Protokoll der Sitzung vom 22.06.2016

Es geht auch darum, beispielsweise in Richtung RWE Schaden vom Land abzuhalten. Unseres Erachtens besteht hier kein Recht auf Schadenersatz.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Erstens. Das Unternehmen betrieb keine Schadensminderung. Zweitens. Das Unternehmen intervenierte nicht. Ganz im Gegenteil sagte es: Wir tun alles, was ihr beschließt. Wir sind hoch kooperativ. – Geklagt wurde erst viel später. Drittens. Sie konnten einen Block gar nicht hochfahren, da es in der normalen, vor Fukushima eingeleiteten Revision immer wieder neue Probleme mit diesem Block gab.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Da haben Sie recht!)

Viertens. Das Unternehmen hätte zig Millionen bereitstellen müssen, um die sogenannten Weimar-Auflagen, diese haben mit Fukushima gar nichts zu tun, zu erfüllen. „hr-online“ spricht am 17. Februar 2011 davon, dass 260 Millionen € bereitzustellen wären, um Biblis nachzurüsten. Man hätte 260 Millionen € in die Hand nehmen müssen; und hier ist von 235 Millionen € die Rede. Schließlich konnte das Unternehmen anderweitig Strom produzieren und gewinnbringend verkaufen. Auch dies gehört zur Wahrheit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schmitt (SPD): Na ja, es geht um den Zeitraum!)

Abschließend möchte ich noch auf eine weitere Ungeheuerlichkeit eingehen. Sie werfen uns vor, wir würden die Schuld auf die Mitarbeiter des Ministeriums abwälzen wollen. Das ist völliger Unfug.

(Timon Gremmels (SPD): Dann lesen Sie doch den Bericht! Das ist falsch!)

Die Mitarbeiter haben in einer extremen Drucksituation Enormes geleistet. Dafür gebührt ihnen zuerst einmal Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Güm- bel (SPD))

Sie haben die Aufgabe einer Verwaltung erfüllt. Sie haben Anweisungen umgesetzt und auf Probleme hingewiesen. Am Ende stand die Entscheidung, es so zu machen, wie es gemacht wurde, weil es der Bund so vorgegeben hatte und man bezüglich der Details und der Anhörung zu einer Abwägung gekommen ist. So wurde es immer dargestellt. Niemand wirft den Mitarbeitern ein Fehlverhalten vor. Solche haltlosen Unterstellungen und Beschuldigungen mögen das Niveau der LINKEN und der SPD sein; sie sind aber nicht Art und Stil der Koalition von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Also doch die Mi- nisterin!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir hatten eine umfassende Untersuchung der Ereignisse. Wir haben den Sachverhalt umfassend aufgeklärt und aufbereitet. Es ist jetzt klar, wer wann warum und wie entschieden hat. Es ist auch klar, dass den politischen und administeriellen Verantwortungsträgern in Hessen kein Vorwurf zu machen ist.

Herr Kollege Bellino, Sie müssen langsam zum Schluss kommen.

Herr Präsident, letzter Satz. – Sie haben unter den gegebenen Umständen nach bestem Wissen und Gewissen abgewogen, soweit Spielraum bestand, und eine Entscheidung im Sinne der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes getroffen. Die Angriffe der Opposition entbehren jeglicher Grundlage und sind unbegründet.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Bellino. – Das Wort hat die Abg. Wissler, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich zu bedanken. Ich danke dem Ausschussgeschäftsführer, Herrn Dr. Spalt, für seine Arbeit. Ich möchte mich ganz herzlich bedanken bei dem Ausschussmitarbeiter Herrn Dr. Barthel, aber auch bei den vielen Stenografinnen und Stenografen, die die stundenlangen Zeugenaussagen festgehalten haben.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Ich danke dem Ausschussvorsitzenden, Herrn Heinz, für die gute Zusammenarbeit und die faire Sitzungsleitung, die großen Anteil daran hatte, dass die Stimmung in diesem Untersuchungsausschuss sehr viel besser war als in anderen. Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion für die gute Zusammenarbeit bei der Erstellung des Minderheitenvotums. Ganz besonders danke ich unseren beiden Mitarbeitern im Untersuchungsausschuss, Sebastian Scholl und Kim Abraham, die sich durch Tausende Seiten Akten gewühlt und große Arbeit geleistet haben. Vielen Dank dafür, ihr seid großartig.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, zwei Jahre lang haben wir uns als Untersuchungsausschuss mit der Abschaltung des Atomkraftwerks Biblis im Jahr 2011 im Rahmen des sogenannten Atommoratoriums beschäftigt. Das Land Hessen befindet sich heute in einem Rechtsstreit mit dem Betreiber RWE, der schon viel Geld gekostet hat und noch sehr teuer werden könnte.

Im Laufe des Untersuchungsausschusses ist immer klarer geworden, wie Dinge abgelaufen sind. Einige Fragen blie

ben aber auch offen. Deswegen möchte ich auf den Ablauf der Ereignisse eingehen, um das noch einmal zu skizzieren.

Beginnen wir im Oktober 2010. Die schwarz-gelbe Koalition hatte mit ihrer Bundestagsmehrheit den acht Jahre zuvor besiegelten sogenannten Atomkonsens aufgehoben und die Laufzeitverlängerung beschlossen. Hunderttausende Menschen gingen gegen diesen Ausstieg aus dem Ausstieg auf die Straße, doch das konnte die schwarz-gelbe Bundesregierung damals nicht erschüttern.

Man muss es noch einmal so deutlich sagen: Ohne diese unselige Laufzeitverlängerung, ohne dieses Geschenk an die Atomkonzerne müssten wir diese Debatte heute nicht führen. Uns wäre viel Geld erspart geblieben.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenige Monate nach der beschlossenen Laufzeitverlängerung ereignete sich am 11. März 2011 ein schweres Erdbeben vor der japanischen Küste und löste einen Tsunami aus. Neben der humanitären Katastrophe kam es zu Unfällen in mehreren japanischen Atomkraftwerken, insbesondere in Fukushima.

Einmal mehr nach Tschernobyl und Harrisburg zeigte sich, dass die Nutzung der Atomenergie eine unkalkulierbare Risikotechnologie ist. Was Atomkraftbefürworter läppisch als „Restrisiko“ abgetan haben, zerstört im Ernstfall ganze Landstriche und die Gesundheit ihrer Bewohner. Deswegen lehnen wir die Nutzung der Atomenergie grundsätzlich ab – ob militärisch oder vermeintlich zivil.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Mit diesem Unfall beginnt die Woche der Ereignisse, mit deren Ablauf wir uns im Untersuchungsausschuss im Wesentlichen beschäftigt haben. Noch einen Tag nach dem Erdbeben hat der damalige Bundesumweltminister Röttgen die Diskussion über Sicherheit und Laufzeit für deutsche Atomkraftwerke für „völlig deplatziert“ erklärt. Aber die öffentliche Stimmung kippte bis weit ins bürgerliche Lager hinein, und in Baden-Württemberg stand zwei Wochen später eine Landtagswahl an. Die Bundeskanzlerin sorgte sich um die gesellschaftliche Stimmung und verkündete am 14. März, die Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke solle ausgesetzt werden, ohne die Grundsatzentscheidung für die Laufzeitverlängerung wirklich anzufassen. Die Kanzlerin hat damit der Öffentlichkeit einen gewissen Aktionismus signalisiert. Damals wurde das Atommoratorium geboren.

Daran, den richtigen und rechtssicheren Weg zu gehen, nämlich ein Atomausstiegsgesetz zu verabschieden, wie es auch DIE LINKE damals schon gefordert hat, hatte in der Bundesregierung damals keiner ein Interesse. Das wäre schnell möglich gewesen. Die Bankenrettungspakete haben gezeigt, wie schnell im Ernstfall der Bundestag ein Gesetz verabschieden kann, wenn der politische Wille da ist.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Das Atommoratorium hat den Konzernen Tür und Tor für Klagen geöffnet, trotz aller Warnungen seitens der Opposition, von Verfassungsrechtler und sogar aus den eigenen Ministerien. Es ist ein unverantwortliches Vorgehen gewesen. Ja, es war richtig, dass man schnell handeln musste.

Aber man musste auch rechtssicher handeln, damit am Ende nicht die Allgemeinheit die Zeche dafür zahlen muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Was ist weiter passiert? Die Kanzlerin und der Umweltminister haben die Ministerpräsidenten ins Kanzleramt eingeladen, um das Vorgehen zu besprechen. Bei diesem Treffen wurde verabredet: Die ältesten sieben Reaktoren sollten für drei Monate für eine Sicherheitsüberprüfung vom Netz. Es sollte dafür keine gesetzliche Grundlage geben, sondern das sollte im Rahmen eines atomrechtlichen Verwaltungsverfahrens geschehen.

Mittags gaben die Beteiligten eine Pressekonferenz, und danach gingen sie wieder auseinander. Man wollte sich über die Landtagswahlen retten – einen anderen Grund für dieses windige Verfahren kann es nicht gegeben haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Nach Darstellung von Ministerpräsident Bouffier soll es bei diesem Treffen Zusagen des Bundes bezüglich der Haftung gegeben haben. Dies wurde von niemandem bestätigt, auch die Kanzlerin will oder kann sich daran nicht erinnern.

Herr Bellino hat versucht, als wir im Kanzleramt in Berlin waren, diesen Widerspruch zwischen Frau Merkel und Herrn Bouffier vor der Presse herunterzuspielen. Er sagte, die Kanzlerin habe Herrn Bouffier nicht widersprochen, sondern sich nur nicht an die Zusage erinnern können. Herr Bellino, so haben auch Sie es einmal in die „Tagesschau“ geschafft, die Ihren O-Ton als „eigenwillige Interpretation der hessischen CDU“ bewertete.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die genaue Ausgestaltung des Moratoriums sollte nach dem Treffen der Ministerpräsidenten am Nachmittag mit den Umweltministern der Länder besprochen werden. Die damalige hessische Umweltministerin, Frau Puttrich, ist zwar extra für dieses Treffen nach Berlin geflogen, hat sich aber vor Beginn dieses Treffens schon wieder auf den Rückweg gemacht, weil der Ministerpräsident mit ihr eine Pressekonferenz in Wiesbaden machen wollte, ohne dass die Frau Ministerin überhaupt wusste, was in Berlin besprochen wurde.

So kam es, dass Hessen als einziges Land nicht durch die Ministerin, sondern durch einen Beamten, den Leiter der Abteilung Atomrecht, vertreten war. Als es um die rechtliche Absicherung des Moratoriums ging, meldete sich der anwesende hessische Fachbeamte zu Wort und hat seine Bedenken formuliert. Er hat aber kein Gehör gefunden.

Auf die Ironie, dass ausgerechnet die Umweltministerin an diesem Tag sinnlos durch die Gegend fliegt, möchte ich jetzt gar nicht weiter eingehen. Es ist aber vollkommen unverantwortlich, an einem solchen Treffen nicht teilzunehmen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Unklar bleibt auch, das ist ein Widerspruch im Untersuchungsausschuss gewesen, ob Frau Puttrich und Bundesumweltminister Röttgen an diesem Tag noch miteinander telefoniert haben. Herr Röttgen sagt, er habe nach dem Treffen mit Frau Puttrich telefoniert und ihr ausdrücklich gesagt, dass der Bund eben nicht für eventuelle Risiken hafte. Frau Puttrich hat dieser Darstellung im Untersu

chungsausschuss widersprochen. Nur einer der beiden kann die Wahrheit sagen. Wir können nicht feststellen, wer es ist.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Genau!)

Am Tag nach diesem Treffen in Berlin, am Mittwoch, dem 16. März, ging ein Schreiben im hessischen Umweltministerium aus dem Bundesumweltministerium ein, wie die Abschaltverfügung auf Landesebene zu gestalten sei. Dieses Schreiben hat bei der Fachabteilung Atomrecht große Bedenken ausgelöst, und die Abteilung sah Absprachen vom Vortag nicht eingehalten.