In dem Gesetzentwurf findet sich noch eine ganze Menge anderer Verschlechterungen. Herr Ministerpräsident, Sie haben nichts dazu gesagt, wie sich Schwarz-Grün dazu verhalten wird. Von den GRÜNEN habe ich ebenfalls nichts gehört.
Ich will darauf hinweisen, dass es die GRÜNEN sind, die genau diese Verschärfung im Bundesrat stoppen könnten. Schon die letzte Verschärfung wäre ohne die Zustimmung des grünen Ministerpräsidenten Kretschmann nicht möglich gewesen. Ich fordere die GRÜNEN auf, in den Ländern diese weitere Aushöhlung des Asylrechts zu verhindern und ihr hier nicht auch noch zuzustimmen. Ich glaube,
das wäre mit Ihren ursprünglich vertretenen Grundsätzen wirklich nicht vereinbar. Deswegen kann ich nur an Sie appellieren: Stoppen Sie diese verfassungswidrige Änderung des Asylrechts.
Das ist ein paar Mal angesprochen worden: Ja, es kostet Geld, den Menschen zu helfen. Können wir uns das leisten? Ja. Deutschland ist eine der reichsten Volkswirtschaften der Welt. Ich meine, aktuell haben wir auf der Bundesebene einen Haushaltsüberschuss von 21 Milliarden €, zum Teil auf Kosten der anderen Länder Europas erwirtschaftet.
Andere Staaten, die sehr viel ärmer sind als Deutschland, sind mit sehr viel mehr Flüchtlingen pro Einwohner konfrontiert. Die Länder, die die meisten Flüchtlinge aufnehmen, sind die Türkei, Pakistan, der Libanon, Iran und Äthiopien. Deutschland gehört nicht dazu.
Schätzungen des RWI zufolge könnten sich die gesamten Mehrausgaben durch die Aufnahme der geflüchteten Menschen, also die Kosten für Unterbringung, Verpflegung und Integration, dieses Jahr auf bis zu 10 Milliarden € und damit auf 0,3 bis 0,4 % des Bruttoinlandsprodukts belaufen. Ich will nur einmal sagen, was das für eine Größenordnung ist. Das ist eine Größenordnung, in der sich beispielsweise die Kosten für den Flughafen BER, für Stuttgart 21 oder für die Stromtrasse SuedLink bewegen – für jedes einzelne dieser Projekte.
Ich will nur einmal die Größenordnung deutlich machen. Hier geht es um das Retten von Menschenleben. Ich will auch daran erinnern, dass, als die deutschen Banken gerettet werden sollten, der Deutsche Bundestag quasi über Nacht dreistellige Milliardenbeträge lockermachen konnte. Hier geht es um Menschenleben, die gerettet werden müssen. Das alles bewegt sich quälend langsam und in sehr viel geringeren finanziellen Dimensionen. Hier reden wir über einstellige Milliardenbeträge, die von der Bundesregierung jetzt bereitgestellt werden.
Wir sind der Meinung, es kann nicht sein, dass man dreistellige Milliardenbeträge ausgibt, um Banken und Spekulanten zu retten, während man bei den Flüchtlingen knausert und sagt: Es ist kein Geld da, um Menschen in Not zu retten.
Damit komme ich zu dem momentan vielleicht drängendsten Problem, nämlich der Unterbringung der Flüchtlinge. Von den derzeit über 18.000 Flüchtlingen in der hessischen Erstaufnahme sind – das war zumindest der Stand in der letzten Woche – 6.500 in Zelten untergebracht. Diese Zeltstädte sind ein riesengroßes Problem, auch im Hinblick auf den nahenden Winter. Herr Ministerpräsident, leider haben Sie in Ihrer dreiviertelstündigen Rede kein Wort dazu gesagt, wie Sie dieses Problem lösen wollen. Ich frage Sie: Was passiert denn mit den Menschen in den Zelten, wenn der Winter kommt?
Insgesamt ist die Unterbringung ein großes Problem. Wir reden hier von Menschen, die zum Teil aus Kriegsgebieten geflohen sind, traumatisiert sind, eine lange Flucht hinter sich haben und die Verwandte zurückgelassen oder verloren haben. Sie werden auf engstem Raum unter schwieri
gen organisatorischen Bedingungen einquartiert. Diese Situation wird sich im nahenden Winter und bei der damit verbundenen Kälte noch verschärfen. An der Stelle muss man sagen, das ist auch eine Folge von zu spätem Handeln.
Wir fordern die Landesregierung auf, jetzt endlich alles zu tun, um die Bedingungen für die Menschen zu verbessern. Ich will daran erinnern, dass es in diesem Land sehr viel Leerstand gibt. Ich komme selbst aus einer Stadt, in der es sehr viel Leerstand von Bürogebäuden gibt. Ich bin der Meinung, es muss endlich Schluss sein mit überfüllten Massenunterkünften. Was als eine Notlösung angekündigt war, ist trauriger hessischer Standard geworden: die Zeltstädte. Diese Entwicklung muss gestoppt werden. Asylsuchende haben ein Recht darauf, menschenwürdig untergebracht zu werden.
Für den, der von Menschlichkeit spricht, verbietet es sich, Flüchtlinge im Winter und in die Obdachlosigkeit abzuschieben. Andere Länder haben im letzten Jahr einen Winterabschiebestopp beschlossen; in Hessen hat SchwarzGrün dagegen gestimmt. Herr Ministerpräsident, ich finde, ein Abschiebestopp sollte für eine Partei, die sich als christlich bezeichnet, eine Selbstverständlichkeit sein.
(Michael Boddenberg (CDU): Ist jemand in diese Länder abgeschoben worden? Ist einer abgeschoben worden?)
Die deutsche Abschiebepraxis ist – Herr Boddenberg, wenn Sie sie schon ansprechen – ohnehin skandalös. Immer wieder werden Familien nachts oder in den frühen Morgenstunden aus den Betten geholt. In Berlin wurde vor Kurzem eine Schülerin aus dem Klassenzimmer geholt, weil ihre Familie abgeschoben werden sollte. Verantwortlich dafür war der CDU-Innensenator in Berlin.
An dieser Stelle will ich auch das Engagement der Flüchtlingsinitiativen und der Aktivisten erwähnen, denen es immer wieder gelingt, Abschiebungen zu verhindern: durch praktische Solidarität, durch das Sammeln von Unterschriften und durch die Mobilisierung der Öffentlichkeit. Auch das ist ein wichtiger Beitrag zur Solidarität mit Flüchtlingen.
Ich will zu einem weiteren wichtigen Punkt kommen. Herr Ministerpräsident, auch dazu haben Sie leider überhaupt nichts gesagt: Was ist eigentlich mit dem diskriminierungsfreien Zugang zur Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge? Auch hier könnte die Landesregierung einiges machen.
Wir haben dazu einen Antrag auf die Einführung einer Gesundheitskarte für Asylsuchende eingebracht. Asylsuchende in Hessen müssen nämlich jeden einzelnen Arztbesuch von den Sozialbehörden durch einen Krankenschein genehmigen lassen, was eine aufwendige und bürokratische Prozedur ist, gerade für Menschen, die erkrankt sind. Ich will noch einmal daran erinnern, dass laut Asylbewerberleistungsgesetz eine medizinische Behandlung erst bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen gewährt wird.
Es kommt immer wieder vor, dass notwendige Behandlungsscheine verweigert oder zu spät ausgestellt werden. Das System ist nicht nur aufwendig und viel zu bürokratisch, sondern es ist auch entwürdigend für die Betroffenen, und es hat fatale und teilweise sogar tödliche Konsequenzen.
Die „taz“ hat über den Fall eines an Atembeschwerden leidenden Kindes berichtet, dessen Aufnahme eine Kinderklinik in Hannover verweigerte, weil die Mutter keinen Behandlungsschein vorlegen konnte. Die Mutter fuhr in ihrer Not mit einem Bus zu einer Kinderärztin, und als die Ärztin das Kind in die Klinik einweisen ließ, war es zu spät: Der Junge starb noch im Krankenwagen. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat den Fall eines Kindes mit einer lebensbedrohlichen Meningitis dokumentiert, bei dem es ebenfalls Stunden dauerte, bis die Eltern endlich einen Behandlungsschein erhielten.
Solche Fälle könnten verhindert werden, wenn Flüchtlinge direkt mit einer Gesundheitskarte zum Arzt gehen könnten. Dass eine andere Praxis möglich ist, zeigen beispielsweise die Länder Hamburg und Bremen. In Nordrhein-Westfalen ist das jetzt auch geplant.
Ich will mit Blick auf den Alternativantrag der Regierungsfraktionen betonen: Die Einführung einer Gesundheitskarte ist auch bei der bestehenden Rechtslage möglich. Das hat die Bundesregierung auf Nachfrage der LINKEN klargestellt. Andere Länder machen es auch.
Herr Ministerpräsident, deshalb sage ich: Das wäre eine konkrete Maßnahme, die Sie sofort umsetzen könnten. Führen Sie die Gesundheitskarte für Flüchtlinge ein. Sorgen Sie dafür, dass Flüchtlinge einen Zugang zu medizinischer Versorgung haben und dass die Gesundheit von Menschen nicht durch derart aufwendige und bürokratische Verfahren gefährdet wird.
Nun reden wir vor allem über die Erstaufnahme von Flüchtlingen in Notunterkünften. Aber wir alle wissen, das ist nur der erste Schritt. Flüchtlinge müssen möglichst schnell auf die Kommunen verteilt werden, und sie müssen in zumutbare langfristige Unterkünfte wechseln. Wir brauchen natürlich verbindliche Mindeststandards, und wir brauchen eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen, zumindest im Regelfall.
Ich will deutlich machen, dass sich an genau diesem Punkt wieder rächt, dass der soziale Wohnungsbau in den letzten Jahren vernachlässigt wurde, dass jedes Jahr mehr Wohnungen aus der Sozialbindung fallen, als neue hinzukommen, und dass bezahlbarer Wohnraum insbesondere in den Ballungsräumen und den Hochschulstädten knapp wird. Wir brauchen deshalb – für die Geflüchteten, aber nicht nur für diese, sondern auch für die Menschen mit niedrigem Einkommen – dringend ein Bauprogramm mit erschwinglichen Wohnungen. Die drohende Konkurrenz zu Geringverdienern auf dem Wohnungsmarkt muss verhindert werden, damit jeder eine bezahlbare Wohnung findet und damit nicht die Schwächsten der Gesellschaft gegeneinander ausgespielt werden.
Auch im Bildungssektor muss gehandelt werden. Wir brauchen mehr Lehrer für eine schnellere Beschulung der Flüchtlingskinder. Jetzt im Grundschulbereich oder in der gymnasialen Oberstufe zu kürzen, ist völlig falsch. Wir brauchen hier keinen Verschiebebahnhof, der nur neue Lücken reißt.
Es ist also notwendig, in Integrationsmaßnahmen zu investieren, und an der Stelle haben wir leider auch zu dem Thema Sprachkurse, Bildungs- und Qualifizierungsangebote vom Ministerpräsidenten nichts Konkretes gehört. An die
ser Stelle muss auch gesagt werden – gerade wenn wir über die Integration in den Arbeitsmarkt reden –, dass es eine absolute Frechheit ist, dass jetzt erste Stimmen aus den Arbeitgeberverbänden für Flüchtlinge eine Aussetzung des Mindestlohns fordern und sie damit zu Arbeitnehmern zweiter Klasse degradieren.
Es ist wirklich beschämend, die Notsituation dieser Menschen auf so schäbige Art und Weise ausnutzen zu können, um Niedriglöhner zu generieren. Ich denke, hier muss man ganz deutlich machen: Ob Migrant oder ob hier geboren – der Mindestlohn muss für alle gelten, ohne Ausnahme.
(Beifall bei der LINKEN, bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Michael Boddenberg (CDU) und Mürvet Öztürk (fraktionslos))
Ich will auch davor warnen, Flüchtlinge in vermeintlich gute und schlechte Flüchtlinge zu unterteilen, in Flüchtlinge, die für den deutschen Arbeitsmarkt verwertbar sind, und welche, die es nicht sind. Ich bin der Meinung, dass man diese Unterscheidung nicht machen darf, da das Asylrecht ein Grundrecht ist.
Herr Bouffier, nun haben Sie sich auch an der Diskussion um wirtschaftliche Anreize beteiligt und dabei die rund 150 € Barleistung an die Flüchtlinge mit einem albanischen Lehrergehalt verglichen.
Das albanische Schulministerium hat das bekanntermaßen anders dargestellt, was ja auch medial berichtet wurde. So viel zu Ihrem Verhältnis zur Wahrheit. Diese 5 € am Tag, von denen sich diese Menschen alles kaufen müssen, was nicht gestellt wird, also z. B. Fahrkarten, Zeitungen, Internet, Telefonkosten, sind ein so verschwindend geringer, aber ein wichtiger Beitrag zu einer würdevollen Existenz – der darf den Menschen nicht genommen werden.
Ich bin auch der Meinung: Wenn man darüber diskutiert, dass man jetzt keine Anreize dazu schaffen dürfe, dass Leute nach Deutschland kommen, sollte man sich doch einmal vergegenwärtigen, dass Menschen ihre Heimat nicht leichtfertig verlassen, um ein paar Euro abzustauben, sondern aus Not fliehen, aus Perspektivlosigkeit, und weil sie ihren Kindern ein besseres Leben bieten wollen. Ich halte nichts davon, Stimmung auf Kosten dieser Menschen zu machen, als würden sie sich im Bürgerkrieg in Syrien überlegen, welche Anreize es gibt, nach Deutschland zu kommen. Sie fliehen aus blanker Not. Man darf auf deren Kosten keine Stimmung machen.
Leider ist es so, dass Akteure wie Viktor Orbán, wie Horst Seehofer oder auch Erika Steinbach – alle Politiker der christdemokratischen Europäischen Volkspartei – von Fluten, Strömen und Invasionen sprechen und Überfremdungsängste schüren. Horst Seehofer hat vor einiger Zeit erklärt, die CSU werde sich gegen die Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme wehren, und zwar „bis zur letzten Patrone“ – Achtung: Wortwahl.
Morgen empfängt er Viktor Orbán auf der CSU-Herbstklausur. Auch dazu hätte man einmal etwas sagen können, Herr Bouffier.
Im Landtag schreckt der Rechtsaußen der CDU, Irmer, nicht einmal jetzt davor zurück, Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen – wobei ich mich schon frage, Herr Bouffier: Wie lange wollen Sie als Landesvorsitzender der hessischen CDU diesen Mann eigentlich noch in Ihren Reihen dulden?
Herr Bouffier, Sie haben vollkommen zu Recht gesagt, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit dürfen keinen Platz in Hessen haben. Ich füge hinzu: auch keinen Sitzplatz im Hessischen Landtag.