Protokoll der Sitzung vom 14.12.2016

Meine Damen und Herren von der Linkspartei, Sie mögen das Prinzip inländischer Fluchtalternativen für falsch halten. Aber das ist Teil unseres Migrationssystems, um Aufnahmeländer nicht zu überfordern und um Krisenländer nicht aus der Verantwortung zu entlassen, sich um ihre eigene Bevölkerung zu kümmern. Nicht umsonst unterstützt deshalb die internationale Gemeinschaft Afghanistan jährlich mit Milliardenbeträgen. Laut der letzten AfghanistanKonferenz waren es mehr als 3 Milliarden € für den Wiederaufbau.

Auch das will ich sehr deutlich sagen: Wenn ein rechtsstaatliches Verfahren mit individueller Prüfung wie hier zu einem bestimmten Abschluss gekommen ist, dann setzt ein Rechtsstaat auch Recht durch. Das umfasst auch – bei allem Verständnis dafür, dass Menschen lieber in unserem Land bleiben wollen – die Abschiebung, wenn kein Aufenthaltstitel zugesprochen worden ist. Das gilt nun einmal auch für minderjährige Betroffene.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zu guter Letzt noch ein Wort zum Winterabschiebestopp. Bezüglich des Winterabschiebestopps will ich nur sagen, dass ein solcher mit Blick auf die nach wie vor äußerst geringen Schutzquoten für Flüchtlinge aus den betroffenen Ländern, insbesondere aus dem Balkan – das haben wir bereits in der Vergangenheit diskutieren müssen –, zu absoluten Fehlanreizen führen würde.

Ich bin den Kollegen Roth und Merz sehr dankbar für die sehr differenzierte Stellungnahme. Aber der Punkt 3 des SPD-Antrags weist in die völlig falsche Richtung, weil Sie genau das negieren, was tatsächlich Sache ist. Ich hatte den Eindruck, dass Sie so etwas wie einen Ausgang für Helden gesucht haben. Unter Punkt 5 des Koalitionsantrags wird ganz genau beschrieben, um was es geht. Natürlich muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die Sicherheitslage eine Abschiebung zulässt oder nicht. Natürlich fließen dabei die regelmäßigen Lagebeurteilungen des Auswärtigen Amtes ein. Deswegen sollte aber nicht einfach gesagt werden, dass man das einfach sein lässt. Tut mir leid. Da fehlt mir die Konsequenz in der Entscheidung.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, aus meiner Sicht war es vollkommen richtig, die sicheren Herkunftsstaaten auf die westlichen Balkanländer auszuweiten. Wir müssten das

dringend auch für die nordafrikanischen Staaten tun. Das Ganze vor allem vor dem Hintergrund, dass Balkanländer Beitrittsverhandlungen mit der EU führen. Der Weg dorthin ist zweifelsfrei aber noch weit.

Wir müssen betonen, dass es für absolute Härtefälle und für diejenigen, die Asylgründe aus diesem Bereich vorbringen können, trotz Einstufung als sicherer Herkunftsstaat natürlich nach wie vor die Möglichkeit gibt, individuelle Entscheidungen im Verfahren zu treffen. Außerdem sei auf den Petitionsausschuss und die Härtefallkommission hingewiesen. Meine Damen und Herren, das muss so sein.

Ganz zum Schluss will ich sagen: Deutschland gewährt – und das ist richtig so – großzügig Aufenthalt für Menschen, die vor Verfolgung und Krieg fliehen müssen. Wer aber keinen Anspruch auf Hilfe hat, der muss auch wissen, dass sich unser Rechtsstaat auch dann durchsetzt, um die Interessen unseres Landes zu wahren. Das erwarten wir als Freie Demokraten von unserem Staat. Das erwarten die Menschen in unserem Land von der Politik. Lassen Sie uns dem gerecht werden.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank. – Das Wort hat Kollege Wagner, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Politisch Verfolgte genießen Asyl in unserem Land. Im vergangenen Jahr sind über 1 Million Menschen zu uns nach Deutschland gekommen. Über 100.000 Menschen sind nach Hessen gekommen. Wir haben sie willkommen geheißen. Wir unterstützen sie mit einem Aktionsplan in Hessen und mit Maßnahmen in anderen Ländern.

Aber nicht alle von diesen Menschen haben auch tatsächlich Anrecht auf Asyl. Insofern wird bei jeder Einzelnen und jedem Einzelnen sehr sorgfältig geprüft, ob ein Anspruch auf Schutz besteht. Als Erstes wird geprüft, ob ein Anspruch auf Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention besteht. Sollte das nicht der Fall sein, wird geprüft, ob ein Anrecht auf Asyl nach den Regelungen unseres Grundgesetzes besteht. Sollte das nicht der Fall sein, wird geprüft, ob ein Anspruch auf subsidiären Schutz besteht.

Ich lese einmal kurz vor, was subsidiärer Schutz nach der Definition des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bedeutet:

Subsidiär schutzberechtigt sind Menschen, die stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass ihnen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht …

Das ist die dritte Schutzform, die wir kennen. Wenn die Menschen nach sorgfältiger Prüfung auch darauf kein Anrecht haben, gibt es eine vierte Schutzkategorie, und das ist das Abschiebeverbot. Auch hier ein Auszug aus der Definition:

Ein schutzsuchender Mensch darf nicht rückgeführt werden, wenn … eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

Erst wenn diese vier Kategorien geprüft sind und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu dem Ergebnis kommt, dass alle diese vier Kategorien nicht erfüllt sind, dann ist jemand bei uns ausreisepflichtig. Auch dann hat er aber noch die Möglichkeit, den Rechtsweg gegen diese Entscheidung zu beschreiten.

Diese Entscheidungen fallen also nicht leichtfertig in unserem Land, und dennoch ist jede Entscheidung ein schweres menschliches Schicksal. Das gilt bei „normalen“ Staaten, aber es gilt insbesondere bei Staaten wie Afghanistan.

Ich sage Ihnen offen: Ich finde Abschiebungen in diese Länder schwer erträglich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde sie schwer erträglich, weil ich die Sicherheitslage in Afghanistan nicht wirklich aus eigener Kompetenz beurteilen kann und mich trotzdem dazu verhalten muss. Und wenn wir alle, die wir hier sitzen, ehrlich sind, kann keine und keiner von uns aus eigener Kompetenz die Sicherheitslage in Afghanistan beurteilen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich finde die Abschiebungen schwer erträglich, weil ich jeden Tag einen Widerspruch sehe zwischen den Nachrichten, die uns aus Afghanistan erreichen, und den Ergebnissen, zu denen die zuständigen Bundesbehörden in ihren Sicherheitsempfehlungen gekommen sind. Ich finde sie schwer erträglich, weil wir als Abgeordnete uns zum Schicksal von Menschen verhalten müssen und uns dabei nichts anderes übrig bleibt, als uns auf die Einschätzungen von anderen, auf die Einschätzungen der zuständigen Bundesbehörden, zu verlassen. Ich sage sehr deutlich: Die Entscheidungen und die Einschätzungen dieser Bundesbehörden stehen nicht außerhalb der Kritik. Natürlich sind Zweifel zulässig und müssen geäußert werden.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Genau! Man darf das auch kritisieren!)

Natürlich müssen diese Entscheidungen kontinuierlich überprüft werden.

Aber, meine Damen und Herren, wer, wenn nicht diese Einrichtungen, die wir als Politikerinnen und Politiker mit diesen Prüfungen und Entscheidungen betraut haben, soll denn dann darüber entscheiden, ob eine Abschiebung zulässig ist oder nicht?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie des Abg. Lothar Quanz (SPD) – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Setzen wir an die Stelle des Verfahrens, das ich eben beschrieben habe, eine politische Entscheidung des Landtags zu Afghanistan, warum tun wir das dann nicht auch zu anderen Ländern? Warum prüfen wir dann nicht bei allen anderen Ländern, ob das nicht genauso geboten wäre?

(Janine Wissler (DIE LINKE): Natürlich!)

Auf welcher Grundlage, anhand welcher Fakten treffen wir denn dann eine Entscheidung? Und sind wir wirklich sicher, dass wir die besseren Fakten, die besseren Einschätzungen, die besseren Informationen haben als die von uns beauftragten Einrichtungen?

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Wenn ich sage, Abschiebungen nach Afghanistan seien schwer erträglich, dann möchte ich darauf hinweisen, dass es Menschen in unserem Land gibt, die tagtäglich diese Entscheidungen treffen müssen. Das sind die Entscheiderinnen und Entscheider des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, das sind Richterinnen und Richter im Verfahren, die tagtäglich diese schwierigen Entscheidungen treffen müssen. Wissen wir es wirklich besser als sie? Können und wollen wir uns an die Stelle von deren sorgfältiger Prüfung setzen?

(Janine Wissler (DIE LINKE): Amnesty International hat ja schließlich keine Ahnung!)

In Abwägung dieser Überlegungen komme ich und kommt meine Fraktion zu dem Ergebnis, dass wir als Abgeordnete nicht anstelle der Behörden die Sicherheitslage einschätzen und Entscheidungen im Einzelfall treffen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Was wir aber tun können und tun müssen, ist, den Behörden klare Kriterien an die Hand zu geben, entlang derer sie entscheiden sollen. Genau das haben wir auch in dem Antrag, den CDU und GRÜNE vorgelegt haben, noch einmal betont. Darauf müssen wir bestehen, dass dies die Kriterien sind, nach denen die Prüfungen erfolgen. Wir erwarten, dass diese Kriterien eingehalten werden und jeder Einzelfall nach diesen Kriterien geprüft wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Am meisten bewegt mich in dieser Debatte das Schicksal der Menschen, über die wir reden. Wie bereits beschrieben, finde ich das schwer erträglich. Aber auch manches in der politischen Debatte über dieses Thema finde ich schwer erträglich.

Ich finde es schwer erträglich, wenn Bundespolitiker meinen, ausgerechnet bei Abschiebungen nach Afghanistan den harten Hund markieren zu müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ganz konkret an den Bundesinnenminister gerichtet, sage ich: Zielgrößen und Fantastereien über Massenabschiebungen nach Afghanistan passen nicht zur Einzelfallprüfung nach unserem Asylrecht, Herr de Maizière.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Noch eines, meine Damen und Herren: Ich finde es schwierig – in dieser Debatte ist es ja in einem Redebeitrag angeklungen –, wenn versucht wird, dieses Thema in Schwarz-Weiß-Kategorien zu behandeln, wenn wir anfangen, uns gegenseitig zu unterstellen, in dieser sensiblen Entscheidung würde sich irgendjemand irgendetwas leicht machen. Diejenigen, die das tun, möchte ich daran erinnern, dass es der einstimmige Beschluss der Innenministerkonferenz von Dezember 2015 war, auf dessen Grundlage jetzt Abschiebungen nach Afghanistan organisiert werden.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Es gab Enthaltungen, das muss auch gesagt werden!)

An diesem Beschluss war auch die Landesregierung von Thüringen beteiligt, Herr Kollege van Ooyen.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Das haben wir schon mehrfach diskutiert! Sie wissen genau, wie diese Abstimmungen gelaufen sind, Herr Wagner!)

Deshalb sollte hier jetzt niemand so tun, als ob es die einen gäbe, die Abschiebungen komplett ausschließen, und die anderen, die dafür sind, bedingungslos und ohne jede Gründe. Das sollten wir angesichts der Lage nicht tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Es bleibt immer eine schwierige Entscheidung im Einzelfall. Lassen Sie uns also auf diese Ebene der Debatte verzichten. Die Entscheidungen sind auch so schon schwer genug, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)