Protokoll der Sitzung vom 04.02.2016

Marokko, Tunesien und Algerien sollen jetzt als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden. Dabei reicht ein Blick in den Jahresbericht von Amnesty International, um zu erkennen, dass das, angesichts zahlreicher Menschenrechtsverletzungen, ein Hohn ist. Die Einstufung als „sicher“ hat offensichtlich nichts mit der realen Situation in diesen Ländern zu tun, sondern mit den Flüchtlingszahlen. Eigentlich müsste gelten: Je mehr Flüchtlinge aus einem Land kommen, desto unsicherer ist es. – Bei der Bundesregierung ist es umgekehrt: Wenn viele Flüchtlinge aus dem Kosovo kommen, erfolgt flugs die Einstufung als „sicher“, obwohl der Einsatz der Bundeswehr im Kosovo im Rahmen der KFOR-Mission gerade erst verlängert wurde.

Das Konzept der „sicheren Herkunftsstaaten“ widerspricht dem Grundprinzip des Asylrechts, nämlich der individuellen Prüfung.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Flüchtlingen wird eine kaum zu bewältigende Beweislast aufgebürdet nach dem Prinzip: im Zweifel gegen den Schutzsuchenden.

Diesen Teil könnten die GRÜNEN im Bundesrat stoppen. Bereits die letzte Verschärfung wäre ohne die grüne Zustimmung nicht möglich gewesen. Dazu fordern wir Sie auf.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Es geht weiter. SPD-Chef Gabriel fordert eine Residenzpflicht selbst für anerkannte Asylsuchende und will die Türkei, wo Erdogan gerade einen Krieg gegen die Kurden führt und die Pressefreiheit mit Füßen tritt, als sicheres Herkunftsland anerkennen. Die CSU fordert gar, Mali zum sicheren Herkunftsland zu machen.

Wir setzen uns für sichere Fluchtwege, für menschenwürdige Aufnahme und für faire Asylverfahren ein. Grundrechte kennen keine Obergrenze, oder, wie der Caritas-Präsident richtig sagt: „Obergrenze – das ist wie die Feuerwehr, die fünf Brände löscht und beim sechsten zuschaut.“

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos) und Norbert Schmitt (SPD))

Ich will daran erinnern: Als die deutschen Banken gerettet werden sollten, konnte der Bundestag über Nacht dreistellige Milliardenbeträge lockermachen. Meine Damen und Herren, hier geht es um die Rettung von Menschenleben. Da darf das Geld, das das kostet, nicht zu viel sein.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Natürlich muss man auch über Fluchtursachen reden. Wer sich an Kriegseinsätzen beteiligt und Waffen in alle Welt liefert, darf sich nicht wundern, wenn die Menschen auf der Suche nach einem menschenwürdigen Leben für sich und ihre Kinder ihre Heimatländer verlassen. Für uns gilt: Wer vor Hunger flieht, hat genauso ein Recht auf Unversehrtheit wie jemand, der vor Bomben flieht. – „Auch Hunger ist Krieg“, sagte Willy Brandt einst.

Die Antwort auf die Fluchtbewegungen sind keine hohen Zäune, sondern friedliche Konfliktlösungen und eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung.

Die Gefahr von rechts wächst. Wer AfD- und Pegida-Forderungen nachgibt, gräbt ihnen nicht das Wasser ab, sondern macht sie erst stark. Nötig ist es, den Nährboden für rechts, nämlich die zunehmende soziale Spaltung, zu bekämpfen. Arme und Flüchtlinge dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Kein Hartz-IV-Bezieher hat auch nur 1 € mehr, wenn weniger Flüchtlinge kommen. Bezahlbarer Wohnraum ist nicht wegen der Flüchtlinge knapp, sondern weil Bund und Länder den sozialen Wohnungsbau faktisch eingestellt haben.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Ich komme zum Schluss. 62 Menschen auf dieser Welt besitzen so viel wie die 3,6 Milliarden Ärmsten. Dann wird hier darüber diskutiert, ob Flüchtlinge Smartphones besitzen dürfen. Wir wollen nicht, dass sich die Armen und die Flüchtlinge um die Brotkrumen streiten. Wir wollen lieber darüber diskutieren, wo das Brot geblieben ist und wem die Bäckerei gehört.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Es geht schon lange nicht mehr um Flüchtlinge.

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.

Ich komme zum Schluss. – Es geht um die Substanz des Rechtsstaats. Koalitionsräson darf niemals so weit gehen, dass Grundrechte ausgehebelt werden. Das gilt für die SPD auf Bundesebene ebenso wie für die hessischen GRÜNEN.

Deshalb haben DIE LINKE und die Kollegin Öztürk einen Antrag eingebracht, damit Hessen dieser weiteren Verschärfung des Asylrechts im Bundesrat nicht zustimmt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos) – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Das Wort hat Frau Kollegin Wallmann, CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschland und Hessen, Europa und die internationale Staatengemeinschaft stehen vor sehr großen Herausforderungen, denn Millionen von Menschen sind auf der Flucht vor Verfolgung und Krieg.

Es gibt aber auch Menschen, die ihre Heimat verlassen, die nicht verfolgt werden. Da mag Deutschland ein verheißungsvolles Ziel sein, mit dem Wunsch auf bessere Lebenschancen. Für die CDU möchte ich heute ganz klar erklären: Wir stehen zu unserer Verantwortung und werden den Menschen helfen, die verfolgt werden.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Hessische Landesregierung hat aufgrund dieser Herausforderungen sehr entschlossen gehandelt. Wir haben nicht nur in kürzester Zeit die Unterbringungskapazitäten erheblich ausgeweitet. Unser Dank gilt dabei natürlich nicht nur den zuständigen Ministerien, sondern auch den Helfern vor Ort, in den Kommunen, ein herzliches Wort des Dankes.

Wir haben alle Menschen, so wie wir es zugesagt haben, vor Weihnachten in winterfesten Unterkünften unterbringen können. Wir haben gestern in der Koalition die kräftige und deutliche Anhebung der Pauschalen für die Kommunen auf den Weg gebracht. Das ist auch ein wichtiger Beitrag. Außerdem haben wir den Aktionsplan zur Integration von Flüchtlingen und Bewahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, mit dem wir Antworten geben. Wir geben Antworten von der Beschulung über die Eingliederung in den Arbeitsmarkt bis hin zur Stärkung von Polizei, Verfassungsschutz und der Extremismusprävention. Das ist ein wichtiges Signal auch an unsere Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eines muss aber auch klar sein: Auf Dauer kann unser Land so viele Flüchtlinge und Asylsuchende nicht aufnehmen und auch nicht integrieren. Deswegen ist es auch das

klare Ziel der CDU-geführten Bundesregierung, den Zuzug und die Zugangszahlen nachhaltig zu reduzieren. Das liegt im Interesse Deutschlands. Es liegt aber auch in unserem hessischen Interesse, denn wir dürfen unser Land nicht überfordern.

(Beifall bei der CDU)

Wir versuchen, dieses Ziel mit einer Mischung aus klugen Maßnahmen zu erreichen. Zum einen handelt es sich um europäische Maßnahmen, Stichwort: Hotspots. Zum anderen geht es um internationale Maßnahmen. Es gab gerade die Meldung, dass 2,3 Milliarden € für syrische Flüchtlinge an Hilfsorganisationen gezahlt werden. Das ist eine solche Maßnahme.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann gibt es natürlich auch nationale Maßnahmen. Dazu gehört das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, das am 01.11. in Kraft getreten ist. Bestandteil dieses Gesetzespakets war auch die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten. Es zeigt, dass es wirkt. Denn die Zahlen sind bei den neu eingestuften Ländern, Albanien, Montenegro und Kosovo, inzwischen rückgängig. Das hilft uns, denn wir müssen uns mit unserer Hilfe auf die Menschen konzentrieren, die wirklich auf unsere Hilfe angewiesen sind. Niedrigerer Wohlstand und schlechtere Lebenschancen sind keine Fluchtgründe, die wir anerkennen können, weil wir unsere Gesellschaft sonst überfordern.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind überzeugt von dem Konzept der sicheren Herkunftsstaaten.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Dieses Konzept kommt nicht irgendwoher. Es stammt aus unserem Grundgesetz, das Maßstab für unser Handeln ist. Ich muss einen Punkt korrigieren. Ein sicherer Herkunftsstaat bedeutet nicht, dass keine Prüfung stattfindet. Das ist ganz wichtig zu betonen. Die Verfahren werden beschleunigt, und Aufenthalte können schneller beendet werden. Aber selbstverständlich bleibt eine Prüfung vorhanden.

Die Haltung der CDU ist in dieser Frage bekannt. Die Bundesregierung spricht sich für die Einstufung Algeriens, Marokkos und Tunesiens als sichere Herkunftsstaaten aus. Das soll nicht Maßstab unseres Handelns sein, ich will es aber, weil es eine aktuelle Zahl ist, benennen: Im aktuellen Deutschlandtrend der ARD sprechen sich 78 % der Befragten für eine Einstufung dieser drei Länder als sichere Herkunftsstaaten aus. Im Hinblick – das ist ein ganz wichtiger Punkt – auf die niedrigen Schutzquoten und die wiederum steigenden Zugangszahlen von Nordafrikanern erscheint das als richtige Maßnahme.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Ich will das jetzt noch einmal mit Zahlen untermauern. Im Dezember 2015 kamen 5.300 Algerier und Marokkaner nach Deutschland. Im August 2015, also vor einem halben Jahr, waren es noch 1.400. Wir sehen also eine steigende Tendenz. Wenn man jetzt die Gesamtzahl aus dem Jahr 2014 ansieht, da waren es noch weniger als 4.000. Wir waren also im Dezember 2015 schon über dem Jahreswert von 2014.

Sie kamen, obwohl sie wussten, dass sie eigentlich keine Chance auf Asyl haben. Das Problem ist, dass sie in ihren

Heimatländern von Schleppern angesprochen werden. Ihnen werden Dinge versprochen, die hier nicht gehalten werden können.

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.

Ja. Ich komme sofort zum Ende meiner Rede.

Nur jeder 59. Algerier und jeder 27. Marokkaner werden anerkannt. Wir wollen keine falschen Hoffnungen machen. Deswegen ist es wichtig, ein Signal in diese Länder zu senden.

Ganz konkret ist es so: Es liegt noch kein Gesetzentwurf vor. Wir werden da selbstverständlich Rücksicht auf unseren Koalitionspartner nehmen. In einer vertrauensvollen Koalition ist das so. Es ist selbstverständlich, dass wir als Koalition uns die Begründung ausführlich anschauen werden und das dann miteinander beraten werden. Sie können sich ganz sicher sein: Wir werden eine kluge Entscheidung treffen, wie wir das immer tun. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Abg. Wagner für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit ihrer bisherigen Flüchtlingspolitik Deutschland ein freundliches Gesicht in der Welt gegeben.