Protokoll der Sitzung vom 23.09.2015

Klare politische Schwerpunktsetzung, fast 1.000 Stellen für Bildungs- und Chancengerechtigkeit mehr innerhalb von zwei Schuljahren mit dieser Koalition, das kann sich sehen lassen. Aber natürlich wollen wir auch noch besser werden, meine Damen und Herren. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank. – Als Nächste spricht Kollegin Cárdenas, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Schülerinnen und Schüler auf den Rängen, vielleicht auch Lehrer und Lehrerinnen! Ich habe mich eben auf das Thema Flüchtlingsbeschulung konzentriert und will jetzt die übrigen Dauerbaustellen in der hessischen Bildungspolitik ansprechen, die es verdienen würden, dass man sie tatsächlich, wie die Regierungskoalition fordert, mit großer Entschlossenheit und Tatkraft anpackt.

Die Koalition feiert sich immer wieder gerne dafür, dass sie die demografische Rendite trotz rückläufiger Schülerzahlen in Hessen im System belässt und damit unsere Schulen angeblich außerordentlich großzügig ausstattet. Aber wir wissen, sie ist mit dem Konzept der demografischen Rendite grandios gescheitert.

Erstens sind die steigenden Flüchtlingszahlen bereits genannt worden. Aber es gibt auch, wie wir wissen, große städtische Regionen, in denen die Kinderzahl seit Jahren ansteigt.

Zweitens gibt es eine Reihe von neuen Herausforderungen, denen nicht nur mit neuen, erweiterten Konzepten, sondern auch und vor allem mit neuen, erweiterten Kapazitäten begegnet werden kann und muss.

Drittens gilt selbst bei Einhalten der Schuldenbremse, gegen die wir als LINKE aus guten Gründen immer eingetreten sind, dass es aufgrund der sehr guten Steuereinnahmen durchaus Freiräume für einen Ausbau der Lehrerversorgung gäbe; und von dem Bundesgeld habe ich noch gar nicht gesprochen.

(Beifall bei der LINKEN)

Stellenkürzungen, in euphemistischer Weise von der Koalition als maßvolle Stellenumlenkung tituliert, sind daher nicht nur pädagogisch verwerflich, sondern auch finanziell völlig unnötig. Ich habe Sie – Herr Schwarz und Herr Wagner wissen das – in allen Podiumsdiskussionen der letzten Tage und Wochen für die richtige Identifizierung der neuen Herausforderungen gelobt. Auch wir sehen, dass es dringend der Aufstockung von Lehrerstellen in folgenden Bereichen bedarf: Sprachförderung für Flüchtlinge, Ausweitung der Ganztagsangebote, der echten Ganztagsschulen, Ausbau der inklusiven Beschulung und sozial indizierte Lehrerstellenzuweisung für Brennpunktschulen.

Aber Sie dürfen diese Aufstockung nicht auf Kosten anderer Bereiche umsetzen. Sowohl die Grundschulen als auch

die Oberstufen der Gymnasien brauchen nämlich nicht weniger, sondern mehr als die ihnen bisher zugewiesenen Mittel, um ihrer Verantwortung angesichts der neuen Herausforderungen gerecht zu werden. Sollten Sie die angekündigten Stellenkürzungen tatsächlich weiter durchziehen, würden Sie zum einen Ihr Versprechen der verlässlichen Lehrerversorgung brechen. Zum anderen würden Sie riskieren, dass Sie die dann entstehenden Lücken später wiederum mit weiteren Umschichtungen füllen müssen. Herr Kultusminister Lorz, wenn Sie so weitermachen, verspreche ich Ihnen: Wir werden Sie zum Flickschusterkönig unter den Bildungsministern küren.

Es ist eigentlich fürchterlich traurig. Viele Lehrerinnen und Lehrer haben sich z. B. von den Ergebnissen des Bildungsgipfels eine Verbesserung ihrer Überforderungssituation versprochen. Herr Kultusminister, sie haben geglaubt, dass Sie und die sie tragende Koalition tatsächlich an Verlässlichkeit und Frieden in den Schulen interessiert seien. Mit der sogenannten maßvollen Stellenumlenkung haben Sie viel Vertrauen verloren, zumindest bei denen, die das politische Geschäft noch nicht ganz so genau kennen.

Zu Ihrem zweiten Punkt, der Beschulung der Zuwandererund Flüchtlingskinder, habe ich inhaltlich schon viel in der vorigen Debatte gesagt. Anfügen möchte ich nur ein kleines Rechenexempel.

Sie haben die Intensivklassen um 100 auf 400 ausgebaut. Eine Intensivklasse schenke ich Ihnen, damit kann man besser rechnen. Laut Ihren Angaben werden wir dieses Jahr ca. 60.000 Flüchtlinge in Hessen aufnehmen. Ungefähr 25 % davon werden nach Ihren Schätzungen Kinder und Jugendliche sein. Das wären also ca. 15.000 neu einzuschulende Kinder und Jugendliche.

Wenn ich Ihre Angabe ernst nehme, dass eine Intensivklasse zwischen 12 und 16 Kinder und Jugendliche aufnehmen kann – ich nehme jetzt einmal die Zahl 15, weil man auch damit besser rechnen kann –, dann wäre bei einer gutwilligen Abschätzung trotzdem nur für jedes zweieinhalbte von den in diesem Jahr neu ankommenden Kindern und Jugendlichen ein Platz in einer Intensivklasse verfügbar.

Aber die Plätze sind nicht frei. Das ginge also nur, wenn alle Schülerinnen und Schüler, die jetzt in den Intensivklassen sitzen, diese Plätze frei machen und in eine Regelklasse wechseln würden. Herr Kultusminister, schätzen wir dagegen ein, dass auch viele Kinder und Jugendliche, die bisher angekommen sind, weiterhin der Förderung in einer Intensivklasse bedürfen, so wissen wir, dass die vorgesehenen Maßnahmen hinten und vorne nicht reichen. Da ist noch ganz viel Raum übrig. Da muss noch ganz viel Geld hineingesteckt werden.

(Beifall der Abg. Janine Wissler und Dr. Ulrich Wil- ken (DIE LINKE))

Herr Kultusminister, Sie stellen zutreffend fest, dass in Hessen aufgenommene schulpflichtige Kinder vom ersten Tag an das Recht auf Beschulung haben. Anscheinend rechnen Sie aber damit, dass längst nicht alle diesen Anspruch auch wahrnehmen, zumindest nicht von Anfang an.

Herr Kultusminister, Sie spielen mit dem Feuer, das ist klar. Es könnte sein, dass Sie sich dabei die Finger verbrennen, aber die Schmerzen müssen die Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrerinnen und Lehrer ertragen.

Zu dem sogenannten Pakt für den Nachmittag werde ich nicht mehr viel sagen. Unser Urteil bleibt bestehen. Das

kennen Sie. Das ist eine Mogelpackung. Sie soll den Eltern vorgaukeln, dass Sie den Ganztagsschulausbau vorantreiben.

Klar ist: Es gibt keine sinnvolle pädagogische Alternative zum Ausbau echter, rhythmisiert arbeitender Ganztagsschulen, in denen alle Aktivitäten über den Tag von der Schule verantwortet werden. Deshalb können dort auch am Nachmittag Lehrerinnen und Lehrer Unterricht anbieten. Aber das kostet natürlich mehr, und es erfordert auch einen Umdenkungsprozess bei allen an der Schule Beteiligten. Steuern Sie endlich um. Investieren Sie in die echten Ganztagsschulen mit Profil 3.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihre Alternative „Pakt für den Nachmittag“ wird vermutlich über das Modellstadium gar nicht herauskommen. Sie wissen, dass Sie dabei die Kommunen finanziell heranziehen wollen und dass sich noch nicht so wahnsinnig viele Kommunen damit einverstanden erklärt haben. Ich denke, das wird bald wieder nach unten gehen.

Die nächste Beglückung sind die Modellregionen Inklusion. Wissen Sie, ich kann langsam weder das Wort Modell noch das Wort Gipfel ernst nehmen. Ich bin damit für die nächsten Jahrzehnte bedient.

Es ist Ihr Konzept. Ich meine jetzt die GRÜNEN. Die CDU lernt aber schnell, das muss ich sagen. Es ist Ihre Denke. Es ist Ihre Vorstellung, wie gesellschaftliche Veränderungen unter demokratischen Bedingungen vollzogen werden sollten.

Aber meistens mutieren diese Konzeptionen zu Spielwiesen, auf denen man viel Zeit und Kraft aufwendet, um immer wieder an die gleichen Gummibarrieren zu stoßen. Letztlich bleibt man dann kraftlos zurück.

Wenn sich jetzt jemand an den Bildungsgipfel erinnert fühlt, dann hat er recht. Jedenfalls gelingt es der Landesregierung auch hier wieder, geforderte und ratifizierte substanzielle Anpassungen an die UN-Konvention hinauszuschieben und damit Zeit zu gewinnen. Dies geschieht unter dem Vorwand, in Modellregionen das richtige Vorgehen erst einmal ausprobieren zu müssen.

Schließlich gibt es PuSch als Fortsetzung von SchuB. Dieses Programm haben wir nicht nur immer wieder gelobt, da es an den richtigen Schrauben ansetzt. Wir haben auch gefordert, dass seine Prinzipien wie kleine Klassen, sozialpädagogische Begleitung und stärkere Einbeziehung der Praxis auch auf andere Bereiche des Bildungswesens übertragen werden sollten. Jedenfalls ist klar: Zwei mal 46 Schulen sind eindeutig nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das muss unbedingt ausgebaut werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine Frage hätte ich noch. Warum fehlt denn in diesem Reigen der bildungspolitischen Wohltaten eigentlich die USF, also die unterrichtsunterstützende sozialpädagogische Förderung? Anscheinend haben Sie vor, diese klammheimlich zu begraben. Bei Ihnen war eben nur in einem kleinen Nebensatz davon die Rede. Ich denke, Sie täten gut daran, noch einmal nach anderen Möglichkeiten zu suchen, wie Sie die notwendige Arbeit der Sozialpädagogen in der Schule unterstützen und wirklich kooperativ mit den bisherigen Möglichkeiten zusammenführen können.

Große Entschlossenheit und Tatkraft wären gut. Wie Herr Wagner sagte, warten Eltern, Kinder und Lehrer händerin

gend darauf. Machen Sie das aber bitte nachhaltig und an den richtigen Stellen. Meine Damen und Herren der Regierungskoalition, so jedenfalls wird das nichts. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Herr Kollege Greilich für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stimme in einem überein: Es ist schon sinnvoll, dass wir die Debatte geteilt haben. Damit können wir das Ganze einmal in zwei Runden aufarbeiten. Denn es ist teilweise unfassbar, was hier so erzählt wurde.

Herr Kollege Wagner, ich will einmal mit der Aufteilung „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ anfangen. Das war ein Gag. Wenn man sich angehört hat, was sowohl Sie als auch Herr Kollege Schwarz in den beiden Beiträgen gesagt haben, kann man so differenzieren: Der Teil „gute Zeiten“ heißt, dass man sich für die Leistungen anderer lobt, insbesondere die der Vorgängerregierung.

(Beifall der Abg. René Rock und Nicola Beer (FDP))

Man lobt sich für die gute Lehrerversorgung und den Sozialindex, den Nicola Beer erfunden hat, die dort hinten sitzt. Ich bin froh, dass Sie den beibehalten.

Bei den „schlechten Zeiten“ diskutiert man dann die Probleme weg, die da sind. Kein Mensch hat etwas dazu gesagt, was an den Gymnasien los ist und was an den Grundschulen passiert. Das ist dann weg.

Herr Kollege Wagner, damit es als Soap dann richtig passt, muss noch ein bisschen etwas hinzu. Dann zitiert man andere einmal ein bisschen falsch und beschimpft sie. Das kennen wir von Ihnen. Damit wird die Show halt interessant gemacht.

Kommen wir einmal zurück zu den Fakten. Ich will hier nur drei noch einmal ansprechen, weil sie von besonderer Bedeutung sind.

Das erste Faktum ist: Wir haben im Grundschulunterricht 150 Lehrer weniger. Wir haben 150 Lehrer für die Kleinsten weniger, also für diejenigen, bei denen wir die Grundlage für das legen müssen, was notwendig ist. Das ist ein eklatanter Fehler und ein eklatanter Rückschritt.

(Beifall der Abg. René Rock und Nicola Beer (FDP))

Zweitens. Ich habe das vorhin ausführlich dargelegt: Sie haben 160 Stellen aus den gymnasialen Oberstufen weggenommen. Sie haben damit manche Schulen unter 100 % Lehrerversorgung gedrückt, die wir mühsam auf im Durchschnitt 104 % gebracht hatten.

Das tun Sie genau dort, wo wir diejenigen ausbilden und qualifizieren wollen, die wir anschließend in die MINTStudiengänge schicken wollen, damit wir auch dort zu einer besseren Bildung und zu besseren Zukunftschancen kommen. Das ist ein eklatanter Fehler.

(Beifall der Abg. René Rock und Nicola Beer (FDP))

Ich kann die Argumentation nicht mehr hören: Die sind ja nicht weg. – Herr Kollege Schwarz ist darin immer besonders gut. Statistisch gesehen, ist das alles nicht anders. Sie können den Schülern dann erklären: Na ja, dein Lehrer ist gar nicht weg, er ist jetzt nur woanders.

(Heiterkeit und Beifall der Abg. René Rock und Ni- cola Beer (FDP))

Ich habe gewisse Zweifel, ob das den Schüler tröstet, der davon betroffen ist.