Protokoll der Sitzung vom 22.06.2016

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Damit sind wir am Ende der ersten Lesung.

Zur Vorbereitung der zweiten Lesung verweisen wir den Gesetzentwurf an den Haushaltsausschuss.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der FDP für ein Gesetz zur Verminderung des Unterrichtsausfalls durch Lehrerfortbildung und zur Verbesserung der Lehrerfortbildung in der unterrichtsfreien Zeit – Drucks. 19/3478 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt siebeneinhalb Minuten. Das Wort hat der Kollege Greilich von der FDP-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frau Präsidentin hat den Titel des Gesetzentwurfs schon genannt; er ist Programm. Es geht um die Verbesserung der Unterrichtsqualität durch eine verstärkte Lehrerfortbildung und durch eine Verringerung des Unterrichtsausfalls. Ich sage das schon eingangs so deutlich, weil im Vorfeld der eine oder andere gemeint hat, der Gesetzentwurf sei gegen die Lehrer oder gegen Interessen der Lehrer gerichtet. Das Gegenteil ist der Fall. Es geht darum, eine bessere Fortbildungssituation für die Lehrer zu schaffen, und es geht darum, die Kultusbürokratie zu wecken und daran zu erinnern, dass Gesetze auch für die Kultusverwaltung gelten und von ihr zu beachten sind.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir wollen die Angebote des Landes für die Lehrerfortbildung im Interesse der Lehrerinnen und Lehrer verbessern und dabei gleichzeitig einen Beitrag zur Verringerung des Unterrichtsausfalls leisten. Deswegen wollen wir den schon existierenden Gesetzesbefehl verstärken, wonach Fortbildungsveranstaltungen im Regelfall in der unterrichtsfreien Zeit stattfinden sollen. Zur Erläuterung, damit es nicht zu Missverständnissen kommt: „Unterrichtsfreie Zeiten“ sind nach der Definition des Kultusministeriums nicht etwa nur die Wochenenden oder die Ferien, sondern „unterrichtsfreie Zeit“ ist an jedem Arbeitstag die Zeit ab 14 Uhr, obwohl es in der Praxis so ist, dass der Umfang des Nachmittagsunterrichts an verschiedenen Schulformen durchaus zunimmt.

Die Umsetzung unseres Vorhabens würde den Unterrichtsausfall in Hessen um ca. 340.000 Stunden verringern. Bei einer durchschnittlichen jährlichen Unterrichtsleistung von 950 Stunden pro Lehrer würde das „nebenbei“, ohne zusätzliche Kosten für den Landeshaushalt, ein Unterrichtsvolumen im Gegenwert von ca. 370 Vollzeitlehrerstellen für unsere Schülerinnen und Schüler freisetzen. Ich habe mit Interesse gelesen, dass zwar nicht der Minister selbst, aber ein Sprecher seines Hauses uns gleich erklärt hat, die Zahlen seien falsch, das könne alles gar nicht sein. Ich werde es Ihnen nachher aber vorrechnen. Wir haben die Zahlen des Kultusministeriums herangezogen. Wenn man dann einfache Rechenregeln anwendet, kommt man eben zu diesem Ergebnis.

(Beifall bei der FDP)

Ich will eingangs an das erinnern, was geltendes Recht ist. § 66 Abs. 4 Satz 1 des Hessischen Lehrerbildungsgesetzes lautet: „Die Fortbildung soll in der unterrichtsfreien Zeit stattfinden.“ – Der Herr Minister wird mir als gelernter Jurist zustimmen: Man sagt flapsig, „soll“ heißt „muss“. Wenn es also keine konkreten Begründungen für Ausnahmen gibt, dann ist das ein Gesetzesbefehl, der strikt zu befolgen ist, und zwar – das sage ich sehr deutlich – auch von der Kultusbürokratie im Lande Hessen.

(Beifall bei der FDP)

Regelmäßig werden Fortbildungsveranstaltungen in der Unterrichtszeit angeboten. Das hindert viele Lehrerinnen und Lehrer daran, in notwendigem Umfang an Fortbil

dungsveranstaltungen teilzunehmen, weil sie nicht gleichzeitig ihren Unterricht halten und Unterrichtsausfall vermeiden können, wie sie das gern tun würden. In Gesprächen mit Lehrerinnen und Lehrern – weniger in Gesprächen mit Vertretern ihrer Verbände – wird immer wieder beklagt, dass man guten Gewissens an sich notwendige Fortbildungsveranstaltungen nicht wahrnehmen kann, weil diese mit dem Wunsch kollidieren, einen guten, vollständigen Unterricht zu leisten.

Ich wiederhole es: Unsere Zielrichtung, die Zielrichtung des Gesetzentwurfes ist die Anbieterseite – speziell das Kultusministerium und die nachgeordneten Institutionen –, weil diese Praxis, Fortbildungsangebote zu machen, in doppelter Hinsicht eine Belastung der Unterrichtsqualität darstellt.

Herr Minister, die von mir genannten Zahlen lassen sich auf der Grundlage Ihrer Antwort auf eine meiner Kleinen Anfragen ermitteln. Wer Lust hat, kann mitrechnen, entweder im Kopf oder mit einem Taschenrechner. Nach Ihrer Auskunft nehmen jährlich 89.759 Lehrerinnen und Lehrer an Fortbildungsveranstaltungen teil. Diese Fortbildungsveranstaltungen dauern nach Auskunft des Kultusministeriums im Schnitt 1,3 Tage. Man multipliziert also die Zahl der Teilnehmer mit 1,3. Wenn man davon ausgeht, dass Lehrer im Schnitt eine Unterrichtsverpflichtung von 5 Stunden pro Tag haben, müssen wir das Ergebnis mit fünf multiplizieren. – Herr Schäfer-Gümbel rechnet nach; ich bin sicher, er wird auf das gleiche Ergebnis kommen wie ich.

(Heiterkeit bei der FDP)

Die Quote der Fortbildungsveranstaltungen während der Unterrichtszeit beträgt nach Auskunft des Kultusministers 59,5 %. Was kommt heraus, wenn man die Regeln von Adam Riese und Eva Zwerg anwendet? Es ergeben sich exakt 347.143 Stunden Unterrichtsausfall pro Jahr.

(Beifall bei der FDP)

Das sind Fakten, die man nicht wegdiskutieren kann. Man kann zwar gerne einwenden, das eine werde so und das andere etwas anders gehandhabt, aber die Grundrichtung bleibt unverändert. Das Ergebnis bleibt im genannten Rahmen.

Wir haben im Kulturpolitischen Ausschuss schon mehrfach darüber gesprochen, dass die Zahl der Beschwerden der Eltern zunimmt. Wir haben im Ausschuss Petitionen behandelt, die darauf abstellten, dass es in der Tat zu einem spürbaren Unterrichtsausfall kommt. Das ist weder im Interesse der Lehrkräfte – ich wiederhole das –, die solche Fortbildungsveranstaltungen besuchen, aber auch ihre Unterrichtsverpflichtung erfüllen wollen, noch im Interesse der Schülerinnen und Schüler, die von Unterrichtsausfall betroffen sind.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die einzelnen Abschnitte unseres Gesetzentwurfs können wir im Ausschuss ausführlicher erörtern. Das werden wir sicherlich tun. Ich will nur auf Folgendes hinweisen. Ein wesentlicher Adressat ist natürlich die Hessische Lehrkräfteakademie, die im Auftrag des Kultusministeriums ein wichtiger Veranstalter von Fortund Weiterbildungsmaßnahmen ist und deshalb eine besondere Verantwortung hat. Erster Adressat ist aber das Kultusministerium selbst, das ein wesentlicher Anbieter entsprechender Veranstaltungen ist und, wie man hört, das

Angebot sogar noch verstärken will, insbesondere im Bereich der Qualifizierung von Schulleitungen – ein sehr sinnvoller, richtiger und wichtiger Ansatz. Aber genau das sind die Dinge, die passieren müssen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich hoffe, dass wir im Ausschuss nicht nur kontrovers, sondern auch einmal konstruktiv über die Frage sprechen und diesen Gesetzentwurf erörtern. Ich wünsche mir das im Interesse der engagierten Lehrerinnen und Lehrer im Lande Hessen, vor allem aber auch im Interesse unserer hessischen Schülerinnen und Schüler. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Greilich, vielen Dank für die Einbringung. – Ich eröffne die Debatte. Herr Kollege Schwarz von der CDU-Fraktion hat sich zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Verehrte Präsidentin, verehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen! Hessische Lehrkräfte arbeiten vorzüglich. Hessische Lehrerinnen und Lehrer sind engagiert, und hessische Lehrerinnen und Lehrer sind motiviert – nicht nur im Unterricht, sondern sie sind auch motiviert, sich fortzubilden.

(Zurufe von der SPD und der FDP – Gegenruf des Abg. Holger Bellino (CDU): Er kennt sich aus, er ist Lehrer!)

So ist es. – Der Gesetzentwurf der FDP-Fraktion suggeriert, dass Lehrer mit der Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen systematisch versuchen, ihren Pflichtunterricht zu schwänzen, und damit sehenden Auges Unterrichtsausfall provozieren. Dem muss deutlich widersprochen werden.

(Beifall bei der CDU)

Lehrerinnen und Lehrer sind im Gegensatz zu dem, was ein ehemaliger SPD-Bundeskanzler einmal festgestellt hat, keine faulen Säcke. Lieber Kollege Greilich, ich unterstelle, das meinen Sie auch nicht so.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

Hessische Lehrerinnen und Lehrer gehen sehr verantwortungsvoll mit ihren Fortbildungen um. Sie wählen diese mit Bedacht aus – auch die Anbieter, die sie vorhalten – und versuchen, das möglichst so zu organisieren, dass kein Unterricht ausfällt. Dazu besteht Gelegenheit. Die von Ihnen in den Raum gestellte Zahl von 350.000 Stunden Unterrichtsausfall ist schlicht und ergreifend falsch.

Warum ist das so? Die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen ist vorher bekannt. Das bedeutet, ein Schulleiter, der eine Fortbildungsveranstaltung genehmigen muss, hat im Vorfeld die Möglichkeit, auch über das Programm „Verlässliche Schule“, für eine Vertretung von fünf Stunden an jedem Vormittag zu sorgen.

Darüber hinaus blenden Sie völlig aus, dass es eine Vielzahl von teilzeitbeschäftigten Lehrerinnen und Lehrern gibt. Von 61.000 Lehrerinnen und Lehrern sind 26.500 in Teilzeit. Allein aus dieser Logik folgt, dass, wenn eine Fortbildung vor 14 Uhr beginnt oder wenn sie ganztägig stattfindet, damit nicht automatisch ein Unterrichtsausfall

einhergeht. Abgesehen davon: 350.000 Stunden Unterrichtsausfall machen bei 42 Millionen Stunden, die insgesamt gegeben werden, einen Anteil von 0,8 % aus. Ich unterstelle, im Höchstfall sind es 0,4 %, also weit weniger als die Hälfte – um das differenziert zu betrachten.

Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass Lehrerinnen und Lehrer jenseits dessen, was auf der Pflichtstundentafel steht, eine Vielzahl von Aufgaben zu erfüllen haben: Vorbereitung und Nachbereitung von Unterricht, das Korrigieren von Klausuren, Konferenzen, das Schreiben von Schulprogrammen oder auch die Erfüllung politischer Vorgaben, beispielsweise die Umsetzung von Ganztagsangeboten, Inklusion oder die Beschulung von Flüchtlingen.

Deswegen möchte ich die Parameter noch einmal unterstreichen, die Sie hinsichtlich der Frage, was eigentlich unterrichtsfreie Zeit ist, in den Raum gestellt haben. Ich habe gerade den Veranstaltungsbeginn um 14 Uhr genannt. Zeit gibt es auch noch am Wochenende oder in den Ferien. Alles gut, alles richtig; das ist die Definition.

Tatsache ist aber, dass man sich bei der Definition ein Stück weit an der Lebens- und Unterrichtswirklichkeit abzuarbeiten hat. Die Umsetzung von Ganztagsangeboten führt nämlich dazu, dass wir nach 14 Uhr an den Schulen tatsächlich eine neue Lebenswirklichkeit haben. Externe Fortbildungen finden häufig ganztägig statt. Anbieter sind in diesem Fall Kirchen, Unis, Lehrerverbände, Schulleiterverbände und Gewerkschaften; es gibt auch freie Anbieter.

Die können nicht sagen: „Wir machen das alles von 15 Uhr bis sonst wann“; denn es geht schlicht und ergreifend auch um die Frage, wie man das räumlich organisiert. In Hessen finden im Schnitt 8.000 Fortbildungen pro Jahr statt. Aus organisatorischen Gründen die Räumlichkeiten vorzuhalten – dazu gehören öffentliche Räumlichkeiten, die wir anbieten, Tagungsstätten z. B. – oder auch die Arbeitszeit der Referenten: All das kollidiert schlicht und ergreifend mit den Ansprüchen Ihres Gesetzentwurfs.

Auf eines muss man noch hinweisen: Die sogenannten schulinternen Fortbildungen, die eine, wie ich finde, herausragende Bedeutung haben, ergeben nur dann einen Sinn und haben nur dann eine Wirkung, wenn sie während der Unterrichtszeit stattfinden. Das trifft auf Hospitationen zu, das trifft auf die Reflexion zu, und das trifft auf die Analyse zu. All das halte ich für unerlässlich, und logischerweise ist es auch unerlässlich, dass all das während der Unterrichtszeit umgesetzt wird.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Kollege Greilich, jetzt kommen wir zu einer ganz spannenden Fragestellung. Warum haben Sie von der FDP, als Sie im Kultusministerium Verantwortung getragen haben, mit Ihrer Staatsministerin a. D. Henzler und Ihrer Staatsministerin a. D. Beer nicht genau das in Angriff genommen?

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der FDP)

Meine Damen und Herren, das ist die Wahrheit. Warum haben Sie das nicht in Angriff genommen? – Ihre Kleine Anfrage, die das Kultusministerium beantwortet hat – dafür bin ich dem Herrn Minister sehr dankbar –, bezieht sich auf den Zeitraum 2009 bis 2014. Das ist genau die Zeit, als Sie im Kultusministerium die Verantwortung hatten. 0,0 % Initiative Ihrerseits – nichts, aber auch gar nichts ist da geschehen.

Jetzt fangen Sie auf einmal mit einem brutalstmöglichen Lehrerbashing an und sagen, die Lehrer unterlaufen das System und provozieren einen Unterrichtsausfall, sodass alle auf die Barrikaden gehen.

(René Rock (FDP): Sie müssen zuhören!)

Das entspricht nicht den Tatsachen. Die Lehrerinnen und die Lehrer arbeiten vorzüglich, und die Schulleitung der selbstverantwortlichen Schule genehmigt eine Fortbildungsveranstaltung oder genehmigt sie eben nicht.

(René Rock (FDP): Lesen Sie die Rede von Herrn Greilich, bevor Sie weitermachen!)

Die Genehmigung kann nur erfolgen, wenn die Fortbildung einen Sinn für die Weiterentwicklung des Unterrichts und für die Umsetzung in einem Schulprogramm ergibt und wenn sie für die Schulgemeinde zugänglich ist.