Protokoll der Sitzung vom 12.10.2016

Außerdem möchte ich mit einer weiteren grundsätzlichen Frage aufräumen, Herr Arnold. Die Frage lautet: Wie ist es denn mit der Wahrheit hier im Plenum?

(Unruhe – Glockenzeichen der Präsidentin)

Sie können sich hierhin stellen und sagen: Der Bericht ist mehrheitlich angenommen worden, und Mehrheit ist gleich Wahrheit. – Das ist aber ein falsches Demokratieverständnis, Herr Arnold.

(Beifall bei der FDP, der SPD und der LINKEN)

Darum möchte ich einmal zu den Fakten zurückkommen nach diesem Nebelkerzenwerfen. Um was geht es heute eigentlich? Was will die SPD mit ihrem Antrag erreichen? Herr Kollege Kaufmann kommt nach mir dran und wird si

cherlich ein bisschen kompetenter auf den Sachverhalt eingehen und mir in vielen Dingen recht geben, davon bin ich fest überzeugt.

Darum, Herr Kaufmann, können Sie all das noch einmal für mich bestätigen, was ich hier sage. Es geht bei dem Sachverhalt zunächst einmal um einen Schaden von 3 Millionen €, der dem Land entstanden ist, und zwar aus einem Vorgang heraus, den die Ministerin zu verantworten hat, den wir sonst nicht hätten und den wir auch niemand anderem aufdrücken können. Der Schaden ist da, und der bleibt bei uns, das ist definitiv. Das ist der erste Sachverhalt.

Der zweite Sachverhalt ist, dass es eine Verjährung gibt. Diese beginnt in dem Moment zu laufen, in dem wir Kenntnis davon bekommen. Wir haben Kenntnis von dem Sachverhalt, und die Verjährung wird voraussichtlich im Dezember dieses Jahres enden. Das heißt, es besteht Handlungsbedarf. Darum ist es auch zeitlich gerechtfertigt, dass wir heute dieses Thema diskutieren. Die Landesregierung muss sich auch immer darüber im Klaren sein, dass sie, wenn sie nicht handeln sollte, vielleicht selbst einmal zur Verantwortung gezogen wird. Darum besteht auch ein großes Interesse der Landesregierung, an dieser Stelle zu handeln. Das ist der zweite Sachverhalt.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abge- ordneten der LINKEN)

Was ist denn so schlimm daran, wenn man sagt – das Beispiel kam ja auch –, dass bei einem Dienstvergehen eines Polizisten dieses auch mit einem Disziplinarverfahren überprüft und geschaut wird, wie denn der Sachverhalt ist? Wenn ich mich jetzt in den NSU-Untersuchungsausschuss zurückversetze und feststelle, dass dort womöglich auch politisch bedingt ein Disziplinarverfahren gar nicht durchgeführt worden ist, dann scheint es doch bei der Frage: „Wo schauen wir hin und wo nicht?“, politische Setzungen in dieser Landesregierung zu geben, und das kann nicht sein.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abge- ordneten der LINKEN – Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Weitere Zurufe)

Sie sind ja auch immer gut darin, mit dem Finger auf andere zu deuten, liebe Kollegen der Union.

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen der Präsiden- tin)

Es scheint auf der Regierungsbank auch Unruhe ausgebrochen zu sein, weil Sie womöglich einmal mit den Realitäten konfrontiert wurden und sich nicht mehr – –

(Zurufe von der CDU)

Ja, das ist gut, das sind immer die Kommentare nach dem Motto: „Wenn ich nicht mehr weiter weiß,...“ Es zeigt also, Sie sind getroffen.

(Clemens Reif (CDU): Sie waren doch damals dabei! – Gegenrufe von der SDP: Ach so! Das ist etwas ganz anderes, Herr Reif! – Weitere Zurufe)

Kolleginnen und Kollegen, würden Sie bitte den Redner wieder zu Wort kommen lassen? Die Regierungsbank ver

hält sich bitte ganz ruhig, dort kann ich das zumindest anordnen – ich meinte Ihren Nachbarn, Herr Wintermeyer.

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen der Präsiden- tin)

Dann wäre es schön, wenn der Ministerpräsident nicht gegangen wäre; denn ich hätte gerne noch zwei Sätze zu ihm gesagt.

(Zuruf von der CDU: Machen Sie es doch!)

Wenn wir jetzt zur Aufklärung des eigentlichen Sachverhalts kommen, ist die Frage der Anhörung ein zentraler Punkt. Das ist ja klar geworden. Dann stellt sich die Frage, ob das Thema Anhörung politisch bedingt gewesen ist oder ob es Inkompetenz war, darauf zu verzichten. Dem müssen wir uns zwingend nähern. Wenn man sich den E-Mail- und Telefonverkehr und den Austausch zwischen Staatskanzlei und Umweltministerium während des Untersuchungsausschusses angesehen hat, dann wäre mein erster Verdacht gewesen, dass man in der Staatskanzlei politisch vorgegeben hat, wie es laufen müsste. Im Untersuchungsausschuss selbst hat Frau Puttrich, Parteisoldatin, die sie ist, alle Schuld auf sich genommen. Das habe ich sehr bedauert, aber sie hat es nun einmal gemacht. Also muss ich davon ausgehen, dass es tatsächlich nicht von der Staatskanzlei vorgegeben war, sondern es war die eigene Entscheidung – völlig unabhängig vom Ministerpräsidenten hat sie sich dazu entschieden, diese Entscheidung zu treffen.

Jetzt ist die Frage, ob die Entscheidung politisch bedingt war. Was gibt es denn für einen hinreichenden Hinweis, dass es so gewesen sein könnte? Ich sage es einmal ganz deutlich: Wir wissen, es gibt klare Bedenken oder auch den Hinweis, es nicht zu tun, aus der Fachabteilung des Umweltministeriums und vom Justizministerium – klare Hinweise, über die man sich hinweggesetzt hat.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abge- ordneten der LINKEN)

Ein ganz deutlicher Hinweis aus meiner Sicht, warum es politisch bedingt war: Das Justizministerium hat in seinem Vermerk darauf hingewiesen, man hätte den Fehler heilen können, indem die Anhörung nachgeholt würde. Auch das war bekannt. Aber auch dieses Nachholen haben Sie nicht gemacht – spätestens hier kann man nicht mehr von einem Versehen reden.

(Beifall bei der FDP, der SPD und der LINKEN)

Es war klar, man hätte es nachholen können. Auch das hat man nicht gemacht. Darum war es aus meiner Sicht ein ziemlich klarer Hinweis, dass es eine rein politische Setzung war und dass man auch hier klar überprüfen muss, wo die Verantwortung der Ministerin liegt. Dass man das heute nicht tut, ist wieder eine politische Entscheidung.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abge- ordneten der LINKEN)

Zum Abschluss noch eine Bemerkung: Es ist doch ganz klar, dass die Anhörung signifikant Einfluss auf das hat, was jetzt auf das Land Hessen zukommt – unabhängig von den 3 Millionen €, da bin ich absolut bei der SPD, davon kommen wir nicht mehr los. Da müssen wir sehen, wo wir die wieder zurückbekommen, wenn es hier massive Fehler gab.

Das Brutale aber ist ja: Dadurch, dass diese Anhörung nicht durchgeführt worden ist, haben wir ein Urteil, in dem man sich nicht nur auf den formalen Fehler bezogen, sondern mit Blick auf die Rechtsgrundlage auch gesagt hat, man habe auch materiell verloren. Das haben wir in dem Urteil gesagt bekommen. Das ist richtig, das ist der erste Teil der Argumentation der Union. Aber der zweite Teil, dass wir das Urteil überprüfen lassen wollten und die Überprüfung aus formalen Gründe nicht zugelassen wurde, ist ein klarer Hinweis darauf, wie wichtig der Verzicht auf die Anhörung und der formale Fehler am Ende waren. Wir waren nicht mehr in der Lage, das Urteil zu überprüfen. Darum liegt natürlich signifikant ein Fehler Ihrerseits vor, mit Rechtsfolgen, durch die wir womöglich Hunderte Millionen an Schadenersatz zahlen müssen. Das ist ganz allein die Verantwortung von Frau Puttrich, da der Ministerpräsident damit rein gar nichts zu tun hatte,

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Überhaupt nichts!)

was er glaubhaft versichert und die Ministerin auch glaubhaft zugestanden hat, wenn es auch der Lebensrealität ein wenig widerspricht. Aber so ist es nun einmal, und darum sind wir als Freie Demokraten der Meinung, dass man dem, was die SPD hier beantragt hat – wenn man denn Schaden von Hessen abwenden will –, unbedingt zustimmen muss. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abge- ordneten der LINKEN)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Kaufmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Günter Rudolph (SPD): Norbert, jetzt bekommst du erklärt, warum heute falsch ist, was damals richtig war!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es gerade erlebt: Wenn es schlecht läuft, zelebriere ich die große Aufregung. – Das hat der Kollege Schmitt vorgeführt, und er hat die Klamaukgrenze mehrfach überschritten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Meine Damen und Herren, uns ist das Thema viel zu wichtig, weswegen ich über das rede, worum es uns wirklich geht, gerade uns GRÜNEN. Ich wiederhole es gerne und mit Nachdruck: Es ist gut und richtig, dass Deutschland den Irrweg der Stromerzeugung durch Atomspaltung endlich verlässt und in Hessen kein AKW mehr in Betrieb ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Damit haben wir eine wesentliche Etappe geschafft, sind aber noch nicht an dem Ziel, das wir GRÜNE uns seit Gründung unserer Partei vorgenommen haben. Deshalb beschäftigen wir uns jetzt zum einen mit der möglichst gefahrlosen Beseitigung der Nachwirkungen der strahlenden Vergangenheit und zum anderen besonders engagiert mit der energiewirtschaftlichen Zukunft als einer Vollversorgung aus erneuerbaren Energiequellen. Wie gut wir alle

zusammen diese zweitgenannte Aufgabe auf unserem Globus insgesamt lösen, das bestimmt das Schicksal von uns allen.

Meine Damen und Herren, leider beschäftigen sich nicht alle politischen Kräfte vorrangig mit diesen Zukunftsthemen. Wie an dem vorliegenden Antrag deutlich zu erkennen ist, beschäftigt sich die SPD lieber mit der Vergangenheit. So sei es eben, also schaue auch ich kurz zurück.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))

Ich wiederhole mit Nachdruck, dass es ein massiver politischer Fehler der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung war, den 2010 von Rot-Grün im Konsens mit der Atomwirtschaft rechtssicher vereinbarten Atomausstieg ohne Not aufzukündigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit begann das Desaster auch für Hessen. Die anschließende Rücknahme dieser Fehlentscheidung im März 2011 ist und bleibt aus unserer Sicht richtig, auch wenn sie im Hauruckverfahren erfolgte und dabei Fehler passiert sind.

(Stephan Grüger (SPD): Das ist aber auch Vergangenheit!)

Wenn es heute um Schadenersatz geht, ist doch zuallererst den Forderungen der Atomindustrie entgegenzutreten. Unsere Regierung kämpft gegen die unverschämten Ansprüche der Energiekonzerne, und eigentlich, so sollte man denken, müssten dann auch alle zusammenstehen – das sage ich insbesondere auch in Richtung der SPD.

(Zurufe von der SPD)

Das ist aber, wie wir gehört haben, leider nicht der Fall.