Protokoll der Sitzung vom 14.12.2016

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Kollegin Mürvet Öztürk. Fünf Minuten Redezeit.

Meine sehr verehrte Präsidentin, liebe Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich etwas zur inhaltlichen Debatte sage, möchte ich gerne eine Bemerkung dazu machen, dass es auch unparlamentarisch ist, wenn im Hessischen Landtag zu Kommentaren von Abgeordneten die Regierungsbank klatscht und ihre Meinung kundtut.

(Zurufe von der CDU)

Ich finde, das gehört nicht dazu. Das kann das Parlament schon alleine regeln. Dafür haben wir ein Präsidium, und wenn die Landtagspräsidentin schon eine Rüge dazu ausgesprochen hat, ist das ausreichend. Die Regierungsbank möge sich in Zukunft bitte darin zurückhalten; denn das Spiel in diesem Parlament funktioniert so, dass wir die Regierung kontrollieren und nicht die Regierung uns kontrolliert.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU)

Mit dem Begriff bin ich nicht einverstanden, das ist nicht meine Wortwahl. Ich würde das so auf keinen Fall benennen. Trotzdem ist es die Entscheidung der Abgeordneten selbst, und das will ich auch gar nicht kommentieren. Ich möchte nur sagen, dass es nicht meine Begrifflichkeit ist – es ist aber ihre eigene Entscheidung, und die Regierungsbank hat dazu ihre Kommentare zu unterlassen. Das gehört auch zur parlamentarischen Demokratie und zur Gewaltenteilung. Daran möchte ich nur einmal kurz erinnern, meine Damen und Herren.

Nun zur geplanten Abschiebung. Was für mich aber interessant ist, wenn wir heute über die Abschiebung nach Afghanistan diskutieren, dass immer wieder die gleichen und unterschiedlichen Argumente vermischt werden und dass immer wieder versucht wird, Argumente anzuführen, warum der Grund für das, was wir 2008 gemeinsam in diesem Landtag beschlossen haben, nämlich einen Abschiebestopp nach Afghanistan – während sich die Situation dort heute gegenüber damals nicht mehr verbessert hat –, also das, was damals nicht in Ordnung war, heute auf einmal in Ordnung sein soll. Das zeugt einfach von politischer Willkür, das finde ich nicht in Ordnung. Das wird auch der Si

tuation der Menschen, die nach Afghanistan abgeschoben werden, keinesfalls gerecht.

(Beifall bei der LINKEN – Vizepräsidentin Ursula Hammann übernimmt den Vorsitz.)

Ich möchte dazu einfach eine Presserklärung zitieren und zum Schluss sagen, wer diese geschrieben hat:

Abschiebungen in ein Kriegsgebiet sind nicht nur ein humanitärer Tabubruch. Die hier bekannt gewordenen Fälle zeigen,

beispielsweise Hamburg, da ist ein Härtefall noch gar nicht abgeschlossen –

dass selbst integrierte Menschen mit festen Bindungen in Deutschland, ethnische Minderheiten und Kranke abgeschoben werden sollen. Der Bundesinnenminister und die beteiligten Landesinnenminister riskieren dabei das Leben und die Unversehrtheit der Betroffenen.

Die Afghanistan-Politik des Bundesinnenministers will auf Biegen und Brechen ein Exempel statuieren, um potenziellen Schutzsuchenden in Afghanistan zu zeigen, dass die Flucht nach Deutschland keine Perspektive für sie biete. Mit ihrem Verweis auf angeblich sichere Regionen in Afghanistan schafft sich diese Bundesregierung ihre eigene Wirklichkeit. Das hat mit einer verantwortungsbewussten Außen- und Innenpolitik nichts mehr zu tun.

Anders als von der Bundesregierung behauptet, ist eine Unterstützung derer, die nach Afghanistan abgeschoben werden, nicht gegeben. Die Abholung durch die International Organization for Migration am Flughafen ändert nichts an dem Dilemma, dass die Perspektiven für die Zwangsrückkehrer in Afghanistan so schlecht sind wie die Sicherheitslage dort.

Dass sich etliche grün mitregierte Länder an der Sammelabschiebung nicht beteiligen, zeigt, dass dieser Weg nicht als alternativlos angesehen wird und dass weiter dringende Sicherheitsbedenken gegenüber zwangsweisen Rückführungen nach Afghanistan bestehen.

Die grüne Bundestagsfraktion spricht sich mit Blick auf die derzeitige Sicherheitslage in Afghanistan für einen generellen Abschiebestopp nach Afghanistan aus.

(Beifall bei der LINKEN)

Das war eine Erklärung der Kollegin Luise Amtsberg, flüchtlingspolitische Sprecherin im Bundestag.

Wenn wir es selbst nicht besser wissen, können wir uns gerne Rat holen. Sowohl Pro Asyl als auch die Ärzteorganisation IPPNW, der niedersächsische Flüchtlingsrat, Amnesty International und der Hessische Flüchtlingsrat sprechen sich gegen eine Abschiebung nach Afghanistan aus. Von daher haben wir hier genug sachliche Kompetenz, um uns beraten zu lassen. Ich finde, dass wir diese sachliche Kompetenz nutzen und heute einen Abschiebestopp nach Afghanistan beschließen sollten, da die aktuelle Kriegssituation Abschiebungen auf keinen Fall zulässt. Wir sollten auch die Prüfung des Außenministeriums abwarten, weil man nämlich auch dort große Bedenken hat

und Mitarbeiter Opfer der Situation in Afghanistan geworden sind.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Reisewarnung!)

Das Ministerium hat eine Reisewarnung ausgesprochen. – Von daher wünsche ich mir heute eine klare Haltung, eine klare Position, dass man sich nämlich gegen Abschiebungen ausspricht. Von der Sammelabschiebung sind 50 Personen betroffen. Man will mit dieser Sammelabschiebung ein Exempel statuieren. Das sollten wir aber nicht auf dem Rücken der Menschen tun, die vor Jahren aufgrund einer Kriegssituation zu uns geflüchtet sind. Im Umkehrschluss würde diese Haltung wahrscheinlich bedeuten, dass wir in zwei bis drei Jahren anfangen, Menschen nach Syrien abzuschieben. Die Argumentation, dass es dort sichere Regionen gibt, könnte man schon heute auf Syrien anwenden.

(Gerhard Merz (SPD): Nein, das kann man nicht!)

Damaskus ist super sicher, wenn man ein Assad-Befürworter ist. – Das ist ein Hohn, meine Damen und Herren. Von daher gesehen, finde ich nicht, dass wir uns in diesem Hause Bayern und Hamburg anschließen sollten, sondern wir sollten uns den Bundesländern anschließen, die eine Sammelabschiebung nach Afghanistan nicht unterstützen. Das wäre ein klares Zeichen der Humanität.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Öztürk. – Für die Landesregierung spricht nun Staatsminister Beuth. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben uns in diesem Hause bereits mit vergleichbaren Anträgen befasst: zum Winterabschiebestopp im Dezember 2014, im November 2015 und noch einmal im Dezember 2015. Es gilt aus meiner Sicht weiterhin das, was der Hessische Landtag bereits am 26. November 2015 auf der Grundlage eines Entschließungsantrags von CDU und GRÜNEN – betreffend sorgfältige Einzelfallprüfung auch für Flüchtlinge aus Afghanistan – beschlossen hat: ein Bekenntnis zu unserem Asylrecht mit sorgfältig getroffenen und gerichtlich überprüfbaren Einzelfallentscheidungen, die aufmerksame Beobachtung der Verhältnisse in den Herkunftsländern – eben auch in Afghanistan – und nicht zuletzt der gesetzmäßige Vollzug des Aufenthaltsrechts, was die Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht einschließt. Von diesem zugleich humanitären wie rechtsstaatlichen Weg lassen wir uns nicht abbringen.

Mit der großen Flüchtlingswelle sind zwischen Oktober 2014 und Oktober 2016 über 100.000 Flüchtlinge nach Hessen gekommen. Nachdem das Land zusammen mit den Kommunen und den Helferorganisationen mit enormem personellem und finanziellem Aufwand die Erstunterbringung, die Erstuntersuchung zur Unterstützung des BAMF sowie die erkennungsdienstliche Behandlung und Registrierung organisiert hat, werden nunmehr die Asylverfahren geordnet und nach den gesetzlichen Vorgaben abgearbeitet. Das europa- und bundesrechtlich geregelte Asylverfahren dürfte in seiner Individualbezogenheit und Prüfungstiefe seinesgleichen in der Welt suchen.

Für die überwiegende Anzahl der zu uns Kommenden endet das Asylverfahren tatsächlich mit einer Anerkennung, ob es nun, seltener, Asyl oder, häufiger, Flüchtlingsanerkennung oder Gewährung subsidiären Schutzes heißt. Für eine große Zahl von Menschen bedeuten diese Entscheidungen ein langfristiges Bleiberecht. Für die Gesellschaft bedeuten sie weiterhin eine große Anstrengung, der wir – daran möchte ich noch einmal erinnern, nicht nur deswegen, weil wir vorhin den Haushalt für 2017 beschlossen haben – mit zwei Asylpaketen, die wir im Hessischen Landtag beschlossen haben, beispielhaft für die gesamte Bundesrepublik nachkommen. Wir unternehmen große Anstrengungen bei der Vermittlung von Deutschkenntnissen, bei der beruflichen Anerkennung und Qualifizierung, bei der passgenauen Vermittlung von Arbeit, bei der Bereitstellung von angemessenem Wohnraum, bei der Integration in das Bildungswesen, bei den häufig auf Jahre notwendigen finanziellen Unterstützungsleistungen und nicht zuletzt beim aktiven Zugehen der Vereine, Hilfsorganisationen, Feuerwehren, Sportverbände und anderen auf unsere neuen Mitbürger.

Ohne Aufregung oder Sorgen müssen wir angesichts der riesigen Zahl an Zuwanderer in den letzten beiden Jahren feststellen: Wir werden noch lange Zeit an dieser Aufgabe arbeiten müssen. Wir tun dies mit der Zuversicht, dass unser Land durch die neuen Mitbürger bereichert wird, fordern die neu Zugewanderten aber gleichzeitig auf, die ausgestreckte Hand zu ergreifen.

Es gibt eine kleinere, aber doch gewichtige Zahl von Menschen, die nicht hierbleiben können, weil ihr Asylantrag abgelehnt worden ist. Als Innenminister und als Abgeordneter des Hessischen Landtags vertraue ich auf das Funktionieren unserer Verfahren, auf die zuständigen Behörden und auf die Entscheidungen unserer unabhängigen Gerichte.

Wenn diese Institutionen rechtskräftig entschieden haben, dass Asylanträge abgelehnt werden oder die Antragsteller das Land wieder verlassen müssen, dann ist es Aufgabe der unter meiner Verantwortung stehenden Verwaltung, die Entscheidungen nach Recht und Gesetz zu vollziehen. Ich wiederhole: Zuständig für die Prüfung und Entscheidung, dass ein abgelehnter Asylbewerber ausreisen muss, ansonsten abzuschieben ist, ist ausschließlich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die entsprechende Entscheidung wird unmittelbar im BAMF-Bescheid getroffen.

Zuständig für die Rückführung vollziehbar ausreisepflichtiger, abgelehnter Asylbewerber sind dann die Regierungspräsidien. Sie sind aber nicht berechtigt, in eine erneute Prüfung dessen einzusteigen, was das BAMF und Gerichte bereits entschieden haben. Das gilt insbesondere für die Einschätzung der Sicherheitslage in den Ländern, in die abgeschoben werden soll. Hierfür ist der Bund zuständig. Übrigens: die Bundesregierung in Gänze, nicht einzelne Teile der Bundesregierung.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Das ist korrekt!)

Um eine valide Einschätzung zu bekommen, braucht man auch alle Teile der Bundesregierung, weil sämtliche Behörden, die auf der Bundesebene damit befasst sind, ihre Erkenntnisse einbringen müssen. Da ist die Bundespolizei, da ist das Auswärtige Amt, und es fließen natürlich auch nachrichtendienstliche Informationen und die Erkenntnisse derer ein, die vor Ort sind, wie die Bundeswehr oder Bun

despolizisten. Sie alle wirken an der Einschätzung der Sicherheitslage mit.

Herr Kollege Roth, die Innenministerkonferenz hat in der Tat vor Kurzem in Saarbrücken über diese Frage diskutiert. Es hat einen Kollegen gegeben, der die Frage der Sicherheit dort thematisiert hat, aber von dem zuständigen Minister ist in dieser Runde auf die tatsächliche Lage hingewiesen worden, und es hat kein erneutes Aufgreifen, keine neue Entscheidung der Innenministerkonferenz gegeben. Es ist vielmehr bei dem geblieben, was wir im Dezember des vergangenen Jahres vereinbart haben.

Vielleicht ist der letzte Teil des Asylverfahrens, die Durchsetzung der aus der Ablehnung folgenden Konsequenzen, ein Spiegelbild für das, weshalb viele Menschen sehnsüchtig nach Deutschland schauen. Die deutsche Verwaltung ist, anders als die in vielen Weltgegenden, verpflichtet, die geltenden Gesetze und die rechtskräftigen Entscheidungen umzusetzen. So steht es in unserem Grundgesetz und in unserer Hessischen Verfassung, und das verlangen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Lande täglich ab. Das, meine Damen und Herren, ist eben der große Unterschied.

Sie – die Kollegen von der LINKEN – kritisieren die im Oktober 2016 verfasste gemeinsame Absichtserklärung über die Zusammenarbeit bei der Migration zwischen der Bundesrepublik und der Islamischen Republik Afghanistan. Die Fraktion DIE LINKE unterstellt, das Abkommen sei die Bedingung für weitere Hilfeleistungen gewesen.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Gerne sage ich Ihnen später auch noch etwas zu der Verknüpfung von Migrationspolitik und anderen Politikbereichen. Aber vorab zur Absichtserklärung selbst: Ich möchte daraus zitieren, zum Beweis dafür, dass dies nicht das teuflische – oder, wie Frau Kollegin Faulhaber gesagt hat, das „schmutzige“ – inhumane Werk ist, das Sie darin sehen wollen. Die Absichtserklärung nimmt gleich zu Anfang Bezug auf die geltenden internationalen Abkommen zum Flüchtlingsschutz. Die Parteien erklären ausdrücklich die Absicht, die Würde und die Menschenrechte der Rückkehrer – frei von Diskriminierung – zu garantieren.

Die Bundesrepublik verpflichtet sich ausdrücklich zur Berücksichtigung der individuellen Bedrohung, die sich bei einer Rückkehr stellen kann, des besonderen Schutzbedarfs Minderjähriger, der Rechte von Familien, der besonderen Lage alleinstehender Frauen, von schweren Erkrankungen, für die es in Afghanistan keine ausreichende medizinische Behandlungsmöglichkeit gibt, sowie des Rechts jedes Einzelnen, Rechtsmittel zu ergreifen.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Die Parteien, die die Absichtserklärung verfasst haben, stimmen zudem überein, dass die freiwillige Rückkehr einer Abschiebung vorgehen soll. Meine Damen und Herren, immerhin haben im Jahr 2016 – bis Ende November – bereits über 300 afghanische Staatsbürger von der Möglichkeit der freiwilligen Rückkehr Gebrauch gemacht.

Ich möchte dazusagen, dass wir in Hessen durch ein Rückkehrprogramm – über eine sehr aufwendige Beratung von den zentralen Ausländerbehörden bis zu den dezentralen Ausländerbehörden, die wir nunmehr ausweiten – dafür Sorge tragen, dass wir diejenigen, die nicht in unserem Land bleiben können, ausdrücklich und sehr ausgiebig über die Fragen und die Möglichkeiten der freiwilligen

Rückreise informieren, gerade weil wir verhindern wollen, dass es überhaupt zu der für alle Beteiligten belastenden Situation der Abschiebung kommt.

Deutschland verpflichtet sich in dem Abkommen außerdem zur Fortsetzung von zivilen Ausbaumaßnahmen, auch zum Zwecke der Reintegration. In der Anlage heißt es:

In Anbetracht afghanischer kultureller Normen und Empfindsamkeiten wird die deutsche Seite bei der Rückführung von Rückkehrenden besondere Maßnahmen ergreifen und z. B. weibliches Begleit- und ärztliches Personal stellen.