Protokoll der Sitzung vom 23.07.2015

Gleichwohl ist das Bessere immer der Feind des Guten. Aber lassen Sie uns darüber reden, und wenn das in dem Rahmen stattfindet, wie es heute passiert ist, dann ist es aller Ehren wert, das zu tun.

Zudem fördern wir außerschulische Jugendarbeit; Kollege Merz hat das ein bisschen kritisch angemerkt. Schauen Sie sich z. B. den Bereich Sport an, die Jugendfeuerwehren, die Aktionsprogramme zur Stärkung der Partizipation und Teilhabe von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Es gibt ja Dinge, die auf dem Weg sind.

Dies alles ermöglicht jungen Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und bietet ihnen neue Lebensund Erfahrungschancen. Wenn wir die Anhörung ernst nehmen, dann stellen wir fest, dass genau das der Bereich ist, in dem wir arbeiten müssen. Wir müssen den jungen Menschen Erfolgserlebnisse, Teilhabeerlebnisse ermöglichen. Sie müssen das Gefühl haben, dass sie mitten in der Gesellschaft sind und nicht nur nebenan stehen. Daran müssen wir arbeiten, und da sind wir auf dem Weg, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wir fördern den Erwerb der deutschen Sprache. Das muss man, glaube ich, in einem solchen Kontext nicht betonen; denn die Kenntnis der deutschen Sprache ist unerlässliche Voraussetzung für gelungene Integration, für Partizipation und für Teilhabe.

Die Anhörung hat auch gezeigt, dass der Dialog, der Austausch mit muslimischen Bürgerinnen und Bürgern wichtig ist. Ich will hier nur erwähnen, dass, bevor das Violence Prevention Network eingerichtet wurde, das Innenministerium und diejenigen, die in dem Bereich Verantwortung tragen, diesen Dialog bereits geführt haben.

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Vielen Dank, Frau Präsidentin, ich komme sofort zum Schluss.

Es wäre mit Sicherheit noch viel zu Deeskalierungs- und Deradikalisierungsmaßnahmen, zum Bereich der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung zu sagen. Eines ist aber wichtig: Neben den Programmen, die wir Politiker „stricken“, den Dingen, die wir im Bereich der Strafverfolgung und auch der Prävention machen, müssen wir die Zivilgesellschaft in diesem Land unterstützen

Bitte letzter Satz.

und sie beim Kampf gegen Extremismus, gegen Salafismus mitnehmen. Das sollten wir gemeinsam tun, und diese Debatte ist ein guter Anfang dafür. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Frömmrich. – Als nächste Rednerin spricht nun Frau Kollegin Schott von der Fraktion DIE LINKE. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn wir über Terrorismus sprechen, dann möchte ich an dieser Stelle als Erstes den Familien, insbesondere den Eltern der Opfer des Anschlags von Suruç mein tiefes Mitgefühl aussprechen. Ich glaube, da spreche ich im Sinne des ganzen Hauses.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Junge Menschen gehen los, um irgendwo anders Hilfe zu leisten, und kommen dort gar nicht an. Das ist das Schlimmste, was wir uns vorstellen können.

Zur Debatte hier im Haus muss ich sagen: Ich habe in den Anträgen vieles gelesen, was ich sofort unterschreiben kann. Nicht alles teile ich naturgemäß. Ich habe heute auch viele Dinge gehört, die ich als sehr richtig und wichtig empfinde. Wir haben ein Problem, und dem müssen wir begegnen. Bislang haben wir aber die Frage außen vor gelassen: Wie sind wir zu dem Problem gekommen? Gibt es dabei Dinge, die sich in unserer Gegenwart fortsetzen und dazu führen, dass wir das Problem damit tradieren? Ich glaube, die Antwort heißt Ja.

Ich will gar nicht anfangen, über deutsche Außenpolitik zu reden; darüber kann sich in dem Zusammenhang jeder seine eigene Meinung bilden. Wir haben von hier aus auch nur sehr wenig Einfluss darauf. Aber wir können über Dinge wie Willkommenskultur und Menschenwürde reden, das haben wir auch gestern schon getan. Ich bin sicher – nein, ich weiß –, dass in den letzten 20 Jahren an der Stelle enorm viel versäumt worden ist, und das rächt sich natürlich irgendwann. Jedwedes politische Handeln hat Folgen. Die Folgen können die erwünschten sein, aber sie können auch durchaus unerwünscht sein. Im Antrag der CDU steht z. B. unter Punkt 11:

Die Förderung der Jugendarbeit und der außerschulischen Jugendverbände, die Unterstützung beispielsweise des Jugendsports und der Jugendfeuerwehren wirken als Maßnahme zur aktiven Teilhabe junger Menschen an der Gesellschaft, …

Daran gibt es nichts auszusetzen, der Satz ist richtig. Ich möchte Ihnen etwas vorlesen – mit Ihrer Genehmigung –, was der DGB dieser Tage veröffentlicht hat. Der DGB hat eine Untersuchung mit den Schutzschirmkommunen gemacht und kommt dabei zu Folgendem:

Im Bereich Kinder-, Jugend- und Familienhilfe finden sich zahlreiche Maßnahmen, die Einnahmen steigern bzw. Ausgaben durch Leistungskürzungen senken sollen. Etwa die Hälfte der Kommunen erhöht die Kitagebühren, hinzu kommen etwa 20 weitere, die Kitas betreffende Sparmaßnahmen, z. B. Personalabbau oder die Schließung von Kitas. Elf Kommunen nennen die Schließung von Kinderspielplätzen. Verschiedene Kürzungs- und Sparvorhaben betreffen den Jugendbereich – insgesamt 35, darunter etwa die Reduktion von Angeboten in Jugend- und Familienzentren –; den Seniorenbereich lasse ich einmal aus.

Auch der Schulbereich wird von vielen Schutzschirmkommunen für Konsolidierungsmaßnahmen genutzt. So werden etwa die Mittel für Hausaufgabenhilfen und die pädagogische Mittagsbetreuung gekürzt.

Auch unter der Rubrik „Kultur, Wissenschaft und Freizeit“ sind zahlreiche Konsolidierungsmaßnahmen zu finden. So sind neunmal die Musikschulen durch die Reduktion von Zuschüssen bzw. Gebührenerhöhungen betroffen. In 14 Kommunen sollen Maßnahmen bei Hallen- und Freibädern die städtischen Ausgaben senken, und zwar durch die Kürzung von Zuschüssen, die Erhöhung von Eintrittsgeldern, Schließungen oder durch neue Betreiber. 16 Kommunen sehen Einsparungen beim Sport, etwa durch weniger Pflege von Sportanlagen, geringere Zuschüsse für Sportvereine oder weniger Sportveranstaltungen, vor.

Das, meine Damen und Herren, ist das Problem. All das, was Sie vorhin beschrieben haben, was Sie an Maßnahmen für eine ganz spezielle Prävention ausgeben, sind Häuser, die Sie auf einen sandigen Untergrund bauen. Wir haben eine Situation, in der insgesamt im sozialen, im sportlichen, im Jugend-, im Kinderbereich seit Jahren systematisch – mit Ihren Worten gesagt: gespart wird – gekürzt wird. Dann wundern wir uns, wenn wir anschließend problematische junge Menschen haben, und packen, nachdem wir mit dem Brennglas auf eine Zielgruppe gesehen haben, Maßnahmen drauf. Das ist der falsche Ansatz.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir gesellschaftliche Teilhabe wollen, müssen wir den Menschen, um die es hier geht, gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Dazu gehört auch das seit Jahren immer wieder debattierte Wahlrecht. Was sollen denn junge Menschen in dieser Gesellschaft von ihren Eltern für ein Bild über die Akzeptanz ihrer Kultur in dieser Gesellschaft haben, wenn ihre Eltern in diesem Land, in dem sie seit 20 oder 30 Jahren leben, in dem ihre Kinder aufgewachsen sind, geheiratet haben und ihrerseits wieder Kinder haben, kein Wahlrecht besitzen? Das ist eben nicht das, was man Teilhabe nennt, sondern das ist das, was man Ausgrenzung nennt. Daran gehen Sie nicht. Sie gehen an die Behandlung der Symptome und nicht der Ursachen.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Alexan- der Bauer (CDU))

Sie verteidigen hier immer noch solche Dinge wie das Erziehungsgeld, obwohl wir wissen, dass es genau die Zielgruppe, deren Kinder wir in den Kitas haben wollen, davon abbringt, ihre Kinder in die Kitas zu bringen.

(Alexander Bauer (CDU): Sie sind vom Thema so weit entfernt wie der Pluto von der Sonne!)

Sie reden hier über Menschenwürde und gleichzeitig über das Aufstellen von Zelten für Flüchtlinge.

(Holger Bellino (CDU): Ach so!)

Wir wissen, dass Kinder mit Migrationshintergrund deutlich weniger Empfehlungen für weiterführende Schulen bekommen. Ein erheblicher Teil dieser Kinder hat einen muslimischen Hintergrund.

(Holger Bellino (CDU): Deshalb werden Bomben geworfen?)

Wenn Sie den Zusammenhang nicht erkennen können, Herr Bellino, dann sollten Sie noch einmal über ganz

grundsätzliche Dinge nachdenken; denn der Zusammenhang ist doch genau das Problem.

(Holger Bellino (CDU): Das ist unglaublich, was Sie hier erzählen! – Glockenzeichen der Präsidentin)

Nein. – Wenn ich die Kinder bereits in der Schule ausgrenze, wenn ich ihre Eltern vom Wahlrecht ausschließe, dann muss ich mich nicht wundern, dass sie nicht integriert sind und nicht Teil dieser Gesellschaft werden.

(Beifall bei der LINKEN)

So, wie sie es selbst in ihrer eigenen Analyse schreiben, real oder gefühlt – gefühlt ist es mindestens deren Wahrheit, real ein Stück weit auch. Dass das dann Folgen hat, weil eine Handlung mit der anderen in Verbindung steht, ist doch das simpelste Ding der Welt. Herr Bellino, wenn Sie das nicht verstehen können und die Kollegen von der CDU – –

(Holger Bellino (CDU): Sie haben doch gar nichts verstanden! Das waren gute Reden, und Ihre ist unterirdisch! – Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU) – Weitere Zurufe von der CDU – Glockenzeichen der Präsidentin)

Einen Moment, bitte, ein wenig mehr Ruhe. Man muss auch die Rednerin verstehen können. – Wenn es etwas ruhiger ist, können Sie weiterreden.

(Zuruf von der CDU: Das ist doch wohl die Wahr- heit!)

Herr Kollege, bitte. – So, Sie haben das Wort, Frau Schott.

Danke, Frau Präsidentin. – Sie können doch die tollsten Hilfsprogramme schnüren. Die werden doch nichts nützen, wenn das, was darunter liegt, nicht stabil ist. Das, was darunter liegt, ist in unserer Gesellschaft nicht stabil, vor allem für die Menschen, die ohnehin schon am Rande dieser Gesellschaft leben und immer mehr dorthin gedrängt werden. Wenn Sie da immer weiter ausgrenzen: Die Beschreibung, die der DGB hier liefert, finde ich wirklich beeindruckend, weil sie genau aufzeigt, wo das stattfinden muss, was die CDU sehr richtig in ihrem Antrag schreibt: wo die Dinge stabil sein müssen, damit Menschen sich integrieren können, sich angenommen fühlen und in diesem Land Teilhabe haben. Und gleichzeitig betreiben Sie eine Politik, die diese Dinge verhindert. Solange Sie das tun, können Sie die schönsten Programme auflegen, die Sie auflegen wollen; Sie werden am Ende nicht helfen.

Die Frage ist, ob Sie helfen wollen, ob Sie wirklich den Zusammenhang zwischen diesen Dingen wahrhaben wollen und dann die richtigen Konsequenzen daraus ziehen. Denn diese Gruppe von jungen Menschen fällt heraus. Sie fällt Rattenfängern anheim, die sie zu unmöglichen Dingen verführen und überreden. Es gibt andere Gruppen, die genauso herausfallen, die kriminell, gefährlich, aggressiv oder gewalttätig werden, die ähnliche Hintergründe haben. Wir müssen für alle jungen Menschen in diesem Land Angebote schaffen, dass ihnen genau das nicht widerfährt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen Schule so gestalten, dass junge Menschen lange und gemeinsam lernen können und dabei Erfolgserlebnisse haben. Wir müssen Herkunftssprachen respektieren und unterrichten, weil wir in der Zwischenzeit doch wissen, dass Menschen, die ihre Herkunftssprache nicht richtig lesen und schreiben können, auch eine Fremdsprache nicht lernen werden. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass Flüchtlingskinder ganz früh und schnell eine gute Chance bekommen, Deutsch zu lernen. Das alles hat jahrelang nicht stattgefunden. Und das ist ein Teil der Probleme,

(Ismail Tipi (CDU): Sagen Sie doch einmal etwas zu den Salafisten! – Alexander Bauer (CDU): Die Salafisten, die ausreisen, sind Deutsche!)

die wir heute lösen müssen. Sie und ich haben aus der Anhörung ganz viel herausnehmen können. Ein Teil dieser Gruppe kann gut Deutsch, das ist richtig. Aber der wesentliche Teil dieser Gruppe ist eben nicht gut integriert in diesem Land.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Viele haben z. B. keinen Schulabschluss!)

Wir erleben immer wieder, dass auch Kinder aus Familien – egal welcher Herkunft –, die wir für gesettelt erachten, kriminell oder drogenabhängig werden und Dinge tun, die wir alle nicht wollen. Ich glaube, wir werden nicht verhindern können, dass so etwas passiert. Aber wir können schon sehen, dass ein großer Teil der jungen Menschen, die hier in Gefahr geraten, in dieser Gesellschaft nicht integriert und nicht beruflich erfolgreich sind, nicht aus Familien kommt, die in dieser Gesellschaft integriert und beruflich erfolgreich sind.