Protokoll der Sitzung vom 21.04.2016

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wenn wir uns Ihren Antrag anschauen, dann muss ich leider feststellen, dass Sie die Berichte zu den von Ihnen selbst gestellten Berichtsanträge anscheinend nicht aufmerksam studiert haben; denn einige der Punkte, die Sie in Ihrem Antrag heute vorschlagen, sind bereits verwirklicht worden. Das wurde auch zu Ihrem Berichtsantrag Drucks. 19/369 schon erklärt.

Wenn Sie z. B. heute fordern, dass das Thema Verankerung in den Lehrwerken finden soll, dass es in der Lehrerausbildung implementiert werden soll, dass es in der Lehrerfortbildung stattfinden soll, dann verweise ich auf diesen Berichtsantrag, der Ihnen am 31. Juli 2014 beantwortet wurde. Das hätten Sie besser wissen können. Von daher würde ich diesbezüglich um etwas mehr Sorgfalt bitten. Auch an dieser Stelle zeigt sich, dass die Landesregierung hier auf einem sehr guten Weg ist.

(Zurufe der Abg. Timon Gremmels (SPD) und Michael Boddenberg (CDU))

Herr Gremmels, ich glaube, Sie sollten schon ein bisschen in das Thema einsteigen, bevor Sie dazwischenrufen.

(Timon Gremmels (SPD): Ach, Herr May! – Zurufe der Abg. Alexander Bauer (CDU) und Michael Siebel (SPD))

Wie ich am Anfang feststellen wollte – ich denke, das ist auch der Fall –, haben wir in den Zielen in diesem Politikfeld eine große Einigkeit. Jedoch ist dann in den Einzelmaßnahmen, die Sie vorschlagen, sicherlich noch Diskussionsbedarf. Das eine oder andere, was dort vorgeschlagen wurde, ist für mich nicht unmittelbar eingängig, beispielsweise warum zu bestimmten Sachverhalten eigene hessische Untersuchungen stattfinden sollen.

Sie müssten schon erklären, ob es dafür Anhaltspunkte gibt, dass es in Hessen eine besondere Sachlage gibt, die abweichend von dem Gesamtkontext ist. Das müssten Sie darstellen. Auch bei der Frage, ob dieses Beauftragtenwesen nicht aus einem Querschnittsthema wieder ein Nischenthema macht, habe ich noch Erörterungsbedarf.

Von daher schließe ich mich dem an, was Sie zum Schluss gesagt haben, dass ich mich an dieser Stelle auf Ihre Ausführungen im Ausschuss freue. Aber ich glaube, dass Ihr Antrag insofern schon einmal eine Bereicherung war, als wir als Landtag noch einmal feststellen können, dass in dem Bereich von Integration, Inklusion, Akzeptanz und Vielfalt eine hohe Einigkeit in diesem Hause besteht. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Für die FDP hat Kollege Greilich das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Degen hat schon darauf hingewiesen, so ganz frisch ist der Antrag nicht mehr, der hier vorliegt. Er stammt vom 11. Februar 2015. Die Liegezeit hat ihm insofern ein Stück weit gutgetan, als die Koalition die Zeit, die sie offensichtlich brauchte, nutzen konnte.

Man hat bis zum heutigen Vormittag gebraucht, um den ansonsten zwingend erforderlichen Gegenantrag – das Verfahren kennen wir – hier auch vorzulegen. Ich muss sagen, häufig muss man bei dieser Koalition feststellen, was lange währt, wird dadurch noch lange nicht gut. Das ist auch nicht an allen Stellen so. Aber man hat sich durchaus Mühe gegeben.

Ich muss sagen, wenn ich die ersten drei oder vier Punkte Ihres heute vorgelegten Antrags lese, könnte man es eigentlich dabei bewenden lassen. Dort steht:

Die freie Entfaltung der Persönlichkeit und volle gesellschaftliche Teilhabe setzen voraus, dass jeder Mensch ungeachtet seiner ethnischen Herkunft, Religion, Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, seines Geschlechts oder seiner sexuellen und geschlechtlichen Identität gesellschaftliche Akzeptanz erfährt und sein Leben ohne Beeinträchtigungen und Diskriminierungen gestalten kann.

Meine Damen und Herren, ich denke, das ist ein Satz, hinter dem wir uns alle versammeln können. Wenn ich mir die Punkte 2, 3, und 4 dieses Antrags anschaue, sollten wir ernsthaft überlegen, ob wir uns nicht auf dieser Basis – vielleicht hat der eine oder andere noch ein paar Anregungen, wie man das noch etwas weiter zusammenführen kann – hinter diesem Text versammeln und sagen können, das ist in der Tat eine Position des Hessischen Landtags, die sich sehen lässt und mit der man dem Problem bzw. der Fragestellung gerecht wird.

Ich muss sagen, die Anträge im Übrigen haben dann wieder Probleme. Wenn ich mir den SPD-Antrag anschaue, sehe ich dort die typische Neigung. In dem CDU-Antrag wird dann angefangen, die übliche Lobhudelei der Landesregierung vorzunehmen, die Beweihräucherung für das, was man schon getan hat oder wozu man nur gesagt hat, dass man es tun will und noch ein bisschen etwas vorhat.

(Holger Bellino (CDU): Sprechen Sie aus eigener Erfahrung?)

Der SPD-Antrag dagegen ist weniger Beweihräucherung; dort sind der Drang und der Wunsch nach mehr Bürokratie und mehr bürokratischem Aufwand die treibende Kraft. Ich sehe, dass man zusätzliche Erhebungen haben will, dass man die Erstellung von Nachweisen durch Schulleitungen über erfolgte Maßnahmen haben will. Wir haben uns heute früh unter anderem darüber unterhalten, dass man die Selbstständigkeit der Schulen fördern und die ständige Kontrolle von außen eher reduzieren will.

(Zurufe der Abg. Marius Weiß und Christoph Degen (SPD))

Das sind Punkte, zu denen ich einfach sage, das ist die Handschrift der Sozialdemokraten. Bürokratie, Kontrolle, kein Vertrauen für die, die vor Ort tätig sind. Das ist nicht untypisch. Genauso sind es auch die hier geforderten wissenschaftlichen Untersuchungen und Studien. Eine empirische Untersuchung mit dem Fokus Vorurteils- und Toleranzforschung ist grundsätzlich natürlich von wissenschaftlichem Interesse. Das kann auch Handlungsempfehlungen für Schulen und/oder pädagogisches Handeln nach sich ziehen.

Aber es gibt, wie Sie wissen – Herr Degen, Sie wissen es bestimmt –, auch heute schon vereinzelt Studien, die auf diese Thematik abzielen. Vor diesem Hintergrund ist dann eine geforderte Studie kaum leistbar, die alle Schulen, somit alle Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler einbeziehen soll und weiter die jeweiligen Rahmenbedingungen der jeweiligen Schule eingehend beleuchten müsste.

Ich sage eines sehr deutlich: Ein derartiges Forschungsprojekt könnte zwar vor Ort durchaus von den Hochschulen angestoßen werden, wenn sie das im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit für richtig halten. Aber die Forderungen, die sich aus Ihrem Antrag ergeben, erfordern solche personellen Ressourcen, dass ich einfach sage, diese Ressourcen sollten wir einsetzen, um die eigentlichen Ziele umzusetzen, um weiterzukommen mit der Schaffung einer entsprechend toleranten Gesellschaft.

Deswegen wäre mein Vorschlag, dass wir uns im Ausschuss bemühen, die grundsätzlichen Aussagen, meines Erachtens am ehesten auf der Grundlage der Punkte 1, 2, 3 – meinetwegen auch noch 4 – des Koalitionsantrags, zu

sammenzuführen und ansonsten den unnötigen Ballast beider Anträge zur Seite zu schieben.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. – Für DIE LINKE spricht Frau Kollegin Cárdenas.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Dieser Antrag fordert nicht mehr, als dass die hehren Versprechungen der Koalition, wie sie auch Kollege May gerade wiederholt hat, endlich ausreichend realisiert und evaluiert werden.

Wie Homosexualität, Bisexualität, Trans- und Intersexualität im Sexualkundeunterricht behandelt werden, sollte tatsächlich wissenschaftlich fundiert beraten werden. Ehrlich gesagt, sehe ich das Problem auch weniger in den Schulen als in den Elternhäusern und dem dortigen Umgang mit dem Thema Sexualität. Aber wir sind uns sicher einig: Ein offener und akzeptierender Umgang mit diesem Thema im Schulunterricht kann dazu beitragen, das eine oder andere Vorurteil abzubauen und einen von Respekt und Akzeptanz geprägten Umgang miteinander zu schaffen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Besonders während der Pubertät hat dieser Unterricht für die Jugendlichen oft eher Eventcharakter, und es kann ebenso sein, dass die Wirkung bei den Schülerinnen und Schülern nicht in allen Fällen ausreichend nachhaltig ist. Aber für viele ist dieser Unterricht doch eine notwendige, manchmal sogar die einzige, ernst zu nehmende Informationsquelle.

Er ist zugleich ein Signal an die Elternhäuser; er ist sowohl ein Signal an die Welt dort draußen als auch ein Signal nach innen, an die Schülerinnen und Schüler. Er ist ein Signal in dem Sinne: Seht her, das sind unsere offiziellen Lernziele. Zu diesen Überzeugungen steht unser Staat, und jede und jeder Jugendliche hat bei uns das Recht auf ihre bzw. seine eigene sexuelle Orientierung.

(Beifall bei der LINKEN)

Das kann und muss Einzelnen Mut machen, und es kann der Diskriminierung, die auch an unseren Schulen noch gang und gäbe ist, etwas entgegensetzen. Schaden kann er auf keinen Fall, wie es sehr traditionelle Elternhäuser manchmal befürchten.

Auch ich halte das Etablieren eines oder einer Verantwortlichen für Vielfalt an mehrzügigen Schulen für sinnvoll. Allerdings muss ich darauf hinweisen, dass dafür zusätzliche Ressourcen notwendig sein werden; denn wir können den hessischen Lehrerinnen und Lehrern nicht immer mehr Verantwortlichkeiten aufbürden. Zudem muss eine fundierte Weiterbildung zugrunde gelegt werden, die ich gern vorab erläutert bekommen hätte. Richtig und wichtig war mir, dass in Punkt 3 Vielfalt neben der Sexualität auch andere Lebensmerkmale wie Glaube, Behinderung oder Alter umfasst. Gerade in puncto des Glaubens wird es in den nächsten Jahren wichtig sein, ein friedliches Nebeneinander aufgrund des Wissens und der Akzeptanz des jeweils anderen Glaubens oder auch der Nichtgläubigkeit zu eta

blieren und zu sichern. Dafür sollten wir gemeinsam noch andere Instrumente entwickeln. Das ist meine Überzeugung.

Wie gesagt, der Antrag ist gut und richtig. Gut finden wir auch die Einführung eines Gütesiegels. Wir unterstützen also ein solches Vorhaben, möchten aber vor der Benennung eines Schulverantwortlichen vor allem mit den Lehrerinnen und Lehrern sowie ihren Interessenvertreterinnen und -vertretern sprechen, um ihnen nicht wieder eine Mehrbelastung von oben herab zu diktieren. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Minister Prof. Dr. Lorz. Bitte schön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Diese Landesregierung sieht sich in der Verantwortung, die freie Entfaltung der Persönlichkeit jedes Einzelnen zu fördern und sich für ein offenes, diskriminierungsfreies und gegenseitig wertschätzendes Leben aller Menschen in Hessen einzusetzen. CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben schon in der Koalitionsvereinbarung festgehalten, dass jeder Mensch, ausdrücklich ungeachtet seiner sexuellen und geschlechtlichen Identität, gesellschaftliche Akzeptanz erfahren und sein Leben ohne Benachteiligungen und Diskriminierungen gestalten können soll. Das Hessische Schulgesetz hält das übrigens schon heute als Bestandteil des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule fest.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

In § 2 heißt es, dass die Schulen die Schülerinnen und Schüler befähigen sollen, „die Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Achtung und der Toleranz zu gestalten“ und insbesondere „Menschen anderer Herkunft, Religion und Weltanschauung vorurteilsfrei zu begegnen und so zum friedlichen Zusammenleben … beizutragen“.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen verständigen sich Schulen beispielsweise im Rahmen von Schulprogrammen schon längst über gemeinsame Werte, thematisieren ethisch-moralische Fragestellungen im Unterricht und vermitteln ihren Schülerinnen und Schülern überfachliche Kompetenzen, die wir im Rahmen der neuen Bildungsstandards ausformuliert haben. Das ist die allgemeine Grundlage.

Aber auch wenn wir den Antrag der SPD im Detail durchgehen, stellen wir fest, dass er eigentlich in allen Punkten entweder nicht sinnvoll ist oder schon längst im positiven Sinne von der Realität an unseren Schulen und den Aktivitäten der Landesregierung überholt wird.

(Günter Rudolph (SPD): Ach du lieber Vater!)

Den Auftrag, Schülerinnen und Schüler in ihrer Individualität anzunehmen und ihre Persönlichkeit auch im Hinblick auf die Vielfalt ihrer Lebensweisen zu unterstützen, haben unsere Schulen längst angenommen. Das Land Hessen hat beispielsweise die Charta der Vielfalt unterzeichnet und

sich damit klar gegen jede Form von Diskriminierung positioniert. Das ist auch Bestandteil der täglichen Arbeit unserer Schulen – durch eine entsprechende werteorientierte Schulkultur, durch die Förderung sozialer Kompetenzen im Umgang miteinander.

Vonseiten der Landesregierung haben wir diverse konkrete Präventionsprogramme, um beispielsweise wirksam gegen Mobbing vorzugehen. Frau Abg. Cárdenas, das ist tägliches Geschäft; das sind keine leeren Versprechungen. Ich nenne beispielsweise ein Projekt wie Gewaltprävention und Demokratielernen; ich nenne das Konzept Prävention im Team; ich nenne Programme wie buddY oder Faustlos, das Netzwerk gegen Gewalt oder auch die neue Initiative mobbingfreie Schule. Die Landesregierung ist der Koalition gegen Diskriminierung beigetreten und erarbeitet gerade unter Beteiligung aller Betroffenen einen Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt. Das finden Sie in dem Antrag der Regierungsfraktionen. Ich bin Abg. Degen dankbar, dass er dies auch in seiner Rede erwähnt hat. Ich möchte Staatssekretär Dreiseitel auch ganz persönlich dafür danken, dass er sich dies zur Aufgabe gemacht hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Meine Damen und Herren, in der Lehrkräfteakademie besteht eine Arbeitsgruppe, die das Thema Vielfalt speziell für Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst aufbereitet. Wir verankern das Thema auch in Fortbildungen für Lehr- und Führungskräfte und bauen unsere Beratungsangebote aus. Durch all das bekommen Schulen schon heute im wahrsten Sinne des Wortes vielfältige Unterstützung. Das bringt mehr als ein neues Gütesiegel. Deswegen müssen wir ihnen auch nicht die Einsetzung eines speziellen Vielfaltsverantwortlichen vorschreiben. Vielfalt ist eine Aufgabe und Verpflichtung für alle in einer Schulgemeinde.