Protokoll der Sitzung vom 23.06.2016

auf, dass das Asylrecht geschliffen wird. Daneben zwei Regierungsfraktionen, die versuchen, in wechselseitiger Anerkennung der jeweils unterschiedlichen Sachpunkte ihre Position zu verdeutlichen. Das war die Aufstellung für diese Aktuelle Stunde.

Ich habe am Dienstag und auch gestern in einer weiteren Fraktionssitzung zu diesem Tagesordnungspunkt in meiner Fraktion gesagt: Ich ertrage es eigentlich nicht mehr, dass wir solche Debatten, bei denen es um substanzielle Punkte geht, in Aktuellen Stunden aufrufen, mit Zuspitzungen, die dem Thema völlig unangemessen sind.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Pentz (CDU): Da ist was Wahres dran!)

Frau Wissler, Sie wissen, dass ich viele Ihrer Kritikpunkte teile. Dennoch will ich mir wenigstens eine Bemerkung erlauben: Ihr sogenanntes Abschottungssystem hat im letzten Jahr dazu geführt, dass die Bundesrepublik Deutschland knapp 1 Million Flüchtlinge aufgenommen hat. Bestimmte Zuspitzungen sind angesichts dessen, was wir im letzten Jahr gemeinsam geleistet haben und übrigens in den nächsten Jahren noch leisten werden, nicht angemessen. Dieses Thema wird uns noch viele Jahre beschäftigen.

(Beifall bei der SPD, der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit will ich einige Bemerkungen zur Sache selbst machen. Willy Brandt hat einmal den denkwürdigen Satz gesagt: „Ich glaube nicht, dass diejenigen recht haben, die meinen, Politik bestehe darin, zwischen Schwarz und Weiß zu wählen. Man muss sich auch häufig zwischen den verschiedenen Schattierungen des Grau hindurchfinden.“ Genau an einem solchen Punkt sind wir.

Auch in meiner Partei gibt es erhebliche Zweifel und Ablehnung gegenüber der Konstruktion der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten. Die Änderung des Art. 16 Abs. 2 Grundgesetz ist in den Jahren 1993 und 1994 in meiner Partei heftig diskutiert und von vielen abgelehnt worden. Viele in meiner heutigen Fraktion gehören wie ich zu denen, die damals allein an diesem Punkt, und nur an diesem Punkt, ernsthaft über die Frage des Verlassens der Sozialdemokratischen Partei nachgedacht haben.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Ich habe es damals beschlossen!)

Dennoch haben wir uns damals für einen anderen Weg entschieden. Es ist richtig, sich im Detail mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, die jetzt den Bundesrat in einer weiteren Runde beschäftigen.

Das, was die Bundesregierung bisher vorgelegt hat, trägt in dieser Form nicht. Deswegen haben wir Ihnen heute in einer sehr umfangreichen Entschließung dazu etwas vorgelegt, weil wir glauben, es ist wichtig, festzuhalten, dass die Ausweisung sicherer Herkunftsstaaten das individuelle Grundrecht auf Asyl nicht einschränkt.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Wir lassen nicht zu, dass der Eindruck erweckt wird, dass es anders wäre.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Die sicheren Herkunftsstaaten lösen aber auf der anderen Seite kein substanzielles Problem im Zusammenhang mit der Flüchtlings- und Migrationspolitik.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich ist es so, dass es einen immensen Konflikt zwischen Schwarzen auf der einen Seite und GRÜNEN auf der anderen Seite mit munteren Debatten über die Fragen gibt, wie viel Abschottungs-, Abgrenzungs- und Ausgrenzungsinteresse es bei der Ausweisung von sicheren Herkunftsstaaten gibt und wie viel ernsthaftes Bemühen es in einer modernen und vernünftigen Flüchtlings- und Migrationspolitik gibt.

Ich will es offen sagen: Einer der beiden Schwachpunkte in diesen Prozessen ist das, wie heute schon mehrfach genannt, was sich der Bundesminister schon seit eineinhalb Jahren erlaubt. Das geht auf keine Kuhhaut. Er ist mit der Aufgabe überfordert.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN – Manfred Pentz (CDU): Keiner will in seiner Haut stecken!)

Im Übrigen gilt das in ähnlicher Weise für den Leiter des Bundeskanzleramtes, Herrn Altmaier, der die Verhandlungen zur Rückführung von Flüchtlingen in die Maghrebstaaten geführt hat. Die Regelungen, die getroffen wurden, sind absurd.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Allerdings!)

Ich habe noch 14 Sekunden Redezeit. Ich müsste noch ganz viele inhaltliche Punkte ansprechen. Da ich aber sicher bin, dass der Ministerpräsident überzieht, werden wir uns sicherlich gleich wiedersehen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer-Gümbel. – Als Nächste hat Frau Kollegin Öztürk das Wort. Sie wissen, zweieinhalb Minuten Redezeit.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte versuchen, den einen oder anderen Punkt, der in dieser Debatte diskutiert wurde, nicht zu wiederholen. Ich möchte aber festhalten, dass die Mehrheit in diesem Haus die grundsätzliche Kritik an der Struktur der sicheren Herkunftsländer teilt. Es ist nicht die Mehrheit, die sagt, dass das Konstrukt der sicheren Herkunftsländer richtig sei. Es ist falsch, und es bleibt falsch. Wir brauchen dieses Konstrukt der sicheren Herkunftsländer nicht. Dieser Rechtsstaat funktioniert sehr gut mit den Vereinbarungen, die wir bisher hatten.

Der Punkt ist eher, dass endlich die Verwaltungseinrichtungen mit ausreichend Personal ausgestattet werden müssen. Das BAMF muss mit ausreichend Personal ausgestattet werden, damit es in der Lage ist, die Asylanträge der Reihe nach ordnungsgemäß abzuarbeiten und nicht innerhalb einer Woche entscheiden zu müssen, ob jemand individuell verfolgt ist oder nicht. Da müssen wir doch bei der Wahrheit bleiben.

(Beifall bei der LINKEN)

Der zweite Punkt ist: Worum geht es hier eigentlich? Es geht doch darum, dass suggeriert wird, dass ein großer Teil

der Menschen, die aus den Ländern kommen, die wir jetzt als sicher einstufen wollen, überhaupt nicht berechtigt ist, sondern dass es sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge sind, die das Asyl dazu ausnutzen, um hier ein Bleiberecht zu erschleichen. Das ist das, was suggeriert und den meisten Leuten als die eigentliche Fluchtmotivation dargestellt wird.

Ich teile diese Meinung nicht. Ich glaube schon, dass in unserem Rechtsstaat die Verwaltungsgerichte durchaus in der Lage sind, zu beurteilen, ob jemand wirklich verfolgt ist oder nicht. Ich glaube aber, dass mit dieser Symbolpolitik ein Teil der Gesellschaft beruhigt werden soll. Das ist kurzsichtig und nicht im Sinne einer humanitär verantwortungsvollen Flüchtlingspolitik.

Meine Damen und Herren, wenn Sie das Problem wirklich lösen wollen, dann investieren Sie bitte Energie darin, wie man in diesen Ländern Ausbildungs- oder Bildungszentren eröffnet statt Flüchtlingslager, die Gefängnissen ähneln. Sorgen Sie bitte dafür, dass legale Einwanderungswege durch ein Einwanderungsgesetz organisiert werden, und zwar nicht nur für Hochqualifizierte, sondern auch für Menschen, die ganz normal hier ihr Glück versuchen wollen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Sorgen Sie dafür, dass ganz klare Vereinbarungen getroffen werden, ob man mit den UNHCR-Resettlement-Programmen Leute hierher holen will, die Flüchtlinge sind, oder ob man beispielsweise mit Kontingentlösungen Menschen ganz legal aufnehmen will. Das sind Lösungen, die ich interessant finde. Das kann man auch alles machen, ohne das Asylrecht auszuhöhlen.

Ich warne davor, zu glauben, man könnte eine Lösung finden, indem man mit einem Gesetz bestimmte Gruppen herausholt und sagt, sie stünden unter einem besonderen Schutz. Das ist keine Lösung. Wenn ein Land unsicher ist, dann ist es unsicher. Sie können nicht bestimmte Gruppen herausholen. Ich warne auch davor, die Länder mit zusätzlichen Zahlungsreizen ködern zu wollen. Mit Geld erkaufen Sie sich diese Zustimmung bitte nicht. Das ist meiner Meinung nach nicht tragbar.

Daher: Stimmen Sie im Bundesrat im Juli gegen die Erweiterung der sicheren Herkunftsländer. Das war im Falle der Balkanländer falsch, und das ist im Falle der Maghrebstaaten genauso falsch. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Öztürk. – Für die Landesregierung hat sich der Ministerpräsident zu Wort gemeldet. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Herr Kollege Schäfer-Gümbel, ich will Ihre Hoffnung nicht enttäuschen, aber ich versuche es trotzdem.

(Heiterkeit des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Meine Damen und Herren, ich will bewusst mit einer Bemerkung von Frau Kollegin Öztürk anfangen. Ich weiß aus vielen persönlichen Gesprächen mit Ihnen, dass das ein Thema ist, das Sie wahrscheinlich mehr umtreibt als viele andere. Ich respektiere das. Wenn Sie uns dann sagen, wir sollen keine Symbolpolitik machen, dann frage ich: Welche Politik sollen wir machen?

Wir haben 65 Millionen Menschen, die auf der Flucht sind. Wir haben südlich von Europa sowohl entlang dem Mittelmeer als auch unterhalb der Sahara eine aus vielerlei Gründen mehr als bedrückende Situation. Wenn wir ehrlich mit diesen Themen umgehen, dann wird es niemanden geben, der sagt, das könne einen nicht berühren. Das muss einen beschäftigen. Aber was ist unsere Antwort?

Die Antwort kann nicht sein: Dann machen wir ein Kontingent. – Wie groß denn? Wer soll denn kommen? Wer entscheidet denn? Wer soll aus Mali kommen, wer soll aus dem Senegal kommen?

Sie müssen zwei Dinge zusammenhalten. Herr SchäferGümbel, hier bin ich ganz bei Ihnen: So ein Thema mit fünf Minuten Redezeit zu behandeln ist Unsinn, mit Verlaub.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Man kann dann wirklich nur ganz wenige Punkte ansprechen. Ich halte für richtig – ich stelle das bewusst an den Anfang –: Europa, aber nicht nur Europa, auch die Golfstaaten, auch Japan, auch China, auch die Vereinigten Staaten von Amerika, alle sind gefordert, wenn es um die Frage geht, wie wir Regionen helfen können, wo Menschen in schwierigen Situationen sind, damit sie in ihrer Heimat eine Zukunft haben, die lebenswert ist. Es kann im Ernst niemand sagen, dass wir in Europa und wir in Deutschland diese große Herausforderung für die Menschen wie für uns hier vernünftig lösen können.

Meine Damen und Herren, deshalb müssen wir ehrlich miteinander umgehen. Es geht nicht um Abschottungspolitik, es geht darum, zwei Dinge zusammenzubringen: im globalen System unsere humanitäre Verantwortung tatsächlich wahrzunehmen – das tun wir in vielfältiger Weise; aus Zeitgründen kann ich das nicht alles darstellen – und zum anderen unsere große Verheißung, die wir in Art. 16a Grundgesetz haben, die es so nirgendwo anders gibt, mit Leben zu erfüllen. Diese beiden Dinge muss man zusammenbringen, und dafür steht diese Landesregierung.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ganz klar, Herr Kollege Rentsch: Die Landesregierung hat das Ziel, auch in dieser schwierigen Frage zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen, übrigens nicht nur die Hessische Landesregierung. Das trifft fast alle. Deshalb haben alle – das darf man nicht ganz vergessen – am Freitag vor acht Tagen, oder wann das war, gesagt: Wir wollen das heute nicht aufrufen, wir wollen schauen, dass wir eine Lösung finden, die am Ende zustimmungsfähig ist.

Um was geht es eigentlich? Es ist zum Teil angesprochen worden. Meine Damen und Herren, zu den betreffenden Staaten hat niemand aufgrund von politischen Entscheidungen gesagt, dass sie sicher sind. Vielmehr kommen seit Jahren alle Verwaltungsgerichte im Asylverfahren zu dem Ergebnis: Wir haben Anerkennungsquoten zwischen 0 % und maximal 3 %. Das haben unabhängige Gerichte ent

schieden, und das sollten wir zur Kenntnis nehmen und akzeptieren.

Wenn Menschen dort ihr letztes Geld irgendwelchen Schleppern anvertrauen, sich auf einen lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer machen und dann, wenn sie hierherkommen, aufgrund der gerichtlichen Entscheidungen kein Aufenthaltsrecht haben, dann ist es nicht vernünftig, wenn wir in dieser Situation zuschauen. Vielmehr muss man überlegen, wie man diese Situation vernünftig verändern und verbessern kann.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)