Erste Phase: Eine angebliche Nachsicht gegenüber Kriminalität wird zugunsten von mehr Härte abgelöst, nicht jedoch von Härte gegenüber den Ursachen.
Zweite Phase: Das führt zu einer Flut von neuen Gesetzen und bürokratischen Innovationen, in den USA z. B. zu Nachbarschaftspatrouillen – das kennen wir hier ja auch –, zu Videoüberwachungen und zu vermehrter Polizeipräsenz.
Dritte Phase: Es wird ein Gefahren-, ja Katastrophendiskurs gepflegt, vor allem auch von den Betreibern privater Einrichtungen, z. B. für „sichere Städte“.
Vierte Phase: Es kommt in diesem Zusammenhang zu einer Wiederaufwertung von Repressionen, etwa gegenüber einer „Pandemie von Bagatelldelikten“.
Fünfte Phase: Die Umsetzung der neuen, auf härtere Strafen setzenden Politik führt zu einer Intensivierung polizeilicher Kontrolle, zu einer Verschärfung der Strafverfahren, zu einem Anstieg der Gefangenenzahlen – und all das, obwohl der Einfluss solcher Maßnahmen auf die Delikthäufigkeit nie anders als durch pure Proklamation nachgewiesen worden ist und Fragen nach der finanziellen Belastung, den sozialen Kosten und den staatsbürgerlichen Folgen nie auch nur gestellt wurden.
Meine Damen und Herren, die beste Form der Kriminalprävention wäre die Rückkehr zu einer das Existenzminimum sichernden Sozialpolitik, auch in schwierigen Lebenslagen, sowie eine Gesellschaftspolitik, die allen Heranwachsenden gute Bildung sowie eine Lebensperspektive garantiert. Zahlreiche Studien haben deutlich belegt, dass Kriminalität vor allem mit Sozialisationsbedingungen zu tun hat: also mit der Familien- und Jugendpolitik und mit der Unterstützung und Hilfe für benachteiligte Gruppen. Da müssen wir ansetzen.
Meine Damen und Herren, Kriminalprävention ist in den letzten Jahrzehnten in vielfältiger Weise etabliert und ausgebaut worden. Auf den Ebenen der Kommunen, der Länder und des Bundes ist dieses neue Handlungs- und Politikfeld entstanden – mit Programmen und Maßnahmen, die direkt oder indirekt darauf gerichtet sind, Kriminalität zu verhindern, zu vermindern bzw. zumindest hinsichtlich ihrer Folgen zu verringern.
Im Zuge dieser Entwicklungen kamen zu den bekannten originären Präventionsakteuren Polizei und Justiz wichtige Akteure wie Schule, Kinder- und Jugendhilfe sowie weitere zivilgesellschaftliche Organisationen hinzu. Auf allen Ebenen – lokal, regional, national und international – wurden Kooperationsgremien eingerichtet, um dem Verständnis von Kriminalprävention als einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe gerecht zu werden, die eine alle Akteure und Institutionen übergreifende Kooperation erfordert. Das begrüßen wir ausdrücklich, und diese Anstrengungen müssen verstärkt werden.
Aber diese Maßnahmen brauchen auch eine sichergestellte Finanzierung. Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder Haushaltsanträge gestellt, um die Finanzierung dieser Netzwerke zu verbessern oder auch nur sicherzustellen. Diesen Anträgen konnten Sie, die anderen Fraktionen in diesem Haus, mit schöner Regelmäßigkeit nicht zustimmen.
Meine Damen und Herren, ich will andeuten, dass wir in der Politik auch noch ganz andere Möglichkeiten haben, die Kriminalprävention zu verstärken. So würde z. B. eine veränderte Drogenpolitik zumindest in den Großstädten unseres Landes die Beschaffungskriminalität minimieren, wenn nicht sogar auf null senken. Das wäre Kriminalprävention.
Auch das will ich an dieser Stelle für meine Fraktion noch einmal betonen: Selbstverständlich müssen, wenn es denn zu Opfern gekommen ist, sowohl der Opfer-Täter-Ausgleich als auch unser Einsatz für die Opfer, z. B. in Frauenhäusern, sichergestellt werden. Dazu muss – auch darauf hat Frau Hofmann schon hingewiesen – in Hessen als Allererstes der Zustand vor der „Operation düstere Zukunft“ wiederhergestellt werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich am Schluss meiner Rede noch ein ganz anderes Beispiel erwähnen, das sicherlich nicht die Mehrheit der Bevölkerung in Hessen betrifft. Aber alle, die sich gegen faschistische Tendenzen, faschistische Gewalt usw. engagieren, kennen es sehr wohl: Für uns sind die Androhung von Gewalt durch Neonazis oder auch nur Hakenkreuzschmierereien durchaus Lebensalltag. Eine deutlich bessere und gesicherte Unterstützung antifaschistischer Programme und Netzwerke ist auch Prävention – angesichts von jeden Montag stattfindenden, in Frankfurt polizeilich geschützten Aufmärschen von PEGIDA vielleicht sogar eine enorm wichtige. – Ich bedanke mich.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Regierungserklärung scheint die Leute nicht so sehr motiviert zu haben, dass das komplette Haus in die Debatte einsteigt.
Herr Kollege Wilken, Sie gestatten mir aber zum Anfang der Debatte eine Bemerkung zu Ihren Äußerungen: Ich finde das schon erstaunlich. Prävention ist nicht nur eine Frage des Rechtsstaates, sondern sie ist auch die Aufgabe jedes einzelnen Bürgers, wenn es darum geht, dazu zu motivieren, Vorkehrungen gegen Straftaten zu treffen. Es wäre schön, wenn jeder Einzelne in diesem Haus das ernst nähme, wenn er über ein solches Thema spricht.
Frau Ministerin, als ich die Ankündigung gehört habe, dass Sie hier eine Regierungserklärung abgeben, habe ich zu meinen Fraktionskollegen gesagt – Nicola Beer und den anderen –: Das wird etwas Revolutionäres sein müssen; denn eine Regierungserklärung hält man nicht einfach so. Es wird möglicherweise um eine Taskforce zu dem Thema „Bekämpfung der Salafismus-Bewegung“ gehen, es könnte auch das Thema „Digitalisierung der Justiz“ betreffen. – Das ist eine Kampagne, bei der das Land Hessen versucht, Vorreiter zu werden.
Dass Sie sich mit dem Thema Prävention auseinandersetzen würden, habe ich nicht vorhersehen können. Das, was Sie heute gesagt haben, wird nämlich an vielen Stellen von mir absolut geteilt. Das ist völlig unstreitig. Ich finde es auch richtig, dass Sie vieles von dem fortsetzen, was Ihre Vorgänger gemacht haben.
Frau Kollegin Hofmann, ich möchte mich auch gar nicht auf den Streit darüber einlassen, wer es war: War es Herr
Banzer? War es noch Herr Wagner? War es Herr Hahn? Oder ist es jetzt Frau Kühne-Hörmann? Alle haben zu dem Thema Prävention eine ganze Reihe von Initiativen – Haus des Jugendrechts, Teen Courts – auf den Weg gebracht. Da gab es in diesem Landtag auch viele Gemeinsamkeiten zwischen den Fraktionen. Dass wir das für richtig halten, ist schon einmal gut.
Aber die Geschäftsordnung des Landtags sieht vor, dass, wie ich es auch finde, eine Regierungserklärung eine Erläuterung politischer Handlungen, Pläne und Absichten, bezogen auf einen konkreten Anlass – das könnte man hier subsumieren – oder auf die gesamte Legislaturperiode, ist. Ich habe erwartet, dass von der Justizministerin für das Land Hessen in einer solchen Debatte etwas mehr vorgetragen wird als das, was ich vorhin gehört habe. Das heißt nicht, dass ich inhaltlich einen Dissens feststelle; aber ich hätte mir gewünscht, dass mehr passiert als das, was wir heute gehört haben; denn das waren viele bekannte Tatsachen, die nicht streitig sind, sondern, wie ich glaube, teilweise vom ganzen Haus unterstützt werden.
Der 20. Deutsche Präventionstag in Frankfurt ist wichtig, und es ist gut, dass er hier stattfindet; denn er setzt sich damit auseinander – das ist das Thema –, die ökonomischen Schäden zu beziffern, die eintreten, wenn man nicht auf Prävention setzt. Es ist sehr schwer, das zu beziffern. Wir haben das in den Debatten immer, ob das in der Gesundheitspolitik, in der Justizpolitik oder in der Bildungspolitik ist: Überall sind diejenigen, die sagen, man müsse mehr tun, um spätere Schäden zu verhindern, diejenigen, die in die Wüste rufen. Die anderen, die sagen, das könnten wir uns zurzeit nicht leisten, sind dagegen diejenigen, die eine betriebswirtschaftliche Brille tragen.
Wir brauchen in diesen Debatten aber eine volkswirtschaftliche Gesamtbetrachtung, die damit einhergeht, dass man prognostiziert, was für Schäden eintreten können, wenn man nicht versucht, bestimmte Entwicklungen zu beherrschen. Deshalb ist Prävention ein zentraler Punkt. Ich glaube wirklich, das ist ein Punkt, an dem der Landtag in Gänze zusammensteht.
Das ist natürlich in Zeiten der Schuldenbremse – etwas, worüber wir überall diskutieren – schwer durchzusetzen. Wir brauchen dafür viel Unterstützung. Wir brauchen gerade in der Rechts- und Justizpolitik viele Kolleginnen und Kollegen, die ein solches Handeln einer Landesregierung tragen. Deshalb ist es eine zentrale Frage, die der Deutsche Präventionstag in Frankfurt thematisiert: welche ökonomischen Schäden es nach sich zieht, wenn man sich dort nicht engagiert.
Frau Ministerin, ich gebe zu, ich habe gedacht, dass Sie noch einmal etwas dazu sagen, wie man in eine solche Betrachtungsweise einsteigen kann; denn das ist bei der Verteidigung des eigenen Haushalts und der eigenen Ansätze, ob das nun im Justizvollzug, in der Präventionsarbeit, in der Jugendgerichtshilfe oder im Zusammenhang damit ist, wie Gerichte ausgestattet werden, auch aus der Sicht des Justizministeriums ein zentrales Argument: ob wir es schaffen, eine Betrachtung hinzubekommen, die den ökonomischen Schaden mit berücksichtigt.
Ich habe das heute nicht gehört. Dabei finde ich diese Frage zentral, und ich würde mir wünschen, wir würden dort einmal in die Debatte einsteigen. Zum Schluss ist dies nämlich die zentrale Frage: Können wir ein Modell auf den
Weg bringen – das ist es, was man beim Deutschen Präventionstag versucht –, bei dem festgestellt wird, es lassen sich ökonomische Schäden lokalisieren, wenn die Prävention nicht im Vordergrund von Maßnahmen steht?
Ich glaube, diese Fragestellung sollten wir alle uns zu Gemüte führen. Ja, ich finde das richtig. Mich hätte es auch gewundert, wenn die Landesregierung heute erklärt hätte: Wir setzen das nicht fort, was wir im Rahmen der Prävention bisher gemacht haben, nämlich die Teen Courts, den Landesaktionsplan gegen häusliche Gewalt, Opferberatungsstellen, Netzwerk „Kein Täter werden“, das Haus des Jugendrechts – all das, was wir in den Bereichen bisher auf den Weg gebracht haben.
Das Haus des Jugendrechts ist eine absolute Erfolgsgeschichte. Ich glaube, das kann man wirklich sagen. Es ist gut, dass wir das in Hessen weiter forcieren. Das liegt sicherlich nicht nur an einer Fraktion in diesem Haus, sondern da haben sich die verschiedenen Fraktionen über die Jahre gegenseitig befruchtet. Übrigens haben wir auch das eine oder andere aus anderen Ländern nach Hessen geholt, was es dort schon gab. Dass wir uns angeschaut haben, was anderswo gut funktioniert, war ebenfalls kein Fehler. All das war richtig und gut.
Aber die Aufzählung, die wir gehört haben und die ich gerade wiederholt habe, zeigt genauso deutlich, dass wir heute eine Beschreibung des Status quo vernommen haben. Frau Ministerin, ich frage Sie – vielleicht haben Sie die Chance, noch einmal in die Debatte einzusteigen –: Was sind die neuen Akzente in dieser Debatte? Was muss aus Ihrer Sicht forciert werden? Ich komme gleich zu einzelnen Punkten, die Sie genannt haben. Fakt ist nämlich, dass wir neue Entwicklungen haben.
Das Thema Salafismus ist eine neue Herausforderung, bei der das Land Hessen nicht tatenlos zusehen kann. Ja, es passiert etwas. Dort wird etwas gemacht: seitens des Innenministers und seitens der Justizministerin. Das ist richtig.
Aber ich will einmal eine Frage stellen, die wir thematisiert und in die Debatte eingebracht haben – zum Stichwort „Muslimische Gefangenenseelsorge“, das Sie selbst heute noch einmal angesprochen haben: Was wir dort erleben, ist, dass häufig organisierte Gruppierungen von oder um muslimische Insassen andere Inhaftierte bei diesem Thema beeinflussen können – so sage ich es einmal vorsichtig; denn ich möchte diesen Generalverdacht etwas zurückweisen. Wenn diese Auslegung richtig ist, dann ist natürlich die Frage, wie viel das Land für die monetären Voraussetzungen für die muslimische Gefangenenseelsorge ausgibt. Da weichen die Forderungen der Opposition gegenüber dem, was die Landesregierung umgesetzt hat, deutlich ab.
Lassen Sie mich jetzt einmal das nachvollziehen, was Fachleute auf dem Gebiet publiziert haben – ob das die Wiesbadener Gefängnisleiterin Frau Jung-Silberreis war, die gerade aus diesem Grund mehr Imame und Sozialpädagogen im Strafvollzug gefordert hat, oder ob es andere Fachleute oder die muslimischen Verbände waren –, die zum Teil darauf hingewiesen haben, dass es auch mit dem Anstieg des durch die Landesregierung verantworteten Haushaltsbudgets nicht dazu kommt, dass wir dort genug Mittel haben.
Frau Ministerin, wenn stattdessen 60.000 € zur Verfügung gestellt werden, dann muss man sagen: Ich bin bei der Lokalisierung des Problems bei Ihnen, aber ich bin nicht bei Ihnen, wenn Sie der Auffassung sind, dass das ausreicht, um dieses Problems wirklich Herr zu werden. Wenn man ein Problem lokalisiert, muss man auch die Voraussetzung dafür schaffen, dass dieses Problem angegangen werden kann. Das geht nur, wenn man in dieser Sache auch genügend Personal hat.
Neben der finanziellen Frage, die sicherlich eine zentrale Frage ist, ist natürlich die zweite Frage die des Konzepts: Wie kann man entsprechend ausgebildete Seelsorger und Imame gewinnen? Wie kann man ihnen diese Aufgabe übertragen, und wie kann man diese Arbeit in den Gefängnissen verfestigen? Wir haben die Antwort auf die mündliche Frage des Kollegen Eckert in der letzten Plenarrunde gehört, die auf die Nachfrage von Frau Kollegin Hofmann von Ihnen dargelegt worden ist. – Es war nicht richtig ersichtlich, was mit dem zusätzlichen Geld passieren soll.
Für uns ist das oberste Ziel, dass wir es schaffen, auch eine bessere Ausbildung von Imamen auf diesem Gebiet hinzubekommen. Das muss eine der Zielsetzungen sein; denn wenn diese muslimischen Inhaftierten in der Frage keine Anleitung bekommen, werden sie sich selbst Vorbilder suchen. Ich glaube, darüber, dass das dort nicht die richtigen Vorbilder waren, besteht Einigkeit zwischen Regierung und Opposition. Auf jeden Fall müssen wir an dieser Stelle ran.
Die Botschaft, den Blick ein bisschen auf den Bund zu richten, finde ich, offen gesagt, angesichts der von der Justizministerin erwarteten mehreren Hundert radikalisierten Islamisten gerade in dem Zusammenhang zu kurz gesprungen. Ich glaube nicht, dass alleine der Bund uns an dieser Stelle wirklich weiterhelfen kann, weil der Justizvollzug Sache der Länder ist: Es ist originär unsere Aufgabe, in dieser Frage auch Maßnahmen vorzulegen.
Deshalb: Frau Ministerin – wir haben diesen Nachmittag noch Zeit –, wir wollen darüber diskutieren, wie konkrete Konzepte aussehen können, um in diesem Zusammenhang als Land einen Maßstab zu setzen, und nicht zu sagen, der Bundesjustizminister hat in dieser Frage zu wenig auf den Weg gebracht.
Wir haben in Hessen einen der wenigen – so muss man sagen – muslimischen Seelsorger: Husamuddin Meyer, der unter anderem in der JVA Wiesbaden tätig ist und der ein, wie ich finde, sehr kluges Ausbildungskonzept vorgelegt hat, das in Modulen absolviert werden kann. Er hat Vorschläge dazu gemacht, wie muslimische Theologen an hessischen Universitäten Abschlüsse erreichen könnten und wie diese als Seelsorger weiterqualifiziert und eingesetzt werden könnten.
Meine Damen und Herren, das sind die ganz konkreten Fragen, die ich als Abgeordneter dieses Hauses habe: Wird die Landesregierung solche Maßnahmen umsetzen? Wie steht die Landesregierung zu diesen konkreten Vorschlägen? Können wir damit arbeiten? Was können wir dort erwarten? – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass wir dort ein Problem haben, ist in diesem Landtag bekannt und