auch lieber, wenn manche Gesetze auf Bundesebene etwas schneller in die Beratung und in die Beschlussfassung kämen, ob es die Erleichterung des Zugangs zum Arbeitsmarkt oder die Zuweisung der Mittel ist, die dann im Interesse der Kommunen verwendet werden können.

Nur, eines ist klar: Für eine solche Diskussion, wie wir sie mit den Kommunen führen, brauchen wir nicht den Antrag der SPD, sondern wir sind längst auf dem Weg; genauer gesagt, seit Dezember 2013 sind wir mit den Kommunen auf dem Weg.

(Manfred Pentz (CDU): So sieht es aus!)

Wir werden zu einem guten Ergebnis kommen – ohne diesen Antrag und immer im Interesse einer guten menschenwürdigen Unterbringung von Asylbewerbern und Flüchtlingen und einer humanitären Betreuung derselben.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Staatsminister Grüttner. – Es liegt eine weitere Wortmeldung vor. Herr Kollege Merz von der SPD-Fraktion, bitte schön.

(Clemens Reif (CDU): Darauf hätte ich wetten können!)

Sehen Sie, die Wette hätten Sie schon gewonnen, Herr Reif. – Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es besteht Anlass, darauf hinzuweisen, dass dies der Hessische Landtag ist, und es besteht Anlass, darauf hinzuweisen, dass dies der Landtag ist.

(Holger Bellino (CDU): Sind Sie auch angekommen?)

Ich bin öfter hier als Sie, das habe ich Ihnen schon einmal gesagt, Herr Bellino.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Es ist zwar ziemlich jeder Landtag dieser Republik zitiert worden, aber es ist nicht gesagt worden, wie sich der Hessische Landtag und die Hessische Landesregierung zu dem verhalten, was in den Anträgen inhaltlich vorgeschlagen wird. Herr Minister Grüttner, Sie haben wortreich über die Frage „Vollkostenerstattung versus Pauschalen“ geredet. Wir haben überhaupt nicht von einer Vollkostenerstattung gesprochen. Wir haben unseren Antrag auf der Grundlage einer pauschalen Erstattung formuliert.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie mit den Kommunen darüber reden, wie die Pauschalen künftig ausgestattet werden, dann müssen Sie aber doch eine Vorstellung davon haben, welche Standards zugrunde gelegt werden sollen. Dazu hätte ich schon gern ein Wort von Ihnen gehört. Sie müssen doch eine Vorstellung davon haben, wie beispielsweise die sozialarbeiterische Betreuung organisiert werden soll, ob Sie hierfür das Verhältnis 1 : 90 oder das Verhältnis 1 : 180 als auskömmlich und deshalb in die Pauschale einzubeziehen betrachten.

(Beifall bei der SPD)

Das heißt, Sie müssen sich auf die eine oder andere Weise zu der Frage der Standards der Flüchtlingsunterbringung verhalten. Unser Antrag ist ein Beitrag dazu, die landespolitische Debatte darüber zu führen, denn dies ist der Hessische Landtag – nicht der Hessische Landkreistag und auch nicht der Hessische Städtetag. Wir als sozialdemokratische Landtagsfraktion erlauben uns, eine Meinung zu der Frage zu haben, ob dieses Land generelle Standards für die Unterbringung von Flüchtlingen braucht oder nicht. Wir bejahen diese Frage. Deswegen ist in den Gesprächen mit den Kommunen darauf hinzuwirken, dass es solche Standards gibt.

(Zurufe von der CDU)

Wir sind der Überzeugung – das habe ich vorhin in der Kurzintervention schon gesagt –, dass die Aufnahmefähigkeit der Kommunen und die Aufnahmebereitschaft der Kommunen und auch der Bevölkerung von zwei Dingen abhängen, zum einen davon, dass es eine anständige Form der Unterbringung gibt. Ich habe nicht bestritten, niemand von uns hat bestritten, dass bisher alle Anstrengungen unternommen werden, anständig unterzubringen. Niemand hat die Landesregierung für das kritisiert, was sie getan hat. Niemand hat die Kommunen für das kritisiert, was sie getan haben. Aber es gibt noch eine Menge mehr zu tun. Das ist der Hinweis, um den es hier geht. Deswegen sind wir der Auffassung, dass es ein Gespräch über die Standards geben muss.