Protokoll der Sitzung vom 13.03.2014

Dass dies möglich ist, hat der Landkreis Bergstraße bereits bewiesen. Dort wurde im November 2013 ein umfangreicher Bericht für das Jahr 2011 vorgelegt, der mit Anlagen und Tabellen ganze 90 Seiten umfasst. Er förderte z. B. zutage, dass es faktisch 46 verkaufsoffene Sonntage im Landkreis gibt – jeden Sonntag in verschiedenen Städten und Gemeinden.

In einer Presseerklärung vom 14. Januar 2014 begründete die Stellvertreterin des Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Frau Ulrike Scherf, nochmals die Forderung nach einem Sonntagsschutzbericht – ich zitiere –:

Angesichts der derzeitigen Diskussion um die Aufweichung des Sonn- und Feiertagsschutzes in beiden Bundesländern sei es wichtig, zu wissen, wie oft sonntags schon heute Geschäfte öffnen und Menschen regelmäßig arbeiten müssen, so Scherf. „Ein Sonntagsschutzbericht wird zeigen, ob die bisherigen gesetzlichen Regelungen in Rheinland-Pfalz und Hessen den Sonntag ausreichend schützen.“

In einem weiteren Beschluss forderte die Herbstsynode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau 2013 die Landesregierung zur unverzüglichen Rücknahme der Hessischen Bedarfsgewerbeverordnung vom 12. Oktober 2011 auf. Hintergrund dieser Forderung ist die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. September

2013. Darin wurden mehrere großzügige Ausnahmen für die Arbeit an Sonntagen in Hessen für unwirksam erklärt. Nach Auffassung der Richter waren die Bestimmungen in der Verordnung so wesentlich, dass sie nur die Bundesregierung hätte erlassen dürfen. Also eine Riesenklatsche für die Landesregierung und vor allen Dingen für Sie, Herr Minister Grüttner.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Verwaltungsgerichtshof gab damit der Gewerkschaft ver.di und der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau recht. Die Landesregierung, so die Richter, dürfe zwar Ausnahmen von der Sonn- und Feiertagsruhe festlegen, allerdings lasse das Arbeitszeitgesetz derart tief greifende Ausnahmen nicht zu. Dennoch ist die Bedarfsgewerbeverordnung unverändert in Kraft, weil die Landesregierung in Revision gegangen ist.

Herr Minister Grüttner, ich kann mich noch gut an die Debatte zur Bedarfsgewerbeverordnung hier im Landtag erinnern. Schon damals haben nicht nur wir, sondern auch die Gewerkschaft ver.di, die Evangelischen Kirchen und die Allianz für den freien Sonntag detailliert auf die Rechtswidrigkeit Ihres seinerzeitigen Vorhabens hingewiesen. Kritik kam im Übrigen selbst aus Ihrer eigenen Partei, der CDU. Haben Sie wenigstens jetzt die Größe, und ziehen Sie die Verordnung endlich zurück.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. In der Gründungserklärung der Hessischen Allianz für den freien Sonntag aus dem Jahr 2010 heißt es:

In Hessen vollzieht sich seit Jahren eine schleichende Aushöhlung des Sonn- und Feiertagsschutzes. In immer mehr Bereichen wird an Sonn- und Feiertagen gearbeitet. Mit der „Liberalisierung“ des Ladenschlusses haben verkaufsoffene Sonntage sprunghaft zugenommen. Wir sind inzwischen an einem Punkt, an dem alle gesellschaftlichen Kräfte gebündelt werden müssen, um der Aushöhlung des Sonn- und Feiertagsschutzes ein Ende zu setzen.

Deshalb unterstützen wir die berechtigte Forderung nach einem landesweiten jährlichen Sonntagsschutzbericht. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat Herr Abg. Decker für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist weiß Gott nicht zum ersten Mal, dass uns dieses Thema begleitet. Auch in der vergangenen Wahlperiode haben wir mehrfach darüber debattiert. Ich will in dem Zusammenhang an Anträge der SPD-Fraktion erinnern. Unter anderem ging es im letzten Sommer in einer Kleinen Anfrage aus aktuellem Anlass darum, dass ein Obertshäuser Betrieb in unverhältnismäßiger Art und Weise von der Sonntagsarbeit profitiert hat, also Ausnahmegenehmigungen erteilt wurden.

Vor allem erinnere ich an einen Dringlichen Antrag, den wir 2011 eingebracht haben. Wir haben der Landesregierung damals dringend geraten, die Finger von der Neurege

lung der Bedarfsgewerbeverordnung zu lassen. Wir hatten damals schon schlicht und einfach empfohlen, den Entwurf aus zwei Gründen zurückzuziehen, weil die Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen auf das notwendige Maß beschränkt bleiben muss und weil die Freigabe der Beschäftigung an Sonnund Feiertagen für Immobilienmakler, Buchmacher, Videotheken, Telehandel usw. usf. dem von der Verfassung vorgegebenen Ausnahmecharakter in erheblichem Maße widerspricht.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage Ihnen: Hätten Sie damals besser auf uns gehört, wäre Ihnen eine herbe Niederlage vor dem Verwaltungsgerichtshof erspart geblieben, ganz einfach.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Man muss schon feststellen, dass Ihnen der Verwaltungsgerichtshof sehr kräftig auf die Finger gehauen hat, weil er eine zu großzügige Ausnahme von der Sonntagsruhe, z. B. in Callcentern, beim Onlinebanking, im Reisegewerbe bis hin zur Speiseeisherstellung und zum Bierbrauen, für unwirksam erklärt hat. Gleichzeitig hat der VGH der Landesregierung mit dem Urteil auch attestiert, dass sie erheblich über das Ziel hinausgeschossen ist, weil die Bestimmungen in der Verordnung so wesentlich waren, dass sie eigentlich nur die Bundesregierung hätte erlassen können.

Meine Damen und Herren, man könnte auch sagen, es war eine schallende Ohrfeige. Aber lassen wir die Ohrfeige einmal im Saal stehen, und schauen wir ganz gespannt in Richtung Leipzig, was das Bundesverwaltungsgericht entscheiden wird. Sie haben ja Revision eingelegt. Hoffen wir, dass es dazu ein entsprechendes Grundsatzurteil geben wird, das eindeutig sagt, was Ländersache und was Bundessache ist.

Völlig zu Recht sehen sich Gewerkschaften und Kirchen in diesem Urteil bestätigt. Wie mit unserem damaligen Dringlichen Antrag bekräftigen wir auch heute unsere Unterstützung für die Gewerkschaften und die Kirchen im Kampf gegen eine Ausweitung und für eine Begrenzung der Sonnund Feiertagsarbeit.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Der DGB-Bezirk Hessen-Thüringen hat gerade auf seiner Konferenz im Januar in Bad Hersfeld durch entsprechende Beschlüsse mehr als deutlich gemacht, verstärkt für den Schutz und gegen die Aushöhlung der Sonntagsruhe einzutreten. Auch das unterstützen wir hier mit großem Nachdruck. Wir schließen uns dem nicht nur an, sondern wir vertreten wie der DGB die Auffassung, dass es sich als politische Fehlentscheidung erwiesen hat, die Auslegung der Arbeitsgesetzgebung auf die Länderebene zu verlagern. Diese Fehlentscheidung muss zwingend korrigiert werden.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Es ist nicht nur die Frage der Zuständigkeit, warum man etwas korrigiert, sondern man muss auf den Kern des Problems zurückkommen. Der ist ziemlich einfach. Die Lebensqualität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird unter anderem maßgeblich durch die Organisation der Arbeitszeit bestimmt. Ich glaube, das versteht jeder im Saal. Das ist geradezu logisch und zwangsläufig. Dem Sonntag kommt eine große Bedeutung als Zeit des physischen und mentalen Kräftesammelns zu. Er dient dem In

teresse der Familie und natürlich der Pflege sozialer Beziehungen.

Meine Damen und Herren, das, was in Hessen offenbar zur gängigen Genehmigungspraxis geworden ist, scheint uns mehr und mehr in eklatantem Widerspruch zum verfassungsrechtlich geschützten Ausnahmecharakter zu stehen, und das können wir in diesem Hause nicht länger durchgehen lassen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Deswegen treten wir gemeinsam mit den Gewerkschaften und den Kirchen dem Weg mit aller Deutlichkeit entgegen. Die Sonntagsarbeit muss auf das unumgängliche Maß beschränkt bleiben, für das sie eigentlich gedacht war.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Zum Schluss noch eine Anmerkung zum Antrag der Fraktion DIE LINKE. Wir regen an dieser Stelle eine Präzisierung an. Ansonsten würden wir vermutlich von der Landesregierung einen Wust von Daten erhalten, der uns nicht weiterbringt. Wir haben schon darüber gesprochen: Wir wollen nicht wissen, dass die Feuerwehr, die Polizei, die Krankenschwestern und die Omnibusfahrer sonntags arbeiten. Das wissen wir schon. Uns interessieren hier die Ausnahmen

(Hermann Schaus (DIE LINKE): So ist es!)

nach Branchen und wie viele Menschen davon betroffen sind. Wir werden wahrscheinlich erschrocken feststellen, dass es immer mehr geworden sind. Dann sehen wir weiter, und dann haben wir Zeit und Gelegenheit, das ausführlich im Ausschuss zu debattieren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Hermann Schaus (DIE LINKE): Wir machen das im Ausschuss!)

Das Wort hat Herr Abg. Utter für die CDU-Fraktion.

Herr Landtagspräsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Sonntagsschutz ist eine große Errungenschaft des christlich-jüdischen Abendlandes. Ausgehend vom Sabbatgebot des Alten Testaments hat Jesus im Neuen Testament deutlich gemacht, dass dieser Tag den Menschen dienen soll. Seit dem Jahr 321 ist der Sonntag der freie Tag, damals von Kaiser Konstantin im Römischen Reich eingeführt. Allerdings hat sich bis heute die konkrete Ausformung des Sonntagsschutzes sehr unterschiedlich entwickelt und ist auch in den einzelnen Ländern der EU sehr unterschiedlich.

Wenn er ursprünglich einen religiösen Ausgangspunkt hatte, so ist er heute doch weitgehend auch durch kulturelle und gesellschaftliche Gewohnheiten geprägt. Als Beispiel sei hier nur angefügt, dass das im Allgemeinen als sehr streng katholisch bezeichnete Polen mit die großzügigste und freizügigste Ladenöffnung an Sonntagen in Europa hat.

Also: Wenn man einen Vergleich unserer hessischen Regelungen, was den Sonntagsschutz angeht, zieht, dann wird man sie eher als restriktiv bezeichnen müssen. So sind z. B. in Hessen nur vier verkaufsoffene Sonntage pro Jahr

und Kommune zulässig. In anderen Bundesländern sind es durchaus mehr.

Ich halte diese Regelung in ihrer Begrenzung für richtig, auch wenn besonders der Einzelhandel immer wieder sagt, dass die Konkurrenz durch das Internet und den Onlinehandel beständig wächst. Aber ich glaube, eine Ausweitung der Öffnungszeiten auf den Sonntag hilft da leider auch nicht weiter. Ein Beispiel ist eine hessische Erfahrung, die wir gemacht haben – das muss ich jetzt leider der FDP sagen: Wir haben die Öffnung der Videotheken am Sonntag erlaubt, auf Anraten und Hoffen, weil die Branche sagte, das sei für ihr Überleben wichtig. Aber wir stellen fest: Eine Videothek nach der anderen muss trotzdem schließen, weil die Technik eine andere ist. Die Leute leihen praktisch nicht mehr in der Videothek aus, sie machen das alles online.

Es wird jetzt behauptet, dass sich besonders in Hessen der Zustand ausweiten würde. Das kann ich überhaupt nicht feststellen. Die Ausnahmebewilligungen werden eher restriktiv gehandhabt. Traditionell gibt es natürlich Berufe, die am Sonntag arbeiten müssen. Das ist schon so alt wie das Edikt von Kaiser Konstantin. Ausnahmen sind die Landwirtschaft, Ärzte oder andere Berufe. Besonders umstritten ist aber natürlich immer wieder die Frage des Handelns am Sonntag.

Die Begründung im Antrag der LINKEN, dass es in den letzten Jahren zu einer unkritischen Genehmigungspraxis gekommen sei, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Na ja, es gibt Entscheidungen in Darmstadt, in Frankfurt, in Gießen usw.!)

Ja, aber da zeigt sich doch wunderbar, wie gut das System funktioniert.

(Lachen bei der LINKEN – Hermann Schaus (DIE LINKE): Muss man immer erst klagen?)

Das funktioniert wunderbar. Das ist sehr begrenzt mit vier Ausnahmen im Jahr, und die sind auch noch an besondere lokale Ereignisse gekoppelt. Die Gerichte haben deutlich gemacht, dass sie es genau überwachen und kritisch sehen. Sie haben deutlich gesagt, dass man nicht alles machen kann. Das finde ich richtig und gut. Dazu kommt noch die Besonderheit bei uns in Hessen, dass wir besondere Feiertage und auch die Adventszeit besonders schützen.

Wir begrüßen ausdrücklich die Initiativen von Kirchen, die sich für den Sonntagsschutz einsetzen.

(Beifall bei der CDU)

Die neue Landesregierung, getragen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, hat auch keine Absicht, an unserer Linie zum Sonntagsschutz etwas zu verändern. Wir wollen Sonntags- und Feiertagsschutz in Hessen in seiner restriktiven Form beibehalten.