Protokoll der Sitzung vom 24.11.2016

Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Im Internet und mithilfe des Internets begangene Äußerungsdelikte sind ebenso strafbar wie Straftaten in der realen Welt. Bedrohungen und das Auffordern zu Straftaten – z. B. dem Anzünden von Flüchtlingsunterkünften, zu Gewalt gegen Politiker oder ehrenamtliche Flüchtlingshelfer, zu Volksverhetzung und anderen Straftaten – sind im Rechtsstaat verboten. Der Eindruck, der mittlerweile in der Öffentlichkeit entstanden ist – dass sich beispielsweise Facebook als

amerikanisches Unternehmen seine eigenen Spielregeln aussuchen kann –, ist fatal.

Aber die Idee, eine Taskforce einzusetzen, die ohne gesetzliche Grundlage mit Facebook verhandeln soll, was aus dem Netz genommen werden soll oder nicht, war von Anfang an eine falsche Strategie des Bundesjustizministers. Das habe ich schon immer kritisiert, von Anfang an.

Ich bin froh, Frau Kollegin Hofmann, dass auch Sie erwähnt haben, dass es heute darum geht, wie man Facebook rechtlich verpflichten kann, nachdem der Appell zu freiwilligen Maßnahmen nicht gewirkt hat – Herr Frömmrich hat es auch gesagt. Es ist der Eindruck entstanden, als könnten soziale Medien – wie eine staatliche Organisation – eine Sittenwächterrolle einnehmen und dürften entscheiden, was aufgenommen wird und was nicht.

Heute sind wir einen ganzen Schritt weiter. Ich bin davon überzeugt, dass die Taskforce in diesem Bereich nicht geholfen hat. Stattdessen müssen wir rechtliche Regeln festsetzen, die auch Unternehmen betreffen, die im Ausland tätig sind. Deshalb hat es schon vor dieser Justizministerkonferenz eine Initiative der Justizminister gegeben, einen Strafrechtsausschuss einzurichten. Er hat der Justizministerkonferenz ein Ergebnis vorgelegt und mit Fachleuten ausgelotet, welche rechtlichen Regelungen man in Angriff nehmen könnte. Dazu komme ich gleich noch.

Aufgrund dieses Berichts ist während der Justizministerkonferenz auf Initiative Hamburgs ein Beschluss zustande gekommen. Alle sind sich darin einig, dass jetzt rechtlich etwas passieren muss. Da geht es noch um einige Nuancen – wie weit man denn gehen sollte. Wir haben in diesem Bereich aber schon viel Zeit verloren. Die Situation des Verfalls der Werte im Internet holt uns fast täglich ein.

Deswegen kommt es jetzt darauf an, die rechtlichen Regelungen, die vorgeschlagen worden sind, innerhalb der Länder und mit dem Bundesjustizminister so schnell auf den Weg zu bringen, dass daraus eine Initiative werden kann, die ganz schnell beschlossen werden könnte, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Das will ich heute erwähnen: Noch gefährlicher sind die Social Bots, also echt aussehende Twitter- und FacebookAccounts mit Profilfoto, harmlosen Beiträgen und einigen Followern. Das sind maschinell erschaffene Computerprofile, um Botschaften gezielt zu posten und weiterzuleiten.

Das ist nicht nur für das politische Establishment eine Gefahr. Wer sich in den USA die Wahlen ansieht, kann erkennen, dass mit solchen Initiativen Stimmung gemacht wurde. Wir sind in Deutschland nicht weit davon entfernt. Wenn mancher Politiker seine Entscheidung danach ausrichtet, was geliket wird und wie oft, dann sitzen wir sozusagen dem auf, was an Meinungsmache von wenigen, die extrem reagieren, im Netz gefertigt wird.

Davor sollten wir uns nicht nur in der Politik hüten. Das betrifft extremistische Bereiche. Es ist ein Vorteil des Internets, dass man mit wenigen Leuten in einem Land eine Stimmung erzeugen kann, die die Realität nicht wiedergibt. Am Ende ist das strafbar, wenn es sich im strafrechtlichen Bereich bewegt. Mit diesen Maschinen kann man Meinungsmache in der Gesellschaft machen. Man kann damit Entscheidungen beeinflussen. Die Debatte, die wir auf der Ebene der Justizminister führen, ist jetzt so weit gediehen, dass die Vorschläge bald auf dem Tisch liegen werden.

Herr Kollege Rentsch, hinsichtlich der Möglichkeiten, im Ausland tätig zu werden, gibt es ganz konkrete Vorschläge. Es gibt eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom März dieses Jahres, in dem er auf Folgendes hinweist: Wenn ein Dienst wie Facebook merkt, dass etwas einen strafrechtlichen Hintergrund hat, wenn er also davon Kenntnis hat, dann ist Facebook laut der Entscheidung des Bundesgerichtshofs dafür verantwortlich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Frau Staatsministerin, die Redezeit der Fraktionen ist erreicht.

Vielen Dank. – Ich will darauf hinweisen, dass man jetzt viele Möglichkeiten ausloten muss, die vorgeschlagen wurden. Zum Schluss meiner Rede will ich noch einmal deutlich sagen: Wir müssen die Mittel des Rechtsstaats ausschöpfen. Wir müssen die Hate Speech und die entsprechenden Kommentare im Netz strafrechtlich verfolgen und die Werte in unserer Gesellschaft erhalten. Das ist das Ziel. Deshalb freue ich mich darüber, dass die Unterstützung im Hessischen Landtag heute in diese Richtung geht. Daran sollten wir alle gemeinsam arbeiten.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Ich habe keine weiteren Wortmeldungen mehr. Damit ist die Debatte zu Tagesordnungspunkt 35 beendet.

Wir kommen damit zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Holger Bellino (CDU): Ausschuss!)

Er soll dem Ausschuss überwiesen werden? – Okay. Dann wird der Entschließungsantrag, Drucks. 19/4105, dem Rechtspolitischen Ausschuss überwiesen.

Kolleginnen und Kollegen, ich rufe dann Tagesordnungspunkt 19 auf:

Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE betreffend gesetzliche Grundlage zum „Abhören unter Freunden“ – Drucks. 19/4047 –

Als Erstem erteile ich Herrn Kollegen Wilken für die Fraktion DIE LINKE das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn sich hier Mittagspausenstimmung breitmacht, kann ich Ihnen keine Suppe oder kein Hähnchen bieten. Vielmehr kann ich Ihnen ein bisschen Aufregung oder zumindest die Erinnerung an die Aufregung bieten.

Ich glaube, wir erinnern uns noch alle sehr gut an die kollektive Aufregung über den NSA-Skandal in unserem Land und an die Reaktion der Bundeskanzlerin, die sagte:

Abhören unter Freunden, das geht gar nicht.

Wir erinnern uns noch an den Aufschrei, den Bürgerrechtsorganisationen, und nicht nur diese, gemacht haben.

Jahrzehntelang betrieb auch der Bundesnachrichtendienst mit halbseidenen Konstruktionen Spionage gegen die Bürgerinnen und Bürger, Menschenrechtsorganisationen und befreundete Regierungen. Statt dieser Praxis ein Ende zu setzen und die Privatsphäre der Menschen wirksam zu schützen, haben SPD und CDU auf Bundesebene nun Gesetze geschaffen, die die Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes sogar noch ausweiten. In der Vergangenheit hat der Bundesnachrichtendienst das Parlament, manchmal auch das Bundeskanzleramt und fast immer die betroffenen Unternehmen getäuscht. Er tat dies absichtlich und im vollen Bewusstsein der Illegalität.

Das ist im NSA-Untersuchungsausschuss sehr deutlich geworden: Für diese Praxis des Bundesnachrichtendienstes wurde ein perfides System aus Abschirmen und Nicht-Dokumentieren installiert. Es gab dieses System des Bundesnachrichtendienstes schon sehr lange. Tricksen, tarnen und täuschen, so lässt sich das Credo des Bundesnachrichtendienstes zusammenfassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir erinnern uns an die berechtigte Aufregung, die uns alle durch die Enthüllungen vor allem durch Edward Snowden erfasst hat. Was passiert jetzt? – Es passiert nichts, es gibt keine Reue, kein Umsteuern und kein Zur-RechenschaftZiehen der Verantwortlichen. Stattdessen wird die Rechtslage den Wünschen des Geheimdienstes angepasst. Das bedeutet unter anderem anlasslose Massenüberwachung.

(Günter Rudolph (SPD): Ei, ei, ei!)

Herr Rudolph, es ist leider so. – Die anlasslose und umfassende politische Spionage gegen Hilfsorganisationen, die Presse, Regierungen der europäischen Länder und gegen die Bürgerinnen und Bürger wird durch diese neuen Gesetze legal werden. Unterschiedliche Nichtregierungsorganisationen wie Reporter ohne Grenzen, Amnesty International und drei Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen haben dieses Gesetz gerügt. Die bisherige Praxis, die nun legalisiert werden soll, wurde von anerkannten Juristinnen und Juristen und nicht zuletzt von Deutschlands obersten Datenschützern immer wieder als schlichtweg illegal angeprangert.

Wie reagieren SPD und CDU im Bund darauf? Sie belohnen den Geheimdienst mit mehr Befugnissen für Massenüberwachungen. Das darf doch wohl nicht wahr sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Warum müssen wir uns im Hessischen Landtag damit befassen?

(Günter Rudolph (SPD): Das ist eine nicht unberechtigte Frage!)

Im Wesentlichen gibt es dafür zwei Gründe. Zum einen müssen wir das, weil der wichtigste Internetknotenpunkt, der abgeschöpft wird, in Frankfurt am Main, also im Hessenland, liegt. Der Betreiber dieses Internetknotenpunktes klagt seit Langem gegen die bisher illegale massenhafte Abfischung seiner Daten. Er klagt damit natürlich auch gegen die Gefährdung seines Geschäftsmodells in Frankfurt am Main.

Zweitens werden in Hessen von mindestens einem Mitglied der die Landesregierung tragenden Fraktionen öffentlich verfassungsrechtliche Bedenken gegen genau dieses Bundesnachrichtendienstgesetz geäußert.

(Zuruf: Wer ist das?)

Ich nenne sie gleich namentlich. Selbstverständlich verzichte ich nicht darauf. – Sehr geehrte GRÜNE, sehr geehrter Herr Frömmrich, Sie müssen sich schon entscheiden, ob die Hessische Landesregierung diese Gesetzentwürfe im Bundesrat durchwinkt, also keinen Einspruch einlegt, oder ob Sie beifallsheischend noch einmal in Richtung der Bürgerrechtsorganisationen winken wollen.

(Günter Rudolph (SPD): Das ist wie beim Flughafen: Wischiwaschi!)

Entweder wollen Sie diese Massenüberwachung nicht, oder Sie wollen sie als Teil der Landesregierung schon. Beides geht nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen, zusammenfassend, noch einmal vor Augen führen, was nach Unterzeichnung dieser Gesetze durch den Bundespräsidenten Realität werden wird:

Der Auslandsgeheimdienst BND darf bisher innerhalb Deutschlands nicht abhören. Er tat es dennoch. Dagegen klagt, wie ich gerade sagte, der Betreiber des Internetknotens DE-CIX. Das BND-Gesetz soll nun genau diesen bisher illegalen vollen Zugriff auf alle Datenbewegungen legalisieren.

Zweitens. Bisher durfte der BND nur einzelne Leitungen abhören. Das betraf dann eine Glasfaser der Telekom zwischen Luxemburg und Wien. Davon durfte er eigentlich nur 20 % der Kapazität abhören. Mit dem neuen Gesetz werden beide Grenzen fallen. Der BND darf dann ganze Telekommunikationsnetze ohne Begrenzungen anzapfen. Er darf dann sämtliche Telefonleitungen und den gesamten Internetknotenpunkt DE-CIX anzapfen. Damit wird das Maß der Überwachung erheblich steigen.

Drittens. Bislang gab es acht Gründe für das Abhören, wie z. B Terrorangriffe. Nun wird das alles im neuen Gesetz schwammig, und es werden z. B. – ich zitiere: „sonstige Erkenntnisse von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung“ – zukünftig ausreichen, um eine Massenüberwachung anzuordnen.

(Vizepräsidentin Ursula Hammann übernimmt den Vorsitz.)

Viertens. Wir reden hier über Vorratsdatenspeicherung. So kritisiert Prof. Bäcker vom Karlsruher Institut für Technologie, Institut für Informations- und Wirtschaftsrecht, in der Anhörung des Deutschen Bundestages völlig zu Recht – ich zitiere –:

Der Bundesnachrichtendienst darf auf der Grundlage dieses Gesetzes … Telekommunikationsverkehrsdaten … völlig anlasslos sechs Monate lang bevorraten, ohne irgendeinen Grund darlegen zu müssen, warum das erforderlich ist. Innerhalb dieser sechs Monate darf der BND diese Verkehrsdaten auswerten zur Aufgabenerfüllung, also fast auch ohne einen Auswertungsanlass. Das verfehlt so evident die Anforderungen an Vorratsdatenspeicherungen, die das

Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat in seiner Entscheidung im Jahr 2010, …