Protokoll der Sitzung vom 19.05.2016

Ich will jetzt einmal den Kollegen Sozialminister – meinen Lieblingsminister –

(Zurufe von der CDU: Oh!)

fragen, ober er es nicht als eine unglaubliche Provokation empfindet, hier so unter Wert verkauft worden zu sein, wie es die Anlage dieses Tagesordnungspunkts nahelegt.

(Beifall bei der SPD – Manfred Pentz (CDU): Der hält das aus!)

Andererseits ist es gut – jetzt kehre ich sozusagen zum ersten Teil meiner Empfindungslage zurück –, dass es nur zehn Minuten sind; denn wenn es die Absicht war, mithilfe dieses Setzpunkts eine konsistente, zusammenhängende und umfassende Debatte über Sozialpolitik, ihre Aufgaben, ihre Instrumente und ihre Finanzierung in diesem Land zu führen, ist man deutlich zu kurz gesprungen. Das, was wir hier – insbesondere unter Punkt 2 – vorgelegt bekommen haben, ist eine Aneinanderreihung von Gemeinplätzen, von Ladenhütern, von Selbstverständlichkeiten und von Renommierprojekten. Kurzum, es ist ein Sammelsurium ohne jeden roten Faden.

Jetzt wollen wir uns einmal der Sache im Einzelnen widmen. Zum wiederholten Mal wird das Sozialbudget erwähnt. Das ist das Renommierprojekt schlechthin. Damit auch ich einmal dieses Wort in diesem Saal benutze: Es ist sozusagen die Monstranz,

(Heiterkeit bei der SPD)

die man ständig vor sich herträgt – um nicht den beliebten Versprecher „wie ein Mantra vor sich herträgt“ anzubringen. So komme ich in meiner eigenen Sammlung auch einmal vor.

(Heiterkeit bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Zahlen werden aber nicht dadurch richtiger, dass man sie wiederholt. Sie haben ein Sozialbudget in der Höhe von 70 Millionen € ausgewiesen. Ich wiederhole es: Diesen Betrag von 70 Millionen € haben Sie nur erreicht, indem Sie eine ganze Reihe von Maßnahmen, die es schon lange gibt und die insofern nichts Neues sind – Stichwort: Ladenhüter –, vorher aber nicht dort hineingehörten, mit eingerechnet haben. Dazu gehören 24 Millionen € für das Arbeitsmarktprogramm, 3 Millionen € für das bürgerschaftliche Engagement, 1,2 Millionen € für die medizinische Versorgung sowie Mittel für die Sprachförderung im Kindergarten und für Integrationsmaßnahmen.

Dagegen wäre im Prinzip nichts einzuwenden,

(Michael Boddenberg (CDU): Das ist schon mal gut!)

wenn man dieses Geld vor sich selbst in Sicherheit brächte. Das angeblich Neue ist ja, dass man sagt: Da wollen wir nicht kürzen. – Das ist okay. Aber es ist in weiten Teilen eine Mogelpackung. Bei den anderen Teilen komme ich darauf zurück.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Herr Kollege Boddenberg, Sie haben z. B. die Kürzungen im Zuge der unseligen „Operation düstere Zukunft“, d. h. die Kürzungen bei der Obdachlosenhilfe, bei der Erziehungsberatung, bei der Migrationsberatung und bei vielem anderen, nicht zurückgenommen. Insofern ist der Erfolg an dieser Stelle – das ist das Mindeste, was man sagen kann – längst nicht so groß, wie es hier dargestellt wird.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Zu Punkt 2. Ich stelle fest, dass es in dieser Legislaturperiode bei der Finanzierung der Kinderbetreuung außer dem Ausgleich für die Kosten der Einzelintegration behinderter Kinder im Grunde kein zusätzliches Geld für die Kinderbetreuung gegeben hat, sondern wir sind auf dem Stand der letzten Legislaturperiode. Zu diesem Stand will ich wieder einmal darauf hinweisen, dass das meiste dieses Geldes eben keine originären Landesmittel sind. Man muss manchmal auf einen Ladenhüter mit einem Ladenhüter antworten – nur dass meiner eher der Realität entspricht als Ihrer.

(Beifall der Abg. Heike Hofmann (SPD))

Wir halten fest: In der Summe der 460 Millionen €, die hier für Kinderbetreuung ausgewiesen sind und die von Ihnen immer wieder hervorgehoben werden, sind weniger als 50 Millionen € originäre Landesmittel drin.

Zu 2 c. Seit 2008 gibt es die Entwicklung von Familienzentren. Dass man sich das nun in einem Antrag, einem Setzpunkt, der GRÜNEN als eigene Leistung anrechnet, finde ich schon ein bisschen dreist. Das würde ich mir, wenn ich die CDU-Kolleginnen und -Kollegen einmal anschaue, übrigens verbitten.

Es ist im Übrigen so – auch darüber haben wir hier bei anderer Gelegenheit schon einmal diskutiert –, dass die Entwicklung der Familienzentren ein wenig stockt und die

Zahlen längst nicht mehr so ansteigen, wie Sie sich das vielleicht einmal gedacht und wie wir es uns auch gewünscht haben; Sie werden sich daran erinnern, dass wir dieses Konzept immer begrüßt haben. Wir würden uns allerdings auch wünschen – das kommt bei einem anderen Punkt auch wieder, nämlich dem übernächsten –, dass es einmal eine anständige Evaluation dessen gäbe, was wir dort tatsächlich vorfinden, sowie dessen, ob die Leistungen und die Effekte, die wir uns davon versprochen haben, tatsächlich eingetroffen sind.

Hier wird einfach nur behauptet, dass es eine Erfolgsgeschichte ist, und es wird im Wesentlichen quantitativ belegt. Aber im Übrigen wird der Eigenbeitrag der Kollegen von den GRÜNEN an dieser Stelle auch fehlen. Das gilt in besonderer Weise für die Familienkarte. Ich habe hier noch eine Rede des Kollegen Bocklet zur Familienkarte. Aber ich spare mir das jetzt. Sie haben eine Vorstellung davon, was er einmal gesagt haben könnte, als er noch nicht der höheren Weisheiten einer Regierungsfraktion teilhaftig war – also irgendwann vor dem Krieg.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

Herr Minister, Vorsicht, Ihr Ironie-Detektor hat versagt. Das finde ich besonders charmant, dies als GRÜNE erstens als Erfolg zu werten und sich diesen zweitens auch noch an die eigene Fahne zu heften und das auch noch als neu zu verkaufen – nach dem Motto: „Wir haben dieses und jenes auf den Weg gebracht.“ An der Stelle und an vielen anderen Stellen in dem Antrag wird man davon nicht reden können.

Zu 2 d, Ganztagsschulen. Wir haben das Thema auch heute früh diskutiert. Der Ausbau der Ganztagsbetreuung ist nicht identisch mit dem Ausbau der Ganztagsschulen. Auch das werde ich zu betonen nicht müde, wohl wissend, dass der Ausbau der Betreuung auch eine notwendige Aufgabe ist. Das wird ja nicht bestritten. Was aber nach wie vor von mir und von vielen anderen bestritten wird, ist, dass der Pakt für den Nachmittag das geeignete Mittel dafür ist. Wenn wir heute gehört haben, 120 Schulen nach zwei oder drei Jahren

(Unruhe auf der Regierungsbank)

Herr Kultusminister, wenn Sie mir Ihr Ohr leihen –, dann wird man jetzt nicht sagen können, dass das geradezu explosionsartig wäre, und man wird nicht sagen können, dass man in dem Tempo einer Garantie für Nachmittagsbetreuung am Ende der Legislaturperiode tatsächlich näher gekommen sein wird. – Das war das, was Sie versprochen haben.

(Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jeder, der möchte, kann! Das ist eine Garantie!)

Davon wird man so nicht sprechen können. Es drängt sich also die Auffassung auf, dass die schulpolitischen Punkte hier nur aufgenommen worden sind, damit die Bilanz nicht ganz so mager ausfällt, wie sie sonst ausgefallen wäre. Sonst wären Sie noch nicht einmal auf neun Punkte gekommen – normalerweise hat man ja zehn in diesen berühmten Zehnpunktepapieren.

Zum Bündnis für das Gesamtsprachförderkonzept. Da will ich durchaus loben. Ich habe noch einmal einen Blick in das Gesamtkonzept des Landes geworfen, das ich theoretisch sehr ambitioniert finde, das aber in seiner konkreten Ausgestaltung, nämlich in der Abfolge der verschiedenen

Maßnahmen, sicherlich noch in puncto Konsistenz und Aufeinander-Abgestimmt-Sein zu wünschen übrig lässt.

Im Übrigen will ich an der Stelle auch daran erinnern, dass wir einmal eine für mich vollkommen unverständlich heftige Debatte darüber geführt haben, ob es notwendig und wünschenswert wäre, eine Gesamtevaluation aller Sprachfördermaßnahmen in diesem Land durchzuführen, wie es von vielen Experten beispielsweise in der Enquetekommission „Integration und Migration“ angemahnt worden ist, was ich hiermit auch erneut tue.

Ich könnte jetzt noch etwas zu der Frage des Bündnisses für Ausbildung sagen. Ich will vielleicht nur kurz sagen, dass wir von den im Bündnis für Ausbildung von der Wirtschaft zugesagten 1.500 zusätzlichen Ausbildungsstellen gerade einmal 860 haben und wir das Ziel, am Ende der Legislaturperiode höchstens 10.000 Schülerinnen und Schüler in den Übergangsbereich einmünden zu lassen, nicht übermäßig ehrgeizig finden. Das wären 18 % eines Jahrgangs. Das ist eigentlich deutlich zu viel und als Zielsetzung für die Chancengleichheit junger Menschen deutlich zu wenig.

Meine Damen und Herren, ich will in der verbleibenden Zeit etwas dazu sagen, was nötig wäre. Nötig wäre eine deutliche Erhöhung der originären Landesmittel für die Kinderbetreuung. Nötig ist die Beitragsfreiheit der Kita, zumindest ein erster weiterer Schritt in diese Richtung. Nötig ist ein konsequenter Ausbau des Ganztagsschulsystems. Nötig ist eine Stärkung der dualen Ausbildung mit verbindlichen Vereinbarungen mit der Wirtschaft und zusätzlichen Ausbildungsplätzen. Nötig ist ein effektives und angemessen ausgestattetes Programm gegen Langzeitarbeitslosigkeit. Nötig sind zumindest eine Ergänzung zu der blanken Kommunalisierung von sozialen Hilfen und eine Verstärkung der Steuerung durch das Land, auch der strukturellen Steuerung durch das Land.

(Beifall der Abg. Lisa Gnadl (SPD))

Herr Kollege, Sie müssen dringend zum Ende kommen.

Letzter Satz: Nötig ist die Rücknahme der 2003 vorgenommenen Kürzungen in der Obdachlosenhilfe, der Erziehungsberatung, der Migrationsberatung, und nötig wäre ein Wort zur Pflege sowie zur Krankenhaus- und zur gesundheitlichen Versorgung gewesen. Das fehlt vollständig. Sie sind hinter Ihrem Anspruch kläglich zurückgeblieben. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Das ist eine gute Gelegenheit, jetzt einmal zu sagen: Ich habe den Eindruck – das beobachte ich schon den ganzen Vormittag –, dass die Redezeitdisziplin heute etwas zu wünschen übrig lässt. Ich würde bitten, dass die folgenden Redner das etwas stärker im Blick behalten als so mancher, der heute schon gesprochen hat.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Ansonsten ist noch eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion der FDP betreffend echter Neustart in der Glücksspielregulierung statt Flickschusterei an gescheitertem Staatsvertrag, Drucks. 19/3414. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Entschließungsantrag Tagesordnungspunkt 74 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, mit Tagesordnungspunkt 15 zu diesem Thema aufgerufen werden. – So wird verfahren.

Wir fahren in der Debatte fort. Als nächster Redner spricht Herr Dr. Bartelt für die Fraktion der CDU. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sozialpolitik hält die Menschen zusammen. Der Koalitionsvertrag formuliert – Herr Bocklet hat es bereits gesagt –: „Wir wollen allen Menschen die Chance geben, ihr Leben selbst aktiv zu gestalten.“ Eine solche Sozialpolitik grenzt niemanden aus, sondern schafft Chancengleichheit für alle, unabhängig von sozialer Herkunft, Alter, Geschlecht und kulturellem Hintergrund.

Gesellschaft und Staat müssen derzeit die Herausforderung der Aufnahme und Integration der Flüchtlinge bewältigen. Hessen hat hier Beachtliches geleistet. Gleichermaßen müssen in Hessen ansässige Menschen, die unsere Hilfe benötigen, die Sicherheit haben, dass auch für sie die sozialen Leistungen fortgesetzt und weiterentwickelt werden. – Sie können sich bei uns sicher sein. Meine Damen und Herren, das ist auch die wesentliche Botschaft dieses Antrags.

(Zurufe von der LINKEN)

Die Förderung von Menschen in schwierigen Lebenslagen und das Ermöglichen ihrer Teilnahme an der Gemeinschaft sind auch Prävention gegen Anfälligkeit gegenüber rechtspopulistischen Stimmungslagen und entsprechender Stimmungsmache. Deshalb ist der Setzpunkt der GRÜNEN gut gewählt. Er ist keine Weihrauchschwenkerei, und es sind keine Ladenhüter, sondern es sind Botschaften in einer schwierigen Situation unseres Landes.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist ein Signal an Menschen, dass das Land Hessen sie nicht zurücklässt, und es sind der Dank und die Anerkennung an Kommunen, Wohlfahrtsverbände und alle ehrenamtlich Tätigen. Die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben das Sozialbudget für freiwillige Leistungen des Landes um 35 % auf 70 Millionen € erhöht. Durch Festschreibung dieser Landesmittel erhalten Kommunen und Träger unabhängig von Konjunkturlage und Schuldenbremse Planungssicherheit. Sicherlich sind einige Dinge dabei, die bisher in anderen Haushaltstiteln vertreten waren. Es bleibt aber die Erhöhung um 35 %, und es bleibt die Planungssicherheit trotz Schuldenbremse.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Hiervon werden 19 Millionen € den Kreisen und kreisfreien Städten für Schuldnerberatung, Frauenhäuser und Opfer sexueller Gewalt zur Verfügung gestellt – für Menschen, die diese Hilfe dringend benötigen. Sie stehen oft im Schatten der Öffentlichkeit. Die Lebenssituationen sind ta