Protokoll der Sitzung vom 15.09.2016

Zum Beispiel geht es um die Frage: Wie sieht die zukünftige Struktur aus? Welche rechtlichen Auswirkungen – Kollege Schäfer-Gümbel hatte das damals angesprochen – hat der Brexit auf die Regulierung? Das sind doch Fragen, deren Beantwortung für die Beurteilung eines solchen Sachverhalts notwendig ist.

Nachdem sie über zwei Monate nicht geantwortet haben, kann ich den Vertretern der Börse nur empfehlen, endlich Antworten beizubringen; denn, ehrlich gesagt, als Mitglied des Parlaments habe ich schon das Gefühl – auch diejenigen, die das mitzuberaten haben –, dass das etwas auf die lange Bank geschoben wird. Wenn zwar viel Geld für Lobbyisten ausgegeben wird, aber auf die Fragen, die die Mitglieder des Parlaments gestellt haben, keine Antworten gegeben werden, muss ich sagen: Das ist nicht die richtige Reihenfolge, in der man diskutiert. Das Parlament hat auch den Anspruch, im Lande Hessen informiert zu werden.

(Beifall bei der FDP)

Sehen Sie also – das gilt auch für unsere Seite – die heutige Debatte als Möglichkeit, die Gemeinsamkeiten, die wir haben, weiter zu unterstreichen. Ich glaube, es wäre, auch von der Hessischen Landesregierung, ein wichtiges Signal, wenn wir dazu kommen würden. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Der Herr Finanzminister hat sich zu Wort gemeldet. Herr Dr. Schäfer, bitte schön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Rentsch, ich bin Ihnen ausdrücklich dankbar, dass Sie Ihre beiden Interpretationsmöglichkeiten sozusagen gleichwertig nebeneinandergestellt haben: die Missinterpretation und den Positionswechsel. Ich will es vorwegnehmen: Die Missinterpretation ist die richtige Auslegung.

Ich habe Bloomberg ein Wortlautinterview gegeben. Daraus hat Bloomberg zwei Texte gemacht und dabei wörtliche Zitate aus dem Wortlautinterview herausgenommen. Ich habe schon nach der Lektüre gesagt: Oh, das ist eine etwas schwierige Herausnahme von Zitaten. – Am Tag darauf habe ich in der Berichterstattung zweier weiterer Medien, die aufbauend auf Bloomberg berichtet haben, eine noch schwierigere Interpretation einer schwierigen Herausnahme von Zitaten gelesen. Das war überhaupt nicht mehr das, was ich erklärt habe. Ich kann Ihnen vorlesen, was ich Bloomberg gegenüber wirklich erklärt habe:

Mir begegnet niemand in Frankfurt, der der Deutschen Börse raten würde, London zum Sitz der Holding zu machen. Der Sitz der Holding ist immer noch ein Thema, und ich glaube, dass die britische Seite noch Zeit braucht, um einzusehen, dass das Modell an dieser Stelle noch eine Veränderung erfahren sollte, auch im ureigenen Interesse der Börse.

Dann kommt der Satz, der herausgerissen worden ist:

Regulierung im Allgemeinen und den Sitz der Holding muss man auseinanderhalten.

Es ist im ureigenen Interesse der beiden Anteilseigner, die Struktur zu ändern. Etwas anderes sind die Fragen: Was bedeutet es regulatorisch? Was bedeutet es für eine Genehmigung durch die EU und für eine Genehmigung, die vom hessischen Wirtschaftsminister börsenrechtlich zu erteilen ist?

Das muss man sicherlich voneinander trennen. Der hessische Wirtschaftsminister wird schlicht nach Recht und Gesetz prüfen. Durch den Brexit wird die zu beurteilende Rechtslage aber sicher nicht weniger komplex, als sie ohne das Ausscheiden Großbritanniens sowieso gewesen wäre.

Wenn Sie dagegen die beiden Berichterstattungen der „FAZ“ und im „Handelsblatt“ lesen, werden Sie eine gewisse Differenz feststellen. Das ist jetzt die diplomatische Formulierung zum Ende einer Parlamentswoche. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Klose für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Ich gehe nach der Reihenfolge der Wortmeldungen vor. Ich mische nicht.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir diskutieren einmal mehr in diesem Plenum den Wunsch der Deutschen Börse AG, mit der London Stock Exchange zu fusionieren, auch wenn es eigentlich nicht wirklich neue Fakten gibt. Das hessische Wirtschaftsministerium als Kartellbehörde prüft diesen Wunsch der Deutschen Börse in seiner Funktion als Börsenaufsicht genau so, wie es Recht und Gesetz vorsehen. Aber das gibt uns zumindest Gelegenheit, hier noch einmal zu bekräftigen, wie wir das in diesem Landtag politisch bewerten, was wir in vielen Debatten zuvor eigentlich auch schon getan haben.

(Vizepräsidentin Heike Habermann übernimmt den Vorsitz.)

Nach wie vor gilt: Betriebswirtschaftlich betrachtet kann eine solche Fusion aus Sicht der Deutschen Börse AG sinnvoll sein. Es ist aber unsere Aufgabe als hessische Landespolitiker nicht, dieses Vorhaben betriebswirtschaftlich zu bewerten, sondern die Interessen unseres Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger zu wahren. Aus unserer Sicht ist eine Fusion mit Hauptsitz in London inakzeptabel. Darüber sind wir uns hier auch einig. Herr Rentsch hat das auch noch einmal ausgeführt. Natürlich ist das erst recht nicht mehr akzeptabel nach dem Votum der Briten für den Austritt aus der Europäischen Union. Es ist eigentlich auch nicht einmal mehr vorstellbar. Die inzwischen von der Börse selbst bekannt gemachten Details zum Arbeitsplatzabbau insbesondere am Standort Frankfurt/Eschborn haben unsere Bedenken seit der letzten Debatte jedenfalls eher bekräftigt als zerstreut.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wir können es aber im Kern kurz machen. Thomas Schäfer hat klargestellt, wie sein Interview zu verstehen ist. Für uns ist wichtig, dass der Finanzplatz Frankfurt sich weiterentwickeln kann. Die Börse ist dafür ein wichtiger und zentraler Baustein. Wir erwarten von der Deutschen Börse auch, ihrer Verantwortung für den Finanzplatz insgesamt gerecht zu werden. Das muss auch im Interesse des Unternehmens liegen. Denn auch für die Börse gilt: An Hessen führt kein Weg vorbei.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Auf nichts anderes hat der Finanzminister Dr. Thomas Schäfer hingewiesen. Wir können das offensichtlich hier nicht oft genug bekräftigen. Jetzt haben wir es heute zum Ende der Plenarwoche noch einmal getan. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Herzlichen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Boddenberg für die CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will ganz kurz auf einige Fragen von Herrn Kollegen Rentsch eingehen, die er aber weitestgehend schon selbst beantwortet hat. Erstens will ich feststellen: Es gibt keine veränderte Haltung, weder von mir selbst noch vonseiten

der CDU-Fraktion. Zum Zweiten glaube ich aber, dass man an einer Stelle etwas vorsichtiger sein muss. Das sage ich auch einmal in aller Bescheidenheit in Richtung Thorsten Schäfer-Gümbel.

Ich meine, von Ihnen seinerzeit nach dem Brexit gehört zu haben, damit sei die Fusion endgültig gescheitert. So weit würde ich nicht gehen, weil ich mir nicht anmaße, zu beurteilen, welche betriebswirtschaftlichen und – das hat Kai Klose gerade gesagt – welche regulatorischen neuen Hürden sich durch diese neue Situation ergeben haben.

Ich meine mich auch zu erinnern, Herr Schäfer-Gümbel, dass wir ursprünglich einmal gesagt haben: Es muss schon so sein, dass ein Unternehmen, das selbst börsennotiert ist und das eine wichtige Funktion am Finanzplatz Frankfurt am Main hat, sich am Ende auch weiterentwickeln kann und dass eine Fusion möglicherweise durchaus dergestalt stattfinden kann, dass das zu einer Stärkung des Unternehmens führt. – Wir jedenfalls haben grundsätzlich gesagt, dass diese Fusion wahrscheinlich Sinn macht – jedenfalls nach dem, wie ich die Argumente beider Seiten beurteile.

Weiterhin muss man Folgendes sagen. Das ist es, was uns immer wieder vorgeworfen wird – eben auch ein wenig von Florian Rentsch. Es sei nicht klar genug, wie wir uns zu der Standortfrage äußern. Ja, ich glaube, es macht auch Sinn, dass wir feststellen, dass es eine glasklare Trennung zwischen dem gibt, was wir als Parlament und als Abgeordnete zu dem Thema sagen können, und dem, was die Landesregierung zu dieser Frage sagen kann.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Ich jedenfalls verstehe die Landesregierung immer so, dass ich sage: Dieser Teil der Exekutive hat ebenfalls glasklar getrennt zwischen dem Wirtschaftsminister und der Börsenaufsicht auf der einen Seite und der politischen Argumentation, was den Standort Frankfurt betrifft, auf der anderen Seite. Das gilt auch bezüglich der Holding, die entstehen soll. Dort ist niemand hinter dem zurückgeblieben, was wir eigentlich von einer Landesregierung erwarten müssen, die diese saubere Trennung aus rechtlichen Gründen vorzunehmen hat.

Es gibt noch eine weitere Frage zum Standort, die, so finde ich, ein Abgeordneter durchaus auch problematisieren darf. Das ist nämlich ein Unternehmen, das am Standort nicht nur eine wichtige infrastrukturelle Bedeutung hat, sondern es zahlt beispielsweise auch Steuern. Durch eine Holding in London oder wo auch immer ergibt sich eine neue Situation mit zwei Tochterunternehmen, die durch die Holding gesteuert werden und wo Geschäfte von links nach rechts verlagert werden. Wir haben gerade gestern oder vorgestern über die Frage gesprochen, was das an Steuerstandorten bedeutet, die, was die Steuersätze anbelangt, möglicherweise auf den ersten Blick oder auch bei näherem Hinsehen unattraktiver sind als der Standort, wo die steuerliche Belastung eine geringere ist.

Da gibt es also eine ganze Reihe von wesentlichen Fragen, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Aber noch einmal: Eine glasklare Trennung zwischen dem, was die Exekutive, insbesondere der Wirtschaftsminister, hier zu sagen hat und dazu sagen kann, und dem, was wir als Politiker sagen können, ist wichtig. Dort gibt es eine sehr klare Haltung der Union, dass nach dem Brexit ein Standort London für die Holding ausgeschlossen ist.

Ich will vielleicht noch darauf hinweisen, dass sich diese Meinung im Zuge der letzten Wochen und Monate durchaus noch verstärkt hat. Ich maße mir auch dort nicht an, alles zu beurteilen; aber der Prozess der Zustimmung durch die Aktionäre der LSE und der Zustimmung durch die Aktionäre der Deutschen Börse Group AG hat gezeigt, dass es auch aufseiten der Kapitalgeber durchaus Zweifel an der Fusionsabsicht generell und möglicherweise in dem Zusammenhang auch an der Idee gibt, eine Holding in London zu haben.

Es gab dort eine Nachbesserung im Rahmen der Mindestannahmequote, die von 75 auf 60 % abgesenkt wurde. Auch das ist dann nur knapp mit 3 oder 4 Punkten übertroffen worden. Ich glaube, es gab eine Zustimmung von 63-Komma-irgendetwas Prozent der Aktionäre der Deutschen Börse. Die Frist für diese Zustimmung ist verlängert worden. Folgenden Punkt sehe ich sehr kritisch: In dem ursprünglichen Übernahmeprospekt für die Aktionäre hat der Teil Umsatzsynergien eine sehr viel größere Rolle gespielt als das, was wir später erlebt haben – Stichwort: Kostensynergien.

(Norbert Schmitt (SPD): Sehr gut!)

Also da haben sich zumindest einmal die politischen Argumente der Börse durchaus im Verlaufe der letzten Wochen und Monate verändert.

(Norbert Schmitt (SPD): Sehr gut!)

Das ist das gute Recht eines Aktienunternehmens, Herr Schmitt. Vielleicht ist es eigentlich sogar die Pflicht.

(Norbert Schmitt (SPD): Es ist gut, dass Sie das sagen!)

Aber ich hätte das schon gern gewusst. Insofern haben wir Gespräche mit Herrn Kengeter geführt, in denen wir das auch sehr klar formuliert, aber nicht kritisiert haben. Wir haben lediglich festgestellt, dass es da – so könnte man sagen – eine neue Pointierung im Verlauf der Wochen und Monate dieser Fusionsabsicht durch die Deutsche Börse gegeben hat, von der die Börse jedenfalls wissen muss, dass wir das gemerkt haben.

Ein letzter Punkt. Ja, es gibt auch andere Risiken für den Standort Frankfurt, beispielsweise die Frage, wo denn, egal, wo die Holding sitzt, künftig Eurex Clearing sitzen würde. Wir haben dort eine sehr starke Position in Frankfurt. Das ist übrigens der Teil, bei dem es kartellrechtlich offensichtlich die größten Probleme gibt.

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich bin fertig. – Insofern wird erst einmal abzuwarten sein, was das EU-Kartellrecht sagt. Das liegt noch nicht vor. Zweitens. Wann wird die Börse einen Antrag stellen? – Bis heute gibt es diesen Antrag nicht, weil die Unterlagen noch nicht vollständig sind. Erst ab diesem Zeitpunkt kann auch auf der Grundlage der Entscheidung der EU hier in Hessen entschieden werden. Kurzum: Es gibt aktuell keinen neuen Beratungsstand außer der Tatsache, dass Sie zu Recht nachgefragt haben, wie der Finanzminister das in dem Interview gemeint hat. Es war gut, dass wir heute darüber gesprochen haben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Kollege Schäfer-Gümbel für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Florian Rentsch, die Frage ist durch den materiellen Ausgleich, den wir gerade verabredet haben, geklärt. Insofern nehme ich die Entschuldigung an.

Herr Boddenberg, ich will mich zunächst bei Ihnen für Ihre Fürsorge bedanken, die Sie mir haben zuteilwerden lassen mit Ihrer Einlassung bezüglich meiner kritischen Bewertung nach dem Brexit. Ich bleibe allerdings dabei, was ich nach dem Brexit gesagt habe, angesichts der Entscheidung von Großbritannien, der Mehrheit in Großbritannien, die ich sehr bedauere, dass ich eine Börsenfusion unter den damals bekannten Bedingungen schlichtweg für gescheitert und tot halte. Dabei bleibe ich, und zwar unabhängig davon, Herr Boddenberg, welche Anmerkung ich hier vorher mehrfach in einer Debatte gemacht habe, sowohl zu den Chancen einer möglichen Börsenfusion als auch zu den Risiken.

(Beifall bei der SPD)

Diese Chancen und Risiken bleiben nach wie vor virulent, und die Sitzfrage ist eine ganz zentrale. Ich will das offen sagen: Ich hätte mir schon gewünscht – dabei teile ich ausdrücklich alle Anmerkungen der Kolleginnen und Kollegen, auch das habe ich hier am Anfang mehrfach gesagt, dass die Regierung, insbesondere der Wirtschaftsminister, nicht ganz so scharf formulieren darf wie andere, weil er derjenige ist, der die Prüfung zu verantworten hat –, dass das Parlament sehr wohl mehr sagen kann. Dazu gibt es auch Wege.