Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Degen, ich konnte diesmal ungewöhnlicherweise fast alles unterschreiben, was Sie gesagt haben.
Nur an einer Stelle will ich doch etwas korrigieren: Sie haben die arme Frau W. aus F. zitiert, die überlegte, ihren Wohnsitz nach Rheinland-Pfalz zu verlegen. Davor sollten wir allerdings dringend warnen; denn das würde sie vom Regen in die Traufe bringen. Ich kann nur hoffen, dass sich am Sonntag in Rheinland-Pfalz etwas ändert.
Aber zurück zu dem ernsten Thema, das wir hier heute zu erörtern haben, Herr Kollege Boddenberg. Dass das Kultusministerium nach all den Protesten im letzten Sommer noch immer fest entschlossen ist, die geplante Streichung von Lehrerstellen an Hessens Gymnasien und Oberstufen durchzuziehen, stößt bei uns Freien Demokraten auf großes Unverständnis.
Die im Sommer bereits vorgenommenen Kürzungen in der gymnasialen Oberstufe und die, die in den nächsten beiden Schuljahren noch folgen sollen, haben in den Schulen sehr konkrete Folgen: Über 300 Lehrer fehlen allein in den gymnasialen Oberstufen, kleinere Kurse können nicht mehr angeboten werden, größere Kurse werden noch grö
ßer. Die Profile, die sich die Schulen in den vergangenen Jahren mit viel Mühe erarbeitet haben, werden so wieder infrage gestellt. Zu Recht machen sich Eltern deshalb nun Sorgen darüber, ob ihre Kinder auch zukünftig optimal auf ein Hochschulstudium vorbereitet werden – wir als Freie Demokraten teilen diese Sorge.
Ich stelle in diesem Zusammenhang eines ausdrücklich unstreitig: Wir brauchen zusätzliche Lehrer an unseren Schulen, um Inklusion, Nachmittagsbetreuung und Intensivklassen erfolgreich stemmen zu können. Aber das gilt auch und gerade für Grundschulen und Gymnasien, die Sie zum Steinbruch in der Bildungspolitik gemacht haben, meine Damen und Herren.
Stellenstreichungen sind an dieser Stelle kontraproduktiv. Sie treffen weniger die Schüler aus begüterten Kreisen, die die von Ihnen verursachten Defizite an den Schulen ausgleichen können, indem sie auf Nachhilfeangebote im großen Stil zurückgreifen können. Nein, Sie treffen mit Ihrer Politik gerade diejenigen Schülerinnen und Schüler, die in der schwierigen Phase vor dem heute wieder beginnenden Abitur besondere Unterstützung brauchen, etwa, weil sie mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Sie treffen die, denen Sie angeblich gerade mit Inklusionsmaßnahmen helfen wollen, Sie treffen ganz besonders Schülerinnen und Schüler aus Migrantenfamilien. Kurzum: Sie treffen all diejenigen, die auf besondere Unterstützung angewiesen sind und die es sich nicht leisten können, das zuzukaufen, was Sie ihnen verweigern.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, was Sie hier betreiben, ist schlicht ein Angriff auf die Bildungsgerechtigkeit.
In Hessen sehen sich viele Schulen durch die Kürzungen der schwarz-grünen Landesregierung dazu gezwungen, wichtige individuelle Förderprogramme einzustellen. Die Kürzungen von bis zu vier Stellen etwa an Gymnasien wirken sich bereits jetzt negativ auf die Unterrichtsqualität aus. Für die Oberstufen heißt das konkret, dass kleine Leistungskurse wie Chemie oder Physik gänzlich wegfallen, Sprachangebote auf ein Minimum reduziert werden, Gruppengrößen der Grund- und Leistungsfächer angehoben werden müssen, methodische Vielfalt, fortschrittlicher Unterricht und Angebote jenseits der Kernfächer durch die Kürzungen der schwarz-grünen Landesregierung massiv eingeschränkt werden.
Ich nenne als Beispiel einmal die Kürzungen am Frankfurter Lessing-Gymnasium: dort, wo heute vor einer Woche das Protestfest von nahezu 1.000 Eltern, Schülern und Lehrern stattfand und wo sich außer der Kollegin Wiesmann – die wohl eher privat anwesend war – kein Vertreter dieser Regierungskoalition hintraute. Der Elternbeiratsvorsitzende dieser Schule, Herr Martin Wiesmann, der den Protest gegen Ihre Politik organisiert hatte, machte schon in seiner Begrüßungsrede klar, dass es nicht um die Zukunft einer kleinen Elite gehe, sondern um die eines Großteils der hessischen Schülerschaft. Seine Stellvertreterin Annette Reschke berichtete, dass allein an dieser Oberstufe schon jetzt rund 1,5 Lehrerstellen gestrichen worden seien.
Ich höre schon jetzt den Kultusminister, den Kollegen Wagner, oder wer auch immer dazu erwidern wird, das sei doch nicht viel. – Dabei hatte ich gehofft, dass hinter der plakativen Einladung des Kultusministers an Lehrerverbände und Schulleiter zu Fachgesprächen wenigstens eine echte Bereitschaft stünde, die schwarz-grüne Steinbruchpolitik zulasten der gymnasialen Bildung zu überdenken.
Tatsächlich aber hatte der Minister wohl nur den Auftrag der Koalition, sich die begründeten Einwände aus der Praxis anzuhören, obwohl schon die Entscheidung der Koalition feststand, diese schlicht zu ignorieren. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist ein Schlag ins Gesicht für die hessischen Eltern, Schüler und Lehrer. Offenbar ging es CDU und GRÜNEN vor der Kommunalwahl nur darum, den verständlichen Protest von Eltern, Lehrern und Schülern gegen die Unterrichtskürzungen klein zu halten.
Dazu passt es, dass der Kultusminister in einem Brief an die Eltern schrieb – heute haben wir auch wieder einen Antrag vorliegen, in dem es entsprechend gefeiert wird –, dass wir in der Vergangenheit 2.500 Lehrerstellen in die Schulen gebracht haben, sodass jetzt anscheinend genug da ist, dass man meint, es wieder abräumen zu können.
Vor diesem Hintergrund bittet der Kultusminister dann für Verständnis für eine moderate und möglichst breit gestreute Stellenverlagerung von den Oberstufen der Gymnasien und Gesamtschulen hin zu anderen Zweigen des Schulwesens. Der Kollege Mathias Wagner assistiert ihm und sagt, jede Stelle bleibe dem Bildungssystem erhalten, allerdings teilweise für andere Aufgaben als bislang. Entsprechend formulieren Sie dann auch in Ihrem Antrag, den Sie uns heute vorgelegt haben, dass Sie „eventuelle besondere Härten identifizieren und Maßnahmen zu deren Abmilderung prüfen“ wollen. Was Sie dort tun, haben Sie in den letzten Tagen gezeigt, und das hat auch der Kultusminister in den bisher geführten Gesprächen gezeigt: Sie wollen die Eltern, Schüler und Lehrer verladen, Sie verhöhnen die Betroffenen. Das ist in der Tat der Gipfel dessen, was Sie mit diesem Antrag hier bieten.
Ich will Ihnen das in aller Kürze erläutern, Herr Kultusminister und Herr Kollege Wagner: Eine Lehrerstelle bedeutet 26 Stunden. Und wenn Sie da gewesen wären, hätte Frau Reschke auch Ihnen vorrechnen können, dass das mehr als fünf Leistungskurse oder bis zu 13 Grundkurse sind, die jetzt pro Lehrerstelle fehlen. Das ist relativ einfache Mathematik, die wohl jeder nachvollziehen kann.
Oder Sie hätten, wenn Sie sich nicht gedrückt hätten, die Schilderung des Schulsprechers hören können, der vor den Ferien in einem von zwei Leistungskursen Biologie mit 14 Schülern saß. Jetzt darf er die von Ihnen verordnete bittere Wohltat genießen, dass in Vorbereitung auf das Abitur die beiden Leistungskurse à 14 Schüler zu einem Kurs zusammengelegt werden mussten, in dem er jetzt mit 27 weiteren Schülern die Abiturvorbereitungen absolvieren darf. Ja, Herr Kultusminister, erklären Sie den Betroffenen ruhig weiter, dass ihr Lehrer ja nicht weg ist, sondern dass Sie ihn nur woandershin geschickt haben. Die Schüler werden für diese schwarz-grüne Logik sicher viel Verständnis ha
ben. Lassen Sie sich ins Stammbuch schreiben: Ein Leistungskurs mit 28 Leuten ist einfach nicht machbar.
Und das ist erst der Anfang. Meine Damen und Herren aus der Koalition, wenn Sie mit Ihren Abbrucharbeiten fertig sind, werden nur am Lessing-Gymnasium drei Stellen fehlen, also das Doppelte.
Sie zwingen die Schulleiter, mit den genehmigten Stunden zu jonglieren und sie auf alle Jahrgangsstufen zu verteilen, mit dem Ergebnis, dass die Kürzungen schon in den allerersten Gymnasialklassen zu wirken beginnen – und zwar nicht segensreich, sondern katastrophal. Offensichtlich fehlt es Ihnen an der politischen Weitsicht, um die Unterrichtsvielfalt an Hessens Schulen zu erhalten und zu stärken. Wir Freie Demokraten sind der festen Überzeugung, dass das Vorgehen der Hessischen Landesregierung verheerende Folgen für die Bildungslandschaft in Hessen haben wird.
Offensichtlich – und das ist es, was mich besonders enttäuscht, Herr Kollege Boddenberg – ist nicht mehr wie in der vergangenen Legislaturperiode Qualität die Richtschnur hessischer Bildungspolitik, sondern ideologische Lenkung. Hier wird versucht, das Gymnasium klein zu machen. Ich will Ihnen aber sehr deutlich sagen: Wenn Sie das Gymnasium klein machen, machen Sie damit andere Schulen noch lange nicht besser. Wir fordern Sie deshalb auf: Nehmen Sie die Stellenkürzungen unverzüglich zurück.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist schlicht ein schulpolitischer Irrweg, die Schüler in den Gymnasien gegen die Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf und den Vormittagsunterricht gegen die Betreuung am Nachmittag auszuspielen, wie Sie es tun. Ich fordere Sie noch einmal auf: Geben Sie den Gymnasialzweigen die 160 Stellen zurück, die Sie ihnen schon genommen haben, und verzichten Sie darauf, ihnen weitere 155 Stellen zu rauben – dann täten Sie etwas Gutes für das Land.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Herr Degen, Ihr Setzpunkt gibt mir Gelegenheit, unsere enormen Leistungen in der Schulpolitik heute noch einmal ausführlich darzustellen.
Ihr Antrag – Gleiches gilt für den Antrag der FDP – bietet überhaupt nichts Neues. Fast die gleichen Anträge sind hier bereits im September-Plenum ausführlich debattiert worden.
Nichts Neues, Herr Degen, auch in Ihrem Redebeitrag. Ihnen ist nichts eingefallen, außer ein Bild vom Untergang des Abendlandes zu malen und dann auch noch – das fand ich den Gipfel – die Lehrerversorgung von 82 % in der Vergangenheit kleinzureden nach dem Motto: Früher brauchten die Schüler auch keine besondere Förderung. – Dazu fällt mir jedenfalls nichts mehr ein.
Oder diente der SPD-Antrag vielleicht nur dazu, dass Ihr Fraktionsvorsitzender kurz vor der Kommunalwahl in Frankfurt punkten wollte, als er dort Ihren Antrag aus der Tasche zog?
Kein Wort darüber, wie gut angelaufen und segensreich der Pakt für den Nachmittag in Frankfurt und anderen Städten und Kreisen bereits wirkt, kein Wort darüber, wie viele Lehrerstellen die besonders geforderten Schulen in schwierigen Milieus über den Sozialindex erhalten, kein Wort darüber habe ich gehört, dass wir die Sprachkurse für Migranten nicht zulasten der bisherigen Lehrerversorgung einrichten, sondern zusätzlich etwa 800 Lehrerstellen im Haushalt finanzieren.
(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Nein, haben wir nicht! – Zuruf von der SPD: Bei der Wahrheit bleiben!)
Sie wollen die Sorgen der Eltern um ein breites Angebot in den Oberstufen für Ihre politischen Zwecke nutzen, nachdem die Wahlfreiheit in den Gymnasialklassen Ihnen jetzt keine Angriffsfläche mehr bietet.